WDR Big Band
Die WDR Big Band ist die Big Band des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in Köln. Der Klangkörper hat sich von einem Unterhaltungsorchester, wie es von den 1940er bis in die 1970er Jahre bestand, zu einem künstlerischen Ensemble entwickelt, das seit den 1980er Jahren auch international als eine der führenden Radio-Bigbands anerkannt ist und eine große künstlerische Freiheit genießt.
Geschichte
Tanzorchester und Edelhagen-Orchester als Vorläufer
Der Ursprung der heutigen WDR Big Band liegt bei dem im August 1946 beim damaligen NWDR Köln (dem Vorgänger des heutigen WDR) aktiven „Kölner Rundfunk-Tanzorchester“, das unter der Leitung von Otto Gerdes stand und im Wechsel mit dem Radio-Tanzorchester Hamburg unter Kurt Wege im einzigen Programm des NWDR auftrat.
Bereits im Herbst 1947 wechselte Otto Gerdes als Dirigent zu einem Orchester des Südwestfunks (SWF). An seine Stelle trat Adalbert Luczkowski, der in der Streichergruppe des im Krieg gegründeten „Deutschen Tanz- und Unterhaltungsorchesters“ tätig gewesen war und möglicherweise die Tradition dieser Band in Köln fortsetzen wollte. Man nannte jedenfalls das bestehende Orchester ab jetzt „Kölner Tanz- und Unterhaltungsorchester“ (KTUO). Zu den Solisten dieses Orchesters zählten Heinz Schachtner (Trompete), Erich Well (Posaune) und die Saxophonisten Eddie Reisner und Paul Peuker.
Seit 1956 wird das Orchester offiziell vom WDR getragen. Zu dieser Zeit entdeckte man beim WDR die Liebe zum Jazz. Da das bestehende KTUO dafür aber nicht konzipiert war, wurde Kurt Edelhagen mit dem Betreiben einer von ihm geleiteten und erstmals international besetzten Jazz-Bigband beauftragt. 1957 wechselte Kurt Edelhagen vom SWF zum WDR und brachte drei Musiker seiner bisherigen Band mit nach Köln. Alle weiteren suchte er sich in ganz Europa zusammen, und mit Musikern aus acht Nationen war die Band vollzählig. Die Zusammensetzung änderte sich allerdings ständig, da Edelhagen für einen starken „Verschleiß“ von Musikern bekannt war. Das neue „Orchester Kurt Edelhagen“ blieb eine eigenständige Band unter dem Namen ihres Leiters und war kein „Rundfunkorchester“. Nur Edelhagen hatte einen Werkvertrag mit dem WDR, der jährlich erneuert werden musste. Insofern kann er nur im weiteren Sinne als Vorläufer der „WDR-Big Band“ gelten. Nach Auflösung seines Vertrages durch den WDR Ende 1972 und dem damit verbundenen Ende seiner eigenen Big Band hat Edelhagen zwischen 1976 und 1980 Aufnahmen mit dem „WDR-Tanzorchester“ eingespielt.[1]
Umbau zur Bigband
Nachdem Adalbert Luczkowski 1966 in den Ruhestand trat, wurde 1967 der bisherige Chef der RIAS Tanzorchesters Berlin, Werner Müller, sein Nachfolger. Das Kölner Tanz- und Unterhaltungsorchester unter Leitung von Adalbert Luczkowski und danach als „WDR Tanzorchester Werner Müller“ unter Müller arbeitete bis 1972 neben der Edelhagen-Band beim WDR. Werner Müller fasste zeitweise die Musiker seiner Band mit den Streichern des WDR-Rundfunkorchesters zum „Großen Unterhaltungsorchester des WDR“ zusammen. Ende der 1970er Jahre hatte das WDR Tanzorchester viel von seiner Popularität eingebüßt, und es wurde beschlossen, die Formation in eine Jazz-Bigband nach dem Vorbild von Edelhagen umzuwandeln. Die Streichergruppe wurde aufgelöst, und im Jahr 1980 wurde aus dem Klangkörper die „WDR-Big Band“.[2]
Zeitgenössisches Jazz-Orchester
Zugleich wurden neue Kräfte in die Formation berufen, die allesamt auch gute Solisten waren. So wurden die Voraussetzungen für den Übergang von einem Orchester mit einem Tanzorchester-Repertoire zu einem Jazzorchester mit innovativem Programmprofil und stilistisch vielfältigen Projekten gelegt. Neue Musiker wie Rolf Römer, der 1981 in die Band kam, faszinierten „die konzeptionelle Vielfalt in der Orchesterarbeit, aber auch das musikalische und solistische Potenzial“ ihrer Orchesterkollegen.[3] Seit 2004 ist mit Karolina Strassmayer (Altsaxophon) erstmals eine Frau Mitglied des Orchesters. Von 2014 bis 2019 verfügte das Orchester mit Shannon Barnett auch über eine Blechbläserin.
1985 wurde als Nachfolger Müllers Jerry van Rooyen mit der weiteren Organisation und Leitung des Ensembles beauftragt, dem 1994 Bill Dobbins folgte; mit 50 Prozent der Produktionen wurden nun Gastdirigenten und -arrangeure beauftragt.[2] Im September 1987 wurde Wolfgang Hirschmann zum Ersten Tonmeister und Produzenten der WDR Big Band berufen; ab 1996 bis Januar 2002 war Hirschmann ihr Orchester-Manager, deren Repertoire er ständig erweiterte. Auf diesem Kurs folgten ihm Lucas Schmid und die späteren Bandmanager. Die WDR Big Band hat seitdem sowohl eigene Aufnahmen gemacht, als auch Gastsolisten wie Dave Liebman, Eddie Harris, Jens Winther oder Raul Midón und Komponisten und Arrangeure wie Bob Brookmeyer, Jim McNeely, Stefan Pfeifer-Galilea oder Maria Schneider unterstützt. In einer Zeit des Bigband-Sterbens erarbeitete sich die WDR Big Band einen Ruf als eine wichtige künstlerische Kraft in der zeitgenössischen Bigband-Welt.[4] Die WDR Big Band wurde wiederholt ausgezeichnet.
Chefdirigent ist seit 2016 Bob Mintzer. Zeitgleich wurde Vince Mendoza als neuer „Composer in Residence“ der Band vorgestellt.
Neben der regulären künstlerischen Arbeit engagiert sich die WDR Big Band auch für den Nachwuchs – neben Workshops für Schüler ausgewählter Schulen realisiert sie eine „Composers Fellowship“ für junge Komponisten. Die Teilnehmenden erhalten zwei Jahre lang Unterricht bei Florian Ross und besuchen Proben und Konzerte des Klangkörpers; ihre entstandenen Werke werden mit dem Orchester geprobt und interpretiert sowie dem Publikum vorgestellt.[5]
Bandleader
Bisher haben folgende Bandleader die Band geführt:
- Otto Gerdes (1946–1947)
- Adalbert Luczkowski (1947–1967) / Johannes Fehring (1963 – 1965)
- Werner Müller (1967–1985)
- Jerry van Rooyen (1985–1995)
- Bill Dobbins (1995–2002)
- Michael Abene (2003–2014)
- Richard DeRosa (2014–2016)
- Bob Mintzer (seit Sommer 2016)[6]
Aktuelle Besetzung
Die aktuelle Besetzung (2022) besteht aus:[7]
- Saxophon: Karolina Strassmayer (as), Johan Hörlén (as), Paul Heller (ts), Ben Fitzpatrick (ts), Jens Neufang (bs)
- Trompete: Andy Haderer, Rob Bruynen, Wim Both, Ruud Breuls
- Posaune: Ludwig Nuss, Mattis Cederberg, Raphael Klemm, Andy Hunter
- Rhythmusgruppe: Billy Test (Keys), Hans Dekker (Drums), John Goldsby (Bass)
Auszeichnungen
2007 erhielt die WDR Big Band einen Grammy: Das Album „Some Skunk Funk“, auf den Leverkusener Jazztagen 2003 zusammen mit Will Lee, Randy und Michael Brecker aufgenommen, wurde als bestes Album eines Jazz-Großensembles ausgezeichnet. Michael Brecker erhielt zudem posthum den Grammy für das beste Jazz-Instrumentalsolo für das Stück „Some Skunk Funk“.
Auch bei der 50. Grammy-Verleihung im Jahr 2008 war die WDR Big Band erfolgreich: Die Gemeinschaftsproduktion zwischen der WDR Big Band und der Sängerin Patti Austin, „Avant Gershwin“, wurde zum besten „Jazz Vocal Album“ des Jahres gekürt. Den zweiten Grammy gewann die WDR Big Band gemeinsam mit Vince Mendoza in der Kategorie „Best Instrumental Arrangement“ für das Arrangement „In a Silent Way“, komponiert von dem 2007 verstorbenen Joe Zawinul. Die Aufnahme entstand im Oktober 2005 in Wien, das Stück ist ein Teil der Live-Aufnahmen, die auf dem Doppelalbum Brown Street im Jahr 2006 veröffentlicht wurden.
Das gemeinsam mit Bill Laurance entstandene Album Live at the Philharmonie Cologne erhielt 2021 den Deutschen Jazzpreis in der Kategorie „Rundfunkproduktion des Jahres“.[8]
Im Januar 2021 erhielt die WDR Big Band den „Preis Innovation 2020“ der Deutschen Orchester-Stiftung für die „WDR Big Band Play Along App“,[9] mit der Musiker virtuell mit der Big Band spielen können.[10]
Diskografie (Auswahl)
- 2022
- Center Stage, Steve Gadd und die WDR Big Band (nominiert für einen Grammy 2023)[11]
- 2021
- Ich frag die Maus, Mark Forster und die WDR Big Band
- 2020
- Jackets XL, Yellowjackets + WDR Big Band (nominiert für einen Grammy 2022)[11]
- Blue Soul, Dave Stryker und die WDR Big Band
- Storytellers, Luciana Souza und die WDR Big Band Köln
- 2019
- Live at the Philharmonie, Cologne, Bill Laurance und die WDR Big Band (Deutscher Jazzpreis 2021 als „Rundfunkproduktion des Jahres“)[12]
- 2018
- Always Forward, Marshall Gilkes und die WDR Big Band
- 2017
- Homecoming, Vince Mendoza und die WDR Big Band (nominiert für einen Grammy)[11]
- 2015
- Köln, Marshall Gilkes und die WDR Big Band Köln (nominiert für einen Grammy)[11]
- My Personal Songbook, Ron Carter und die WDR Big Band Köln
- Big Band Boom, Metro und die WDR Big Band Köln
- 2013
- Reineke Fuchs, Hörspiel mit Theo Bleckmann, Ulrich Noethen und der WDR Big Band (Live in Köln)
- 2012
- Soul Classics, Maceo Parker und die WDR Big Band
- 2011
- Mit großem Besteck, Pe Werner und die WDR Big Band
- 2009:
- Vans Joint, Bill Evans, Dave Weckl, Mark Egan und die WDR Big Band Köln (Live)
- Plays the Music of Jimi Hendrix, Hiram Bullock, Billy Cobham, und die WDR Big Band Köln (Live)
- 2007:
- Symphonica, Joe Lovano und die WDR Big Band (nominiert für einen Grammy)[11]
- Avant Gershwin, Patti Austin und die WDR Big Band Köln
- Roots & Grooves, Maceo Parker und die WDR Big Band Köln
- 2006:
- Brown Street, Joe Zawinul und die WDR Big Band Köln (Live in Wien; Grammy)
- Winterwunderwelt, Götz Alsmann und die WDR Big Band Köln
- 2004:
- NiedeckenKoeln, Wolfgang Niedecken und die WDR Big Band Köln
- Voices of Concord Jazz, live in Montreux
- 2003:
- tango y postango, Néstor Marconi, Ernst Reijseger, Mark Walker und die WDR Big Band Köln
- 2002:
- Paquito D’Rivera, Latin Rhythms with Paquito D’Rivera
- For Ella, Patti Austin/ Patrick Williams
- Dedalo, Gianluigi Trovesi
- Colours of Siam, Thorsten Wollmann
- 2000:
- WDR Bigband Jan Klare/Eckard Koltermann
- Mannix Soundtracks, Lalo Schifrin
- Jazz Goes to Hollywood, Lalo Schifrin
- Kurt Weill – American Songs, Caterina Valente
- 1999:
- Get Hit in Your Soul, Miles Griffith / Jack Walrath
- Latin Jazz Suite, Lalo Schifrin
- 1998:
- Prism, Bill Dobbins / Peter Erskine
- Gillespiana, Lalo Schifrin
- Jazz Mass In Concert, Lalo Schifrin
- The Escape, Jens Winther
- Your Song, Jerry van Rooyen
- 1997:
- Behind Closed Doors, Peter Erskine
- The Last Concert, Eddie Harris
- 1996:
- Flame
- Jubilee, Markus & Simon Stockhausen
- Soul to Jazz, Bernard Purdie
- Swing & Balladen, Jerry van Rooyen
- 1994:
- Electricity, Bob Brookmeyer
- Sketches, Vince Mendoza
- 1993:
- Cosmopolitan Greetings, George Gruntz
- Jazzpaña, Vince Mendoza / Arif
- 1992:
- Carambolage, Joachim Kühn
- Traces of Trane, Peter Herborn
- 1990:
- Tribute to Thad Jones, Mel Lewis
- 1989:
- Dream of Life, Carmen McRae
- East Coast Blowout, Jim McNeely
- The Third Stone, Jiggs Whigham
- 1984:
- Harlem Story, Peter Herbolzheimer
Literatur
- Bernd Hoffmann: Solistisches Improvisieren im kompositorischen Bezugsrahmen der Big Band – Anmerkungen zu Solisten und Werken der WDR Big Band Köln. In: Franz Kerschbaumer / Franz Krieger (Hg.) Jazz Analyse – Lectures of the 5th Jazz Musicological Congress. Jazzforschung / Jazz Research Band 31 (1999), Graz: Adeva Musik 1999, S. 199–242.
- Gabriela A. Richmond: The WDR Big Band: A Brief History. Masterthesis, University of Nebraska-Lincoln, 2011.
Weblinks
Einzelnachweise
- Vgl. die Audio-CD: Kurt Edelhagen & das WDR Tanzorchester. Recordings 1976–1980. WDR 4, 2 CDs. (2007)
- Gary W. Kennedy: WDR Big Band (Cologne). In: Music Grove. Abgerufen am 26. April 2023 (englisch).
- Michael Brüning: Rolf Römer. In: Jazzpodium. 2004, abgerufen am 26. April 2023.
- Gabriela A. Richmond: The WDR Big Band: A Brief History. 2011, S. 50 (englisch).
- Martin Laurentius: WDR Big Band: Composers Fellowship. In: Jazz thing. 25. April 2023, abgerufen am 26. April 2023.
- WDR (Westdeutscher Rundfunk) Kulturnachrichten vom 11. Dezember 2015: Jazzmusiker Bob Mintzer wird Chefdirigent der WDR Bigband, abgerufen am 13. Dezember 2015
- 16 Solist*innen mit eigenem Stil und gemeinsamen Klang. 16. Dezember 2022, abgerufen am 21. Dezember 2022.
- WDR Big Band freut sich über Jazzpreis 2021. WDR, 4. Juni 2021, abgerufen am 23. August 2021.
- Preis Innovation der dt. Orchester-Stiftung. 20. Januar 2021, abgerufen am 23. August 2021.
- WDR Big Band Play Along App. WDR, 29. März 2021, abgerufen am 23. August 2021.
- WDR Big Band. In: grammy.org. Abgerufen am 16. April 2023.
- Deutscher Jazzpreis. Initiative Musik, abgerufen am 4. Juni 2021.