Theodor Wonja Michael

Theodor Wonja Michael (* 15. Januar 1925 in Berlin; † 19. Oktober 2019 in Köln) war ein deutscher Schauspieler, Journalist, Beamter des Bundesnachrichtendienstes und einer der wenigen afrodeutschen Zeitzeugen des Nationalsozialismus.

Theodor Wonja Michael, 26. Juni 2014

Leben

Theodor Wonja Michael wurde 1925 in Berlin als jüngster Sohn des Kameruner Kolonialmigranten Theophilius Wonja Michael und dessen deutscher Ehefrau Martha (geb. Wegner) geboren. Er hatte drei Geschwister: James (1916–2007), Juliana (1921–2013) und Christiane.[1] Ihre Eltern heirateten 1915 in Berlin. Der Vater Theophilius Wonja Michael wurde am 14. Oktober 1879 in Viktoria (heute Limbe, Kamerun) geboren. Er kam aus einer Baptisten-Familie und war der Sohn des Farmers James Michael und seiner Ehefrau Christine Wilson.[2] Die Mutter kam aus einer Handwerker- und Kleinbauernfamilie aus Jersitz bei Posen.[3]

Als seine Mutter 1926 starb, wuchs er als Halbwaise bei Pflegeeltern auf, die Betreiber einer Völkerschau waren und ihn dort ab 1927, zweijährig, als Komparsen einsetzten. 1934 starb sein Vater und die Geschwister wurden getrennt. Obwohl er die Volksschule 1939 abschloss, konnte er aufgrund der Nürnberger Rassengesetze keine Ausbildung beginnen. Er arbeitete zunächst als Portier im Berliner Hotel Excelsior nahe dem Anhalter Bahnhof, wurde aber aufgrund einer Beschwerde eines Gastes über seine Hautfarbe entlassen.[4] Seine deutsche Staatsbürgerschaft wurde ihm aberkannt und er wurde staatenlos. In die Wehrmacht wurde er aufgrund seiner Hautfarbe nicht eingezogen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich als Zirkusdarsteller und als Komparse in Kolonialfilmen der UFA. Bis 1942 entstanden im Auftrag des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda etwa 100 Kolonialfilme, die die deutsche Kolonialzeit glorifizierten. Die Filme wurden in Deutschland mit schwarzen Darstellern gedreht und boten schwarzen Deutschen und afrikanischen Migranten Beschäftigung und Schutz vor Verfolgung. Auch Kriegsgefangene wurden eingesetzt. Über die Intention der Filme war sich Theodor Wonja Michael im Klaren: „Wir waren die Mohren, die man da brauchte. Für uns war das eine Existenzfrage.“[1] Er spielte außerdem in dem Film Münchhausen (mit Hans Albers u. a.) eine Statistenrolle. 1943 wurde er zur Zwangsarbeit verpflichtet und bis zur Befreiung durch die Rote Armee im Mai 1945 in einem Arbeitslager in der Nähe von Berlin interniert.

Nach 1945 arbeitete er als Zivilangestellter bei den US-amerikanischen Besatzungstruppen und übernahm Rollen als Schauspieler. Er holte das Abitur mit dem Studium an der Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg nach und studierte u. a. Politikwissenschaften in Hamburg und Paris mit Abschluss als Diplom-Volkswirt.[5][6] Zu seinen akademischen Lehrern gehörte Ralf Dahrendorf.[4] Danach arbeitete er als Journalist und wurde Chefredakteur der Zeitschrift Afrika-Bulletin. Auch war er u. a. Regierungsberater der SPD und als Lehrbeauftragter für die Deutsche Stiftung für Internationale Zusammenarbeit tätig.[7][8][9]

Er begann 1971 eine Laufbahn im höheren Dienst beim Bundesnachrichtendienst (BND). Bei Eintritt in den Ruhestand im Jahr 1987 hatte er als Beamter das Amt eines Regierungsdirektors erreicht. Nach eigenen Angaben war er mit seiner Tätigkeit für den BND zugleich der erste Schwarze in einer Laufbahn des höheren Dienstes in Deutschland.[10] Über seinen Aufgabenbereich beim BND wahrte er bis zuletzt Stillschweigen.[11] Außerdem übernahm er immer wieder qualifizierte Schauspielrollen in Theater, Film, Fernsehen und Radio und beherrschte das Puppenspiel. Seine Geschwister Juliana und James fand er erst in den 1960er Jahren wieder. Später lebte er in Köln, gründete eine Familie und war ein aktives Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).[12]

Theodor Wonja Michael als Ehrengast bei der Eröffnungsrede des BIGSAS Festival Afrikanischer und Afrikanisch-Diasporischer Literaturen im Alten Schloss Bayreuth, 26. Juni 2014

Anlässlich der Veröffentlichung seiner Autobiografie Deutsch sein und schwarz dazu: Erinnerungen eines Afro-Deutschen, in der er insbesondere seine Identität als Afrodeutscher behandelte, hatte er zahlreiche Lesungen, zum Beispiel 2014 an der Universität Bayreuth beim BIGSAS Festival Afrikanischer und Afrikanisch-Diasporischer Literaturen[13] sowie Fernsehauftritte, u. a. in den Sendungen Das Blaue Sofa und Markus Lanz.[14]

Theodor Wonja Michael starb 2019 im Alter von 94 Jahren. Er wurde in der Familiengrabstätte auf dem Friedhof in Volkhoven/Weiler beigesetzt.[15]

Ehrungen

2018 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande für sein Engagement als Zeitzeuge ausgezeichnet.[16][17] Am 22. Oktober 2021 würdigte Google Theodor Wonja Michael mit einem eigenen Google Doodle.[18][19]

Theodor Wonja Michael Bibliothek

Im Februar 2022, während des Black History Month, eröffnete in Köln die nach ihm benannte Theodor Wonja Michael Bibliothek.[20] Diese enthält als Grundstock Bücher aus seinem Nachlass, aus dem eine Sammlung von Dokumenten, Büchern, autobiographischen Aufzeichnungen und Fotografien sowie persönlichen Gegenständen im Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland verwaltet wird.[21]

Filmografie (Auswahl)

  • 1943: Münchhausen
  • 1957: Das heiße Herz (Fernsehfilm)
  • 1961: Die kleinen Füchse (Fernsehfilm)
  • 1968: Von Mäusen und Menschen (Fernsehfilm)
  • 1999: Die Straßen von Berlin (Fernsehserie, Episode: Blutwurst und Weißwein)
  • 2001: FinalCut.com (Fernsehfilm)

Schriften

  • Theodor Michael: Deutsch sein und schwarz dazu. Erinnerungen eines Afro-Deutschen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013, ISBN 978-3-423-26005-3.[22]

Dokumentarfilme

  • John A. Kantara: Blues in Schwarzweiß – vier schwarze deutsche Leben. (Dokumentarfilm, Deutschland, 1999)
  • Annette von Wangenheim: Pagen in der Traumfabrik – Schwarze Komparsen im deutschen Spielfilm. (Dokumentarfilm, Deutschland, 2001)[23]
  • Susanne Lenz-Gleißner, Jana Pareigis, Adama Ulrich: Afro.Deutschland (Dokumentarfilm, Deutschland, 2017)

Siehe auch

Literatur

  • Fatima El-Tayeb: Schwarze Deutsche. Der Diskurs um „Rasse“ und nationale Identität 1890–1933. Campus, Frankfurt/Main 2000, ISBN 978-3-593-36725-5.
  • Rowan Philp: German of Color. Theodor Michael, Teaching Slavery’s Lessons Anew. In: The Washington Post. 23. Oktober 2000, ISSN 0190-8286, S. C01 (englisch, Online [abgerufen am 24. Oktober 2021]).
Commons: Theodor Wonja Michael – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. John A. Kantara: Schwarz sein und deutsch dazu. In: Zeit Online. Zeitverlag, 23. April 1998, abgerufen am 22. Oktober 2019.
  2. Heiratsregister Berlin X a, 1915, N° 863/1915. Berlin 1915.
  3. Theodor Michael: "Schwarz sein und deutsch dazu" - Ein Interview mit Theodor Wonja Michael. DEKRA Hochschule für Medien, 2019, abgerufen am 6. August 2020.
  4. Ingo Zander: Altstipendiat – Der Afrika-Deutsche. In: boeckler.de. Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2015, abgerufen am 22. Oktober 2021.
  5. Matthias Dell: Ein Leben, das nicht vorgesehen ist. In: Deutschlandfunk Kultur. Deutschlandradio, 7. November 2013, abgerufen am 20. Juni 2021.
  6. Theodor Wonja Michael: Endlich eine Chance. In: Björn Engholm, Dieter Koch, Christian Wiechel-Kramüller (Hrsg.): Lernen. Lehren. Leben. Absolventinnen und Absolventen der HWP erinnern sich, Verlag: WIEKRA Wissen, Suhlendorf 2022, S. 18–21
  7. Theresa Authaler: Afrodeutsche in NS-Filmen: „Besondere Kennzeichen: Neger“. In: einestages. Spiegel-Gruppe, 9. Oktober 2013, abgerufen am 22. Oktober 2019.
  8. Gesa Steeger: 90 Jahre eine Frage. In: der Freitag. der Freitag Mediengesellschaft mbh & Co. KG, 21. Januar 2015, abgerufen am 23. Oktober 2021.
  9. Jonathan Fischer: Schwarzer Schauspieler in der NS-Zeit: „Heute lache ich Rassisten aus“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, 5. Januar 2014, abgerufen am 23. Oktober 2021.
  10. Ein Leben gegen den Rassismus – Zum Tod von Theodor Wonja Michael. In: Deutsche Welle. 22. Oktober 2019, abgerufen am 17. März 2020.
  11. Theodor Michael war der vorletzte schwarze Zeuge der NS-Zeit – im Interview zog er einst Bilanz seines Lebens. In: stern.de. Gruner + Jahr, 23. Oktober 2019, abgerufen am 17. März 2020.
  12. Jean-Pierre Ziegler: Zum Tod von Theodor Wonja Michael: Der vorletzte Zeuge. In: Spiegel Online. Spiegel-Gruppe, 21. Oktober 2019, abgerufen am 21. Oktober 2019.
  13. BIGSAS Festival Afrikanischer und Afrikanisch-Diasporischer Literaturen »Literaturen der/& Erinnerung: 1884–1904–1914«. (PDF; 1,1 MB) In: bigsas.uni-bayreuth.de. Universität Bayreuth, 2014, abgerufen am 22. Oktober 2021.
  14. Melahat Simsek: Erlebte Geschichten: Theodor Wonja Michael. (mp3-Audio, 9,9 MB, 21:43 Minuten) In: wdr.de. 1. Dezember 2013, abgerufen am 22. Oktober 2019.
    Theodor Michael: Deutsch sein und schwarz dazu – Erinnerungen eines Afro-Deutschen. In: dtv.de. dtv Verlagsgesellschaft, abgerufen am 22. Oktober 2019 (Verlagsinformation).
  15. Grabstein Wonja Michael: Friedhof Köln-Volkhoven-Weiler. In: grabsteine.genealogy.net. Abgerufen am 23. Februar 2024.
  16. Nachrufe. In: Der Spiegel, 26. Oktober 2019, S. 133.
  17. Theodor Michael mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet … wir gratulieren herzlich! In: dtv.de. dtv Verlagsgesellschaft, abgerufen am 28. Oktober 2019 (Verlagsinformation).
  18. Theodor Wonja Michael: Ein sehr schönes Google-Doodle zu Ehren des deutschen Schauspielers. In: GoogleWatchBlog. 22. Oktober 2021, abgerufen am 22. Oktober 2021.
  19. Zu Ehren von Theodor Wonja Michael. In: Doodle-Archiv. Google LLC, 22. Oktober 2021, abgerufen am 22. Oktober 2021 (englisch).
  20. Eröffnung der Theodor Wonja Michael Bibliothek. Abgerufen am 18. Februar 2022.
  21. Afrodeutsche Geschichte: DOMiD-Archiv übernimmt Nachlass von Theodor Wonja Michael. Abgerufen am 18. Februar 2022.
  22. Annette von Wangenheim: The race issue is still firmly embedded in people’s minds. (PDF; 3,3 MB) In: The African Courier. 7. Dezember 2013, S. 43, abgerufen am 22. Oktober 2019 (englisch, Rezension).
  23. Filmografie: Pagen in der Traumfabrik – Schwarze Komparsen im deutschen Spielfilm. In: annettevonwangenheim.de. 15. Juni 2015, abgerufen am 22. Oktober 2019.
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