Vanitas! Vanitatum Vanitas!
Vanitas! Vanitatum Vanitas![1][2] (lat. Eitelkeit! Der Eitelkeiten Eitelkeit!) ist eine Ode des deutschen Barock-Dichters Andreas Gryphius. Das Gedicht wurde im Mai 1643 in seinem ersten Buch der Oden veröffentlicht. Zum Zeitpunkt kurz vor dessen Veröffentlichung hielt sich Andreas Gryphius vermutlich im niederländischen Brittenburg (Lugdunum Batavorum, nordwestlich der Stadt Leiden gelegen) auf.[3][4]
Text
Vanitas! Vanitatum Vanitas! |
Eitelkeit! Der Eitelkeiten Eitelkeit! |
Die Herrlikeit der Erden |
Die Herrlichkeit der Erden |
Was sindt doch alle sachen/ |
Was sind doch alle Sachen, |
Der ruhm nach dem wir trachtẽ/ |
Der Ruhm, nach dem wir trachten, |
Es hilfft kein weises wissen/ |
Es hilft kein weises Wissen, |
Dis alles wirdt zerrinnen/ |
Dies alles wird zerrinnen, |
Was sindt die kurtzen frewden/ |
Was sind die kurzen Freuden, |
Du must vom ehre throne |
Du mußt vom Ehrenthrone, |
Wie eine Rose blühet/ |
Wie eine Rose blühet, |
So wachsen wir auff erden |
So wachsen wir auf Erden |
Wir rechnen jahr auff jahre/ |
Wir rechnen Jahr auf Jahre, |
Weil uns die lust ergetzet: |
Dieweilen uns die Lust ergötzet |
Wie viel sindt schon vergangen/ |
Wieviel sind schon vergangen, |
Wach' auff mein Hertz vndt dencke; |
Wach' auf, mein Herz und denke, |
Verlache welt vnd ehre. |
Verlache Welt und Ehre, |
Woll dem der auff ihn trawett! |
Wohl dem, der auf ihn trauet! |
Schreibweise:
Aktualisierte Schreibung nach dem Sprachgefühl des Bearbeiters[5] und dessen Bestreben, allen Lesern dieser Webpage einen ungehinderten Zugang zu diesem Juwel der deutschen Sprache zu bieten; (sprach-)wissenschaftliche Erwägungen haben bei dieser Neuschreibung demzufolge keinerlei Rolle gespielt.
Zeichensetzung:
Zwischen verschiedenen barocken Druckausgaben des Andreas Gryphius bestehen bei ein- und demselben Stück Unterschiede hinsichtlich der Zeichensetzung[6]. Da eine quasi „normierte“ Zeichensetzung der originalen Gryphius'schen Texte somit ohnehin nicht vorliegt, wurden die Zeichen innerhalb der Neuschreibung frei nach dem heutigen Sprachgefühl, dem Sinn des Textes sowie nach dem vorliegenden Versrhythmus gesetzt.
Form
Die fünfzehn Strophen des Gedichts folgen dem bekannten Versmaß von „Innsbruck/O Welt ich muss dich lassen“ (16. Jahrhundert), auf dem auch „Nun ruhen alle Wälder“ von Paul Gerhardt (1647) und Claudius' Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ (1779) beruhen: Sechs Zeilen mit Schweifreim (a–a–b c–c–b) in jambischem Versmaß, wovon immer die ersten fünf Verse dreihebig sind, während der letzte vier Hebungen aufweist.
Entsprechend dem rhetorischen Charakter barocker Lyrik wird jeweils in den ersten drei Versen eine Behauptung aufgestellt, die in den nächsten drei Versen erweitert wird.
Interpretation
In den ersten Strophen werden die Freuden der Natur als Illusion bezeichnet. Gleichzeitig könne sich der Mensch nicht einmal an Gegenständen erfreuen, weil sein Leben stets eine „Phantasie der Zeit“ sei. Das hier schon angedeutete Vanitas-Motiv wird in den folgenden Strophen weiter ausgeführt. In der dritten bis fünften Strophe der Ruhm, wie die damit verknüpfte Aussicht auf ewigliches Leben in Erinnerungen der Nachkommenden, das im Leben angehäufte Wissen und Eigentum, als der Vergänglichkeit preisgegebene Güter benannt. Daraufhin enden in den beiden folgende Strophen selbst Jubel und Triumph, privilegierte Freuden geringer weltlicher Eliten, indem sie in ihr Gegenteil gekehrt werden. Auch Königreiche gehen unter. Machtinsignien wie der Thron, die Krone und Zepter können den Tod nicht aufhalten. Besitztümer wie Purpur, Gold und Edelsteine, welche zu Lebzeiten die Pracht königlicher Macht waren, verlieren ihren zugesprochenen Wert. Die Aufzählung ähnelt einem Totentanz, vom gemeinen Menschen, dem Gelehrten bis zum Regenten durchläuft der Tod alle Stände einer Gesellschaft. Anschließend folgt in der achten bis neunten Strophe am Beispiel einer Rose das Vanitas-Motiv. In einem Prozess von Blühen – volle Blütenpracht – Verwelken kommt es dem Leben gleich. Die Allgegenwärtigkeit des Todes wird in den beiden Höhepunkten „Welt“ und „sorgenfrey“ deutlich, woraufhin das Wachstum in Verfall kippt. Die 13. Strophe steht ganz im Zeichen des Memento mori, an die Sterblichkeit des Menschen wird erinnert und im Folgenden daran gemahnt, dass alle irdischen Versprechungen nur Augenblicke weilen. Stattdessen solle der Mensch Gott gedenken, welcher im Gegensatz zu den Mächtigen unsterblich ist: „Der immer König bleibet, den keine Zeitt vertreibet, der einig ewig machen kan.“ Schließlich wird im Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit auf die Stärke Gottes vertraut, denn wer sich zum Allmächtigen bekennt, der kann auf Trost hoffen.
Rezeption
Die Ode wurde in Kirchengesangsbücher aufgenommen.[7] Der Liedermacher Konstantin Wecker persiflierte das Gedicht unter dem gleichen Titel. Dagegen ist Johann Wolfgang von Goethes gleichnamiges Gedicht eine Parodie auf Adam Reusners Lied „Ich hab mein Sach Gott heimgestellt“.
Einzelnachweise
- Andreas Gryphius: Vanitas! Vanitatum Vanitas! von Andreas Gryphius. In: nddg.de. Northeimer Datenbank Deutsches Gedicht, abgerufen am 27. September 2023.
- Andreas Gryphius: 9. Vanitas! Vanitatum Vanitas! In: Zeno.org - Meine Bibliothek. Henricus - Edition Deutsche Klassik GmbH, c/o Sven Niemeier, 14169 Berlin, abgerufen am 27. September 2023.
- Andreas Gryphius: Oden. Das erste Buch. In: Zeno.org. Henricus - Edition Deutsche Klassik GmbH, c/o Sven Niemeier, 14169 Berlin, abgerufen am 27. September 2023.
- Andreas Gryphius: Widmung. In: Zeno.org. Henricus - Edition Deutsche Klassik GmbH, c/o Sven Niemeier, 14169 Berlin, abgerufen am 27. September 2023.
- lingomaeleon, 27. September 2023: es ist keine dem heutigen Sprachverständnis folgende Schreibung dieser Ode im Internet verfügbar respektive zitierbar.
- Bo Andersson: Andreas Gryphius’ Sonette: Eine Interpunktionsgeschichte. In: Föreningen för Studia Neophilologica, Department of Modern Languages at Uppsala University, Sweden (Hrsg.): Studia Neophilologica. Volume 90, 2018, Issue sup1: Punctuation: Past & Present. Papers Presented at a Symposium at The Royal Swedish Academy of Letters, History and Antiquities, Stockholm, March 2–3, 2017. Edited by Bo Andersson and Merja Kytö. Informa UK Limited (trading as: Taylor & Francis Group), Zug / Saint Helier 19. März 2019, S. 88–113.
- Gudrun Beil-Schickler: Von Gryphius bis Hofmannswaldau. Untersuchungen zur Sprache der deutschen Literatur im Zeitalter des Barock. Francke, Tübingen 1995, S. 50.