Umami
Mit dem Lehnwort umami (von japanisch うま味 auch 旨味 umami ‚Schmackhaftigkeit‘, zu うまい umai ‚wohlschmeckend, würzig‘ und 味 mi ‚Geschmack‘)[1] wird in der Physiologie eine Qualität des Geschmackssinnes bezeichnet,[2] die neben süß, sauer, salzig und bitter zu den grundlegenden Sinnesqualitäten der gustatorischen Wahrnehmung beim Menschen zählt.
Die Sinnesqualität umami wird meist als herzhafter, würziger oder fleischiger Geschmack beschrieben und als vergleichsweise lange anhaltend empfunden.[3] Die Wahrnehmung eines Umami-Geschmacks kann durch bestimmte Aminosäuren, insbesondere Glutamat und Aspartat, sowie durch Nukleinsäurebausteine wie Guanosinat und Inosinat hervorgerufen werden. Der Qualität umami entsprechen in den Geschmacksknospen der Zunge bestimmte chemorezeptive Sinneszellen. Diese Geschmackszellen besitzen in ihrer Zellmembran spezifische Geschmacksrezeptoren, die aus den beiden Proteinen T1R1 und T1R3 bestehen.[2] Die Sinnesqualität umami hilft bei der Suche nach proteinhaltiger Nahrung. Nicht darunter fällt eine gesonderte Detektion von aus Fetten freigesetzten Fettsäuren.[4][2]
Geschichte
Bereits im fünften Jahrhundert v. u. Z. beschrieb Konfuzius die Verwendung eines fermentierten Würzmittels aus Fleisch, Getreide, Salzwasser und Ethanol in China.[5] Ab etwa 200 v. u. Z. kamen zur Würzung fermentierte Sojabohnen in Gebrauch.[5] Im antiken Rom wurde eine als Garum oder Liquamen bezeichnete Würzsauce, die auch fermentierten Fisch enthielt, ab etwa dem Jahr 200 v. u. Z. eingesetzt.[5][6] Seit dem 15. Jahrhundert wird in Südostasien die würzige Fischsauce alltäglich verwendet.[5]
Die Bezeichnung umami geht zurück auf den japanischen Chemiker Kikunae Ikeda, der aufgrund eigener Geschmackserlebnisse neben den vier Empfindungsvermögen für Ausprägungen des Süßen, Sauren, Salzigen und Bitteren einer Speise noch eine fünfte Grundqualität des Geschmacks vermutete.[7] 1909 schlug er „Umami“ als Benennung für diese vor, nachdem er als deren wesentlichen Geschmacksträger Glutaminsäure identifiziert hatte – im Extrakt von Kombu, einer aus japanischem Blatttang (Laminaria japonica) hergestellten Komponente des traditionellen Dashi.[8]
Noch im selben Jahr begannen Ikeda und ein Geschäftspartner mit der industriellen Produktion von Mononatrium-L-glutamat, gewonnen aus dem Hydrolysat von Weizenproteinen. Das Gluten wurde hierfür unter Einwirkung von Salzsäure hydrolysiert und in seine Aminosäuren aufgespalten, zu über einem Drittel Glutamin und Glutaminsäure.
Das kristallisierte Salz der Glutaminsäure brachten sie als streufähiges Würzmittel unter dem Handelsnamen „Aji-no-moto“ (味の素 ‚Essenz des Geschmacks‘) auf den Markt. Es fand im ostasiatischen Raum wachsenden Zuspruch, ähnlich wie zuvor Maggi in Mitteleuropa. Aus dem Unternehmen ging ein Konzern hervor, der seit 1946 Ajinomoto heißt und heute weltweit agiert.[9] Die ergänzende Wirkung von Purinnukleotiden wie Inosinmonophosphat wurde erstmals 1913 von Shintaro Kodama in Extrakten von Bonitoflocken beschrieben.[10]
Rezeptoren der Geschmackszellen
Die Sinneszellen des Geschmackssinnes enthalten in ihre Zellmembran eingebaute Transmembranproteine, die als Rezeptoren dienen. Bei den Geschmackszellen für umami finden sich spezifische Rezeptorproteine, die aus zwei verschiedenen Proteinen namens T1R1 und T1R3 bestehen und so ein Heterodimer bilden. Dieser Rezeptor ist damit ähnlich dem für die Geschmacksqualität süß gebaut, der aus den Proteinen T1R2 und T1R3 besteht. Beides sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren der Klasse C (C-GPCR). In diesen Heterodimeren bilden sogenannte Venusfliegenfalle-Domänen auf der Zelloberfläche einen besonderen Bereich, der durch Transmembrandomänen in der Zellmembran verankert ist.[11] Der Komplex aus T1R1 und T1R3 erkennt damit einige Nukleotide und Aminosäuren mit hoher Spezifität, neben Asparaginsäure insbesondere Glutaminsäure.[1]
Der Inhibitor Lactisol setzt beim Menschen durch Bindung an T1R3 sowohl die Geschmacksempfindlichkeit für umami als auch für süß herab.[12][13] Ebenso wurden Glucane beschrieben, welche die Dauer des Geschmacks verkürzen.[3]
Daneben gehören zu den Rezeptoren für den Umami-Geschmack auch die metabotropen Glutamatrezeptoren mGluR4 und mGluR1.[14][15] Rezeptoren aus der Gruppe CaSR binden Calciumionen und verstärken die Sinneseindrücke umami, süß und salzig.[16][17] Die Geschmackswahrnehmung nach Aktivierung von CaSR wird als Kokumi bezeichnet.[18]
Geschmackliche Wahrnehmung
Die Signale der Geschmackszellen werden auf Endigungen zugeordneter Nervenzellen übertragen und über deren Fortsätze – als die Geschmacksfasern von Hirnnerven – zum Gehirn weitergeleitet. Die im Markhirn liegenden Kerngebiete (Nucleus tractus solitarii) dienen für den weiteren Verlauf als Umschaltstelle. Von hier aus bestehen Bahnen, über die zum einen via Pons der Hypothalamus und Regionen des limbischen Systems erreicht werden. Zum anderen führen via Thalamus Projektionen zu Arealen des Gyrus postcentralis und der Insula der Großhirnrinde. Erst auf Ebene des Cortex cerebri sind nach gängiger Auffassung Wahrnehmungen möglich, die verbal mitgeteilt werden können, etwa als „schmackhafter“ Eindruck einer Speise. Der Umami-Geschmack verstärkt sowohl den Appetit als auch das Sättigungsgefühl.[19]
Geschmacksauslösende Stoffe
Umgangssprachlich vereinfachend wird von „Glutamat“ gesprochen, jedoch handelt es sich dabei um verschiedene Salze und das Anion der Glutaminsäure, die als Aminosäure ein natürlicher Baustein vieler Proteine in allen Lebewesen ist. Ein Umami-Geschmack wird vornehmlich durch Salze der Glutaminsäure hervorgerufen, genauer durch das in wässriger Lösung daraus entstehende Anion der Glutaminsäure. Glutaminsäure kommt daher sowohl in fleisch-, fisch- und milchhaltigen Lebensmitteln vor wie auch in Gemüse oder Algen. Dabei sprechen die in den zubereiteten Speisen enthaltenen freien Glutamate und in geringerem Umfang die Aspartate die Rezeptoren von Umami-Geschmackszellen an, indem sie daran gebunden werden.[20] Asparaginsäure wirkt etwa ein Viertel so stark wie Glutaminsäure in Bezug auf den Umami-Geschmack.[21]
Bisher wurden 52 Peptide beschrieben, die einen Umami-Geschmack erzeugen.[22] Umami-auslösende Peptide sind hydrophil und enthalten Glutaminsäure oder Asparaginsäure.[18] Die Anionen der vergleichsweise selteneren und nicht in Proteinen vorkommenden Aminosäuren Homocysteinsäure,[23] Cystein-S-sulfonsäure[23] und Ibotensäure[21][23] haben eine ähnliche Wirkung wie Glutamat. Auch Tricholomasäure, die im Pilz Tricholoma muscarium natürlich vorkommt, erzeugt einen Umami-Geschmack.[21][24]
Der hauptsächliche Träger des Umami-Geschmacks ist das freie, durch Proteolyse aus den Proteinen herausgelöste Anion der Aminosäure Glutaminsäure. Glutaminsäure bildet das in wässriger Lösung vorkommende physiologisch relevante Glutamat-Zwitterion. Ihre Salze werden als Glutamate bezeichnet. Das Natriumsalz der Glutaminsäure heißt Mononatriumglutamat (MNG, engl. Monosodium glutamate, MSG), während das Kaliumsalz der Glutaminsäure als Monokaliumglutamat bezeichnet wird. Beide Salze dissoziieren in wässrigen Lösungen zu Natrium-Ionen beziehungsweise Kalium-Ionen und dem Anion der Carbonsäuregruppe der Glutaminsäure. Bei niedrigeren pH-Werten (durch Zugabe von Säuren) nimmt der Umami-Geschmack aufgrund der Protonierung der Carbonsäuregruppe ab.[1] Eine reine Glutamatlösung wird nicht als wohlschmeckend empfunden,[25] sondern erst in Kombination mit Aromen[26] und Kochsalz.[21]
Daneben wirken auch Purin-Ribonucleotide[27] wie das in wässrigen Lösungen vorkommende Inosinmonophosphat (IMP, Inosinat), Guanosinmonophosphat (GMP, Guanosinat) und über den Abbau zu Inosinmonophosphat indirekt auch Adenosinmonophosphat (AMP, Adenosinat) synergistisch verstärkend mit Glutamaten.[20] In trockener Form liegen diese ebenfalls als Natrium- oder Kaliumsalze vor, wie auch das Glutamat und das Aspartat. Zur gustatorischen Wahrnehmung von Glutamaten können verschiedene Typen ähnlich gebauter Geschmacksrezeptoren in den Geschmackszellen der Zunge beitragen. Der Schmackhaftigkeits-Eindruck von Glutamat wird durch diese Purine verstärkt, da sie ebenfalls am Glutamat-Rezeptor andocken.[11][28][29]
Die maximale Umami-Geschmackswirkung einer Mischung von Mononatriumglutamat und Natriuminosinmonophosphat wird zwischen 30 und 70 % eines der beiden Bestandteile erreicht.[28] Ohne eine Zugabe von Inosinmonophosphat liegt die untere Wahrnehmungsgrenze einer wässrigen Lösung von Mononatriumglutamat bei 0,12 g/L.[28] In Anwesenheit von 2,5 g/L (entsprechend 5 mM) Inosinmonophosphat liegt die untere Wahrnehmungsgrenze einer wässrigen Mononatriumglutamatlösung bei 0,0019 g/L.[28]
Hinsichtlich anderer Geschmacksqualitäten als umami wirken Glutamate nicht verstärkend, wenn sie in Kombination mit anderen geschmacksauslösenden Stoffen verwendet werden.[26] Tatsächlich können sich Glutamat beziehungsweise GMP und IMP abschwächend auf manche anderen Geschmacksrichtungen auswirken. So erhöht eine wässrige 5 mM Mononatriumglutamatlösung die untere Wahrnehmungsgrenze für Säuren um etwa das Doppelte, eine wässrige 5 mM Inosinmonophosphatlösung erhöht sie um etwa das Dreißigfache und die für Bitterstoffe um etwa das Vierfache.[28]
Siehe auch
Literatur
- Michael Anthony, Heston Blumenthal, Alexandre Bourdas, Virgilio Martínez Véliz, David Kinch: Umami. Kodansha USA, 2014, ISBN 978-4-88996-391-5.
- Heiko Antoniewicz, Michael Podvinec, Nikolai Wojtko: Umami. Tre Torri, Wiesbaden 2018, ISBN 978-3-96033-044-8.
- Q. Chen, S. Alarcon, A. Tharp, O. Ahmed, N. Estrella, T. Greene, J. Rucker, P. Breslin: Perceptual variation in umami taste and polymorphisms in TAS1R taste receptor genes. In: American Journal of Clinical Nutrition. Band 90, Nr. 3, September 2009, S. 770–779; doi:10.3945/ajcn.2009.27462N, PMC 3136006 (freier Volltext).
Einzelnachweise
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- Stefan Silbernagl, Agamemnon Despopoulos: Taschenatlas Physiologie. 8. Auflage. Thieme, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-13-567708-8, S. 360 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- M. Imamura, K. Matsushima: Suppression of umami aftertaste by polysaccharides in soy sauce. In: Journal of food science. Band 78, Nummer 8, August 2013, S. C1136–C1143, doi:10.1111/1750-3841.12195, PMID 23957398.
- F. Laugerette u. a.: CD36 involvement in orosensory detection of dietary lipids, spontaneous fat preference, and digestive secretions. In: J Clin Invest. 115, Nr. 11, 2005, S. 3177–3184, ISSN 0021-9738 PMC 1265871 (freier Volltext).
- Yoshiko Yoshida: Umami taste and traditional seasonings. In: Food Reviews International. 14, 1998, S. 213–246, doi:10.1080/87559129809541158.
- Miro Smriga, Toshimi Mizukoshi, Daigo Iwahata, Sachise Eto, Hiroshi Miyano, Takeshi Kimura, Robert I. Curtis: Amino acids and minerals in ancient remnants of fish sauce (garum) sampled in the “Garum Shop” of Pompeii, Italy. In: Journal of Food Composition and Analysis, 2010. Band 23, Heft 5, S. 442–446.
- E. Nakamura: One hundred years since the discovery of the "umami" taste from seaweed broth by Kikunae Ikeda, who transcended his time. In: Chemistry, an Asian journal. Band 6, Nummer 7, Juli 2011, S. 1659–1663, doi:10.1002/asia.201000899, PMID 21472994.
- K. Ikeda: New seasonings. (japan.) In: Journal of the Chemical Society of Tokyo. Band 30, 1909, S. 820–836. Englische teilweise Übersetzung in Chemical Senses. Band 27, Nr. 9, November 2002, S. 847–849; doi:10.1093/chemse/27.9.847, PMID 12438213.
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- M. Zhao, X. Q. Xu, X. Y. Meng, B. Liu: The Heptahelical Domain of the Sweet Taste Receptor T1R2 Is a New Allosteric Binding Site for the Sweet Taste Modulator Amiloride That Modulates Sweet Taste in a Species-Dependent Manner. In: Journal of molecular neuroscience : MN. [elektronische Veröffentlichung vor dem Druck] August 2018, doi:10.1007/s12031-018-1156-5, PMID 30120716.
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