Cowboystiefel
Cowboystiefel sind Stiefel, die ursprünglich von Cowboys als Reitstiefel getragen wurden. Sie haben einen vergleichsweise hohen Absatz, sind traditionell aus geschichtetem Leder gefertigt, weisen runde Spitzen, einen hohen Schaft und keine Schnürung auf. Sie wurden ursprünglich in Handarbeit aus Rindsleder gefertigt, später maschinell auch aus Nappa, Nubuk, Velours, Cordovan und Boxcalf-bzw. Rindbox-Leder[1], die Schäfte sind oft aufwändig verziert und weisen auffällige Prägungen sowie dekorative Applikationen auf. Sofern exotische, auffällige Lederarten (z. B. Reptil) Verwendung finden, sind sie entsprechend teuer.
Getragen werden Cowboystiefel in der Regel unter den Hosen, um das Eindringen von Staub in den Schaft zu verhindern. Die Beine der Jeans dürfen darum nicht zu eng geschnitten sein (sogenannter „boot cut“). Besonders in Kalifornien werden hochschäftige Stiefel aber gerne auch über den Jeans zur Schau getragen.
Geschichte
Vorläufer der Cowboystiefel wurden von der bis ins 17. Jahrhundert zurückreichenden mexikanischen Vaquero-Tradition beeinflusst. In Nordmexiko gab es Stiefel, die in den Farben der jeweiligen Ranch oder mit Fell verziert waren. Auch US-Kavalleriestiefel und die englischen Wellington Boots, die wiederum ihren Ursprung in den Militärstiefeln der hessischen Kavallerie des 19. Jahrhunderts haben, beeinflussten die Cowboystiefel. Cowboystiefel waren ursprünglich praktische, funktionale Arbeitsschuhe, bevor sich nach 1875 allmählich ein Wandel in Richtung einer Cowboy-Mode vollzog und erste Variationen bei Farben und genähten Applikationen auftraten. Zur damaligen Zeit wurden alle Cowboystiefel in Handarbeit gefertigt. Pro Monat konnte ein guter Schuster bis zu zwölf Paar Cowboystiefel herstellen.
Vom Funktions- zum Modeschuh
Ab dem späten 19. Jahrhundert kam man darauf, zur Stabilhaltung der Stiefelschäfte mehrere Lederschichten miteinander zu vernähen. Dabei versah man die Schäfte mit Steppnähten. Auch wenn anfangs dafür nicht die Mode im Vordergrund stand, so entstanden dennoch nach und nach optisch ansprechende kunstfertige Schuhprodukte. Angeboten wurden Stiefel aus verschiedenen Lederarten in verschiedenen Farben. Genähte Applikationen entstanden, anfangs als konstruktives Element.[2] Abbildungen in den Katalogen dieser Zeit belegen die Kreativität der damaligen Schuh-Handwerker, die auch saddle dandies genannt wurden.[3] Einer der Pioniere dieser Mode war Charles H. Hyer. Er und sein Bruder Edward waren Söhne deutscher Einwanderer, die um 1850 in die USA kamen. Von seinem Vater lernten die Brüder das Schuhmacherhandwerk. Im Städtchen Olathe in Kansas eröffneten sie 1875/1876 ein Schuhmacher-Geschäft. Die Firmen-Historie[4] erzählt von einem unbekannten Cowboy, der unzufrieden mit seinen bisherigen Stiefeln, eines Tages ins Geschäft kam und den Wunsch äußerte, sich Maß-Stiefel mit einer bis dahin unbekannten Form anfertigen zu lassen. Diese sollten vorne spitz zulaufen, um schnell und einfach in den Steigbügel rutschen zu können. Der Absatz sollte höher gezogen sein, damit man sich im Steigbügel verankern konnte. Charles fertigte daraus sein erstes Paar echter Cowboy-Stiefel. Der zufriedene Kunde sorgte für die notwendige Mundpropaganda, was Nachfrage entstehen ließ. 1880 entschieden Charles und Edward, sich auf die Boot-Herstellung zu spezialisieren. Sie gründeten die später in die Geschichte eingehende Firma Hyer’s Boot Company. Die Brüder beschäftigten vorwiegend Handwerker aus Deutschland, Schweden, Polen und anderen nordeuropäischen Ländern. Charles, der ab den 1890er Jahren die Firma alleine führte, wollte seine Produktion weiter ausweiten und begann im Westen der USA herumzureisen, um seine Stiefel bekannter zu machen. Auch führte er den Katalog-Versand für seine Ware ein. Kurz vor seinem Tod 1921 erreichte die Produktion ca. 15.000 Paar Stiefel pro Jahr.[5] Die Herstellung war in dieser Zeit noch ausnahmslos Handarbeit. Ein Bootmaker konnte pro Monat bis zu 12 Paar Cowboystiefel herstellen und Preise zwischen drei und fünf Dollar für ein Paar realisieren, abhängig von Leder, Schafthöhe und Hersteller.
Einflüsse durch Medien und Popkultur
Nach 1903, als Hollywood den Mythos „Cowboy“ entdeckte, als Western verfilmte und global bekannt machte, änderte sich die Mode der Westernstiefel allmählich. Die Ledersorten variierten mehr und mehr. Die Optik der Schäfte wurde wesentlich für den Wiedererkennungswert der Stiefel und war nun zunehmend durch farbenfrohe Applikationen und Motive geprägt. Typische Verzierungen der Stiefel waren: Sterne, Mond, Herzen, Spielkarten, Adler, Flammen, Hufeisen, Flaggen der Bundesstaaten oder die Namen der Besitzer. Ein Modeaccessoire, das Sichtbarkeit hervorrief, war entstanden. Die maschinelle und serielle Fertigung setzte ein.[6] Es gab immer mehr Hersteller, ein Markt ergab sich, die Auswahl nahm zu. Ab 1930 wurden Cowboystiefel über Bestellkataloge in alle Regionen Amerikas vertrieben. Interpreten des damals aufkommenden Country-and Western-Musikgenres wie Tex Fletcher, Gene Autry und insbesondere Roy Rogers kultivierten den Trend zu Cowboystiefeln als Modeschuh in den USA. Bei ihren Auftritten bevorzugten sie eine einprägsame Trageweise: die Hosenbeine waren in die Stiefel gesteckt. Rogers unterhielt eine eigene Modelinie für Western-Modeartikel im Rahmen seiner sehr präsenten Merchandising-Linie, die Jahr für Jahr in den Katalogen des US-Versandhandelshauses Sears ab den frühen 1950er Jahren Sichtbarkeit schuf; Zielgruppe waren vor allem Kinder und Jugendliche. Viele dieser Kataloge sind heute noch erhalten und Zeugen der sich wandelnden Cowboystiefelmode bis in die 1990er Jahre. Die Kleiderordnung des seit den 1950er Jahren durch Fernsehsendungen in den USA populär gewordenen Line Dance trug ebenfalls zur Verbreitung dieser Schuhmodelle bei.
Auch außerhalb der USA wurden Cowboy-Darstellungen populär. Ein Beispiel dafür sind Zeichnungen mit Wild-West-Motiven des Malers Rudolf Schlichter um 1910. Er war von Karl-May-Romanen, aber auch Filmen inspiriert und zeichnete Cowboys mit ins Auge fallenden Cowboystiefeln. Diese wurden im Laufe der Jahre allmählich Teil der alltäglichen Schuhmode, zunächst in Amerika, nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Europa. Dies wurde durch Filme und das in den 1950ern aufkommende Deutsche Fernsehen befördert (z. B. durch die Ausstattung der Kinderfigur Joey in der populären TV-Serie Fury oder die Karl-May-Verfilmungen der 1960er Jahre). Im deutschen Schwarz-Weiß-Spielfilm „Der Pauker“ aus dem Jahre 1958 trug der Schauspieler Klaus Löwitsch in seiner Rolle als halbstarker Rowdy Harry Engelmann zu seiner Rockermontur ein Paar Cowboystiefel auffällig über schwarzen „Nietenhosen“.
Die Pop-Musik der Beatles wurde durch eine modische Garderobe auf die Bühne gebracht, bei der Cowboystiefel einen Blickfang darstellten. Im Herbst 1960 erstanden Paul, George und John in Hamburg Cowboy-Stiefel mit einem auffälligen Muster, was 1961 fotografisch belegt ist.[7]
Um die Mitte des 20. Jahrhunderts war der Cowboystiefel in der Alltagsmode auch in Deutschland angekommen. Diverse Versandhauskataloge führten ab den 1960er Jahren Cowboystiefel in ihrem Sortiment, was die weitere Verbreitung als Modeschuh vorantrieb. Interessenten konnten aus einer beträchtlichen Vielfalt an Designs wählen, sich gestickte oder geprägte farbenprächtige Fantasiemuster zulegen oder an ihren Füßen Verzierungen zur Schau tragen, die durch Sheriff-Sterne, Pferde- und Reitermotive, Pflanzen- oder Tierabbildungen, ja ganze Landschaftsbilder geprägt waren.[8] Die Kindermode bot altersgerechte Modelle an; neue Namens-Modifikationen kamen auf. In den Katalogen von Quelle, Neckermann, Otto, Bader und weiterer Versandhäuser waren Bezeichnungen wie Bonanzastiefel (Neckermann-Winterkatolog 1969/70), Texas-Stiefel, Westernstiefel gängig. Im Jahre 1976 war ein Titelbild des Nachrichten-Magazins STERN dem Modetrend Cowboystiefel gewidmet. In der Jugendkultur der Popper während der frühen 1980er Jahre waren Cowboystiefel ein Bestandteil der Garderobe.[9]
Heute werden Cowboystiefel modeabhängig von allen Personengruppen getragen: Damen, Herren, Kindern.
Merkmale
Ein Cowboystiefel, der für die Arbeit eines im Sattel tätigen Cowboys ausgelegt ist, weist folgende Merkmale auf:
- robuste, rahmengenähte Machart.
- starkes Rind-Oberleder, um den Fuß und die untere Beinregion auch ohne Chaps vor Dornen und den Hörnern der Rinder zu schützen. Bei der Arbeit am Boden schützt das starke Leder den Fuß vor den Hufen der Tiere.
- glatte, relativ dünne Ledersohle, um ein besseres Gefühl für die Steigbügel zu haben.
- konisch zulaufende Schuhspitze, um ein schnelleres „Treffen“ und damit schnelleres Eintreten in den Steigbügel zu haben.
- 4–5 cm hoher Absatz, der ein Durchrutschen durch den Steigbügel und die damit verbundene Gefahr des Hängenbleibens im Steigbügel verhindert.
- Absatz hinten abgeschrägt, wodurch der Absatz bei der Arbeit am Boden weniger leicht abgerissen wird.
- Kante am Schaft hinter der Ferse (alternativ, aber selten: 360° Rahmen), die als Auflagefläche für die (locker geschnallten) Sporen dient.
- die Schafthöhe ist variabel
- der Schaft ist häufig mit Ziernähten versehen, die auch formstabilisierend wirken.
Grundmodelle
Es gibt bei Cowboystiefeln zwei Grundmodelle, den klassischen Westernstiefel und den Roper Boot.
Der klassische Westernstiefel hat einen hohen Schaft, der mindestens bis zur Mitte der Wade reicht und einen schrägen, mehrere Zentimeter hohen Absatz. Die Spitze war ursprünglich abgerundet, die spitze Form kam in den 1940ern auf.
Der Roper Boot hat einen kürzeren, halbhohen Schaft und einen flachen, breiten, eckigen Absatz und runde Spitzen. Dieser Schuhtyp wird in der Rodeodisziplin Roping verwendet. Sogenannte „Working“-Stiefel mit kürzerem Schaft und breiten Absätzen, oft mit einer Gummi(profil)sohle, werden heute für Arbeiten auf den Ranches getragen, bei denen kein Pferd notwendig ist (Zaunkontrollen mit dem Truck u. ä.)
Literatur
- Tyler Beard: The art of the boot. Gibbs Smith, Salt Lake City, UT 1999, ISBN 0-87905-919-2.
- Tyler Beard, Jim Arndt (Photos): The Cowboy Boot Book. Peregrine Smith Books, Salt Lake City, UT 1992, ISBN 0-87905-471-9.
- Helge Sternke: Alles über Herrenschuhe. Nicolai, Berlin 2006, ISBN 978-3-89479-252-7.
Weblinks
Einzelnachweise
- Info vom Sancho-Store: Lederarten. In: Sancho Store - Boots & Shoes. Sancho Store - Boots & Shoes, CH - 3205 Gümmenen, abgerufen am 30. Dezember 2022.
- Hans-Jörg Schweizer: Eine kurze Stiefelgeschichte.Von der Arbeitskleidung zum kostbaren Schuhwerk. In: Art and Sole. Ingo Freitag, 2009, abgerufen am 23. März 2023.
- WESTERN-STIEFEL - Wissenswertes zu Cowboy Boots und "Chromledersohlen" für den Tanzsport. In: Linedance-Fibel. November 2019, abgerufen am 23. März 2023.
- Hyer Boot Company. In: Kansapedia. Kansas Historical Society, Dezember 2004, abgerufen am 23. März 2023 (englisch).
- Die Erfindung der Cowboy Stiefel — heute sind sie Kult. In: Zeitgeist USA (MagazinUSA.com). Betreiber: DENALImultimedia LLC, Colorado, USA, 1. Dezember 2021, abgerufen am 23. März 2023.
- These Boots are made for walking. In: Schuhe & Fashion Blog. Baur Versand GmbH & Co. KG, 24. August 2010, abgerufen am 30. Dezember 2022.
- Peter Rischer: Die Beatles in Hamburger Leder. In: Erdmann - Lederbekleidung Hans - Werner Erdmann e.K. 28. Januar 2020, abgerufen am 23. März 2023.
- Hans-Jörg Schweizer: Eine kurze Stiefelgeschichte. Von der Arbeitskleidung zum kostbaren Maßschuhwerk. In: Art and Sole. Ingo Freitag, 2009, abgerufen am 23. März 2023.
- Renate Wolff: Popper-Bewegung: Die mit der Tolle. In: ZEITmagazin. 2. Juni 2023, abgerufen am 2. Januar 2024.