Wolfram Drews

Wolfram Drews (* 26. März 1966 in Rostock) ist ein deutscher Historiker. Drews lehrt seit 2011 als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Münster. In der Fachwelt ist er vor allem mit Arbeiten zur Welt- und Globalgeschichte, zur transkulturellen Geschichte und zu Herrschafts- und Integrationsstrategien im christlichen und islamischen Mittelalter sowie zu Verflechtungsprozessen im christlich-jüdisch-islamischen Umfeld hervorgetreten. In seinen Forschungen befasst er sich auch mit Grenzbereichen Europas, Byzanz und Spanien.

Wolfram Drews, aufgenommen von Werner Maleczek im Jahr 2013.

Leben und Wirken

Akademische Laufbahn

Wolfram Drews studierte Geschichte, Judaistik, Theologie, Anglistik und Romanistik in Berlin, Jerusalem und Córdoba. Von 1998 bis 2001 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Judaistik der Universität Göttingen. Im Jahr 2000 wurde er im Fach mittelalterliche Geschichte promoviert bei Kaspar Elm und Peter Schäfer an der FU Berlin mit einer Arbeit zur Funktionalisierung des Antijudaismus im westgotischen Spanien. Seine Dissertation wurde 2001 mit dem Friedrich-Meinecke-Preis ausgezeichnet. Von 2001 bis 2011 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Franz Joseph Dölger-Institut der Universität Bonn.

Im Wintersemester 2007/08 erfolgte seine Habilitation an der Universität zu Köln mit einer vergleichenden Arbeit zur Kulturgeschichte des Politischen im islamischen und christlich-lateinischen Mittelalter. Drews hatte Gastprofessuren an der Humboldt-Universität zu Berlin (Wintersemester 2008/09 und Sommersemester 2009), der Ruhr-Universität Bochum (Sommersemester 2010) und an der Universität zu Köln (Wintersemester 2010/11). Zum 1. März 2011 wurde er als Nachfolger von Gerd Althoff Professor für Geschichte des frühen und hohen Mittelalters an der Universität Münster. Im Januar 2012 hielt er dort seine Antrittsvorlesung.[1]

Im Sommersemester 2012 war Drews Fellow an der Dumbarton Oaks Research Library der Harvard University. Drews war 2011 Mitherausgeber und ist seit 2012 einer der Herausgeber der Fachzeitschrift Frühmittelalterliche Studien.[2] Drews war von 2012 bis 2014 Geschäftsführender Direktor des Historischen Seminars. Er ist seit 2012 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Frühmittelalterforschung. Von 2013 bis 2017 war Drews Vizepräsident des Mediävistenverbandes, seit 2017 ist er dessen Präsident. Er ist Mitglied im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, im Deutschen Hochschulverband, im Verband der Judaisten in Deutschland, in der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft, seit 2018 in der Academia Europaea und seit 2020 im Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte.

Forschungsschwerpunkte

Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kulturgeschichte des Politischen im Mittelalter, die Historische Komparatistik, die Welt- und Globalgeschichte, die transkulturelle Geschichte, die Herrschafts- und Integrationsstrategien im christlichen und islamischen Mittelalter, das Königtum im frühen und hohen Mittelalter sowie Akkulturationsprozesse im Umfeld christlich-jüdisch-islamischer Interaktion.

In seiner 2001 veröffentlichten Dissertation widmete er sich ausführlich dem antijüdischen Traktat Isidors von Sevilla.[3] Nach Drews hat die bisherige Forschung Isidors philologische Kenntnisse überschätzt. Nach seinen Studien war Isidor weder des Hebräischen noch des Griechischen mächtig. Mit seinem Traktat De fide catholica contra Iudaeos habe er sich nicht an die Juden gewandt, sondern sein kultureller und geistiger Horizont beschränke sich auf die Traditionen der gotisch-katholischen Gemeinschaft. Beim Verfassen des Traktats habe Isidors Absicht darin bestanden, katholische Christen in ihrem Glauben zu bestärken und sie auf mögliche jüdische Argumente und Einwände vorzubereiten. Der Traktat habe die Funktion, die Verschmelzung von Westgoten und Hispanoromanen zu einem einheitlichen „Staatsvolk“, der gens Gothorum, zu fördern.[4] Nach einem von Drews 2002 erschienenen Aufsatz verschmelzen römische und gotische Traditionen in Isidors Darstellung der Historia Gothorum zu einem Geschichtsbild, das „als Grundlage für das Selbstbild der hispanogotischen Gesellschaft des siebten Jahrhunderts dienen sollte“.[5]

In seiner Habilitationsschrift befasst er sich mit dem nahezu gleichzeitigen Dynastiewechsel von Merowingern zu Karolingern im Frankenreich und von Umayyaden zu Abbasiden im islamischen Kalifat.[6] Er verfolgt den Anspruch „ein traditionelles Forschungsfeld der Geschichtswissenschaft aus einer neuen Untersuchungsperspektive in den Blick zu nehmen“.[7] Bis dahin waren Ansätze transkultureller historischer Komparatistik in der deutschen Mediävistik selten erprobt worden.[8] Seine Arbeit möchte er als „als Beitrag zu einer politischen Kulturgeschichte“ verstehen.[9] In einem systematischen Vergleich fragt er nach den strukturellen Voraussetzungen für beide Dynastiewechsel und den herrschaftsstabilisierenden Strategien. Die Arbeit konzentriert sich auf die Zeit Karls des Großen (768–814) und al-Ma'mūn (813–833). Die neuen an die Herrschaft gekommenen Dynastien standen unter einem starken Legitimationszwang. Drews konzentriert sich deshalb auf die Argumente und Strategien, die „zur Formulierung und Propagierung von (erfundenen) Traditionen und Herrschaftsansprüchen herangezogen wurden“.[10] In vier Hauptkapiteln befasst er sich mit Diskursen (S. 38–173), Praktiken (S. 174–235) sowie kulturellen und religiösen Parametern der Herrschaftslegitimation (S. 236–329). Zum Abschluss (S. 330–436) unternimmt Drews den Versuch, „die kulturellen Grundlagen und Voraussetzungen zu analysieren, die für die politischen Handlungsspielräume der karolingischen und abbasidischen Akteure maßgebend waren“.[11] Im Ergebnis stellt er fest, dass sich die beiden Dynastiewechsel „ganz erheblich in ihren kulturellen Rahmenbedingungen“ unterschieden.[12] Die Karolinger stützten sich auf verschiedene Rituale und Institutionen, während die Abbasiden nur unter ungleich schwierigeren Bedingungen derartige institutionelle Legitimationsgründe anführen konnten.[13] Die Abbasiden legitimierten sich nur über ihre Religion. Im Islam fehlte ein Äquivalent zur Kirche.[14] Der Islam kannte keine Sakramente, aus denen sich konsensfähige Rituale zur Herrschereinsetzung hätten entwickeln können.[15] Die Karolinger stellten den Zusammenhang mit der (christianisierten) Antike her, während die Abbasiden „legitimierendes Kapital nur aus der islamischen sowie der vorislamischen arabischen Überlieferung“ beziehen konnten.[16]

In einem 2011 verfassten Beitrag über transkulturelle Perspektiven in der mittelalterlichen Historiographie wirft er die Fragen auf, „ob es im christlichen (oder jüdischen) Mittelalter keine derartigen globalgeschichtlichen Darstellungen gegeben“ habe und „warum das europäische Mittelalter in aktuellen Genealogien der Globalgeschichte üblicherweise übergangen wird“.[17] Er verweist auf die Eigenart der mittelalterlichen Weltchroniken, die vor allem in einem zeitlichen und heilsgeschichtlichen und nur einschränkt in einem räumlichen Sinn als universal angesehen werden können. Den kastilischen Autor Rodrigo Jiménez de Rada und dessen in den 1240er Jahren entstandene „Historia Arabum“ versteht Drews als mittelalterliches Beispiel eines „globalgeschichtlichen Zugriffs“.[18]

Im Jahr 2016 gab Drews mit Christian Scholl die Ergebnisse einer 2013 veranstalteten Tagung zum Thema transkulturelle Verflechtungsprozesse in der Vormoderne heraus.[19] Die Untersuchungen konzentrieren sich auf vormoderne Verflechtungsprozesse der unterschiedlichsten Art zwischen Kulturen, Regionen und sozialen Gruppen. Drews leitete eine internationale Tagung zum Thema „Die Interaktion von Herrschern und Eliten in imperialen Ordnungen“. Die Tagung fand im Rahmen des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ im Juni 2015 in Münster stattfand. Der von Drews 2018 herausgegebene Band leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Imperien.[20]

Schriften

Monografien

  • Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich (= Europa im Mittelalter. Bd. 12). Akademie-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-05-004560-3 (Teilweise zugleich: Köln, Universität, Habilitations-Schrift, 2007).
  • Juden und Judentum bei Isidor von Sevilla (= Berliner historische Studien. Bd. 34). Duncker & Humblot, Berlin 2001, ISBN 3-428-10571-0 (Zugleich: Berlin, Freie Universität, Dissertation, 2000).

Herausgeberschaften

  • mit Ulrich Pfister, Martina Wagner-Egelhaaf: Religion und Entscheiden. Historische und kulturwissenschaftliche Perspektiven (= Religion und Politik. Bd. 17). Ergon-Verlag, Baden-Baden 2018, ISBN 3-95650-390-2.
  • Die Interaktion von Herrschern und Eliten in imperialen Ordnungen des Mittelalters (= Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte. Bd. 8). De Gruyter, Berlin 2018, ISBN 3-11-057255-9.
  • mit Antje Flüchter, Christoph Dartmann, Jörg Gengnagel, Almut Höfert, Sebastian Kolditz, Jenny Rahel Oesterle, Ruth Schilling, Gerald Schwedler: Monarchische Herrschaftsformen der Vormoderne in transkultureller Perspektive (= Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik. Bd. 26). De Gruyter, Berlin 2015, ISBN 3-11-041164-4.
  • mit Heike Schlie: Zeugnis und Zeugenschaft. Perspektiven aus der Vormoderne (= Trajekte. Eine Reihe des Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin). Fink, München 2011, ISBN 978-3-7705-4905-4.
  • mit Jenny Rahel Oesterle: Transkulturelle Komparatistik. Beiträge zu einer Globalgeschichte der Vormoderne (= Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und vergleichende Gesellschaftsforschung. Jg. 18 (2008), Heft 3/4). Leipziger Universitäts-Verlag, Leipzig 2008, ISBN 3-86583-335-8.

Literatur

  • Drews, Wolfram. In: Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender. Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. Band 1: A–G. 30. Ausgabe. De Gruyter, Berlin u. a. 2018, ISBN 978-3-11-051766-8, S. 674.

Anmerkungen

  1. Wolfram Drews: Imperiale Herrschaft an der Peripherie? Hegemonialstreben und politische Konkurrenz zwischen christlichen und islamischen Herrschern im früh- und hochmittelalterlichen „Westen“. In: Frühmittelalterliche Studien 46 (2012), S. 1–39.
  2. Christel Meier: 50 Jahre Frühmittelalterliche Studien. In: Frühmittelalterliche Studien 50 (2016), S. 1–13, hier: S. 12–13.
  3. Vgl. dazu die Besprechungen von Bat-Sheva Albert in: Revue d’Histoire Ecclésiastique 103 (2008), S. 963–965; Veronika Lukas in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 60 (2004), S. 851–852 (Digitalisat); Jacques Elfassi in: Revue des Études Augustiniennes 49 (2003), S. 219–220; Joseph Shatzmiller in: Aschkenas 13 (2003), S. 560–562; Raúl González Salinero in: Sefarad 62 (2002), S. 439–441; H. J. Selderhuis in: Nederlands Dagblad 15. Juni 2002, S. 7.
  4. Wolfram Drews: Juden und Judentum bei Isidor von Sevilla. Berlin 2001, S. 527–542.
  5. Wolfram Drews: Goten und Römer als Gegenstand der Historiographie bei Isidor von Sevilla. In: Saeculum 53 (2002), S. 1–20, hier: S. 17.
  6. Vgl. dazu die Besprechungen Jens Scheiner, Undine Ott in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 67 (2016), S. 747; Stephan Conermann: Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 18 (2013), S. 192–194; Alexander Beihammer in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 121 (2013), S. 468–471 (online); Jenny Rahel Oesterle in: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 755–757; Rudolf Schieffer in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 66 (2010), S. 282f.; Kordula Wolf in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 90 (2010), S. 569–571 (online); Konrad Hirschler in: Journal of Global History 5 (2010), S. 177f.; Rodolphe Dreillard in: Revue de l’Institut Français d’Histoire en Allemagne 1 (2009), S. 364–366; Linda Dohmen in: H-Soz-u-Kult 11. November 2009, (online); Roman Deutinger in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15. Juni 2009], (online); Medienspiegel – Deutsch-Maghrebinische Gesellschaft, Juni 2009, 12f.; Carsten Woll in: Das Historisch-Politische Buch 57 (2009), S. 584–585; Maaike van Berkel in: Early Medieval Europe 20 (2012), S. 96–97.
  7. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 33.
  8. Vgl. dazu die Besprechung von Jenny Rahel Oesterle in: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 755–757.
  9. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 18.
  10. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 17.
  11. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 330.
  12. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 366.
  13. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 168.
  14. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 380.
  15. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 98.
  16. Wolfram Drews: Die Karolinger und die Abbasiden von Bagdad. Legitimationsstrategien frühmittelalterlicher Herrscherdynastien im transkulturellen Vergleich. Berlin 2009, S. 366.
  17. Wolfram Drews: Transkulturelle Perspektiven in der mittelalterlichen Historiographie. In: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 31–59, hier: S. 37.
  18. Wolfram Drews: Transkulturelle Perspektiven in der mittelalterlichen Historiographie. In: Historische Zeitschrift 292 (2011), S. 31–59, hier: S. 57.
  19. Wolfram Drews, Christian Scholl (Hrsg.): Transkulturelle Verflechtungsprozesse in der Vormoderne. Berlin/Boston 2016.
  20. Vgl. dazu die Besprechung von Matthias Becher in: H-Soz-Kult, 5. Februar 2020, (online).
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