Reblaus

Die Reblaus (Daktulosphaira vitifoliae, Syn.: Viteus vitifoliae) ist eine Pflanzenlaus aus der Familie der Zwergläuse (Phylloxeridae). In Europa im 19. Jahrhundert als Neozoon aus Nordamerika eingeschleppt, gilt sie bis heute als bedeutender Schädling im Weinbau.

Reblaus

Reblaus (Daktulosphaira vitifoliae)

Systematik
Klasse: Insekten (Insecta)
Ordnung: Schnabelkerfe (Hemiptera)
Unterordnung: Pflanzenläuse (Sternorrhyncha)
Familie: Zwergläuse (Phylloxeridae)
Gattung: Viteus
Art: Reblaus
Wissenschaftlicher Name
Daktulosphaira vitifoliae
(Fitch, 1855)

Auf Grund unterschiedlicher Verhaltensweisen gegenüber den Weinreben hat man festgestellt, dass es verschiedene Biotypen der Reblaus gibt. Je nach Autor werden für die Biotypen unterschiedliche Benennungen gebraucht (Biotyp, Performance Type, Strain, Superclone). In Kalifornien wird zwischen zwei Reblausbiotypen A und B unterschieden, die sich in ihrer Aggressivität gegenüber der Unterlagensorte A×R 1 (Vitis vinifera (‘Aramon’) × Vitis rupestris) unterscheiden.[1][2]

Körperbau

Die Reblaus weist die anatomischen Merkmale aller Insekten auf. Im Gegensatz zu anderen Blattläusen fehlen ihr Wachsdrüsen, mit denen sie sich gegen Angreifer verteidigen könnte. Außerdem sind die Flügel der Reblaus steil aufgestellt. Zwischen den einzelnen Formen der Reblaus gibt es auch Unterschiede: Bei den Wurzelrebläusen (Radicicolae) sind lediglich weibliche Tiere mit einer Maximalgröße von 1,35 Millimeter vorhanden, die eine gelbe oder bräunlichgrüne Färbung aufweisen. Die weiblichen, geflügelten Reblausfliegen (Sexuparae) sind ungefähr einen Millimeter groß und gelbgrün bis ockerfarbig. Männliche Geschlechtstiere (Sexuales) haben eine Lebenserwartung von bis zu acht Tagen, sind 0,28 Millimeter groß und weisen eine gelbliche Färbung auf. Die Weibchen sind mit 0,5 Millimeter etwas größer, ihre Färbung ist etwas heller als die der Männchen. Weder Männchen noch Weibchen haben einen Rüssel; sie können somit keine Nahrung aufnehmen. Die Maigallenläuse (Fundatrix) sind nach vier Häutungen erwachsen und weisen eine Größe zwischen einem und 1,25 Millimetern auf.

Lebenszyklus

Der Lebenszyklus der Reblaus ist sehr komplex, denn sie vollzieht einen holozyklischen Wirtswechsel zwischen Rebstock und Rebwurzel. Einige Wurzelläuse entwickeln sich im Spätherbst zu Nymphen mit Flügelansätzen. Die Nymphen verlassen den Boden und entwickeln sich zu geflügelten Rebläusen, den Reblausfliegen. Nun beginnt der oberirdische Entwicklungskreislauf. Die Reblausfliegen legen kleine männliche und große weibliche Eier an der Rinde des Rebstocks ab. Daraus schlüpfen die rüssellosen Geschlechtstiere (Sexuales), welche sich paaren. Die begatteten Weibchen legen je ein befruchtetes Winterei (0,27 × 0,13 mm) in eine Rindenritze des zwei- bis dreijährigen Holzes. Aus diesen Wintereiern schlüpfen im Frühling die Maigallenläuse (Fundatrix), die hauptsächlich an den Blättern von amerikanischen Reben Blattgallen ausbilden und dort bis zu 1200 Eier legen. Der krugförmige Gallenkörper befindet sich an der Blattunterseite, die Öffnung an der Blattoberseite. Es gibt wiederum zwei Arten von Larven, die nach acht bis zehn Tagen in den Gallen schlüpfen. Die einen bilden erneut Blattgallen, vor allem an jüngeren Blättern. Die anderen, die sich von den erstgenannten auch äußerlich unterscheiden, sind blattgeborene Wurzelläuse und suchen die Rebwurzeln im Boden auf. Dort ergänzen sie den unterirdischen Entwicklungszyklus oder beginnen ihn neu. Die Anzahl derer, die zum Nebenwirt wandern, nimmt mit jeder Larvengeneration zu, bis schließlich alle an der Wurzel im Boden sind. Sie machen sich jedoch nicht sofort über die Wurzeln her, sondern wandern erst in noch tiefere Bodenschichten, wo sie überwintern. Im folgenden Frühjahr suchen sie junge Rebwurzeln, um Nahrung aufzunehmen und ihre Entwicklung zu eierablegenden Weibchen abzuschließen. In den Wurzelbereichen ist die ständige eingeschlechtliche Fortpflanzung durch die auf dem Nebenwirt überwinternden Larven (Hiemales) möglich. Einige der Wurzelläuse entwickeln sich wieder zu Reblausfliegen, die wiederum aus der Erde kommen und den oberirdischen Kreislauf beginnen. Nur im oberirdischen Kreislauf entstehen Nachkommen mit neuem Erbgut, da es lediglich dort Männchen und Weibchen gibt. Diese Nachkommen können ein anderes Verhalten als die Blatt- und Wurzelläuse, die eingeschlechtlich entstanden sind, aufweisen. Aufgrund der niedrigeren Temperaturen im mitteleuropäischen Raum (außer im klimatisch wärmeren Südwesten) ist die Fortpflanzung hauptsächlich eingeschlechtlich (anholozyklisch).

Geschichte

Die aus Nordamerika stammende Blattlaus-Verwandte wurde in den 1860er Jahren durch Rebstöcke von der Ostküste Amerikas über London ins südliche Frankreich eingeschleppt (ab 1863 nachgewiesen) und breitete sich in der Reblausinvasion rasant von dort über sämtliche europäische Weinbaugebiete aus. In der Folge kam es im europäischen Weinbau zu dramatischen Verwüstungen, der sogenannten „Reblauskrise“ oder „Reblauskatastrophe“.

Besonders traf es Frankreich. Zwischen 1865 und 1885 zerstörte die Reblaus große Teile der französischen Weinanbaugebiete, die erst um 1850 nach der Mehltaukrise durch neue Reben aus Amerika ersetzt worden waren. Dies hatte katastrophale Folgen für die französische Landwirtschaft. Insgesamt wurden allein in Frankreich annähernd 2,5 Millionen Hektar Rebfläche vernichtet. 1870 setzte die französische Regierung eine Kommission zur Bekämpfung der Reblaus unter Vorsitz des Chemikers Jean-Baptiste Dumas ein.[4] 1885 folgte ihm Louis Pasteur als Vorsitzender, der bereits zuvor Mitglied der Kommission war. Die Bemühungen der Kommission waren aber langfristig erfolglos, da sie die chemische Schädlingsbekämpfung bevorzugte und nicht die Verwendung resistenter Wurzelstöcke, die vor allem in Montpellier von Jules Émile Planchon und seinen Schülern betrieben wurde. Planchon arbeitete dabei eng mit amerikanischen Rebenzüchtern und Weinbauwissenschaftlern wie George Hussman (1827–1903), Professor für Landwirtschaft an der University of Missouri in Columbia, Charles Valentine Riley (1843–1895), staatlicher Entomologe, dem Winzer und Rebenzüchter Hermann Jaeger (1844–1895) aus Neosho (Missouri) sowie dem texanischen Rebenzüchter Thomas Volney Munson (1843–1913) zusammen. Die amerikanischen Winzer schickten ihm reblausresistente amerikanische Rebensorten, die Planchon als Unterlage für französische Edelsorten verwendete.

In Klosterneuburg im Weinbaugebiet Wagram trat die Reblaus erstmals 1867 auf, in deutschen Weinbaugebieten erstmals 1874 in der Nähe von Bonn in der Gartenanlage Annaberg, um 1885 in Loschwitz bei Dresden (siehe auch Reblauskatastrophe in der Lößnitz), 1907 im Mosel-Saar-Ruwer-Gebiet und 1913 im Weinbaugebiet Baden. In Deutschland trieb Adolph Blankenhorn die Bekämpfung der Reblaus voran.

Durch Klimaveränderungen, brachliegende Weinberge und steigende Anzahl von Hausreben (Zierreben) erlebt die Reblaus derzeit eine Renaissance.[5]

Schäden an der Rebe

An sich ist die Reblaus ein Gelegenheitsschädling. Durch Monokulturen kann es zu Epidemien kommen. Die Blattreblaus ist das geringere Übel, sie wirkt sich nur bei extrem starkem Befall auf das Wachstum aus. Den bedeutendsten Schaden richten die Wurzelrebläuse an, da durch ihre Saugtätigkeit die Leitgewebe der Wurzeln geschädigt werden. Die Folge für die Pflanze ist Wasser- und Nährstoffmangel, der zum Absterben der Rebe führen kann.

Eine weitere Gefahr geht von sekundären Infektionen durch Bakterien, Pilze und Viren aus.

Bekämpfung

Biotechnische Bekämpfung

Zur Bekämpfung werden reblausresistente „Unterlagsreben“ aus Amerika (Vitis riparia, Vitis berlandieri, Vitis rupestris, Vitis cinerea oder deren daraus erzeugte Hybriden) mit einheimischen Edelreisern (Vitis vinifera) gepfropft (veredelt). So kann der komplizierte Fortpflanzungszyklus der Reblaus unterbrochen werden. Fast alle Weingärten der Welt stehen heute auf einer geeigneten, dem Standort angepassten Unterlagsrebe.

Im Ertragsweinbau gibt es weltweit nur wenige Lagen bzw. Gebiete, wo wurzelechte Reben (ungepfropfte, nicht veredelte) gepflanzt werden können. Sandböden haben den Vorteil, dass die Reblaus sich hier nicht entwickeln kann. Deshalb blieben während der Reblaus-Katastrophe solche Weingärten als einzige verschont, beispielsweise im Weinbau Ungarns.

Chemische Bekämpfung

Reblausbekämpfung mit dem Schwefelkohlenstoff-Injektor, 1904.

Die Bodeninjektion mit Kohlenstoffdisulfid (Schwefelkohlenstoff) war eine wirksame, aber arbeitsaufwändige und teure Reblausbekämpfungsmethode. Man brachte den flüssigen, leicht verdunstenden, hochentzündlichen und giftigen Schwefelkohlenstoff mit Handinjektoren in den Hauptwurzelbereich von befallenen Rebstöcken. Durch die Veredlung der Edelsorte mit einer widerstandsfähigen Unterlagsrebe wurde diese Methode überflüssig. Sie ist seit 1997 verboten.

Trivia

Angesichts ihrer Begierde nach Wein stand die Reblaus Pate für das bekannte gleichnamige Wienerlied, das durch Hans Moser populär wurde.

Literatur

  • Karl Bauer u. a.: Weinbau. 8. Auflage. Österreichischer Agrarverlag, Wien 2008, ISBN 3-7040-1765-5.
  • Victor Fatio: Die Phylloxera (Reblaus). Kurzgefaßte Anweisungen zum Gebrauche für die kantonalen und eidgenössischen Experten in der Schweiz. Ins Deutsche übertragen von H. Krämer. 2. Auflage. Aarau 1879.
  • Stauffacher, Heinrich: Die Phylloxera vastatrix Pl. im Kanton Thurgau 1896–1921. Frauenfeld 1922.
  • Hermann Goethe: Die Reblaus. Eine volksthümliche Belehrung über die Eigenschaften und Lebensweise dieses gefährlichsten Rebfeindes mit Angabe der gegen denselben zu ergreifenden Maßregeln. Graz 1881 (Digitalisat).
  • Walter Hillebrand, Dieter Lorenz, Friedrich Louis: Rebschutz. 11. Auflage. Fachverlag Fraund, Mainz 1998, ISBN 3-921156-36-X.
  • Werner Jacobs (Begr.), Maximilian Renner (Fortf.): Biologie und Ökologie der Insekten. 2. Auflage. Gustav Fischer, Jena 1989, ISBN 3-334-00334-5.
  • Hanns-Heinz Kassemeyer, Günter Schruft: Krankheiten und Schädlinge der Weinrebe. Th. Mann, Gelsenkirchen 1999, ISBN 3-7862-0112-9.
  • Jos. A. Massard: Vor hundert Jahren: Die Reblaus ist da ! Ein ungebetener Gast aus Amerika bringt den Luxemburger Weinbau in Gefahr. In: Lëtzebuerger Journal. Nr. 143 (27. Jul.), 2007, S. 19–21 (PDF).

Siehe auch

Commons: Reblaus (Daktulosphaira vitifoliae) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Reblaus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Christoph Hoffmann: Reblaus-Fachgespräch beim Institut für Pflanzenschutz in Obst- und Weinbau, Siebeldingen. (PDF) In: Journal für Kulturpflanzen Nr. 63. 2011, S. 340 bis 343, abgerufen am 15. April 2015 (mit weiteren Literaturangaben).
  2. Andreas Kopf: Untersuchungen zur Abundanz der Reblaus (Dactylosphaera vitifolii Shimer) und zur Nodositätenbildung in Abhängigkeit von Umweltfaktoren, Dissertation. Hrsg.: Universität Hohenheim. 2000 (Volltext [PDF; 2,5 MB]).
  3. Carlo Alberto Redi, Silvia Garagna, Maurizio Zuccotti, Ernesto Capanna, Helmut Zacharias: Visual Zoology: The Pavia collection of Leuckart's zoological wall charts. Ibis, Como, Pavia 2002. ISBN 88-7164-130-2. → Reblaus: Seite 122.
  4. Science, Vine and Wine in Modern France, Harry W. Paul, S. 38.
  5. Forschung Weinbau Industrieverband Agrar
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