Ursprüngliches Gesicht

Ursprüngliches Gesicht ist ein Begriff im Zen-Buddhismus, der die Nondualität von Subjekt und Objekt unterstreicht.[1]

Herkunft

Der Begriff „ursprünglisches Gesicht“ stammt aus dem Huangpo's Chuanhsin fayao (8857) und der Hui-sin Edition (967) des Liuzu Tanjing (chinesisch 六祖壇經, Pinyin Liùzǔ Tánjīng):[2]

„Wenn du nicht an irgendetwas Gutes und irgendetwas Schlechtes denkst, in diesem Moment, was ist dein ursprüngliches Gesicht?“[3]

Diese Frage erscheint auch im Abschnitt (Fall) 23 des Wumenguan (Mumon Eka):

Eno, der sechste Patriarch, wurde von dem Mönch Emyo in Daiyurei aufgesucht. Der Patriarch, der Emyo kommen sah, legte Gewand und Schüssel auf einen Stein, und sagte zu ihm: „Dieses Gewand ist Zeichen des Glaubens. Muss man darum mit Gewalt kämpfen? Nimm diese nun.“ Emyo ging um Schüssel und Gewand zu nehmen, aber sie waren schwer wie Berge. er konnte sie nicht bewegen. Zögernd und zitternd, fragte Emyo den Patriarchen: „Ich komme um der Lehre willen, nicht um des Gewandes willen. Bitte erleuchte mich!“ Der Patriarch sagte: „Was ist der ursprüngliche Emyo (Was ist dein wahres selbst?), wenn du nicht denkst, dass dies gut ist und auch nicht denkst, dass dies böse ist?“ In diesem Moment wurde Emyo heftig erweckt. Sein ganzer Körper war schweißbedeckt. Emyo schrie auf, verneigte sich, und sagte: „Gibt es oder gibt es keine andere (tiefere) Bedeutung (im Zen), als deine geheimen Worte und Lehren von den letzten Augenblicken?“ Der Patriarch antwortete: „Was ich dir gesagt habe ist keinerlei Geheimnis. Sobald du einmal dein wahres Selbst erkannt hast, gehört die Tiefe (des Zen) dir.“ Emyo sagte, „Als ich bei Obai mit den anderen Mönchen war, erkannte ich nie, was mein wahres Selbst war. Jetzt hast du die Wolken meiner Unwissenheit zerstreut, so dass ich erkenne, gerade so, wie ein Mann der fähig ist, warm und kalt zu unterscheiden, indem er Wasser testet. Von jetzt an bist du mein Lehrer!“ Der Patriarch sagte: „Wir beide haben Obai als Lehrer. Achte auf dich selbst!“

Mumons Kommentar: Wir müssen sagen, dass der sechste Patriarch einen Notfall betreute. Diese Offenbarung gleicht jedoch der Tat einer überbehütenden Großmutter, die eine frische Litschi schälte, den Stein entfernte und sie ihrem Enkel in den Mund steckte, damit es sie direkt schlucken konnte.

Du beschreibst es umsonst, du verbildlichst es ohne Erfolg,
Du Lobst es ohne Nutzen, hörst auf überhaupt zu sorgen.
Es ist dein wahres Selbst, es kann sich nicht mehr verstecken,
Auch wenn das Weltall ausgelöscht ist, wird es nicht zerstört.“[4]

Dieser Kōan wird in der Frage aufgenommen:

„Wie sah dein Gesicht aus, bevor deine Eltern geboren waren?“[5]

Interpretationen

Das "original face" weist auf die „Nondualität von Subjekt und Objekt“":[6]

„Die Phrase „Vater und Mutter“ verweist auf Dualität. Das ist für Menschen, die in der Chinesischen Tradition gebildet sind, wo so viele philosophische Gedanken in bildhafter Weise durch Gegensatzpaare ausgedrückt werden. Die Phrase „dein ursprüngliches Gesicht“ verweist auf die ursprüngliche Nicht-Dualität.“[7]

Vergleichbare Meditationsphrasen sind: „Sieh die Blume an und die Blume sieht auch“; „Gast und Gastgeber tauschen“.[8]

Dabei geht es nicht um „Reines Bewußtsein“, wie es oft in westlichem Denken verstanden wird[9] und welches durch „Reinigen der Türen der Wahrnehmung“ erreicht wird:

„Wenn die Tore der Wahrnehmung gereinigt wären, würde dem Menschen alles so erscheinen, wie es ist, unbegrenzt. Denn der Mensch schließt sich selbst ein, bis er alle Dinge durch schmale Schlitze in seiner Höhle sieht. - William Blake[10]

„Reines Bewußtsein ohne Ideen, wenn es solch eine Sache geben könnte, wäre eine dröhnende, surrende Verwirrung, ein fühlendes Feld von Blitzen, unidentifizierbaren Klängen, unklaren Formen, Farbflecken ohne Bedeutung. Das ist nicht das Bewußtsein eines erleuchteten Zen-Meisters.“[11]

Kommentare

Einige Kommentierungen von Zen-Meistern:

„'Feg Gedanken beseite!' bedeutet, dass man Zazen praktizieren soll. Sobald einmal die Gedanken beruhigt sind, erscheint das Ursprüngliche Gesicht. Gedanken können mit Wolken verglichen werden. Wenn Wolken verschwinden, erscheint der Mond. Der Mond des Soseins ist das Ursprüngliche Gesicht. Gedanken sind auch so etwas wie Nebel auf einem Spiegel. Wenn man alles Kondensat abwischt, spiegelt ein Spiegel deutlich wider. Bringe deine Gedanken zur Ruhe und sieh dein Ursprüngliches Gesicht, von vor deiner Geburt! - Daito[12]

„Beende Praktiken, basierend
auf intellektuellem Verstehen,
die Worte benutzen und
dem Sprechen folgen.
Lerne den rückwärtigen
Schritt der wendet
dein Licht nach innen
um zu erleuchten.
Körper und Geist werden von selbst
abfallen
und dein Ursprüngliches Gesicht würde sich manifestieren. - Dōgen[13]

„Du kannst es nicht beschreiben oder es zeichnen,
Du kannst es nicht genug preisen um es zu erkennen.
Kein Ort kann gefunden werden, in den
Das Ursprüngliche Gesicht gestellt werden kann;
Es wird nicht verschwinden selbst
Wenn das Universum zerstört ist. - Mumon“[14]

Künstlerische Umsetzung

Philip Whalen

Der Amerikanische Dichter Philip Whalen verfasste die Metaphysical Insomnia Jazz Mumonkan xxix, welches sich auf den Koan bezieht[15], und Keith Kumasen Abbott (Naropa University, buddhist., Colorado) hat das Gedicht kommentiert.[16]

Course I could go to sleep right here
With all the lights on & the radio going

(April is behind the refrigerator)

Far from the wicked city
Far from the virtuous town
I met my fragile Kitty
In her greeny silken gown

fairly near the summit of Nanga Parbat & back again, the wind
flapping the prayer-flags

"IT IS THE WIND MOVING."
"IT IS THE FLAG MOVING."

Hypnotized by the windshield swipes, Mr. Harold Wood:
"Back & forth; back & forth."

We walked beside the moony lake
Eating dried apricots
Lemons bananas & bright wedding cake
& benefits forgot

"IT IS THE MIND MOVING."

& now I'm in my bed alone
Wide awake as any stone.

Übertragung: Natürlich könnte ich gerade hier schlafen
Mit allen Lichtern an & dem Radio laufend

(April ist hinter dem Kühlschrank)

Weit weg von der verdorbenen Stadt
Weit weg von der tugendhaften Stadt
Ich traf mein zerbrechliches Kätzchen
In ihrem grünseidenen Kleid

fast am Gipfel des Nanga Parbat & wieder zurück, der Wind
wedelte die Gebetsfahnen

"ES IST DER WIND BEWEGEND."
"ES IST DIE FAHNE BEWEGEND."

Hypnotisiert durch die Scheibenwischer, Mr. Harold Wood:
"Hin & zurück; hin & zurück."

Wir spazierten am Ufer des mondbeschienen Sees
Aßen getrocknete Aprikosen
Zitronen Bananen & strahlenden Hochzeitskuchen
& vergessene Vorteile

"ES IST DER VERSTAND BEWEGEND."

& jetzt bin ich in meinem Bett allein
Hellwach wie irgend ein Stein.

Stuart Davis

Der amerikanische Buddhist und Musiker Stuart Davis hat den Song "Original Face" aufgenommen. Dort lautet der Chorus:

There's a light bulb in everyone
Bright enough to swallow the sun,
Every mask will be erased,
There is just the original face.

Übertragung: Da gibt es eine Glühlampe in jedem
Hell genug um die Sonne zu verschlingen,
Jede Maske wird ausgelöscht,
Dort gibt es nur noch das Ursprüngliche Gesicht.

Einzelnachweise

  1. Hori 2000: 289.
  2. Red Pine 2008: 120.
  3. When you're not thinking of anything good and anything bad, at that moment, what is your original face? Red Pine 2008: 120.
  4. Eno, the sixth patriarch, was pursued by Monk Emyo up to Daiyurei. The patriarch, seeing Emyo coming, laid the robe and the bowl on a rock, and said to him, "This robe represents the faith. Is it to be fought for by force? You may take them now." Emyo went to move the bowl and the robe and yet they were as heavy as mountains. He could not move them. Hesitating and trembling, Emyo asked the patriarch, "I come for the teaching, not for the robe. Please enlighten me!" The patriarch said, "What is primordially Emyo (i.e., your true self), if you do not think this is good nor do you think this is evil?" At that moment Emyo was greatly awakened. His whole body was covered with sweat. Emyo cried, bowed, and said, "Is there or is there not any other (deep) significance (in Zen) than your secret words and teachings a minute ago?" The patriarch answered, "What I have told you is no secret at all. Once you have realized your own true self, the depth (in Zen) rather belongs to you!" Emyo said, "When I was at Obai with the other monks, I never realized what my true self was. Now you have dispersed the clouds of my ignorance to realize it, just like a man capable of discerning warm and cold by tasting water. From now on you are my teacher!" The patriarch said, "We both have Obai for our teacher. Guard your own self!" Mumon's Comments: We should say that the sixth patriarch was in an emergency. This revelation of his, however, resembles the deed of an overly protective grandmother, who peeled a fresh lichi (a dessert fruit), removed its stone and put it to her grandchild's mouth ready for him to swallow. You describe it in vain, you picture it to no avail,
    Praising it is useless, cease to worry about it at all.
    It is your true self, it has nowhere to hide,
    Even if the universe is annihilated, it is not destroyed. CASE 23. ENO'S GOOD AND EVIL. - Shimomissé 1998.
  5. What did your face look like before your parents were born?
  6. Hori 2000: 289.
  7. [T]he phrase "father and mother" alludes to duality. This is obvious to someone versed in the Chinese tradition, where so much philosophical thought is presented in the imagery of paired opposites. The phrase "your original face" alludes to the original nonduality.Hori|2000: 289-290.
  8. Hori|2000: 289.
  9. Hori 2000: 282-286.
  10. "If the doors of perception were cleansed every thing would appear to man as it is, infinite. For man has closed himself up, till he sees all things thru' narrow chinks of his cavern." William Blake Quote DB.
  11. pure consciousness without concepts, if there could be such a thing, would be a booming, buzzing confusion, a sensory field of flashes of light, unidentifiable sounds, ambiguous shapes, color patches without significance. This is not the consciousness of the enlightened Zen master. Hori 2000: 284.
  12. "Sweep away thoughts!" means one must do zazen. Once thoughts are quieted, the Original Face appears. Thoughts can be compared to clouds. When clouds vanish, the moon appears. The moon of suchness is the Original Face. Thoughts are also like the fogging of a mirror. When you wipe away all condensation, a mirror reflects clearly. Quiet your thoughts and behold your Original Face before you were born! - Daito.
  13. Cease practice based / On intellectual understanding, / Pursuing words and / Following after speech. / Learn the backward / Step that turns / Your light inward / To illuminate within. / Body and mind of themselves / Will drop away / And your original face will be manifest. — Dogen.
  14. You cannot describe it or draw it, / You cannot praise it enough or perceive it. / No place can be found in which / To put the Original Face; / It will not disappear even / When the universe is destroyed. — Mumon.
  15. Falk 2009.
  16. Keith Kumasen Abbott: Satori Kitty Roshi Style (Or, Enlightenment Practices For Stones). A Commentary on Philip Whalen's "Metaphysical Insomnia Jazz Mumonkan xxix".

Quellen

  • Jane Falk: Finger Pointing at the Moon. Zen and the Poetry of Philip Whalen. In: John Whalen-Bridge: The Emergence of Buddhist American Literature. SUNY Press 2009.
  • Victor Sogen Hori: Koan and Kensho in the Rinzai Zen Curriculum. In: Steven Hein, Dale S. Wright (Hg.): The Koan. Texts and Contexts in Zen Buddhism. Oxford University Press, Oxford 2000.
  • Red Pine: The Platform Sutra: The Zen Teaching of Hui-neng. Counterpoint Press 2008.
  • Eiichi Shimomissé: The Gateless Gate. 1998.
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