Wladimirowo (Kaliningrad)
Wladimirowo (russisch Влади́мирово, deutsch Tharau und Ernsthof, prußisch Toraw, litauisch Toruva) ist eine Siedlung im Rajon Bagrationowsk in der russischen Oblast Kaliningrad. Sie gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Bagrationowsk.
Siedlung
Wladimirowo
Tharau und Ernsthof Владимирово
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Geschichte
Tharau geht auf eine alte Siedlung der Prußen am Flüsschen Frisching (Prochladnaja) zurück, die erstmals 1315 erwähnt wird. Der Name weist auf eine durch Zaun und Hecke eingehegte Siedlung. Im 14. Jahrhundert, ab etwa 1320, wurde hier eine Kirche errichtet, die zu den bedeutendsten Dorfkirchen der Region zählt. Berühmt ist der Ort durch die 1615 im dortigen Pfarrhaus geborene Pfarrerstochter Anna Neander, die als Ännchen von Tharau zuerst 1636 von Simon Dach besungen wurde und deren Leben Thema des bekannten Volksliedes wurde. Trotz des Anschlusses durch die Kleinbahn Tharau–Kreuzburg an die Hauptbahn Königsberg–Lyck mit Abzweig nach Kreuzburg blieb Tharau auch im 20. Jahrhundert ein Dorf. Der Bahnhof Tharau lag mitten im Nachbarort Wittenberg. Bis 1945 gehörte Tharau zum Landkreis Preußisch Eylau im Regierungsbezirk Königsberg in der Provinz Ostpreußen und wurde im Krieg teilweise zerstört.
Mit der Übernahme durch die sowjetische Administration erhielt der Ort 1947 die Bezeichnung Wladimirowo und wurde gleichzeitig Sitz eines Dorfsowjets.[2] Vor 1975 wurde das früher Ernsthof genannte Nachbardorf (ab 1950 russisch: Krasnopartisanskoje) angeschlossen. Von 2008 bis 2016 gehörte Wladimirowo zur Landgemeinde Niwenskoje und seither zum Stadtkreis Bagrationowsk.
Dorfsowjet/Dorfbezirk Wladimirowo 1947–1962 und 1969–2008
Der Dorfsowjet Wladimirowo (ru. Владимировский сельский Совет) wurde im Juni 1947 zunächst im Rajon Bagrationowsk eingerichtet.[2] Im Juli 1947 erfolgte dann jedoch die Eingliederung in den neu gebildeten Rajon Kaliningrad.[3] Nach der Auflösung dieses Rajons im Jahr 1959 gelangte der Dorfsowjet (wieder) in den Rajon Bagrationowsk. Vom 30. August 1962 bis zum 20. Januar 1969 war der Dorfsowje aufgelöst. Er bestand von 1962 bis etwa 1966 offenbar als Dorfsowjet Pobeda und war dann bis 1969 vermutlich an Niwenskoje angeschlossen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion bestand die Verwaltungseinheit als Dorfbezirk Wladimirowo (ru. Владимировский сельский округ). Im Jahr 2008 wurden die verbliebenen sieben Orte des Dorfbezirks in die neu gebildete Landgemeinde Niwenskoje eingegliedert.
Ortsname | Name bis 1947/50 | Lage | Bemerkungen |
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Gussewo (Гусево) | Groß Park | 54° 31′ N, 20° 31′ O | Der Ort wurde 1947 umbenannt und 2002 aus dem Ortsregister gestrichen. |
Kalmykowo (Калмыково) | Heyde | Der Ort wurde 1950 umbenannt. | |
Kandijewo (Кандиево) | Braxeinshof | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Kolodino (Колодино) | Augustenhof | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Kostjukowo (Костюково) | Hasseldamm | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Wladimirowo (Владимирово), bis 1993: Krasnopartisanskoje | Ernsthof | 54° 34′ N, 20° 30′ O | Der Ort wurde 1950 umbenannt und vor 1975 an den Ort Wladimirowo angeschlossen. |
Kunzewo (Кунцево) | Grünhof | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Lineinoje (Линейное) | Bögen | Der Ort wurde 1950 umbenannt. | |
Maikowo (Майково) | Neu Park | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Maiskoje (Майское) | Groß Bajohren (1938–1945: „Baiersfelde“) | Der Ort wurde 1950 umbenannt. | |
Muratowo (Муратово) | Panzhof | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Oktjabrskoje (Октябрьское) | Dopsattel | 54° 34′ N, 20° 25′ O | Der Ort wurde 1950 umbenannt und vor 1975 an den Ort Saretschnoje angeschlossen. |
Ostrownoje (Островное) | Liepnicken | 54° 33′ N, 20° 24′ O | Der Ort wurde 1950 umbenannt und vor 1975 an den Ort Saretschnoje angeschlossen. |
Pensowka (Пензовка) | Louisenhof | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Pobeda (Победа) | Arnsberg und Struwe | Der Ort wurde 1950 umbenannt. | |
Sadowoje (Садовое) | „Siedlung beim Bf. Kreuzberg“ | Der Ort wurde 1950 umbenannt. | |
Saretschnoje (Заречное) | Ramsen | Der Ort wurde 1950 umbenannt. | |
Turgenewskoje (Тургеневское) | Ponitt | Der Ort wurde 1947 umbenannt und vermutlich vor 1969 verlassen. | |
Wladimirowo (Владимирово) | Tharau | Verwaltungssitz |
Der im Jahr 1950 umbenannte Ort Sergejewo (Klein Lauth), der zunächst ebenfalls in den Dorfsowjet Wladimirowo eingeordnet wurde, kam dann (vor 1975) zum Dorfsowjet Gwardeiskoje.
Kirche
Dorfkirche
Die evangelische Kirche stammt aus dem 14. Jahrhundert. Ein Umbau erfolgte im Jahre 1805. Nach einem Brand im Jahre 1910 wurde sie zwischen 1911 und 1918 aufwändig restauriert. Das Gotteshaus blieb im Krieg erhalten, wurde jedoch als Klubhaus und Speicher genutzt und verfiel. Trotz zahlreicher Bemühungen um Wiederherstellung und Neuweihe des Gebäudes steht die Kirche noch immer leer.
1998 hat sich nach einer Fotoausstellung des Meisterfotografen Anatoli Bachtin des Staatsarchivs der Oblast Kaliningrad der Förderkreis Kirche Tharau/Ostpreußen e. V. begründet, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dieses Backsteinkleinod zu retten, also zu restaurieren und in Zusammenarbeit mit den örtlichen und auch überregionalen Behörden einer zeitgemäßen Nutzung zuzuführen. In Zusammenarbeit mit russischen Behörden und deren Hilfe, sowie unter anderem durch namhafte Spenden von Privatpersonen und aus der deutschen Wirtschaft gelang es diesem, erste Sicherungsmaßnahmen durchzuführen und im Jahre 2006 das Hauptschiff mit einem neuen Dachstuhl zu versehen und komplett einzudecken. 2009 konnte auch der Turm neu eingedeckt werden. Seit 2010 ist die Kirche im Eigentum der Russisch-Orthodoxen Kirchen und es gelang problemlos, die früher mit den Behörden geschlossenen Verträge mit der ROK zu bestätigen und weiter zu führen. So soll künftig der Turm unter der Regie des Fördervereins mit einem Museum-/Ausstellungsraum, einem weiteren Raum für Zusammentreffen und einer Aussichtsplattform – immerhin kann man bei guter Sicht bis Brandenburg und auf das Frische Haff sehen – stehen; das Hauptschiff will die ROK nach endgültiger Restaurierung als Kirche nutzen. Vertraglich ist festgelegt, dass das äußere historische Erscheinungsbild wieder hergestellt und nicht verändert werden soll.
Kirchspiel
Tharau war das Zentrum eines weitflächigen Kirchspiels, das vor 1945 zum Kirchenkreis Preußisch Eylau in der Kirchenprovinz Ostpreußen der Kirche der Altpreußischen Union gehörte. Eingepfarrt waren neben dem Pfarrort 18 Orte:[4]
Deutscher Name | Russischer Name | Deutscher Name | Russischer Name | |
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Augustenhof | Kolodino | Klein Bajohren Kreis Preußisch Eylau | NN[5] | |
Bögen | Lineinoje | Klein Lauth | Sergejewo | |
Braxeinshof | Kandijewo | Louisenhof | Pensowka | |
Braxeinswalde | Otwaschnoje | Packerau Kreis Preußisch Eylau | Maiskoje | |
Ernsthof | Wladimirowo, bis 1993: Krasnopartisanskoje | Panzhof | Muratowo | |
Gröbensbruch | NN[5] | Ponitt | Turgenewskoje | |
Groß Bajohren Kreis Preußisch Eylau, 1938 bis 1945: Baiersfelde | Maiskoje | Romlau | NN[5] | |
Grünhof | Kunzewo | Schrombehnen (teilw.) | Moskowskoje | |
Hasseldamm | Kostjukowo | Wittenberg | Niwenskoje |
Pfarrer bis 1945
Seit der Reformation amtierten bis 1945 insgesamt 18 evangelische Geistliche in Tharau:
- Christoph Stanislaus, 1541/1579
- Martin Neander, bis 1629
- Jacob Gabius, 1629–1642
- Michael Neresius, 1643–1656
- Christoph Gebuhr, 1656–1693
- Anton Pfeiffer, 1694–1738
- Johann Heinrich Soosten, 1739–1758
- Carl Arndt, 1759–1770
- Georg Ernst Sigismund Hennig, 1770–1775
- Andreas Alexander Tolkemit, 1776–1789
- Johann Gottlieb Weiß, 1790–1798
- Johann George Chr. Fr. Hermes, 1797–1832
- Erdenhard J. R. Harder, 1833–1835
- Louis Gustav A. Ellinger, 1836–1881
- Eduard Werner Schmidt, 1881–1889
- Otto Eugen Bierfreund, 1889–1921
- Anton Cäsar Doskocil, 1921–1932
- Willy Rosenfeld, 1932–1945
Gut Tharau
Johannes von Olfers und seine Frau Erminia von Olfers-Batocki und zuletzt ihre Tochter Hedwig von Lölhöffel bewirtschafteten das Gut Tharau.
Ännchen von Tharau
Ännchen von Tharau ist der Titel eines volkstümlichen Liedes, dessen ursprünglich niederdeutscher Text von Simon Dach stammt. Johann Gottfried Herder übertrug es später aus der samländischen in die hochdeutsche Form, in der es heute bekannt ist. Es stammt aus dem Ostpreußen des 17. Jahrhunderts (1636) und besingt in 17 Strophen Anna Neander, die Tochter des Tharauer Pfarrers und Braut des Predigers Johannes Portatius. Der am weitesten verbreitete und bekannte Satz – der bisher zwölfte – dieses Liedes wurde von Philipp Friedrich Silcher (1789–1860), Musikdirektor an der Eberhard Karls Universität Tübingen, komponiert.
Literatur
- Friedwald Moeller: Altpreußisches evangelisches Pfarrerbuch von der Reformation bis zur Vertreibung im Jahre 1945, Hamburg 1968
Weblinks
Einzelnachweise
- Таблица 1.10 «Численность населения городских округов, муниципальных районов, муниципальных округов, городских и сельских поселений, городских населенных пунктов, сельских населенных пунктов» Программы итогов Всероссийской переписи населения 2020 года, утвержденной приказом Росстата от 28 декабря 2021г. № 963, с данными о численности постоянного населения каждого населенного пункта Калининградской области. (Tabelle 1.10 „Bevölkerungsanzahl der Stadtkreise, munizipalen Rajons, Munizipalkreise, städtischen und ländlichen Siedlungen [insgesamt], städtischen Orte, ländlichen Orte“ der Ergebnisse der Allrussischen Volkszählung von 2020 [vollzogen am 1. Oktober 2021], genehmigt durch die Verordnung von Rosstat vom 28. Dezember 2021, Nr. 963, mit Angaben zur Zahl der Wohnbevölkerung jedes Ortes der Oblast Kaliningrad.)
- Durch den Указ Президиума Верховного Совета РСФСР от 17 июня 1947 г.«Об образовании сельских советов, городов и рабочих поселков в Калининградской области» (Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR vom 17. Juni 1947: Über die Bildung von Dorfsowjets, Städten und Arbeitersiedlungen in der Oblast Kaliningrad)
- Durch den Указ Президиума Верховного Совета РСФСР от 25 июля 1947 г. «Об административно-территориальном устройстве Калининградской области» (Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR vom 25. Juli 1947: Über den administrativ-territorialen Aufbau der Oblast Kaliningrad)
- Walther Hubatsch: Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens, Band 3 Dokumente, Göttingen 1968, S. 470
- Kein Russischer Name bekannt