Weißrussische Volksrepublik
Die Weißrussische Volksrepublik (belarussisch Белару́ская Наро́дная Рэспу́бліка Belaruskaja Narodnaja Respublika (BNR) ; deutsch seltener Weißruthenische Volksrepublik) war der erste unabhängige belarussische Staat. Die Republik wurde 1918 gegründet und von der Rada BNR geleitet, bis diese 1919 durch die Belarussische Sozialistische Sowjetrepublik (BSSR), abgesetzt wurde. Die Rada ist bis heute aktiv und eine der ältesten Exilregierungen der Welt.
Weißrussische Volksrepublik | |||||
Беларуская Народная Рэспубліка | |||||
Belaruskaja Narodnaja Respublika | |||||
1918–1919 | |||||
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Amtssprache | Belarussisch | ||||
Hauptstadt | Minsk (1918) Grodno (1918–1919) | ||||
Staats- und Regierungsform | Republik | ||||
Staatsoberhaupt | Präsident der Rada Jan Sierada (1918) Jasep Ljosik (1918–1919) | ||||
Regierungschef | Vorsitzender des Ministerrats | ||||
Währung | Rubel | ||||
Errichtung | 25. März 1918 | ||||
Vorgängergebilde | Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik | ||||
Endpunkt | 5. Januar 1919 (besteht im Exil bis heute weiter) | ||||
Abgelöst von | Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik | ||||
Nationalhymne | Vajacki marš (Ваяцкі марш) |
Geschichte
Im Dezember 1917 wurde auf dem ersten Belarussischen Volkskongress die Gründung einer unabhängigen belarussischen Republik beschlossen. Dieser Kongress wählte eine Regierung (die sogenannte Rada). Am 19. März 1918 wurde auf Initiative der Hramada-Partei die Rada in ein Parlament umgewandelt. Am 25. März 1918 wurde unter deutschem Protektorat die Weißrussische Volksrepublik ausgerufen. Führende Kräfte der Republik waren die Weißrussische Sozialistische Hramada, die Weißrussischen Christdemokraten und der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund.
Die Existenz der Weißrussischen Volksrepublik wurde von der Mehrheit der auf dem Land lebenden Bevölkerung nicht akzeptiert. Die weißrussische Elite blieb zu klein und ohne Einfluss, die Städte waren zu schwach, und die weißrussische Kultur konnte nur ungenügend belebt werden.[1] Der Regierung gelang es, verschiedene nationale Institutionen zu errichten. Weißrussisch wurde als Amtssprache eingeführt, Schulen wurden eröffnet und Zeitungen veröffentlicht.
Nach Verkündigung der Unabhängigkeit baten die Vertreter der BNR den deutschen Reichskanzler um die offizielle Anerkennung der Weißrussischen Volksrepublik. Obwohl es nie zu einer offiziellen Anerkennung kam, wurde das Volkssekretariat als gesetzliche Regierung des Landes gesehen. Im Sommer 1918 wurde die BNR öffentlich in der russisch-deutschen Kommission von Deutschland unterstützt. Es setzte sich für die Verwirklichung des Friedensvertrags von Brest-Litowsk, die Trennung des weißrussischen Territoriums von der RSFSR und die Unterstützung im Kampf gegen die Eroberungspläne seitens Polen ein.[2]
Obwohl die KPR (B) die Regierung nie anerkannte, schrieb deren Zentralkomitee: „Die Macht der Regierung der BNR sollte an die Regierung der BSSR übergeben werden“.[3] Durch die Gründung der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik (BSSR) am 1. Januar 1919 verlor die Weißrussische Volksrepublik an Bedeutung und die Regierung ging ins Exil.[4]
Im Winter 1920 führten Anhänger der Weißrussischen Volksrepublik den Aufstand von Sluzk für die Unabhängigkeit Weißrusslands durch.[5]
Außenpolitik
Während ihrer Existenz konnte die Weißrussische Volksrepublik diplomatische Beziehungen zu mehreren Staaten aufbauen. Die Ukrainische Volksrepublik war der erste Staat, welcher 1918 die BNR anerkannt hat.[6] Im Oktober 1919 erkannte Estland die Weißrussische Volksrepublik offiziell als Staat an.[7][8] Im Dezember 1919 folgte eine Anerkennung seitens Finnlands.[9][10]
Nachwirkung
Die sowjetische Erinnerungskultur ignorierte diesen ersten Staatsgründungsversuch bzw. assoziierte diesen nach dem Zweiten Weltkrieg mit Faschismus und Kollaboration, da die deutschen Besatzungsbehörden in ihrem Generalbezirk Weißruthenien die Symbolik der vorsowjetischen Nationalbewegung aufnahmen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion folgte auf eine kurze Renaissance der BNR-Traditionslinie mit der Wahl von Alexander Lukaschenko zum Staatspräsidenten (1994) die Rückkehr zu einem eng an Russland angelehnten Kurs und zu sowjetischer Symbolik. Dass die Republik Belarus im Jahr 2018 den 100. Geburtstag der Weißruthenischen Volksrepublik durch eine Reihe von Veranstaltungen, u. a. mit Oppositionellen, offiziell begehen ließ, sorgte dementsprechend für Überraschung.[11]
Literatur
- Dimitri Romanowski: Belarus und Weimar-Deutschland: Wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische und kulturelle Beziehungen. diserta-Verlag 2015, ISBN 978-3-95935-040-2.
Weblinks
- Artikel über die Weißrussische Volksrepublik bei naviny.by (weißrussisch)
Einzelnachweise
- Dietrich Beyrau, Rainer Lindner: Handbuch der Geschichte Weißrußlands. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 2001, ISBN 3-525-36255-2, S. 137.
- Dimitri Romanowski: Belarus und Weimar-Deutschland: wirtschaftliche, wissenschaftlich-technische und kulturelle Beziehungen diserta-Verlag 2015, ISBN 978-3-95935-040-2, S. 54–56.
- 95th anniversary of BNR, charter97.org.
- Das Zeitalter der Katastrophen – Weißrussland im 20. Jahrhundert, owep.de.
- belarusguide.com
- Беларуская Народная Рэспубліка – крок да незалежнасці. Да 100-годдзю абвяшчэння. Гістарычны нарыс. – Мн., 2018, S. 104.
- Päewauudised. Walge-Wene saatkond Tallinas.
- Päewauudised. Walge-Wene esitajaks Eesti Walitsuse junre.
- Santeri Ivalo: Helsinki, jouluk. 16 p. Suomi tuunustanut Walko-Wenäjan hallituksen. In: Helsingin Sanomat. Nr. 341, газета, Helsinki 16. Dezember 1919, S. 3 (finnisch, kansalliskirjasto.fi – zweite Spalte links).
- Pekka Lempinen: Suomi tunnustaa Walko-Wenäjän tosiasiallisesti. In: Kansan Työ Nr. 289, газета, Viipurin Työväen Sanomalehti- ja Kirjapaino-Osuuskunnalle, Vyborg 16. Dezember 1919, S. 2 (finnisch, kansalliskirjasto.fi – zweite Spalte links unten).
- Felix Ackermann: Die Patrioten nähen ihre Fahne selbst. In: FAZ.net. 23. März 2018, abgerufen am 28. Januar 2024.