Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge

Die überdiözesane Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz übte die seelsorgerische und religiös-kulturelle Betreuung der Vertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler mit römisch-katholischem Bekenntnis in Deutschland aus. Dabei sollten die unterschiedlichen geistigen und geistlichen Traditionen der Herkunftsgebiete bewahrt werden. Die Vertriebenenseelsorge sollte aber auch die Versöhnung zwischen Vertriebenen und Vertreibern auf der Grundlage des christlichen Glaubens fördern und zur Bewusstseinsbildung für das Unrecht jeder Vertreibung beitragen.[1]

Vor dem Hintergrund, dass es immer weniger Vertriebene der ersten Generation gibt, hat die Deutsche Bischofskonferenz 2011 beschlossen, die überdiözesane Sonderseelsorge im Jahre 2016 auslaufen zu lassen. Bereits zu diesem Zeitpunkt konnten kaum noch geeignete Kandidaten als Visitatoren gefunden werden, so dass manche Posten vakant blieben. Unklar blieb zunächst, ob es nach diesem Termin weiterhin noch einen Vertriebenenbischof geben wird.[2] Damit findet die Vertriebenenseelsorge auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz nach mehr als 70 Jahren ein Ende. Allerdings bleibt es den Bistümern unbenommen, auf ihrer Ebene die Vertriebenenpastoral weiterzuführen. Der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke bleibt Beauftragter für Vertriebenenseelsorge.[3]

Geschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bis 1950 etwa 12 bis 14 Millionen Deutsche aus den deutschen Ostgebieten, aus Russland, der Tschechoslowakei, sowie aus ihren angestammten Siedlungsgebieten im früheren Jugoslawien, Rumänien und Ungarn in Ost- und Südosteuropa vertrieben. Unter ihnen waren etwa 5,6 Millionen Katholiken,[4] im Protokoll der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im August 1947 ist eine Zahl von 6,5 Millionen Katholiken angegeben.[5] Hinzu kamen in den folgenden Jahrzehnten über vier Millionen Aussiedler und Spätaussiedler, davon allein nach der Wende mehr als 650.000 Katholiken. Für die Betreuung dieser Katholiken wurden Vertriebenenbischöfe und Visitatoren berufen:[6]

Vertriebenenbischöfe

Am 24. Juni 1946 wurde der Ermländer Bischof Maximilian Kaller von Papst Pius XII. zum Päpstlichen Sonderbeauftragten für die Heimatvertriebenen berufen.[7][8][9][10] Er bezeichnete sich selbst als „Heimatbischof“ und forderte die vertriebenen Ermländer auf, den Heimatverlust zu akzeptieren und sich vorbehaltlos in die neue Heimat zu integrieren.[11] Kaller sollte sich um die ebenfalls geflüchteten katholischen Priester sowie den Priesternachwuchs kümmern, um die Seelsorge in der Diaspora sicherzustellen. Ihm wurde auch die Leitung der Kirchlichen Hilfsstelle in Frankfurt übertragen. Gleichzeitig bestimmte der Papst den Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Frings zum Hohen Protektor des gesamten Flüchtlingsproblems, dessen Aufgaben in der Vermittlung zwischen Besatzungsbehörde, Kirche und Politik verortet war.

Nach dem Tod von Kaller wurde der Limburger Bischof Ferdinand Dirichs als Päpstlicher Beauftragter für die Seelsorge von Heimatvertriebenen sein Nachfolger. Um die Arbeit des Beauftragten zu unterstützen, wurde 1948 der Katholische Flüchtlingsrat gegründet. Aufgrund der politischen Veränderungen entschloss sich der Papst, den Zusatz päpstlich entfallen zu lassen. Der 1948 nachfolgende Prälat Franz Hartz war lediglich Beauftragter der Fuldaer Bischofskonferenz; dieses Amt führte er bis zu seinem Tod 1953 aus. Sein Nachfolger als Beauftragter für die Vertriebenenseelsorge wurde der Würzburger Bischof Julius Döpfner. Nach dessen Berufung nach Berlin war der Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen von 1957 bis 1983 Beauftragter für die Vertriebenen- und Flüchtlingsseelsorge.[12] Von 1983 bis 2009 war der Weihbischof Gerhard Pieschl vom Bistum Limburg Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Katholische Flüchtlings-, Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge. Aktueller Vertriebenenbischof ist der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke.

Generalvikariat Branitz

  • bis 1947: der Olmützer Weihbischof Joseph Martin Nathan (* 11. November 1867; † 30. Januar 1947 in Troppau), zuvor Pfarrer in Branitz, ab 1924 als Generalvikar in Branitz.
  • 1947–1955: Kanonikus Emil Komarek († 20. Juni 1955), früherer Pfarrer von Katscher.
  • 1955–1962: amtliche Vertretung durch den Glatzer Großdechanten Franz Monse (* 11. Juli 1882; † 24. Februar 1962).
  • 19. Januar 1963–1983: Prälat Eduard Beigel (* 24. Mai 1907 in Raden; † 7. Dezember 1984 in Hildesheim),[13] bis zur Vertreibung der ehemalige Pfarrer von Sauerwitz, als Kanonischer Visitator für das Generalvikariat Branitz (Amt errichtet am 30. November 1962 durch Dekret von Josef Kardinal Frings aufgrund Apostolischer Vollmacht). Beigel war Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz, hatte jedoch keine Jurisdiktion gegenüber den Priestern, die im Bistum Olmütz inkardiniert blieben und dort als außerhalb des Bistums befindliche Priester galten.
  • 1983–2009: Prälat Wolfgang Grocholl als Kanonischer Visitator für die Priester und Gläubigen des deutschen Anteils des Erzbistums Olmütz (Generalvikariat Branitz), die im Gebiet der deutschen Bischofskonferenz leben. Mit diesem Amt war keine Jurisdiktion verbunden, aber Grocholl wurde Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz. Mit der Berufung war die Hoffnung verbunden, neue Impulse für die Vertriebenen-Pastoral zu geben und Kontakte zur Kirche im Branitzer Land herzustellen. Damit war vor allem das Bistum Oppeln gemeint, dem das erloschene Generalvikariat Branitz jetzt angehört, als auch das junge Bistum Ostrau-Troppau, mit dem gemeinsame Wurzeln bestehen.
  • 2010 ging das Amt an den Visitator für Breslau, Branitz und Glatz über, der nun für alle vertriebenen schlesischen Katholiken zuständig ist.

Erzbistum Breslau

Bistum Ermland

Generalvikariat Grafschaft Glatz

  • 1938–1962: Großdechant Franz Monse (* 11. Juli 1882; † 24. Februar 1962).
  • 1962–1977: Großdechant Leo Christoph als Kanonischer Visitator.
  • 1977–1983: Großdechant Paul Sommer, Kanonischer Visitator.
  • 22. September 1983 bis 2012: Großdechant Franz Jung als Kanonischer Visitator.
  • Danach Amt übergegangen an den Visitator für Breslau, Branitz und Glatz, der nun für alle vertriebenen schlesischen Katholiken zuständig ist.

Freie Prälatur Schneidemühl in der Grenzmark Posen-Westpreußen

  • bis 1952: Prälat nullius (= unterliegt nicht einer bischöflichen Jurisdiktion, man spricht hier von exemt, d. h. „ausgenommen“) Franz Hartz.
  • 1953–1965: Kapitularvikar Prälat Ludwig Polzin.
  • 1965–1972: Kapitularvikar Prälat Wilhelm Volkmann.
  • 1972–1982: Prälat Paul Snowadzki.
  • 1982–1997: Prälat Wolfgang Klemp († 5. Januar 1997), Fulda als Apostolischer Visitator der Priester und Gläubigen der Freien Prälatur Schneidemühl.
  • 1999–2010: Geistlicher Rat Bertold Grabs als Visitator für die Priester und Gläubigen aus der Freien Prälatur Schneidemühl.
  • 2010–2011: Msgr. Lothar Hans Peter Schlegel als Visitator für die Katholiken aus der Freien Prälatur Schneidemühl und der Diözese Danzig.

Erzbistum Danzig

Donauschwaben

Karpatendeutsche

  • 1967–1973: Dekan Josef Pöss († 22. Februar 1973), Überlebender des Massakers von Glaserhau als erster Sprecher der karpatendeutschen Priester und Gläubigen.
  • 1973–1987: Geistlicher Rat Josef Maday († 31. Mai 1987).
  • 5. Mai 1988–????: Msgr. Ernst Tatarko. (8. Dezember 1914; † 5. August 2013[20])
  • 1999–2004: Julius Groß SDB als Visitator für Karpatendeutsche.
  • 1. April 2005: Geistlicher Rat Johann Kotschner als Visitator für Karpatendeutsche.
  • Amt aufgegangen im Visitator für die Sudetendeutschen und Karpatendeutschen.

Russland (Russlanddeutsche)

  • 1965 wurde Nikolaus Pieger zum Seelsorger der katholischen Russland-Deutschen bestellt.
  • 1977–1988: Pfarrer Peter Macht in der Seelsorgstelle der Deutschen Bischofskonferenz für die deutschen Katholiken aus Russland.
  • 1990–200?: Pater Eugen Reinhardt SVD als Visitator für die Deutschen aus Russland.
  • seit 2007: Alexander Hoffmann.

Sudetenland (Sudetendeutsche)

  • 1959–1974: Prälat Karl Kindermann
  • 1974–1985: Apostolischer Protonotar Prälat Karl Reiß.
  • 1986–1992: Prälat Karl Braunstein.
  • 1992–1993: Pfarrer Friedrich Berger.
  • 1993–????: Pater Norbert Schlegel O. Praem. (* 9. März 1940 in Allenstein; † 29. August 2009) als Visitator für Sudetendeutsche.
  • Amt aufgegangen im Visitator für die Sudetendeutschen und Karpatendeutschen (derzeit Monsignore Pfarrer Dieter Olbrich).

Überdiözesane Organisation der katholischen Aussiedler- und Vertriebenenseelsorge bis zu deren Auflösung Ende 2016

1998 kam es zu einer umfassenden Neuordnung der katholischen Aussiedler- und Vertriebenenseelsorge, die den Zusatz Apostolisch verlor und nunmehr bei der Deutschen Bischofskonferenz angesiedelt ist. Derzeit sind zur katholischen Aussiedler- und Vertriebenenseelsorge in Deutschland berufen:[21]

Ende 2016 endete die überdiözesane Seelsorge für Vertriebene und Aussiedler. Die Ämter der Visitatoren für die vertriebenen Katholiken wurden abgeschafft. Bischof Hauke bleibt jedoch Beauftragter für Vertriebenenseelsorge. Die Bistümer und Gemeinden können jedoch weiterhin Gottesdienste oder Wallfahrten für Heimatvertriebene anbieten.[23]

Literatur

in der Reihenfolge des Erscheinens

  • Joachim Köhler, Rainer Bendel: Bewährte Rezepte oder unkonventionelle Experimente? Zur Seelsorge an Flüchtlingen und Heimatvertriebenen. In: Joachim Köhler, Damian van Melis (Hrsg.): Siegerin in Trümmern. Die Rolle der katholischen Kirche in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-17-015274-2, S. 199–228.
  • Sabine Voßkamp: Katholische Kirche und Vertriebene in Westdeutschland. Integration, Identität und ostpolitischer Diskurs 1945 bis 1972. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-17-019967-5.
  • Rainer Bendel (Hrsg.): Vertriebene finden Heimat in der Kirche. Integrationsprozesse im geteilten Deutschland nach 1945. Böhlau Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-412-20142-5.
  • Rainer Bendel: Die Aufnahme von Vertriebenen in katholischen süd- und südwestdeutschen Diasporagebieten. In: Josef Pilvousek (Hrsg.): Aufnahme – Integration – Beheimatung. Flüchtlinge, Vertriebene und die „Ankunftsgesellschaft“. Lit Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-643-10264-5, S. 61–85.

Einzelnachweise

  1. Karl Lehmann: Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Karl Lehmann, im Anschluß an die Herbst-Vollversammlung vom 21. bis 24. September 1998 in Fulda: 5. Vertriebenenseelsorge. 25. September 1998, abgerufen am 18. August 2016.
  2. Norbert Block: Sonderseelsorge ist weiter erforderlich. 8. Mai 2015, abgerufen am 18. August 2016.
  3. Pressebericht des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing, anlässlich der Pressekonferenz zum Abschluss der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 23. September 2021 in Fulda, S. 16.
  4. Sabine Voßkamp: Katholische Kirche und Vertriebene in Westdeutschland. Integration, Identität und ostpolitischer Diskurs 1945 bis 1972. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007, S. 34.
  5. Sabine Voßkamp: Katholische Kirche und Vertriebene in Westdeutschland. Integration, Identität und ostpolitischer Diskurs 1945 bis 1972. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2007, S. 55.
  6. Die Angaben zu den Vertriebenenbischöfen sowie die Liste der Visitatoren sind entnommen aus: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Kirche und Heimat. Die katholische Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge in Deutschland, Bonn, 1999, S. 57 f.
  7. Zu seiner Arbeit in seinen letzten zwei Lebensjahren als päpstlicher Sonderbeauftragter vgl. Alfred Penkert: Sie kamen aus der großen Drangsal. Ostdeutsche, insbesondere ermländische, Flüchtlinge und Heimatvertriebene im Briefwechsel mit Bischof Maximilian Kaller in den Jahren 1945–1947. Bischof-Maximilian-Kaller-Stiftung, Münster 2004, ISBN 3-937966-73-0.
  8. Ein Abriss seiner Tätigkeit ist auch zu finden bei Brahtz, Werner Ch.: Bischof Maximilian Kaller (Ermland). Päpstlicher Sonderbeauftragter für Ostflüchtlinge. In: Rainer Bendel, Stephan Janker (Hrsg.): Vertriebene Katholiken. Impulse für Umbrüche in Kirche und Gesellschaft?. Lit Verlag, Münster 2005, S. 149–158, ISBN 3-8258-5959-2.
  9. vgl. Hans-Jürgen Karp: Zum Stand der historischen Forschung über Maximilian Kaller (1880–1947). In: Rainer Bendel (Hrsg.): Vertriebene finden Heimat in der Kirche. Böhlau, Köln 2008, ISBN 978-3-412-20142-5, S. 107–118.
  10. Zu Kallers Rolle als päpstlicher Sonderbeauftragter für die heimatvertriebenen Deutschen veranstaltete das Institut für die Geschichte des Bistums Münster in Kooperation mit dem Historischen Verein für Ermland am 8. September 2007 eine wissenschaftliche Konferenz.
  11. Karolina Lang: Regionale versus nationale Identität? Zur Frage der Identitäts- und Heimatkonstruktionen der Ermländer im westlichen Nachkriegsdeutschland bis 1960. Verlag Hanseatischer Merkur, Hamburg 2009, ISBN 978-3-922857-45-7, insbesondere das Kapitel Die Ära Kaller, S. 37–49.
  12. vgl. Voßkamp, 2007, S. 94 ff.
  13. Ein Rückblick auf das Leben und Wirken des Seelsorgers Beigel zum 115. Geburtstag. weser-ith-news.de, 9. Juni 2022, abgerufen am 23. Oktober 2022.
  14. vgl. Brzoska, Emil: Apostolischer Visitator der Breslauer Diözesanen in der Bundesrepublik Deutschland: Inhalt und Grenzen seines Amtes, Köln: Apostolischer Visitator der Katholiken der Erzdiözese Breslau in der BRD, 1973 (16 S.).
  15. Porträt und Lebenslauf.
  16. Ermlandfamilie: Kapitularvikare und Visitatoren.
  17. Prälat Johannes Bieler verstorben.
  18. Danziger Alt-Visitator Bieler gestorben.
  19. Prälat Josef Haltmayer, in: Ungarn-Jahrbuch 20 (1992).
  20. Südwest Presse Online: TA Monsignore Ernst Tatarko Westerstetten – Todesanzeigen – Südwest Presse Online. Abgerufen am 13. Dezember 2017.
  21. Aussiedler- und Vertriebenensellsorge auf der Website der Ackermann-Gemeinde in der Diözese Würzburg. Archiviert vom Original am 18. August 2016; abgerufen am 18. August 2016.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ackermann-gemeinde.bistum-wuerzburg.de
  22. Website der katholischen Seelsorgstelle für katholische Deutsche aus Russland und den anderen GUS-Staaten.
  23. Jens Joest: Bischofskonferenz beendet – Mehr Geld für Flüchtlinge. In sieben Monaten 2016 rund 80 Millionen Euro investiert. Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), 22. September 2016, abgerufen am 30. Mai 2023.
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