Dolní Věstonice

Dolní Věstonice (deutsch Unter-Wisternitz) ist eine Gemeinde mit 293 Einwohnern (Stand 1. Januar 2023) in der Südmährischen Region, Tschechien. Sie liegt 10 km nördlich von Mikulov (Nikolsburg). Der Ort ist als ein Straßenangerdorf angelegt.

Dolní Věstonice
Wappen von Dolní Věstonice
Dolní Věstonice (Tschechien)
Dolní Věstonice (Tschechien)
Basisdaten
Staat: Tschechien Tschechien
Region: Jihomoravský kraj
Bezirk: Břeclav
Fläche: 882[1] ha
Geographische Lage: 48° 53′ N, 16° 39′ O
Höhe: 174 m n.m.
Einwohner: 293 (1. Jan. 2023)[2]
Postleitzahl: 691 29
Kfz-Kennzeichen: B
Verkehr
Straße: Silnice II/420 MikulovHustopeče
Bahnanschluss: Popice (6 km)
Struktur
Status: Gemeinde
Ortsteile: 1
Verwaltung
Bürgermeister: Jaroslava Rajchlová (Stand: 2018)
Adresse: Dolní Věstonice 67
691 29 Dolní Věstonice
Gemeindenummer: 584436
Website: www.obecdolnivestonice.cz

Geographie

Dolní Věstonice liegt am Fuße der Pollauer Berge sowie am Ufer des „südmährischen Meeres“, das in den 1980er Jahren durch die Aufstauung der Thaya entstanden ist. Die Nachbarorte sind im Norden Strachotín (Tracht), im Süden Horní Věstonice (Ober Wisternitz) und im Osten Pavlov (Pollau).

Geschichte

Die Venus von Dolní Věstonice
Dolní Věstonice im Jahr 2007
Dorfplatz mit Kirche

Archäologische Ausgrabungen (seit 1924) legten Siedlungsspuren und Fossilien von Mammutjägern aus der Zeit des jungpaläolithischen Gravettiens frei.[3] Von besonderer Bedeutung sind mehrere Bestattungen, darunter eine 1986[4] gefundene Dreifachbestattung. In der sogenannten „Hütte des Schamanen“ wurden Tierfiguren aus gebranntem Löss sowie die Überreste zweier Brennöfen gefunden (älteste Objekte dieser Art neben Krems-Wachtberg und Krems-Hundssteig). Das berühmteste Fundstück ist die ebenfalls aus Ton gebrannte Venus von Dolní Věstonice. Aus dem Frühmittelalter (Großmährisches Reich) gibt es Reste einer befestigten Siedlung. Im 12. und 13. Jahrhundert kamen deutsche Siedler aus dem bairisch-österreichischen Raum, deren ui-Mundart mit ihren speziellen Bairischen Kennwörtern bis zur Vertreibung dieser Deutschsüdmährer 1945 gesprochen wurde.[5][6] Sie kolonisierten das Land, brachten Ackergeräte aus Eisen mit und setzten neue landwirtschaftliche Anbaumethoden wie die ertragreiche Dreifelderwirtschaft ein.[7]

Der Ort wird 1312 urkundlich erwähnt und erhält 1460 das Stadtrecht. Matriken wurden seit 1579 geführt.[8] Ab dem 16. Jahrhundert siedelten Hutterer, die 1622 vertrieben wurden. Der Großteil von ihnen zog nach Siebenbürgen weiter.[9] Bereits vorher bekämpften die Jesuiten, angetrieben von Adam von Dietrichstein, den neuen Glauben. Im Dreißigjährigen Krieg kam es 1619 zu einem Gefecht zwischen Aufständischen und Kaiserlichen auf der Peterswiese. Hierbei sollen an die 3000 Kaiserlichen gefallen sein. Im folgenden Rückzug ließ der kaiserliche Befehlshaber Dampierre das Dorf anzünden. Ab 1662 wurden Grundbücher im Ort geführt. Während der Napoleonischen Kriege wurde Unter-Wisternitz von französischen Truppen heimgesucht, welche große Mengen an Wein requirierten.

Die Bevölkerung von Unter-Wisternitz lebte zum Großteil von der Landwirtschaft. Hierbei nahm der seit Jahrhunderten gepflegte Weinbau eine besondere Rolle ein. Nach der Reblausplage von 1864 nahmen die angebauten Weinbauflächen kontinuierlich ab, so dass um 1945 nur noch ein 1/3 der Fläche von 1880 bebaut wurde.[10] Neben dem üblichen Kleingewerbe besaß Unter-Wisternitz eine herrschaftliche Mühle, einen Ziegelofen, ein Brauhaus und zwei Betonwarenerzeugungen. Die Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr erfolgte im Jahre 1880. Nach der Einführung der Telegrafie in Österreich-Ungarn wurde der Ort im Jahre 1898 an das Telegraphennetz angeschlossen.

Die Ortsbewohner waren 1910 zu mehr als 99 % deutschsprachig. Nach der Gründung der Tschechoslowakei kam es zu einem vermehrten Zuzug von Personen tschechischer Nationalität.[11] Das Münchner Abkommen erzwang 1938 die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich. Bis 1945 gehörte Unter-Wisternitz zum Reichsgau Niederdonau. Im Zweiten Weltkrieg hatte der Ort 44 Opfer zu beklagen. Nach Kriegsende wurden die im Vertrag von Saint-Germain (1919) festgelegten Grenzen wiederhergestellt. Nach Abzug der Roten Armee wurden die Häuser der deutschen Bewohner allmählich von ortsfremden Tschechen in Besitz genommen. Viele flohen über die nahe Grenze nach Österreich. Bei der „wilden“ Vertreibung der Ortsbevölkerung wurden vier Zivilisten getötet.[12] Lediglich acht Unter-Wisternitzer verblieben im Ort. Etwa die Hälfte der Unter-Wisternitzer verbleiben in Österreich, die anderen wurden nach Bayern und Baden-Württemberg transferiert. Vier Personen wanderten in andere europäische Staaten, eine Person in die USA aus.[13][14][15]

Wappen und Siegel

Ein Ortssiegel ist seit 1490 bekannt. Das Siegel besteht aus einem Schild, welches eine Brücke, darüber zwei Weintrauben und darunter zwei Fische abbildet. Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich das Siegel, beinhaltete aber immer die gleichen Figuren. Auch ein identes Wappen ist vorhanden.[16]

Einwohnerentwicklung

Volkszählung Einwohner gesamt Volkszugehörigkeit der Einwohner
Jahr Deutsche Tschechen Andere
1793 630
1836 766
1869 779
1880 752 742 0 10
1890 826 812 1 13
1900 842 835 6 1
1910 771 768 3 0
1921 686 658 10 18
1930 688 642 36 10
1939 633
Quelle: 1793, 1836, 1850 aus: Südmähren von A–Z, Frodl, Blaschka
Sonstige: Historický místopis Moravy a Slezska v letech 1848–1960, sv.9. 1984

Baudenkmäler

Marienstatue
  • Pfarrkirche zum hl. Michael, um 1400 Pfarre urkundlich erwähnt. 1581 Umbau und Erweiterung. 1724–1743 neuerliche Erweiterung mit barocker Umgestaltung durch Ignaz Lengelacher und seine Werkstätte.
  • Pfarrhaus (1850)
  • Marienstatue (1700)[17]
  • Volksschule (Kaiser-Franz-Josef-Jubiläums-Volksschule aus dem Jahre 1898)
  • Schulgebäude (1575, 1812 aufgestockt)

Tourismus

  • Fundstücke der Ausgrabungen in einem Museum im Ort
  • landschaftlich reizvolle Umgebung im Biosphärenreservat Untere Morava
  • Freizeitangebote wie Wassersport und Fischfang

Sagen aus dem Ort

  • Die Feuermannderl
  • Warum hier so viele Felberbam stehen
  • Der Hexentritt von Unter-Wisternitz[18]
  • Hexenumzug
  • Die Goldhenne[19]

Literatur

  • Wilhelm Szegeda: Heimatkundliches Lesebuch des Schulbezirks Nikolsburg, 1935, approbierter Lehrbehelf, Lehrerverein Pohrlitz Verlag, Unter-Wisternitz Seite 97
  • Georg Dehio, Karl Ginhart: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler in der Ostmark. Band 1: Wien und Niederösterreich. 2. Auflage, Wien 1941, Unter-Wisternitz Seite 471.
  • Bruno Kaukal: Die Wappen und Siegel der südmährischen Gemeinden, 1992
  • Gerald Frodl, Walfried Blaschka: Kreis Nikolsburg von A–Z. 2006, Unter-Wisternitz Seite 13,
  • Alfred Schickel, Gerald Frodl: Geschichte Südmährens. Band 3: Die Geschichte der deutschen Südmährer von 1945 bis zur Gegenwart. Südmährischer Landschaftsrat, Geislingen an der Steige 2001, ISBN 3-927498-27-0, S. 210, 232, 409, 421, 422, 553, 573 (Unter-Wisternitz).
  • Franz Josef Schwoy: Topographie vom Markgrafthum Mähren. 1793, Unter-Wisternitz Seite 445
  • Karl Absolon: Die Erforschung der diluvialen Mammutjäger-Station von Unter-Wisternitz an den Pollauer Bergen in Mähren. (1938)
  • Karl Jüttner: Ein burgwallzeitiges Gräberfeld bei Unter-Wisternitz. 1941
  • Bohuslav Klíma: Dolní Věstonice (1963)
  • Anton Kreuzer: Das Gefecht bei Unter-Wisternitz am 5. August 1619
  • Adalbert Oberleitner: Unter-Wisternitz im Wandel der Zeiten. 1967
  • Ilse Tielsch-Felzmann: Südmährische Sagen. 1969, München, Verlag Heimatwerk
  • Wenzel Max: Thayaland, Volkslieder und Tänze aus Südmähren, 1984, Geislingen/Steige
  • Felix Bornemann: Kunst und Kunsthandwerk in Südmähren. 1990, Unter-Wisternitz Seite 37
  • Felix Ermacora: Die sudetendeutschen Fragen, Rechtsgutachten, Verlag: Langen Müller, 1992, ISBN 3-7844-2412-0
  • Emilia Hrabovec: Vertreibung und Abschub. Deutsche in Mähren 1945–1947, Frankfurt am Main, Bern, New York, Wien (in Wiener Osteuropastudien. Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa Instituts), 1995 und 1996.
  • Archiv Mikulov: Odsun Němců – transport odeslaný dne 20. května 1946
  • Rudolf Grulich: Organisierte Vertreibung. Folge 8/2005, Mitteilungsblatt, März 2006
Commons: Dolní Věstonice – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. http://www.uir.cz/obec/584436/Dolni-Vestonice
  2. Český statistický úřad – Die Einwohnerzahlen der tschechischen Gemeinden vom 1. Januar 2023 (PDF; 602 kB)
  3. Erik Trinkaus und Jiri Svoboda (Hrsg.): Early Modern Human Evolution in Central Europe: The People of Dolní Vestonice and Pavlov. Oxford University Press, 2005, ISBN 978-0-19-516699-6.
  4. Emanuel Vlček: Die Mammutjäger von Dolní Věstonice - Anthropologische Bearbeitung der Skelette aus Dolní Věstonice und Pavlov. Archäologie und Museum Heft 022, Liestal/Schweiz, 1992, ISBN 3-905069-17-2
  5. Leopold Kleindienst: Die Siedlungsformen, bäuerliche Bau- und Sachkultur Südmährens 1989, ISBN 3-927498-09-2
  6. Hans Zuckriegl: Wörterbuch der südmährischen Mundarten. Ihre Verwendung in Sprache, Lied und Schrift. 25,000 Dialektwörter, 620 S. Eigenverlag. 1999.
  7. http://www.planet-wissen.de/kultur/mitteleuropa/geschichte_tschechiens/pwiedeutscheintschechien100.html
  8. Generalvikariat Nikolsburg: Kirchlicher Handweiser für Südmähren, Onlinesuche über das Landesarchiv Brünn. Acta Publica Registrierungspflichtige Online-Recherche in den historischen Matriken des Mährischen Landesarchivs Brünn (cz, dt). Abgerufen am 10. April 2011.
  9. Längin: Die Hutterer, 1986, S. 237
  10. Hans Zuckriegl: Ich träum' von einem Weinstock, Kapitel 7, S. 263.
  11. Johann Wolfgang Brügel: Tschechen und Deutsche 1918 – 1938, München 1967
  12. Walfried Blaschka, Gerald Frodl: Der Kreis Nikolsburg von A-Z, Südmährischer Landschaftsrat, Geislingen an der Steige, 2006, S. 216.
  13. Cornelia Znoy: Die Vertreibung der Sudetendeutschen nach Österreich 1945/46, Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie, Geisteswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, 1995
  14. Brunnhilde Scheuringer: 30 Jahre danach. Die Eingliederung der volksdeutschen Flüchtlinge und Vertriebenen in Österreich, Verlag: Braumüller, 1983, ISBN 3-7003-0507-9
  15. Alfred Schickel, Gerald Frodl: Geschichte Südmährens. Band III. Maurer, Geislingen/Steige 2001, ISBN 3-927498-27-0, Unter-Wisternitz 210, 232, 409, 421, 422, 553, 573.
  16. Liechtenstein-Archiv Wien/Vaduz, 1312/1336, 1414, 1490; Codex diplomaticus et episotlaris Moraviae VII/1; Statní oblastní archiv, Brno D 6/38, D 7/411, G 140/345; Okresní archiv Lundenburg;
  17. Johann Zabel: Kirchlicher Handweiser für Südmähren, 1941, Generalvikariat Nikolsburg, Unter-Wisternitz S. 39
  18. Hans Zuckriegl: Im Märchenland der Thayana, 2000, Eigenverlag, S. 179f
  19. Adalbert Oberleitner, Josef Matzura: Südmährische Sagen, 1921, S. 122fer
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