Unziale

Die Unziale oder Unzialschrift (lat. littera uncialis) ist eine Majuskelschrift, die wahrscheinlich aus der älteren römischen Kursive entstanden ist. Die Unziale wurde mit dem Calamus auf Papyrus, Prachtexemplare mit dem Federkiel auf Pergament geschrieben.

Handschriftliches Beispiel für eine Unzialschrift

Entwicklung und Verbreitung

Das älteste Originalfragment eines lateinischen Pergamentkodex (De bellis Macedonicis, um 100 n. Chr.) wurde um 1900 im ägyptischen Oxyrhynchos gefunden. Es ist eine Übergangsform zwischen der Capitalis rustica und Unzialschrift. Zusammen mit dem Brieffragment von Cyprianus (um 250 n. C.) und den Epitomen des Livius wurden diese Übergangsschriften scriptura mixta genannt[1].

Die „kursive“ Unziale entstand durch eine Vereinfachung des Schreibvorganges. Die Römer benutzten Griffel, um auf Wachstafeln zu schreiben, und den Calamus (Rohrfeder) auf Papyrus. Mit der breiten Rohrfeder sind nur „zusammengesetzte“ Buchstaben möglich, denn beim Rückwärts„schieben“ fließt keine Tinte. Der erste, kraftvolle Grundstrich wird von oben nach unten geführt oder schräg von oben-rechts nach unten-links. Der zweite Strich ist entweder linear von unten-links oder waagrecht. Das flüssigere Schreiben der eckigen Buchstabenteile führte zu Rundungen bei A, D, E, H, M und V, und zu kurzen Ober- und Unterlängen bei D, F, H, L, P und Q. Weil dieser Vorgang (Innenligatur) zu einer Veränderung der klassischen CAPITALIS führte, entstand eine neue Gestalt, die gegenüber der ursprünglichen Form eine neue „Schriftart“ (eine „morphologische Mutation“) darstellte. Im Alltag wurde daraus die römische Kursive (Capitalis Cursiva) und als Buchschrift die Unziale.

Die Unziale entstand im 2. Jahrhundert (wahrscheinlich in Rom[2]) und wurde bis zum 6. Jahrhundert für juristische Texte, Bücher (Codices) und darüber hinaus als Auszeichnungsschrift verwendet. Den Namen Unziale hat Jean Mabillon im 17. Jahrhundert eingeführt, indem er wohl eine Briefstelle bei Hieronymus missverstanden hatte (lat. uncia ‚Zwölftel vom As[3]), in der dieser sich über die uncialibus litteris (übergroße Buchstaben) ereifert.[4]

Die zweite Interpretation des Begriffes „Unziale“ (litterae unciales) von der Universität Zürich ist plausibler: »Ihre Formgebung ist allerdings nicht quadratisch oder eckig wie bei der Capitalis, sondern rund. Daher erklärt sich auch ihr Name (lateinisch: uncus = ‚Bogen‘, ‚Haken‘). Man erkennt dies besonders gut an den Buchstaben E, M und U (statt V).«[5]

Es sind über 300 Handschriften des Neuen Testaments in griechischer Unzialschrift erhalten.[6] Vollständig erhalten sind beispielsweise die griechischen Handschriften Codex Sinaiticus und Codex Vaticanus. Die unziale Handschrift der griechisch-biblischen Codices wird manchmal Bibelmajuskel genannt.

Erkennung und Klassifizierung

Charakteristisch sind die gerundeten, serifenlosen Buchstaben mit einigen Ober- und Unterlängen. Diese sind aber noch nicht sehr ausgeprägt. Im Gegensatz zur Capitalis ist die Unziale vorwiegend eine Buchschrift. Es werden drei Formen der Unziale unterschieden:

Die Halbunziale ist eine frühmittelalterliche Buchschrift, die mit der Unziale entstehungsgeschichtlich wenig zu tun hat. Sie entstand durch Ausgestaltung der jüngeren römischen Kursive im 5. Jahrhundert.[7] Das früheste genauer datierbare Beispiel ist der Hilarius-Codex.

Siehe auch

Literatur

  • Bernhard Bischoff: Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters (= Grundlagen der Germanistik, Bd. 24). 2. überarbeitete Auflage. Erich-Schmidt-Verlag, Berlin 1986, ISBN 3-503-02253-8, S. 91–107.
  • Károly Földes-Papp: Vom Felsbild zum Alphabet. Die Geschichte der Schrift von ihren frühesten Vorstufen bis zur modernen lateinischen Schreibschrift. Chr. Belser Verlag, Stuttgart 1966 (Auch: Gondrom, Bayreuth 1975. ISBN 3-8112-0007-0).
  • Elias Avery Lowe: English Uncial. Clarendon Press, Oxford 1960.
  • Jan-Olof Tjäder: Der Ursprung der Unzialschrift. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde, ISSN 0067-4540, Jg. 74 (1974), Heft 1, S. 9–40 (doi:10.5169/seals-117811)
  • Franz Steffens: Lateinische Paläographie. (125 Tafeln in Lichtdruck mit gegenüberstehender Transkription sowie Erläuterungen und einer systematischen Darstellung der Entwicklung der lateinischen Schrift.) 2., vermehrte Auflage, Trier 1909. Unziale Seite IV und V (PDF-Datei) digital.
  • František Muzika: Die schöne Schrift in der Entwicklung des lateinischen Alphabets. Band I, Artia, Prag 1965.

Einzelnachweise

  1. Frantisek Muzika: Die schöne Schrift in der Entwicklung des lateinischen Alphabets. Römische Unziale ab Seite 186, mit vielen Alphabeten und Tafeln.
  2. Horst Enzensberger: Schriftarten 2 – Unziale
  3. Jean Mabillon, De re diplomatica (S. 47): "… litteris uncialis (quoniam uncia, id est pedis duodecima parte) …". In der Spätantike wurde der Fuß (lat. pes/pedis) in 16 Fingerbreiten (digitus) unterteilt. Erst im Mittelalter wurde der Fuß statt in sechzehn in zwölf (lat. duodecim) Untereinheiten geteilt.
  4. Jean Mabillon, De re diplomatica, 2. Aufl. Paris 1709, Liber i., caput xi., S. 47 online. Andere Deutungen des Begriffs „unzial“: Website Digivatlib und Universität Zürich: Adfontes.
  5. Tutorium – Schriftgeschichte
  6. Liste der 322 griechischen Unzialhandschriften des Neuen Testaments.
  7. Horst Enzensberger: Schriftarten 2 – Halbunziale
Wiktionary: unzial – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Unziale – Album mit Bildern
  • Franz Steffens: Lateinische Paläographie. (125 Tafeln in Lichtdruck mit gegenüberstehender Transkription nebst Erläuterungen und einer systematischen Darstellung der Entwicklung der lateinischen Schrift.) 2., vermehrte Auflage, Trier 1909. Unziale Seite IV und V, PDF-Datei digital
  • Sonja Steiner-Welz (Hrsg.): Von der Schrift und den Schriftarten. Band 8 (Sammlung 2006), Seite 125–132: Unziale
  • Paulo Heitlinger: Unzialis, die runde Versalie. Beschreibung und Beispiele aus vielen Jahrhunderten, 2012 (PDF-Datei)
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