Vergilhandschriften der Spätantike
Vergilhandschriften der Spätantike sind zu größeren Teilen erhaltene und in mittelalterlichen Bibliotheken überlieferte Pergamenthandschriften aus dem 4. bis 6. Jahrhundert, die Werke des römischen Dichters P. Vergilius Maro oder Teile davon enthalten. Für die Textgeschichte und Textkritik der Werke des Dichters kommt nur einigen davon (vor allem F, M und P) herausragende Bedeutung zu. Die Bedeutung der übrigen, Zeugnissen der spätantiken Buchkultur und Buchmalerei sowie des Selbstverständnisses der spätantiken Senatsaristokratie, liegt eher im Bereich der Kunst- und Kulturgeschichte sowie der Rezeptionsgeschichte.
Vergil wurde bereits in der Antike als Klassiker bewertet und war seither nahezu ununterbrochen einer der wichtigsten Schulautoren. Er spielte außerdem eine bedeutende Rolle für das kulturelle Selbstverständnis der traditionsbewussten spätantiken Senatsaristokratie. So viele Pergamentcodices wie für keinen anderen lateinischen Autor sind daher von seinen Werken bereits aus der Spätantike erhalten geblieben, während sonst die Überlieferung zumeist nicht über das Zeitalter der Karolingischen Renovatio zurückreicht. Der repräsentative Charakter dieser Handschriften kommt unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass sie in der für Klassikertexte üblichen Capitalis rustica, in einem Fall, dem des Vergilius Augusteus, sogar in der vor allem für öffentliche Inschriften verwendeten Capitalis quadrata geschrieben sind. Der Vergilius Vaticanus und der Vergilius Romanus sind überdies mit zahlreichen Miniaturen, wichtigen Zeugnissen der spätantiken Buchmalerei, ausgestattet.
Außer den genannten Handschriften sind aus archäologischen Fundkomplexen der Antike (1. bis 6. Jahrhundert) stammende kleinere Fragmente von bislang 35 Papyrusrollen, Papyruscodices und Pergamentcodices mit Vergiltexten sowie Schreibübungen mit Vergilversen auf Holztafeln erhalten.[1] Ostraka oder Wachstafeln mit Vergilversen finden sich dagegen weder im Portal Trismegistos noch in Scappaticcios Liste.[2] Mit weiteren mindestens 26 mehr oder weniger vollständig erhaltenen Codices vom 4. bis 11. Jahrhundert gehört Vergil zu den nichtchristlichen Autoren der Antike mit der größten Überlieferungsdichte im Zeitraum vom 1. bis 11. Jahrhundert.
Von diesen stammen aus der Spätantike (4. bis 6. Jahrhundert) folgende acht Vergilhandschriften (keine ganz vollständig) und größeren Fragmente von Vergilhandschriften (die beigefügten Siglen sind die in den Editionen gebräuchlichen; die Anordnung erfolgt in alphabetischer Reihenfolge nach den üblichen Benennungen):
- B Vergilius Ambrosianus (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, L 120 (olim Cimel Ms. 3), eine Palimpsesthandschrift aus dem 5. Jahrhundert (nicht zu verwechseln mit dem oft ebenso bezeichneten Vergil des Petrarca Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Ms. 79 inf., vor 1344).[3]
- A Vergilius Augusteus (Vatikanstadt, BAV, Lat. 3256 + Berlin, Staatsbibliothek, Cod. lat. fol 416), zeitweise ausgelagert nach Tübingen, Universitätsbibliothek, aus dem 6. Jahrhundert.[4]
- M Vergilius Mediceus (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, Plut. 39.01 + Vatikanstadt, BAV, lat. 3225, Codex Mediceus, fol. 76) aus dem 5. Jahrhundert.[5]
- P Vergilius Palatinus (Vatikanstadt, BAV, Palatinus, lat. 1631) aus dem 5./6. Jahrhundert.[6]
- R Vergilius Romanus (Vatikanstadt, BAV, lat. 3867) aus dem 5./6. Jahrhundert.[7]
- G Vergilius Sangallensis (St. Gallen, Stiftsbibliothek, cod. Sang. 1394) aus dem 4. Jahrhundert.[8]
- F Vergilius Vaticanus (Vatikanstadt, BAV, lat. 3225) aus dem 4. Jahrhundert.[9]
- V Vergilius Veronensis (Verona, Biblioteca capitolare 40 [olim 38]), eine Palimpsesthandschrift aus dem 5. Jahrhundert.[10]
Literatur
- Michael von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur. Von Livius Andronicus bis Boethius und ihr Fortwirken. 3. Auflage. Band 1, de Gruyter, Berlin/ New York 2012, ISBN 978-3-11-026525-5, S. 583f.
- Johannes Götte (Hrsg.): Vergil. Aeneis. Heimeran, München 1958, S. 561–630.
- Gian Biagio Conte (Hrsg.): P. Vergilius Maro. Aeneis. de Gruyter, Berlin/ New York 2009, ISBN 978-3-11-019607-8, S. VII–XII; S. XL–XLI.
- Manfred Landfester: Vergilius [4] Maro, Publius (Vergil). In: Der Neue Pauly. Supplemente, Bd. 2: Geschichte der antiken Texte. Autoren- und Werklexikon. J. B. Metzler, Stuttgart / Weimar 2007, ISBN 978-3-476-02030-7, S. 639–643, hier S. 639f.
- Elias Avery Lowe: Codices Latini Antiquiores. A palaeographical guide to latin manuscripts prior to the ninth century, Bd. 1: The Vatican City. Clarendon Press, Oxford 1934 (Zeller, Osnabrück 1982), Nr. 11; Nr. 13; Nr. 19; Nr. 99.
- Elias Avery Lowe: Codices Latini Antiquiores. A palaeographical guide to latin manuscripts prior to the ninth century, Bd. 3: Italy: Ancona – Novara. Clarendon Press, Oxford 1938 (Zeller, Osnabrück 1988), Nr. 306.
- Elias Avery Lowe: Codices Latini Antiquiores. A palaeographical guide to latin manuscripts prior to the ninth century, Bd. 4: Italy: Perugia – Verona. Clarendon Press, Oxford 1947 (Zeller, Osnabrück 1988), Nr. 498.
- Elias Avery Lowe: Codices Latini Antiquiores. A palaeographical guide to latin manuscripts prior to the ninth century, Bd. 7: Switzerland. Clarendon Press, Oxford 1956 (Zeller, Osnabrück 1982), Nr. 977.
- Elias Avery Lowe: Codices Latini Antiquiores. A palaeographical guide to latin manuscripts prior to the ninth century, Bd. 8: Germany: Altenburg – Leipzig. Clarendon Press, Oxford 1959 (Zeller, Osnabrück 1982), Nr. **13.
- Florentine Mütherich: Die illustrierten Vergil-Handschriften der Spätantike. In: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft N. F. 8, 1982, S. 205–221 + 6 Tafeln (Digitalisat)
- Richard Seider: Beiträge zur Geschichte und Paläographie der antiken Vergilhandschriften. In: Herwig Görgemanns, Ernst A. Schmidt (Hrsg.): Studien zum antiken Epos (= Beiträge zur klassischen Philologie. 72). Hain, Meisenheim am Glan 1976, S. 129–172.
- R. Alden Smith: Vergil. Dichter der Römer (Orig.: Vergil. John Wiley & Sons, Chichester 2011). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-534-24899-5, S. 166–181.
Einzelnachweise
- Zur Abgrenzung papyrologischer von sonstiger handschriftlicher Überlieferung vgl. den Artikel Papyrologie.
- Vgl. Suche „Vergil“ in Trismegistos; Maria Chiara Scappaticcio, Papyri Vergilianae. L’apporto della Papyrologia alla storia della Tradizione Virgiliana (I-VI. d.C.). Presses universitaires de Liège. Liège 2013, bes. die Liste der Papyri S. 179f.; eine Liste von 26 Codices bis ins 11. Jahrhundert ebd. S. 180.
- Vgl. Katalogeintrag L 120 sup. In: Bibliotheca Accademia Ambrosiana; Eintrag in Trismegistos; Scappaticcio, Papyri Vergilianae (s. unten Einzelnachweise 1), S. 81–86.
- DigiVatLib. Abgerufen am 17. Februar 2019.; ; ; Eintrag Trismegistos mit veralteter Provenienz Tübingen.
- Vgl. Digitalisat in: Internet Culturale. Cataloghi e collezioni digitali delle biblioteche italiani. Biblioteca digitale; Eintrag in Trismegistos.
- Vgl. Digitalisat in: Digivatlib.; Digitalisat in: Bibliotheca Laureshamensis digital; Eintrag in Trismegistos.
- Vgl. Digitalisat in: Digivatlib.; Eintrag in Trismegistos.
- Vgl. Digitalisat in: e-codices. Virtuelle Handschriftenbibliothek der Schweiz; Eintrag in Trismegistos.
- Vgl. Digitalisat in: Digivatlib.; Eintrag in Trismegistos.
- Vgl. Eintrag in Trismegistos.