Votivgabe
Votivgaben oder Votive (von lateinisch vovere, ‚geloben‘) sind Gegenstände, die aufgrund eines Gelübdes bzw. Verlöbnisses[1] als symbolische Opfer öffentlich einer überirdischen Macht dargebracht werden. Dies geschieht insbesondere für die erfolgte oder gewünschte Rettung aus einer Notlage und häufig an einer kultischen Stätte.
In der katholischen Kirche waren besonders im Barock Votivbilder (Votivtafeln) verbreitet, die die wundersame Errettung aus einer Notsituation darstellten und mit dem schriftlichen Hinweis ex voto (lat. ‚wegen eines Gelübdes‘, von votum, ‚Gelübde‘) versehen waren.
Statuetten und anatomische Figuren, etwa eine veräußerte Krankheit, eine betroffene Körperstelle oder eine medizinische Behandlungsmethode darstellend, die an einem heiligen Ort abgestellt werden, werden auch im Deutschen als Exvoto[2] (oder Ex-voto) bezeichnet und wurden auch häufig aus Wachs gegossen.[3]
Das zu einer Votivgabe führende Gelübde bezeichnet man als Votation, die das Gelübde ablegende Person als Votanten. Als Votivschatz bezeichnet man sowohl die Gesamtheit der an einem kultischen Ort gesammelten Votivgaben als auch einen archäologischen Fund, der hauptsächlich aus Votivgaben besteht.
Vorgeschichte und Antike
Schon die Kulturen der Vorgeschichte und des Altertums kannten den Brauch, heilige Stätten mit Votivopfern zu bedenken. Ursprünglich stellten sie Weihgeschenke an Gottheiten dar, die sowohl Bitt- als auch Dankopfer sein konnten. Zu solchen gehören unter anderem archaische Kouroi oder Korai. Auch der berühmte Wagenlenker von Delphi ist ein Weihgeschenk.
In Europa sind Beispiele für Votivgaben in der Archäologie seit der Steinzeit belegt. Meist wurden Votivgaben vor einer Niederlegung absichtlich unbrauchbar gemacht, um eine profane Nutzung auszuschließen (z. B. Waffen). Andere Dinge wie polierte Steinäxte etc. wurden in natürlichen oder von Menschenhand geschaffenen Grotten niedergelegt (z. B. im Tumulus Mané-er-Hroëk bei Locmariaquer).
Die häufigsten Votivgaben in römischer Zeit waren jedoch nicht Waffen, sondern Frauenschmuck und andere Gegenstände der weiblichen Privatsphäre, was sicherlich etwas mit dem Matronenkult zu tun hat. Votivsteine sind Weihealtäre, die vorwiegend einer oder mehreren Matronen geweiht sind. Sie verdanken ihre Entstehung vor allem den Problemen und Wünschen im antiken und frühmittelalterlichen häuslichen Bereich. Auf solchen Altären sind viele Votivinschriften erhalten geblieben. Sie gelten nicht nur den Matronen, sondern auch anderen Gottheiten. Form, Schrift und Ursprung der Votivinschrift ist römisch.
Die Griechen brachten ihrem wundertätigen Gott Asklepios Votivgaben in Epidauros, Knidos, Pergamon und anderen Kultorten dar. Zeugnisse des religiösen Lebens der Römer sind die dem phrygischen Gott Sabazius geweihten Votivhände und die Abbildungen menschlicher Körperteile aus Ton und Bronze im Isistempel von Pompeji und auch die in Deutschland (Germania Romana) häufig gefundenen Votivbleche.
Der Votivkult erlosch nicht etwa mit der Christianisierung Europas, sondern wurde ins christliche Brauchtum eingefügt. Besonders an Wallfahrtsorten begegnet man häufig den Nachbildungen von Objekten in Miniaturform (z. B. Votivtafeln, Votivbildern, Votivkerzen, Votivkronen), die, einem Heiligen gewidmet, einer Bitte oder einem Dank plastischen Ausdruck vermitteln.
Auch in anderen Religionen existiert oder existierte ein Votivkult.
Christliche Votivgaben
Im Christentum gibt es Votivbrauchtum seit den Anfängen. Das Motiv der Votivgabe verknüpfte man gern mit bestimmten wiederkehrenden Bildtypen, zum Beispiel der Maria im Ährenkleid für die Bitte um Befreiung aus Gefangenschaft. Zur reichsten Entfaltung kam es in der Barockzeit, als auch die Wundergläubigkeit ihren Höhepunkt erreichte. In der Kirche des Ortes Gräbern in Kärnten wurden eiserne Votivgaben auch in Form von nachgebildeten Extremitäten und eines Rinderpaares gefunden. Um die Kirchen des St. Leonhard (des Bandlösers) wurden aufgrund von Gelübden auch Ketten als Votivgabe angebracht, so um St. Leonhard im Lavanttal in Kärnten. Dieser Brauch führte im alpinen Raum zu den Kettenkirchen. Auch Bauwerke können als Votivgabe gestiftet werden; eine bekannte Votivkirche ist die Wiener Votivkirche, für eine Pestsäule die Wiener Pestsäule.
Auch Tiere konnten als Votivgabe gebracht werden, in der Gegend um Salzburg waren das insbesondere schwarze Hühner. Bei Unserer Lieben Frau auf der Gmain etwa wurden die „geopferten“ Hühner während der Messe von den Votanten dreimal um den Hochaltar getragen und danach hinter diesem in eine hölzerne Voliere gesperrt.[4]
Gemälde und andere flächige Kunstwerke werden als Votivbilder bezeichnet, für dreidimensional gestaltete Gegenstände ist die Bezeichnung Gebildvotiv üblich (etwa für Fatschenkinder genannte Votive des Jesuskindes oder in Form eines Organs). Auch Votivschiffe sind Beispiele für Gebildvotive; dargebracht von Seeleuten als Dankbarkeit für die unversehrte Heimkehr nach einer stürmischen Seefahrt; gelegentlich aber auch als Bitte für ein glückliches Ende einer bevorstehenden langen Fahrt.
In der Gegenwart werden häufig schlichte Tafeln mit einer einfachen Inschrift angebracht, die lediglich knapp auf ein erhörtes Gebet verweist, ohne die genaueren Umstände zu beschreiben oder den Namen der Stifter zu nennen (z. B. „Maria hat geholfen“ gefolgt von Datumsangabe).
Eine besondere Form des christlichen Votivs ist das Passionsspiel, dessen Inszenierung in vielen Fällen auf ein Gelübde zurückgeht.[5]
Tama (griechisch: τάμα, pl. τάματα Tamata) sind Votivgaben, die in den östlichen orthodoxen Kirchen, insbesondere in der griechisch-orthodoxen Kirche, dargebracht werden. Tamata sind normalerweise kleine Platten, die aus Metall oder Edelmetall bestehen können, normalerweise mit einem geprägten Bild, das das Thema des Gebets symbolisiert.
Verschiedene Formen von Votivbildern und -gaben
- Schwarze Madonna von Einsiedeln (1781)
- Deutstetten (1808)
- St. Martin, Flintsbach am Inn
- Votivgabe aus dem Museum Europäischer Kulturen, etwa 10 cm. Eiförmiges Holzstück mit Stacheln, das gegen Krankheiten der Gebärmutter und Kinderlosigkeit helfen sollte. 19. Jahrhundert, Vinschgau, Südtirol[6]
- Votivtafeln des 20. Jahrhunderts in Wolketsweiler: links die Darstellung einer Flucht über die innerdeutsche Grenze
- Votivschiff von 1617 in der Petrikirche (Landkirchen), Insel Fehmarn
- Madonna, Votivtafeln und ‑kerzen in der Kirche Notre-Dame de la Garde, Marseille
- Coesfelder Kreuz mit silbernen Votivgaben; u. a. in Form eines Beines und einer Hand.
- Votivkirche in Wien
- Votivblech griechisch-römisches Auge aus Gold
- Votivtafel aus der Heilig-Kreuz-Kirche Mindelaltheim, vermutlich aus der Zeit des Ersten Weltkrieges
- Votivtafeln in der Wallfahrtskirche in Moresnet-Chapelle
- Eisenvotive, St. Leonhard am Wonneberg, vor 1496
- Stilisierter Stier, Enns-Tal, 19. Jh.
- Votivbild aus dem Kloster Disentis von 1809, Text in Sursilvan
- Ayagapata; jainistische Votivplatte, 1. Jh.
Siehe auch
Literatur
- Richard Andree: Votive und Weihegaben des katholischen Volks in Süddeutschland. Ein Beitrag zur Volkskunde. F. Vieweg und Sohn, Braunschweig 1904, (Digitalisat).
- Almut Amereller: Votiv-Bilder. Volkskunst als Dokument menschlicher Hilfsbedürftigkeit. Dargestellt am Beispiel der Votiv-Bilder des Klosters Andechs. Moos, München 1965.
- Frank Baer: Votivtafel-Geschichten. Votivtafeln erzählen von Räubern und von Kriegen, von Feuersbrünsten und Kindsnöten, von Verkehrsunfällen und von wunderbarer Hilfe. Rosenheimer Verlagshaus, Rosenheim 1976, ISBN 3-475-52171-7.
- Robert Bauer: Die bayerische Wallfahrt Altötting. Schnell & Steiner, München 1970.
- Ernst Baumann: Die Bestandsaufnahme der Votivbilder und Votivgaben der Schweiz. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde. Band 47, 1951, ISSN 0036-794X, S. 17–27, (Digitalisat).
- Klaus Beitl: Votivbilder. Zeugnisse einer alten Volkskunst. Residenz-Verlag, Salzburg 1973, ISBN 3-7017-0043-5.
- René Creux: Die Bilderwelt des Volkes. Brauchtum und Glaube. = Ex voto, Brauchtum und Glaube. Huber, Frauenfeld 19803-7193-0662-3.
- Hermann Drexel, Inge Praxmarer: „Als ich in shwerer angst gestanden …“ Votivbilder aus Tirol. Tyrolia, Innsbruck 1998, ISBN 3-7022-2168-9.
- Gustav Gugitz: Österreichs Gnadenstätten in Kult und Brauch. Ein topographisches Handbuch zur religiösen Volkskunde, 5 Bände, Wien 1955–1958.
- Edgar Harvolk: Votivtafeln. Bildzeugnisse von Hilfsbedürftigkeit und Gottvertrauen. Callwey, München 1979, ISBN 3-7667-0455-9.
- Winfried Hecht: Himmlische Hilf. Votivbilder vom oberen Neckar und der oberen Donau (= Rottweiler Geschichts- und Altertumsverein e. V. Jahresgabe. 112). Fink, Lindenberg (Allgäu) 2012, ISBN 978-3-89870-719-0.
- Wolfgang Jaeger: Augenvotive. Votivgaben, Votivbilder, Amulette (= Thorbecke-Kunstbücherei. 6). Thorbecke, Sigmaringen 1979, ISBN 3-7995-3614-0.
- Detta Kälin, Heinz Nauer: Zauberwahn & Wunderglauben. Amulette, Ex Voto und Mirakel in Einsiedeln. Museum Fram – Kulturerbe Einsiedeln, Einsiedeln 2011, ISBN 978-3-9523687-1-8 (Katalog zur Ausstellung vom 30. April 2011 bis zum 6. Januar 2012).
- Nikolaus Chr. Kogler: Votivbilder aus dem östlichen Nordtirol (= Schlern-Schriften. 242). Wagner, Innsbruck 1966.
- Karl Krendl: „… und verlobten sich hierher“. Wallfahrten im ehemaligen Stift Garsten und seinen Pfarren. Wagner, Linz 2011, ISBN 978-3-902330-59-8.
- Lenz Kriss-Rettenbeck: Das Votivbild. Rinn, München 1958.
- Lenz Kriss-Rettenbeck: Ex voto. Zeichen, Bild und Abbild im christlichen Votivbrauchtum. Atlantis, Zürich u. a. 1972, ISBN 3-7611-0387-5.
- Hans von Matt: Votivkunst in Nidwalden. Standeskanzlei II Nidwalden, Stans 1976.
- Juliane Roh: Ich hab wunderbare Hilf erlangt. Votivbilder. Bruckmann, München 1957.
- Wolfgang Spickermann: „Mulieres ex voto“. Untersuchungen zur Götterverehrung von Frauen im römischen Gallien, Germanien und Rätien (1.– 3. Jahrhundert n. Chr.) (= Bochumer historische Studien. Alte Geschichte. 12). Brockmeyer, Bochum 1994, ISBN 3-8196-0288-7 (Zugleich: Osnabrück, Universität, Dissertation, 1991).
- Karl Wieninger: O Mensch bedenk die Ewigkeit. Bildstöcke, Marterln, Votivbilder, Grabinschriften und Haustafeln in Südtirol. Athesia, Bozen 1976.
- Ittai Weinryb (Hrsg.): Ex Voto. Votive Giving Across Cultures. Bard Graduate Center, New York NY 2016, ISBN 978-1-941792-05-6.
- Eberhard Wolff: Votive. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. de Gruyter, Berlin u. a. 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1461.
Weblinks
Einzelnachweise
- salzburgmuseum.at (Memento vom 30. August 2013 im Internet Archive)
- Duden: (das) Exvoto.
- D. Chabard (Hrsg.): Medizin im gallisch-römischen Altertum. La médecine dans l’antiquité romaine et gauloise. Exposition par le Museum d’histoire naturelle et le Musée Rolin dans le cadre du Bimillénaire de la Ville d’Autun. Musée d’Histoire Nauturelle, Ville d’Autun 1985 / Stadt Ingelheim/Rhein 1986, S. 12 f. (Die gallisch-römischen Ex-votos) und 32.
- Gustav Gugitz: Österreichs Gnadenstätten in Kult und Brauch. Ein topographisches Handbuch zur religiösen Volkskunde in fünf Bänden. Band 5: Oberösterreich und Salzburg. Wien 1958, S. 165.
- Michael Henker, Eberhard Dünninger, Evamaria Brockhoff (Hrsg.): „Hört, sehet, weint und liebt“. Passionsspiele im alpenländischen Raum (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur. 20). Haus der Bayerischen Geschichte, München 1990, ISBN 3-927233-02-1.
- Gebärmutter-Votiv