Twój Ruch
Twój Ruch (deutsch Deine Bewegung oder Du bist am Zug, kurz TR) ist eine politische Partei in Polen, welche im Juni 2011 als Palikot-Bewegung (polnisch Ruch Palikota, kurz RP) gegründet wurde und linksliberale, antiklerikale, progressivistische Positionen verfolgt.
Twój Ruch Deine Bewegung | |
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Parteivorsitzender | Marzenna Karkoszka, Kamil Żebrowski |
Gründung | 1. Juni 2011 (RP) 6. Oktober 2013 (TR) |
Hauptsitz | Ulica Nowy Świat 39, 00-029 Warschau |
Abkürzung | TR |
Ausrichtung | Antiklerikalismus, Progressivismus, Linksliberalismus |
Farbe(n) | Blau Orange |
Jugendorganisation | Ruch Młodych |
Mitgliederzahl | ca. 200 (2019)[1] |
EP-Fraktion | ehemals S&D |
Website | www.twojruch.eu |
Bei der Parlamentswahl 2011 wurde sie auf Anhieb drittstärkste Kraft, ist allerdings seit der Parlamentswahl 2015 in der Bedeutungslosigkeit versunken.
Geschichte
Entstehung
Initiator der Partei Twój Ruch ist der in Polen vor allem durch unkonventionelle Medienauftritte bekannte Unternehmer und Politiker Janusz Palikot, der bereits von 2005 an für die Partei Platforma Obywatelska (deutsch: Bürgerplattform) Abgeordneter im polnischen Parlament war und dort zum linksliberalen Flügel gezählt wurde. 2010 gründete Palikot die linksliberale Bürgerbewegung Nowoczesna Polska (deutsch: Modernes Polen) und kündigte seinen Austritt aus der Bürgerplattform an.[2] Im selben Jahr gründete er des Weiteren die nach ihm benannte Bewegung zur Unterstützung von Palikot (polnisch: Ruch Poparcia Palikota) und legte im Jahr darauf vorzeitig sein Mandat als Abgeordneter des Sejm nieder, um schließlich am zuständigen Gericht die nach ihm benannte Partei Ruch Palikota zu registrieren.[3]
Mitte 2013 kam es zu einem formalen Zusammenschluss der Partei RP mit der für mehr europäische Integration einstehenden Bürgerinitiative Europa Plus des ehemaligen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski. Kurz darauf schlossen sich auch Funktionäre der beiden sozialdemokratischen Parteien Racja und Polska Partia Pracy dem Bündnis an. Im Laufe des Jahres sind zahlreiche Mitglieder der Parteien Demokraci (deutsch: Demokraten) und Socjaldemokracja Polska (deutsch: Sozialdemokratie Polens), sowie parteilose Politiker, wie der ehemalige Innenminister Ryszard Kalisz, hinzugekommen.
Nach Umbenennung der Partei in Twój Ruch im Oktober 2013 rückte das Konzept des Euro-Föderalismus verstärkt in den Fokus. Langfristig sollte die Partei zudem eine ernst zunehmende Alternative für die bisher etablierten, jedoch vergleichsweise mitgliederschwachen Parteien des Mitte-links-Lagers darstellen. Unterstützt wurde sie dahingehend auch vom ehemaligen Premier Włodzimierz Cimoszewicz.[4]
Parlamentswahlen 2011 und 2015
Bei den Parlamentswahlen 2011 kam die Partei auf 10,0 Prozent der Stimmen und wurde somit zur dritte Kraft im Sejm.[5]
Nur sehr wenige der neuen Abgeordneten waren vor dem Wahlkampf der polnischen Öffentlichkeit bekannt. Eine Ausnahme stellten der LGBT-Aktivisten Robert Biedroń, welcher der erste offen schwule Abgeordnete im Sejm war, die Feministin Wanda Nowicka und die erste trans Person im polnischen Parlament, Anna Grodzka, dar. Insbesondere in jüngeren, großstädtischen Wählergruppen erhielt die Partei starke Zustimmung. Ein Drittel ihrer Wählerschaft war jünger als 29 Jahre.
Der Soziologe Radosław Markowski sagte zum Wahlerfolg der Partei, dass die etablierten und konservativen Parteien des Landes keine Antworten auf gegenwärtige Fragen liefern könnten, die mittlerweile viele Menschen in Polen bewegen würden. Zudem blieben viele politisch links orientierte Wähler bis zuletzt „heimatlos“, da die sozialdemokratische Partei Sojusz Lewicy Demokratycznej für viele Polen wegen der kommunistischen Vergangenheit eines Teils ihrer Funktionäre nicht wählbar sei. Der ehemalige Präsident Lech Wałęsa begrüßte, dass jemand wie Janusz Palikot das Parlament „durchlüften“ wolle und der Publizist Jerzy Urban bescheinigte der Partei eine „politische Zukunft“, da sie Teil einer breiten Protestbewegung sei, die sich in Europa und Nordafrika etabliert habe.[6]
Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2015 kandidierte Parteichef Palikot selbst und erhielt 1,42 % der Wählerstimmen.
Aufgrund sehr niedriger Umfragewerte für die bevorstehenden Parlamentswahlen im Herbst 2015 wurde im Juli gemeinsam mit der SLD und anderen linken Parteien das Wahlbündnis Zjednoczona Lewica (deutsch: Vereinigte Linke) gegründet. Ko-Parteivorsitzende Barbara Nowacka wurde Spitzenkandidatin dieses Koalition. Jedoch verpasste das Bündnis mit 7,55 % knapp den Einzug in den Sejm, womit erstmals in der polnischen Geschichte keine dezidiert linke Kraft im Sejm vertreten ist.
Entwicklung seit 2015
Ende Februar 2016 stellte Barbara Nowacka der Öffentlichkeit mit anderen – teils ehemaligen – Mitgliedern linker Gruppierungen die neue politische Vereinigung Inicjatywa Polska (deutsch: Initiative Polen) vor. Das Projekt Vereinigte Linke ist damit endgültig beendet.[7] Andere Mitglieder engagierten sich ab 2018 wiederum bei der neu entstehenden Partei Wiosna, welche programmatisch ähnlich ausgerichtet ist.[8]
Auf dem Partei-Kongress am 2. März 2019 übernahmen Marzenna Karkoszka und Kamil Żebrowski den Ko-Vorsitz,[9] während Palikot sich endgültig aus der aktiven Politik zurückzog, wie er es zuvor am 31. Dezember 2017 Palikot auf seinem Blog verkündet hatte.[10]
Zu den Parlamentswahlen 2019 kandidiert TR zusammen mit anderen linken Parteien wie Wiosna und Lewica Razem auf den Listen der SLD.[11]
Positionen
In den Medien wurde die Partei bisher oft als „Protestpartei“, „antiklerikal“ oder „radikal-liberal“ beschrieben.[12][13][14][15] In ihrem Wahlkampf zur Parlamentswahlen 2011 plädierte sie unter anderem „für einen weltlichen Staat ohne Einmischung der Kirche“, ein liberaleres Abtreibungsgesetz, die Zulassung der künstlichen Befruchtung nach der In-vitro-Methode, die Legalisierung weicher Drogen und kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln und dem Internet.[16]
Des Weiteren fordert Twój Ruch eine Stärkung der Rechte von Homosexuellen und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.[17] In Bezug auf die Trennung von Kirche und Staat sollen finanzielle Mittel für Bistümer gestrichen und die Benotung des freiwilligen Religionsunterrichtes in Schulen abgeschafft werden.[18] Statt einer staatlichen Parteienfinanzierung solle ein Teil der Steuer auf Wunsch zugunsten einer bestimmten Partei oder kirchlichen Gemeinschaft entrichtet werden können. Zudem fordert die Partei eine Senkung der Staatsverschuldung, eine Halbierung der Verteidigungsausgaben, Erleichterungen für kleinere Unternehmen und eine Einheitssteuer.
In einem Interview mit der Newsweek äußerte sich Janusz Palikot außerdem in Bezug auf die Außenpolitik Polens für einen Schulterschluss mit Deutschland und für eine „Lockerung des Bündnisses mit den USA“.[19]
Weblinks
- Offizielle Internetpräsenz der Partei (polnisch)
- Analyse der Forschungsstelle Osteuropa (PDF-Datei; 971 kB)
- Analyse der Heinrich-Böll-Stiftung (engl.)
Einzelnachweise
- (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Juli 2023. Suche in Webarchiven)
- Harte Töne gegen Polens Eliten (Memento vom 7. Oktober 2010 im Internet Archive), SF Tagesschau vom 3. Oktober 2010, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Palikot zakłada zespół i nie chce w nim PO (Memento vom 25. August 2010 im Internet Archive), dziennik.pl vom 24. August 2010, abgerufen am 15. Oktober 2011
- http://wiadomosci.dziennik.pl/polityka/artykuly/423309,cimoszewicz-deklaruje-ze-mogly-wystartowac-do-pe-z-kwasniewskim.html
- Amtliches Endergebnis der Parlamentswahlen in Polen 2011 (PDF; 2,7 MB), Presspublica vom 13. Oktober 2011, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Junge Großstädter als Wähler, ORF vom 10. Oktober 2011, abgerufen am 14. Oktober 2011
- “Inicjatywa Polska” – nowe lewicowe stowarzyszenie, Bericht auf Interia.pl vom 20. Februar 2016 (polnisch)
- Wiosna Biedronia powstała na gruzach starych partii Janusza Palikota. 4. Februar 2019, abgerufen am 2. Oktober 2019 (polnisch).
- http://twojruch.eu/nowi-wspolprzewodniczacy-twojego-ruchu/
- "Podjąłem tę decyzję, aby ostatecznie rozstać się z polityką". Abgerufen am 2. Oktober 2019.
- Ruchy miejskie mogą nie pójść do wyborów z Lewicą. Śpiewak: próby podjęcia rozmów są zbywane - Polsat News. Abgerufen am 2. Oktober 2019 (polnisch).
- Antiklerikale überraschen bei Wahlen in Polen, ORF vom 10. Oktober 2011, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Die Dritte Republik stabilisiert sich – Polen vor der Parlamentswahl 2011 (PDF; 268 kB), Friedrich-Ebert-Stiftung vom 11. Oktober 2011, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Entspannter, offener, freizügiger, TAZ vom 10. Oktober 2011, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Gelingt der amtierenden Regierung die Wiederwahl?, Focus vom 9. Oktober 2011, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Tusk ist der klare Wahlsieger, n-tv vom 9. Oktober 2011, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Tusk beginnt Koalitionsgespräche, n-tv vom 10. Oktober 2011, abgerufen am 15. Oktober 2011
- Tusk schlägt Kaczynski, Süddeutsche Zeitung vom 9. Oktober 2011, abgerufen am 14. Oktober 2011
- Partei für Skandale, Extravaganz und Übertreibung, Welt Online vom 8. Oktober 2011, abgerufen am 16. Oktober 2011