Wilhelm Erb

Wilhelm Heinrich Erb (* 30. November 1840 in Winnweiler in der Pfalz; † 29. Oktober 1921 in Heidelberg) war ein deutscher Internist, Pathologe und Neurologe. Erb war Hochschullehrer und leistete wichtige Beiträge zur Entwicklung der modernen Neurologie.

Wilhelm Erb, 1897

Leben

Das 1857 begonnene Studium der Medizin an den Universitäten Heidelberg und Erlangen beendete Erb 1861 in München mit dem ärztlichen Staatsexamen. Er assistierte zunächst am Münchner Pathologischen Institut[1] und im Alter von 22 Jahren wurde er Assistent von Nicolaus Friedreich an der Medizinischen Universitätsklinik in Heidelberg, wo er 1864 mit der Arbeit über Physiologische und therapeutische Wirkungen der Pikrin-Säure promoviert wurde. Noch einmal beschäftigte ihn dieses Thema in seiner Habilitationsschrift, mit der er sich 1865 für Innere Medizin habilitierte. Im Jahr 1868 formulierte er die „Erbsche Entartungsreaktion“.[2] Erb wurde 1869 zum außerordentlichen Professor der Medizinischen Klinik an der Universität Heidelberg ernannt.

Im Jahr 1880 erhielt Wilhelm Erb eine Berufung als außerordentlicher Professor der speziellen Pathologie und Therapie und Direktor der Medizinischen Poliklinik nach Leipzig. Leipzig stellte zu dieser Zeit ein hervorgehobenes Zentrum der Neurowissenschaften dar und Erb konnte hier mit Ärzten und Wissenschaftlern wie Adolf von Strümpell, Julius Cohnheim, Karl Weigert, Paul Flechsig, Paul Julius Möbius oder Wilhelm His sen. zusammenarbeiten. Obwohl er sah, dass dies für ihn einen großen menschlichen und wissenschaftlichen Gewinn darstellte, verließ er zu Ostern 1883 Leipzig schweren Herzens wieder, denn seinem Wunsch, eine stationäre Neurologie aufbauen zu können, entsprachen die sächsischen Behörden nicht. Schließlich nahm er die Berufung als Direktor einer neu erbauten Medizinischen Klinik und ordentlicher Professor der Inneren Medizin zurück nach Heidelberg an. Hier blieb er bis zu seiner Emeritierung 1907.

Aus Anlass seines 80. Geburtstages veröffentlichte die Vossische Zeitung einen kurzen biografischen Abriss, unter Nennung einiger beruflichen Stationen und bedeutender Veröffentlichungen.[3]

Grabmal von Wilhelm Erb auf dem Heidelberger Bergfriedhof

Wilhelm Erb fand seine letzte Ruhe auf dem Bergfriedhof (Heidelberg), wo er im Familiengrab beigesetzt wurde. Das Grabmal ist aus Muschelkalk gearbeitet und mit einem Bronzerelief im oberen Bereich der Stele geschmückt. Dort ist die Göttin der Heilkunst Hygieia, sitzend mit einer Schriftrolle in Händen, dargestellt. Im Bildhintergrund sind eine Schale und ein Äskulapstab zu sehen. Das Relief wurde von Eduard Beyer d. J. gearbeitet.[4]

Leistung

Durch seine Forderung 1905 bei der Eröffnungsrede anlässlich des Kongresses für Innere Medizin, „Die Nervenpathologie (Neurologie) nimmt einen ganzen Mann vollauf in Anspruch, wenn er sie wissenschaftlich fördern und sich in Unterricht und Praxis in befriedigender Weise betätigen will“, war Wilhelm Erb maßgeblich an der Gründung der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte, der heutigen Deutschen Gesellschaft für Neurologie, 1907 beteiligt, deren erster Vorsitzender er wurde.[5] Im Jahr 1908 fand die Tagung der Gesellschaft in Heidelberg statt. Erb referierte bei dieser Tagung über die Diagnose der Syphilis des Nervensystems und betonte die Wichtigkeit des sicheren Nachweises des syphilitischen Ursprungs, um die richtige Therapie anzuwenden.[6]

Das wissenschaftliche Werk von Wilhelm Erb ist bei klinischer Breite mit Ausdehnung auf die gesamte Neurologie und Neuropathologie geprägt. Dabei beschäftigten ihn die Arbeiten über Klinik und Elektrophysiologie der Paralyse peripherer Nerven, Studien über Tabes dorsalis, über Pathologie und Klinik der Rückenmarkerkrankungen. Besonders intensiv widmete sich Erb dem genaueren Studium der Muskelatrophien. Das geschah in seinem großen Werk Dystrophia musculorum progressiva (1891), in dem er mehrere Formen identifizierte und sie, mit überzeugenden Gründen, von den spinalen Krankheiten abgrenzte.[7] Wie Carl Westphal erkannte er, unabhängig von diesem, 1870 die diagnostische Bedeutung des Patellarreflexes, dessen Ausbleiben beide Forscher 1875 als Symptom der Tabes dorsali beschrieben,[8] bei Erkrankungen des Nervensystems.

Als Nervenarzt hat Wilhelm Erb in der frühen Geschichte der Psychoanalyse durch seine Schrift Über die wachsende Nervosität unserer Zeit, die von Sigmund Freud in Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908) ausführlich zitiert wird, eine gewisse Bedeutung gehabt.[9]

Innerhalb des akademischen Lehrbetriebes der Universitäten problematisierte Erb eine geistige Überarbeitung als krankmachende Schädlichkeit vor allem bei dem „jetzt häufig nachgefragten Lehrerinnenexamen“.[10]

Am 7. September 1914 gehörte Wilhelm Erb zu den Unterzeichnern der Erklärung deutscher Universitätslehrer, in der auf alle englischen akademischen Auszeichnungen verzichtet wurde, mit der Begründung, dass England seit Jahren die „Völker gegen Deutschland aufwiegele“ und nun Deutschland den Krieg erklärt habe.[11]

Ehrungen und Posthumes

Arbeiten von Wilhelm Erb (Auswahl)

Erstdruck

Dazugehörige Eponyme

Literatur

Commons: Wilhelm Heinrich Erb – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Barbara I. Tshisuaka: Erb, Wilhelm Heinrich. 2005, S. 366.
  2. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 43.
  3. Wilhelm Erb zu seinem 80. Geburtstag, Vossische Zeitung, 28. November 1920.
  4. Leena Ruuskanen: Der Heidelberger Bergfriedhof im Wandel der Zeit. Verlag Regionalkultur, 2008, S. 65 f.
  5. Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Geschichte. Abgerufen am 16. Oktober 2015.
  6. Franz Gebefügi: Die Tagungen der Deutschen Neurologischen Gesellschaft von ihrer Gründung im Jahre 1906 bis 1933 als Spiegel der neurologischen Forschung. Dissertation Institut Geschichte u. Ethik d. Medizin Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, akademischer Betreuer Wolfgang U. Eckart, 2008.
  7. Wolfgang U. Eckart, Christoph Gradmann: Ärztelexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart. 2. Auflage. 2001; 3. Auflage 2006 (Online Ressource), Springer Verlag, Heidelberg, hier: Wilhelm Erb (Eintrag von Erich Kuhn).
  8. Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 43.
  9. Wolfgang U. Eckart: Vom Wahn zum Wahnsinn. Anmerkungen zur Begriffsgeschichte einer Störung der Wahrnehmung in Medizin- und Kulturgeschichte vom Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert, hier zu Wilhelm Erb in: 5. Exkurs: Nervosität und Wahn als Reaktionstypus der Moderne, in: Silke Leopold und Agnes Speck (Hrsg.): Hysterie und Wahnsinn, Heidelberger Frauenstudien Band 7, Das Wunderhorn Heidelberg 2000, S. 19–22.
  10. Heinrich Schipperges: Ärzte in Heidelberg. Eine Chronik vom „Homo Heidelbergensis“ bis zur „Medizin in Bewegung“. Edition Braus, Heidelberg 1995, S. 174–175, mit einem Einlegeblatt von Wolfgang U. Eckart 2006, ISBN 3-89466-125-9.
  11. Wolfgang U. Eckart: Medizin und Krieg. Deutschland 1914-1924, Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn, S. 33, zur Rolle Wilhelm Erbs und dessen öffentlichkeitswirksamen Überlegungen zur Nervosität in den Vorkriegsjahren auch S. 23–25, ISBN 978-3-506-75677-0.
  12. Mitgliedseintrag von Wilhelm Heinrich Erb bei der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, abgerufen am 24. Februar 2013.
  13. Mitglieder der HAdW seit ihrer Gründung 1909. Wilhelm Erb. Heidelberger Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 12. Juli 2016.
  14. Ludolf von Krehl Klinik: Station Erb, abgerufen am 22. Dezember 2016.
  15. Paul Girard: Geschichte der Neurologie, in: Illustrierte Geschichte der Medizin. (Jean-Charles Sournia, Jacques Poulet, Marcel Martiny: Histoire de la médicine, de la pharmacie, de l'art dentaire et de l'art vétérinaire. Hrsg. von Albin Michel-Laffont-Tchou und Mitarbeitern, Paris 1977–1980, 8 Bände) Deutsche Bearbeitung von Richard Toellner unter Mitarbeit von Wolfgang Eckart, Nelly Tsouyopoulos, Axel Hinrich Murken und Peter Hucklenbroich, 9 Bände, Salzburg 1980–1982; auch als Sonderauflage in sechs Bänden, ebenda 1986, Bd. 2 der Sonderauflage, S. 1149+1150.
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