Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung

Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung ist ein umfangreiches Artikelgesetz zur Reform des Rechts der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung in Deutschland. Es trat am 1. Juli 2017 in Kraft. Initial angestoßen wurde die Reform 2013 vom damaligen Senator für Justiz- und Verbraucherschutz des Landes Berlin, Thomas Heilmann.[1][2]

Basisdaten
Titel:Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Erlassen aufgrund von: Art. 74 Abs. Nr. 1 GG
Rechtsmaterie: Strafrecht, Strafprozessrecht
Erlassen am: 13. April 2017
Inkrafttreten am: 1. Juli 2017 (BGBl. I S. 872);
berichtigt mit G vom 3. Juli 2018 (BGBl. I S. 1094)
GESTA: C119
Weblink: Text des Gesetzes
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Mit dem Gesetz wird die Richtlinie 2014/42/EU in innerstaatliches Recht überführt.[3] Das Gesetz regelt darüber hinaus das Recht der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung und die vorgelagerten Sicherungsmaßnahmen vollständig neu.[4][5] Unter anderem wurde § 43a StGB zur Verhängung einer Vermögensstrafe aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. März 2002 aufgehoben.[6]

Richtlinie 2014/42/EU

Um dem Streben nach Profit als der wichtigsten Triebfeder der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität, einschließlich mafiaähnlicher krimineller Organisationen, wirksam zu begegnen, sollten die zuständigen Behörden mit der EU-Richtlinie 2014/42/EU die rechtlichen Mittel erhalten, um die aus Straftaten erlangten Erträge ermitteln, sicherstellen, verwalten und einziehen zu können.[7] Die Erträge aus Straftaten sollten neutralisiert und die Strafverfolgung in bestimmten Fällen auf alle Vermögensgegenstände, die aus kriminellen Handlungen stammen, ausgeweitet werden. Die Richtlinie zielt insbesondere auf Straftaten wie Beamtenbestechung, Geldwäsche, Drogen- und Menschenhandel sowie erpresserische Angriffe auf fremde Informationssysteme.[8]

Die Richtlinie legt entsprechende Mindestvorschriften für die Einziehung von Vermögensgegenständen in Strafsachen fest sowie für die Sicherstellung solcher Vermögensgegenstände im Hinblick auf deren etwaige spätere Einziehung. Sie sollte spätestens bis zum 4. Oktober 2016 in nationales Recht umgesetzt werden.[9] Deutschland gehört zu denjenigen Mitgliedstaaten, die die Richtlinie nicht fristgemäß umgesetzt haben. Vertragsverletzungsverfahren hat die Europäische Kommission jedoch nur gegen Bulgarien, Luxemburg und Rumänien eingeleitet.[10]

Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung

Inhalt

Mit der „Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern “ gibt es in §§ 73 ff. StGB n.F. nur noch ein einheitliches Rechtsinstitut, mit dessen Hilfe inkriminierte Vermögenswerte abgeschöpft werden können. Die bisherige Unterscheidung zwischen Verfall und Einziehung ist mit Wirkung zum 1. Juli 2017 hinfällig geworden.[11] Verfall war die Abschöpfung dessen, was ein Straftäter aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hat. Einziehung hingegen bezog sich auf Tatwerkzeuge und die durch die Tat hervorgebrachten Gegenstände. Mit der Reform gibt der Gesetzgeber die Unterschiede auf und schafft das einheitliche Rechtsinstitut der „Einziehung“.[12]

Kernstück der Reform ist aber die grundlegende Neuregelung der Opferentschädigung.[13] Die Ansprüche der Tatgeschädigten werden grundsätzlich im Strafvollstreckungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft befriedigt. Nach Rechtskraft des Strafurteils werden die sichergestellten Vermögensgegenstände verwertet und der Erlös an den oder die Verletzten ausgekehrt. Ist der aus der Tat erlangte Gegenstand noch vorhanden, wird er im Urteil eingezogen und an den Geschädigten zurückübertragen. Das war gem. § 72 Abs. 2 Satz 2 StGB a.F. nicht möglich, wonach bereits das Bestehen von Drittansprüchen zum Ausschluss des Verfalls führte.[14] Für die zivilrechtliche Durchsetzung ihrer Ansprüche mussten die Tatopfer selbst sorgen und in einem gesonderten strafprozessualen Verfahren die Zulassung der Zwangsvollstreckung erreichen.[15]

In sog. Mangelfällen, in denen der Wert des gesicherten Gegenstandes oder des durch dessen Verwertung erzielten Erlöses nicht ausreicht, um die Ansprüche aller Verletzten zu befriedigen, kann der Rechtspfleger einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verurteilten stellen (§ 111i Abs. 2 StPO, § 31 Abs. 1 Nr. 3 RPflG).

Verfassungsmäßigkeit

Nach Art. 316h Satz 1 EGStGB n.F. ist die Anordnung der Einziehung des Tatertrages oder des Wertes des Tatertrages auch in Fällen zulässig, in denen hinsichtlich der rechtswidrigen Taten, aus denen der von der selbständigen Einziehung Betroffene etwas erlangt hat, bereits vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Juli 2017 Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB) eingetreten war.[16] Diese Regelung verstieß nach der Überzeugung des Bundesgerichtshofs zwar nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, jedoch gegen das allgemeine rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot.[17][18][19] Mit Beschluss vom 7. März 2019 hatte der 3. Strafsenat daher entschieden, im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle (Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG) eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen,[20] welches die Reglung am 5. März 2021 ausnahmsweise wegen überragender Belange des Gemeinwohls für zulässig und mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte.[21]

Auch die Ausdehnung der erweiterten Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (§ 73a StGB) wird in der Strafrechtsliteratur als verfassungswidrig angesehen.[22] Die selbständige Einziehung nach § 76a Abs. 4 StGB (non conviction based confiscation) erlaubt die Einziehung von aus rechtswidrigen Taten herrührenden Gegenständen auch dann, wenn der Betroffene nicht wegen der Straftat verurteilt werden kann, solange das Erlangte aus den dort genannten Katalogstraftaten herrührt.[23]

Der Bundesregierung liegen bislang keine belastbaren Erkenntnisse über etwaige Schwierigkeiten bei der Anwendung der am 1. Juli 2017 in Kraft getretenen Reform vor. Im Jahr 2017 sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland Vermögensgegenstände im Wert von 198.646.000 Euro eingezogen worden. Die Bundesregierung befindet sich nach eigenen Angaben in Anbetracht einer möglichen Verfassungswidrigkeit im Austausch mit den Ländern, dem Generalbundesanwalt und dem Bundesgerichtshof.[24][25]

Die Neue Richtervereinigung fordert unter anderem eine Evaluierung der praktischen Anwendung des neuen Einziehungsrechts im Hinblick auf alle Vorschriften, die ein Absehen von der Einziehungsentscheidung erlauben (§ 421 StPO). Insofern scheine es nicht nur zwischen den einzelnen Bundesländern, sondern auch innerhalb der Bundesländer erhebliche Unterschiede zu geben.[26]

Rechtspolitik

Am 15. Oktober 2020 stellte Christine Lambrecht der Presse den Referentenentwurf zur Novellierung der Strafprozessordnung und anderer Gesetze vor.[27] Unter anderem ist eine Nachsteuerung im Bereich der Reformen des Strafverfahrens seit 2017 vorgesehen, bei der Vermögensabschöpfung durch punktuelle Änderungen im StGB, in der StPO, im RPflG, im EGStGB, in der AO und im EGAO. Insbesondere soll der Ausschlusstatbestand des § 73e Abs. 1 StGB ergänzt werden.[28]

Verordnung (EU) 2018/1805

Am 19. Dezember 2020 trat die Verordnung (EU) 2018/1805 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen in Kraft.[29][30] Damit erließ der europäische Gesetzgeber erstmals eine in den Mitgliedstaaten unmittelbar geltende Verordnung, um eine gegenseitige Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen zu bewirken.[31]

Die Durchführungsvorschriften zu dieser Verordnung wurden im Elften Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) umgesetzt (§§ 96a bis e IRG).[32][33]

Literatur

  • Hellen Schilling, Johannes Corsten, Yannic Hübner: Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. StraFo 2017, S. 305–316.
  • Volker Müller: Das Entschädigungsverfahren nach dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Peter Lang-Verlag, 2020. ISBN 978-3-631-80527-5.

Einzelnachweise

  1. Straftäter sollen Vermögen verlieren. In: Der Spiegel. 16. Juni 2013, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 21. Februar 2024]).
  2. Zugriff auf Vermögen aus kriminellen Quellen soll erleichtert werden. In: Der Spiegel. 21. September 2013, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 21. Februar 2024]).
  3. Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Sicherstellung und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union. In: ABl. L, Nr. 127, 29. April 2014, S. 39–50.
  4. Lars Kelterborn: Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung 8. Februar 2018.
  5. Verbrechen dürfen sich nicht lohnen: Regelung zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. In: haufe.de, 11. April 2017
  6. BVerfG, Urteil vom 20. März 2002 - 2 BvR 794/95
  7. Richtlinie 2014/42/EU, Erwgr. 1
  8. Richtlinie 2014/42/EU, Art. 3
  9. Richtlinie 2014/42/EU, Art. 1, Art. 12
  10. Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten: Straftaten dürfen sich nicht auszahlen Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, 2. Juni 2020, S. 5.
  11. Martin Schorn: Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung beschlossen (Memento des Originals vom 21. Oktober 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.noerr.com 20. Juli 2017.
  12. Stefan-Marc Rehm, Stefanie Siriu: Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung: Erster Überblick nach zwei Jahren Haufe.de, 7. Januar 2020.
  13. Volker Müller: Das Entschädigungsverfahren nach dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. Peter Lang-Verlag, 2020. ISBN 978-3-631-80527-5.
  14. § 73 StGB a.F. (alte Fassung) in der vor dem 1. Juli 2017 geltenden Fassung buzer.de, abgerufen am 10. Oktober 2020.
  15. vgl. ausführlich Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung. BT-Drs. 18/9525 vom 5. September 2016; S. 45 ff.
  16. Frank Hennecke: Ein Ende der Verjährung. Zur Verfassungsmäßigkeit des „Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung“ NZWiSt 2018, S. 121–126.
  17. a. A. OLG München, Urteil vom 19. Juli 2018 – 5 OLG 15 Ss 539/17
  18. Die Neuregelung der Vermögensabschöpfung – und die Übergangsregelung Rechtslupe.de, 12. Juni 2019.
  19. Vorlagebeschluss an BVerfG: BGH hält Regelung zur Vermögensabschöpfung für verfassungwidrig Legal Tribune Online, 7. März 2019.
  20. BGH, Beschluss vom 7. März 2019 - 3 StR 192/18 Rdnr. 39 ff.
  21. Bundesverfassungsgericht - Presse - Strafrechtliche Vermögensabschöpfung bei bereits vor Inkrafttreten des Reformgesetzes verjährten Erwerbstaten mit dem Grundgesetz vereinbar. Abgerufen am 5. März 2021.
  22. Frank Saliger: Grundfragen der Vermögensabschöpfung. ZStW 2018, S. 995, 1019 ff.
  23. Martin Schorn: Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft: Eingriff in die freie richterliche Beweiswürdigung Legal Tribune Online, 20. August 2018.
  24. Reform der Vermögensabschöpfung bundestag.de, 8. April 2019.
  25. Reform der Vermögensabschöpfung Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, BT-Drs. 19/8795 vom 28. März 2019.
  26. Zwei Jahre neues Einziehungsrecht. Bilanz der Fachgruppe Strafrecht der NRV 1. Juli 2019.
  27. Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Bearbeitungsstand: 6. Oktober 2020.
  28. Gesetzentwürfe: Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften Kriminalpolitische Zeitschrift 5/2020, abgerufen am 27. Oktober 2020.
  29. Verordnung (EU) 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen. In: ABl. L, Nr. 303, 28. November 2018, S. 1–38.
  30. Peters in Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl., 2021, Rz. 6.537 ff.
  31. vgl. Bundesrechtsanwaltskammer: Stellungnahme Nr. 10 März 2020 zum Referentenentwurf des BMJV eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Durchführung der Verordnung [EU] 2018/1805 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 über die gegenseitige Anerkennung von Sicherstellungs- und Einziehungsentscheidungen). S. 3.
  32. vgl. Art. 1 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen vom 23. November 2020, BGBl. I S. 2474
  33. DIP, abgerufen am 22. Februar 2022.

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