Transzendentaltheologie

Transzendentaltheologie ist ein zur Mitte des 20. Jahrhunderts in der katholischen Theologie vor allem durch Maréchal und Rahner ausgearbeiteter methodischer Ansatz. Dabei wird die transzendentalphilosophische (transzendental von lat. transcendere „überschreiten“, und zwar im Sinne Kants nicht auf ein Jenseits hin, sondern auf die Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis hin) Methode von deren Reflexion der Verstandeserkenntnis übertragen auf die Reflexion des Glaubensaktes. Fragt die Transzendentalphilosophie im Gefolge Kants nach Bedingungen der Möglichkeit von reinen Verstandeserkenntnissen, fragt die Transzendentaltheologie nach anthropologischen Möglichkeitsbedingungen religiösen Glaubens.

Abgrenzung zur Transzendentalphilosophie

Der Transzendentaltheologie geht es nicht darum, einen Gottesbeweis zu führen, sondern darum, darzulegen, wie eine religiöse Erfahrung überhaupt einen Wahrheitsanspruch haben kann. Dazu muss erklärt werden, wie Gott im Diesseits erkannt werden kann, obgleich sein Wesen die sinnliche Wirklichkeit transzendiert (überschreitet) – und doch zugleich begründen soll.

„Was wir transzendentale Erkenntnis oder Erfahrung Gottes nennen, ist […] insofern eine aposteriorische Erkenntnis als die transzendentale Erfahrung des Menschen von seiner freien Subjekthaftigkeit sich immer nur in der Begegnung mit der Welt und vor allem der Mitwelt ereignet. […] Dennoch ist die Erkenntnis Gottes eine transzendentale, weil die ursprüngliche Verwiesenheit des Menschen auf das absolute Geheimnis ein dauerndes Existential des Menschen als eines geistigen Subjektes ist.“

Karl Rahner: Grundkurs des Glaubens, 1976, S. 61

Für die kantische und idealistische Transzendentalphilosophie ist das „Ich denke“ ein erstes Fundament. Die damit gegebenen Voraussetzungen sind Möglichkeitsbedingung und Grenze von Erkenntnis. Für die Transzendentaltheologie dagegen ist der religiöse Glaube als Verstehenshorizont menschlicher Existenz konstitutiv. Denn vorausgesetzt wird, dass Gott sich die Offenheit des Menschen für seine Wirklichkeit als Bedingung der Möglichkeit seiner Erkenntnis selbst gesetzt hat.

Relevanz

Karl Rahner bewegt sich also von einer Reflexion der Erkenntnisbedingungen hin zu einer Reflexion der Verstehensbedingungen menschlicher Existenz. Die allgemeinen Strukturen menschlicher Existenz, „Existentiale“ genannt, sind dabei ein breiterer Zugang zur menschlichen Wirklichkeit als es die von Kant erhobenen Möglichkeitsbedingungen theoretischer und praktischer Vernunfturteile sind. Für die Theologie vollzieht dies eine sogenannte anthropologische Wende, was meint: nicht mehr die Ontologie (Lehre vom Sein), sondern die Theoriefindung bezüglich des Menschlichen ist die Grundlage der theologischen Interpretation. Dabei können historische und existenzielle Voraussetzungen berücksichtigt werden. Dies erlaubt auch eine andere Qualität von Brückenschlag zu atheistischen und anderen religiösen Weltverständnissen. Denn der Ausgangspunkt in der Anthropologie ermöglicht eine Differenz im Verstehenshorizont und in den konkreten Strukturen menschlichen In-der-Welt-Seins. So wird z. B. bei Rahner menschliche Erlösung verstanden als Annahme des Geheimnisses seiner Existenz. Diese geschieht nicht nur im explizit christlichen Leben, sondern auch implizit in einem Leben, das sich vor anderen Hintergründen vollzieht.

Siehe auch

Literatur

  • Rudolf Heinz: Französische Kantinterpreten im 20. Jahrhundert, Saarbrücken 1964 (Mainzer philosophische Forschungen. Band 5)
  • Reinhard Hoeps / Thomas Ruster (Hg.): Mit dem Rücken zur Transzendentaltheologie. Theologische Passagen, Zum 65. Geburtstag von Hans Jorissen, Würzburg 1991.
  • W. J. Hoye: Transzendentaltheologie, in: Evangelisches Kirchenlexikon, 3. Aufl., Bd. 4 (1996), 941–943.
  • Nikolaus Knoepffler: Der Begriff „transzendental“ bei Karl Rahner. Zur Frage seiner Kantischen Herkunft, Tyrolia-Verlag, Innsbruck/Wien 1993, ISBN 3-7022-1880-7.
  • Karsten Kreutzer: Transzendentales versus hermeneutisches Denken. Zur Genese des religionsphilosophischen Ansatzes bei Karl Rahner und seiner Rezeption durch Johann Baptist Metz, Regensburg 2002.
  • Otto Muck: Die transzendentale Methode in der scholastischen Philosophie der Gegenwart, Innsbruck: Rauch 1964.
  • Gerd Neuhaus: Transzendentale Erfahrung als Geschichtsverlust? Der Vorwurf der Subjektlosigkeit an Rahners Begriff geschichtlicher Existenz und eine weiterführende Perspektive transzendentaler Theologie, Patmos Verlag, Düsseldorf 1982, ISBN 3-491-71057-X (zugl. Univ.-Diss. 1981)
  • Mechthild Pfaffelhuber: Die Kant-Rezeption bei Marechal und ihr Fortwirken in der katholischen Religionsphilosophie, 1970.
  • Karl Rahner: Grundkurs des Glaubens, 1976.
  • Ders.: Art. Transzendentaltheologie, in: Sacramentum Mundi, Band 4, 986–992, auch in: Ders.: Enzyklopädische Theologie. Die Lexikonbeiträge der Jahre 1956–1973, bearb. v. Herbert Vorgrimler, Freiburg; Basel; Wien 2002 (Sämtliche Werke 17/2), 1332–1337; und in: Herders theologisches Taschenlexikon, Bd. 7, Freiburg 1973, S. 324–329.
  • Tobias Trappe: Art. Scholastik, II. In: TRE Band 30, 366–370.
  • Hansjürgen Verweyen: Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheologie, Patmos Verlag, Düsseldorf 1991, S. 156 ff. und passim
  • Hansjürgen Verweyen: Wie wird ein Existential übernatürlich? Zu einem Grundproblem der Anthropologie K. Rahners, In: Trierer theologische Zeitschrift 95 (1986), S. 115–131.
  • Aloysius Winter: Der andere Kant. Zur philosophischen Theologie Immanuel Kants, Mit einem Geleitwort v. Norbert Hinske, Hildesheim-Zürich-New York 2000.
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