Ereignis

Ein Ereignis (aus althochdeutsch irougen, neuhochdeutsch eräugen „vor Augen stellen, zeigen“)[1] ist im allgemeinen Sinn eine Situation, die durch Dynamik oder Veränderung gekennzeichnet ist. Das Gegenteil eines Ereignisses ist ein „Zustand“: eine Situation ohne Veränderung oder Dynamik. Eine klassische Definition ist, dass ein Ereignis (minimal) darin besteht, dass ein Übergang von einem Zustand in einen anderen Zustand stattfindet.[2]

Im ursprünglichen Sinne des deutschen Wortes „Ereignis“ wäre es ein Geschehen, das vor Augen tritt und eräugt wird (ein „Eräugnis“); es ist in vielen Verwendungen des Wortes ein wichtiger Aspekt, dass ein Ereignis etwas ist, das beobachtet wird. Jedoch wird von der Beobachtung eines Ereignisses auch dann gesprochen, wenn es auf anderem Wege erfahren wird als nur visuell.

Astronomie

Ein astronomisches Ereignis ist ein am Himmel zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindendes Phänomen. Manche astronomischen Ereignisse treten mit hoher Regelmäßigkeit ein, wie die Mondphasen. Andere astronomische Ereignisse unterliegen keinen direkten Periodizitäten, wie Okkultationen durch Planeten. Nicht alle astronomischen Ereignisse können vorausgesagt werden.

Chemie

Die Entdeckung einer chemischen Reaktion im Rahmen von labortechnischen Versuchsserien, bei denen chemische Bindungen ein bisher nicht existentes, neues Produkt hervorrufen.

Informatik

Unter einem Ereignis (englisch event) versteht man in der ereignisorientierten Programmierung eine Begebenheit, die – über ein Event-Handler-Programm – eine Aktion und (in deren Folge) ggf. eine Zustandsveränderung auslöst. Diese Ereignisse können Benutzereingaben (Mausklick, Taste, Spracheingabe, Geräteanschluss …) oder Systemereignisse (Zeitpunkt, Fehler, Datenveränderung, Sensor …) sein.

Mathematik

In der Wahrscheinlichkeitstheorie wird ein Zufallsereignis auch Ereignis genannt und in Bezug auf die möglichen Ausgänge oder Ergebnisse eines Zufallsexperiments definiert. Als Ereignis wird eine Zusammenfassung von Ergebnissen bezeichnet, die eine Teilmenge der Ergebnismenge ist und der eine bestimmte Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 zugeordnet werden kann.

Beispiel: Das Zufallsexperiment sei das „Werfen mit einem regulären 6er Würfel“. Mögliche Ergebnisse sind etwa 1 oder 6. Die Ergebnismenge setzt sich aus allen möglichen Ergebnissen zusammen und besteht hier aus {1, 2, 3, 4, 5, 6}. Die Teilmenge {1, 3, 5} dieser Menge bildet dann ein Ereignis, das „Werfen einer ungeraden Zahl“.

Medizin

In der Medizin wird der Begriff vorwiegend im Zusammenhang mit einem unerwünschten oder nachteiligen Geschehen im Rahmen einer Behandlung verwendet: man spricht dann häufig von einem „unerwünschten Ereignis“ (UE). Vielfach findet man auch in der deutschsprachigen Literatur die englische Entsprechung »adverse event« oder »AE«. Unerwünschte Ereignisse werden in der Regel entsprechend Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA) klassifiziert. Insbesondere bei onkologischen Studien wird der Schweregrad unerwünschter Ereignisse oft nach den Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE) eingeteilt.

Der Begriff des unerwünschten Ereignisses wird in zwei Bereichen der Medizin, der Qualitätssicherung und der Arzneimittelforschung, unterschiedlich definiert:

  • In der Qualitätssicherung ist ein UE ein schädliches Geschehen, das eher auf der Behandlung denn auf der Erkrankung beruht.[3] Es kann vermeidbar oder unvermeidbar sein. Die Vermeidung und Verringerung von vermeidbaren unerwünschten Ereignissen (VUE) ist zentraler Bestandteil der Verbesserung der Patientensicherheit. UEs in der Qualitätssicherung können sowohl Patienten als auch Beschäftigte im Gesundheitswesen betreffen.[4] Ein kritisches Ereignis ist in der Qualitätssicherung in der Medizin als ein Ereignis definiert, das zu einem unerwünschten Ereignis führen könnte oder dessen Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht.[3]
  • In der Arzneimittelforschung werden alle UE während der Teilnahme an einer klinischen Studie, unabhängig von ihrem möglichen ursächlichen Zusammenhang oder dem Ausmaß ihres Schadens, aufgezeichnet. UEs werden nur für Probanden oder Patienten erfasst. Der Erfassungszeitraum beschränkt sich nicht auf die Dauer der eigentlichen Behandlung; er umfasst auch eventuelle Vorbereitungs- und Nachbeobachtungsperioden. Die Aufzeichnung enthält u. a. eine Einschätzung des behandelnden Arztes zum Zusammenhang mit der Behandlung sowie zur Ausprägung des UE. § 3 Abs. 8 GCP-V legt fest, was ein schwerwiegendes UE ist (siehe auch: schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis (SUE)). Die rechtliche Definition eines schwerwiegenden Ereignisses im Zusammenhang mit einem Medizinprodukt wurde in § 2 der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) aufgenommen.

Ontologie

In der modernen Philosophie wird zumeist in zwei verschiedenen Kontexten von „Ereignis“ gesprochen:

  • Zum ersten im Kontext der Kontinentalphilosophie bei Existentialisten und Phänomenologen, darunter z. B. Martin Heidegger und diverse französische Philosophen, ebenso im Poststrukturalismus. In dieser Verwendung meint Ereignis, Ereignishaftigkeit u. ä. einen singulären und instantanen Akt, der für Sein, Handeln, Moral oder Erkennen konstitutiv ist. In Alain Badious Werk ist Ereignis der Schlüsselbegriff. Ereignis wird hier begriffen als das Unberechenbare, Unvorhersehbare, dasjenige, was sich in keiner Weise einer bereits bestehenden Ordnung einfügen oder sich aus ihr ableiten lässt. Es ist kein Element der Menge von Elementen, die eine gegebene Situation ausmachen; es ist nicht benennbar, nicht präsentierbar. Es ist eine Singularität, die die jeweilige Situation und alle darauf folgenden in ihrer Bedeutung grundsätzlich ändert.[5]
  • In einem zweiten Kontext, der systematischen Ontologie, wie sie vor allem im Anschluss an Klassiker der analytischen Ontologie betrieben wird, ist damit ein Objekt gemeint, das sich nicht wie ein Gegenstand, sondern wie ein Prozess verhält. Ereignisse in diesem Sinne werden meist nicht als instantan, sondern als zeitlich ausgedehnt verstanden.

Von einigen Theoretikern wird dabei vertreten, dass im Grunde die gesamte Ontologie nicht auf Gegenständen, sondern auf Ereignissen fußen sollte. Beispielsweise, indem argumentiert wird, dass eine wechselseitige Reduzierbarkeit besteht, man aber Ereignisse ohnehin für eine funktionierende Ontologie benötigt und also ohne Gegenstände auskommt, oder, indem argumentiert wird, dass damit ontologische Probleme des qualitativen Wandels bei Objektpersistenz besser zu behandeln sind. Ein klassischer Vertreter einer solchen Ereignisontologie ist beispielsweise Alfred North Whitehead, ein jüngerer Klassiker Donald Davidson.

Die philosophische Konzeption von Ereignissen als eigener Sorte von Entitäten in der Welt, insbesondere nach Donald Davidson, hat einen starken Einfluss auf linguistische Darstellungen der Semantik von Verben genommen und führte zum Entstehen der sog. Ereignissemantik.

Psychologie

Das Ereignis in der Psychologie ist die Erfahrung als das im Gedächtnis registrierte und fortan verfügbare Geschehen einer Situation, in der ein Individuum lebt. Die Speicherung des Ereignisses ist subjektiv und damit im Gedächtnis die Grundlage für Lernprozesse, wie überhaupt für die menschliche Entwicklung grundlegend. Diese Entwicklung (siehe Entwicklungspsychologie) ist ohne Erfahrung(en) (bzw. Ereignisse) nicht denkbar bzw. nicht möglich. Ein menschlicher Organismus ist davon abhängig, Erfahrungen zu machen, insbesondere in der frühen Kindheit; andernfalls erleidet er (Existenz gefährdende) Schädigungen (siehe dazu René A. Spitz).

Recht

Allgemeine Regelungen

Im deutschen Zivilrecht können Ansprüche erlöschen, weil ein bestimmtes Ereignis eingetreten ist. Dazu gehören die auflösende Bedingung nach § 158 Abs. 2 BGB und der Endtermin bei Vereinbarung einer Zeitbestimmung im Sinne von § 163 BGB.

Aber auch der Tod einer Person bei höchstpersönlichen Ansprüchen ist der rechtlich relevante Eintritt eines bestimmten Ereignisses. Dazu gehören etwa das Erlöschen eines Rechtsversprechens nach § 520 BGB, die Beendigung einer persönlichen Dienstverpflichtung wegen Unübertragbarkeit derselben, gemäß § 613 BGB und die Beendigung eines Auftragsverhältnisses nach Auflösung einer Gesellschaft wegen Todes eines Gesellschafters.

Versicherungsrecht

Ereignis ist versicherungsrechtlich der Auslöser, der die Leistungspflicht des Versicherers begründet. Bestandteil des Begriffs Schaden ist das ihn auslösende Ereignis; ein schädigendes Ereignis löst den Versicherungsfall aus. Beim Ereignis handelt es sich um zufällig eintretende, also nicht vorhersehbare Vorkommnisse, deren negative Folgen zu einem Schaden führen. Ereignis ist ein Geschehensablauf,[6] als dessen Folge die Schädigung unmittelbar entstanden ist. Ereignis ist nach § 1 Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) ein plötzlicher und heftiger Geschehensablauf, der in seiner Gesamtheit nicht objektiv voraussehbar ist. Als Schadensereignis im Sinne des § 5 Nr. 1 AHB ist das vor dem Schadenseintritt liegende äußere oder innere Geschehen zu verstehen, von dessen Beginn an der Schadenseintritt in hohem Maße wahrscheinlich ist. Nach § 7 Abs. 2 StVG haftet der Fahrzeughalter nicht bei einem unabwendbaren Ereignis (höhere Gewalt). Dies ist ein Vorfall, der selbst dann nicht zu vermeiden ist, wenn die größtmögliche Sorgfalt angewendet wird. Damit geht der verkehrsrechtliche Sorgfaltsbegriff weit über den des § 276 BGB hinaus.[7] Unabwendbar ist ein Ereignis, das „weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Verrichtungen beruht“ (§ 7 Abs. 2 Satz 1 StVG). Unabwendbar kann auch auf das Verhalten des Verletzten oder eines Tieres zurückzuführen sein. Unfall ist ein von außen auf den Menschen einwirkendes, schädigendes, plötzliches Ereignis. Das Ereignis ist versicherungsrechtlich immer ein negativer Vorgang, positive Vorkommnisse wie das „freudige Ereignis“ (als Umschreibung einer bevorstehenden Geburt) werden hiervon nicht erfasst.

Relativitätstheorie

In der Relativitätstheorie wird ein durch Ort und Zeit festgelegter Punkt der Raumzeit als Ereignis bezeichnet. Die gesamte Beschreibung der Realität fußt auf diesen Ereignissen – was für einige Interpreten eine Ereignisontologie begünstigt.

Systemtheorie

In der soziologischen Systemtheorie bezeichnet Ereignis die zeitpunktbezogene, nicht bestandsfähige Einheit der Differenz von Vorher/Nachher in autopoietischen Systemen. Nach dem Ereignis ist etwas anderes möglich als vorher. Genau dieser Unterschied verleiht den Systemelementen trotz fehlender Dauerhaftigkeit ihre operative Anschlussfähigkeit im Zeitablauf.[8] Beispielsweise bestehen mündliche Äußerungen nur zum Zeitpunkt des Sprechens und sind danach sofort wieder vergangen. Haben nacheinander gesprochene Worte eine Anschlussfähigkeit, dann ergeben sie einen zusammenhängenden Satz. Der Satz kann nur dann entstehen, wenn die einzelnen Ereignisse (hier: Worte) keine dauerhafte Existenz haben.

Veranstaltungen

Das Ereignis wird seit dem Jahrtausendwechsel in der englischen Version „Event“ (Veranstaltung) immer häufiger verwendet. Als Beispiele gelten Eventmanager, Eventtechniker, Eventsafety oder Eventversicherung.

Siehe auch

Literatur

Philosophische Ontologie
  • Martin Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis). Gesamtausgabe III. Abt. Unveröffentlichte Abhandlungen Vorträge – Gedachtes. Bd. 65. 3. Auflage. Klostermann-Verlag, 2003, ISBN 3-465-03281-0.
  • Frank Hofmann: Die Metaphysik der Tatsachen. mentis 2008, ISBN 978-3-89785-610-3.
  • Kuno Lorenz: Ereignis. In: Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2. Auflage. 2005, ISBN 3-476-02012-6, S. 358ff.
  • Uwe Meixner: Die Ersetzung der Substanzontologie durch die Ereignisontologie und deren Folgen für das Selbstverständnis des Menschen. In: Rafael Hüntelmann (Hrsg.): Wirklichkeit und Sinnerfahrung – Grundfragen der Philosophie im 20. Jahrhundert. Verlag J.H. Röll, Dettelbach 1998, S. 86–103. Manuskriptversion online.
  • Marc Rölli (Hrsg.): Ereignis auf Französisch. Von Bergson zu Deleuze. Wilhelm Fink Verlag, München 2004, ISBN 3-7705-3939-7.
  • Dieter Sinn: Ereignis. In: Ritter, Joachim (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie [HWPh]. Bd. 2. Schwabe, Basel 1972, Sp. 608–609 (Etymologie, Leibniz, Nietzsche, Heidegger).
Analytische Philosophie und Ereignissemantik
  • Donald Davidson: The Logical Form of Action Sentences. In: Nicholas Rescher (Hrsg.): The Logic of Decision and Action. University of Pittsburgh Press, Pittsburgh 1967.
  • Terence Parsons: Events in the Semantics of English. MIT Press, Cambridge (MA) 1990, ISBN 0-262-16120-6.

Psychologie

  • René A. Spitz: Hospitalismus I und II. In: Günther Bittner, Edda Harms: Erziehung in früher Kindheit. München 1985, S. 89–122.
Kunst
  • Dominic E. Delarue, Johann Schulz und Laura Sobez (Hrsg.): Das Bild als Ereignis. Zur Lesbarkeit spätmittelalterlicher Kunst mit Hans-Georg Gadamer. Winter Verlag, Heidelberg 2012, ISBN 978-3-8253-6036-8.
Wikiquote: Ereignis – Zitate
Wiktionary: Ereignis – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23. Auflage. De Gruyter, Berlin 1999, ISBN 3-11-016392-6. Eintrag: „ereignen“, S. 229.
  2. Lawrence Lombard: Events. A Metaphysical Study. Routledge, London 1986. Siehe v. a. Kapitel 4.
  3. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin: Glossar Patientensicherheit. (Memento des Originals vom 13. Juli 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.forum-patientensicherheit.de 2006, Zugegriffen am 27. September 2008.
  4. Europarat: Recommendation on management of patient safety and prevention of adverse events in health care. 2006, Zugegriffen am 27. September 2008.
  5. http://www.peter-zeillinger.at/download/05_Zeillinger_Badiou+Paulus_Ereignis_als_Norm.pdf
  6. Hansrudolf Hartung, Die Allgemeine Haftpflichtversicherung, 1957, S. 37
  7. Alfred Müringer, Haftung im Straßenverkehr, 1999, S. 27
  8. C. Baraldi, G. Corsi, E. Esposito: GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Frankfurt am Main 1997, S. 42f.
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