Terfenadin

Terfenadin ist ein Arzneistoff und gehört zu den H1-Antihistaminika der zweiten Generation. Es wird zur Behandlung von Allergien eingesetzt. Terfenadin reduziert allergische Reaktionen durch eine Verdrängung des Histamins vom H1-Rezeptor.

Strukturformel
Strukturformel von (±)-Terfenadin
Terfenadin-Strukturformel ohne Stereochemie
1:1-Enantiomerengemisch (Racemat)
Allgemeines
Freiname Terfenadin
Andere Namen
  • (RS)-4-[4-(Hydroxy-diphenyl-methyl)-1-piperidyl]-1-(4-tert-butylphenyl)-butan-1-ol (IUPAC)
  • (±)-4-[4-(Hydroxy-diphenyl-methyl)-1-piperidyl]-1-(4-tert-butylphenyl)-butan-1-ol
  • DL-4-[4-(Hydroxy-diphenyl-methyl)-1-piperidyl]-1-(4-tert-butylphenyl)-butan-1-ol
Summenformel C32H41NO2
Kurzbeschreibung

Feststoff[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 50679-08-8
EG-Nummer 256-710-8
ECHA-InfoCard 100.051.537
PubChem 5405
DrugBank DB00342
Wikidata Q417909
Arzneistoffangaben
ATC-Code

R06AX12

Wirkstoffklasse

Antihistaminikum

Eigenschaften
Molare Masse 471,67 g·mol−1
Schmelzpunkt
  • 149–152 °C (morphologische Form I)[2]
  • 146–148 °C (morphologische Form II)[2]
  • 146–148 °C (morphologische Form III)[2]
Löslichkeit

praktisch unlöslich in Wasser (10 mg·l−1 bei 30 °C)[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: 413
P: 273501[1]
Toxikologische Daten

5000 mg·kg−1 (LD50, Ratte, oral)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Als Bestandteil eines Arzneimittel wurde Terfenadin erstmals 1982 von der Firma Marion Merrell Dow (heute Sanofi-Aventis) unter dem Namen Teldane in den Handel gebracht. Terfenadin wurde zwischenzeitlich in vielen Ländern, darunter Deutschland, vom Markt genommen, da es zu Todesfällen aufgrund von Herzrhythmusstörungen kam.

Klinische Angaben

Zugelassene Anwendungsgebiete

Terfenadin war in Deutschland zur Linderung von allergischer Rhinitis, allergischer Konjunktivitis und von allergischen Hautreaktionen zugelassen.

Nach Einschätzung von Fachkreisen stellt Terfenadin ein überholtes Therapieprinzip dar, da es sicherere und besser verträgliche Alternativen gibt.[3][4]

Gegenanzeigen

Terfenadin darf nicht eingenommen werden bei:

Unerwünschte Wirkungen

Terfenadin ist in der Regel gut verträglich. Es können Verwirrtheit, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, Schwindelgefühle, Kopfschmerzen, Depressionen, Benommenheit, Muskelzittern und Magen-Darm-Beschwerden auftreten. Der Arzneistoff beeinträchtigt die Fahrtauglichkeit.

Der Einsatz von Terfenadin ist trotz seiner guten Verträglichkeit nicht sicher, da es in seltenen Fällen zu Herzrhythmusstörungen (mit QTc-Zeit-Verlängerung[5]) kommen kann, die über Kammerflimmern und Herzstillstand zum Tode führen können.[6]

Wechselwirkungen mit anderen Stoffen

Wechselwirkungen treten mit Arzneistoffen auf, die ebenfalls über CYP3A4 – ein Isoenzym des Cytochrom P450-Systems – abgebaut werden oder dieses hemmen. Dazu gehören Miconazol, Ketoconazol, Itraconazol, Erythromycin, Clarithromycin, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Grapefruitsaft.

Besondere Patientengruppen

Bei Schwangeren, Patienten mit Herzkrankheiten und Leberschäden sowie Kindern darf das Mittel nicht angewendet werden.

Pharmakologische Eigenschaften

Wirkmechanismus

Terfenadin konkurriert im Verdauungstrakt, in der Gebärmutter, in Gefäßwänden und in der Bronchialmuskulatur mit dem Gewebshormon Histamin um die Bindung an den H1-Rezeptor. Diese reversible Bindung an den H1-Rezeptor vermindert die Folgen einer allergischen Histaminausschüttung wie z. B. Ödeme oder Juckreiz.

Weiterhin bindet Terfenadin auch an einen Kaliumkanal in Herzmuskelzellen (hERG-Kanal).[7] Diese Bindung verzögert die elektrische Repolarisation im Herzmuskel und wird als ursächlich für das Auftreten von Herzrhythmusstörungen angesehen. Terfenadin wirkt zudem als FIASMA (funktioneller Hemmer der sauren Sphingomyelinase).[8]

Weg des Arzneistoffs durch den Körper

Terfenadin wird nach oraler Gabe zu etwa 70 % resorbiert. Der Stoff wird in der Leber durch das Enzym CYP3A4 in den aktiven Metaboliten Fexofenadin umgewandelt. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 3,5 Stunden und die Proteinbindung 70 %.

Chemische Informationen

Terfenadin hat eine ähnliche Struktur wie das Antihistaminikum Astemizol oder das Neuroleptikum Haloperidol. Es enthält ein Stereozentrum und ist damit ein chiraler Stoff. Es gibt zwei Enantiomere des Terfenadins, die (R)-Form und die (S)-Form. Der Arzneistoff ist ein 1:1-Gemisch der Enantiomere (Racemat).

Enantiomere von Terfenadin

Geschichte

Terfenadin wurde Anfang der 1970er Jahre bei einer Vorläuferfirma der späteren Marion Merrell Dow synthetisiert[9] und 1982 erstmals in den Handel gebracht. Terfenadin war lange Jahre rezeptfrei erhältlich.

1993 beschrieb Ray Woosley eine Reihe von Patienten mit Herzrhythmusstörungen unter Behandlung mit Terfenadin.[6] In den Jahren danach wurde Terfenadin in vielen Ländern zunächst wieder verschreibungspflichtig und dann auch schrittweise aus dem Handel genommen (z. B. USA 1997). Im europäischen Ausschuss für Humanarzneimittel konnte sich Frankreich mit einer Initiative zum Widerruf aller Zulassungen für Terfenadin 1998 nicht durchsetzen.[10] In Deutschland wurde nur eine hochdosierte Form durch die zuständige Behörde vom Markt genommen. Der Hersteller des Originalpräparates (damals Hoechst) zog sein Terfenadin-haltiges Arzneimittel jedoch auch im deutschen Sprachraum freiwillig vom Markt zurück. Die bis heute bestehende Verfügbarkeit von Terfenadin-haltigen Generika in Deutschland wird in Fachkreisen kritisch gesehen.[3][4] Im Zuge des Wegfalls der Erstattungsfähigkeit von rezeptfreien Antihistaminika beobachtete die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft unlängst einen Anstieg der Verordnungen des verschreibungspflichtigen und damit erstattungsfähigen Terfenadins.[11]

Die unerwünschten Wirkungen des Arzneistoffs Terfenadin sind auch für die Geschichte der Arzneimittelsicherheit bedeutsam. Die schwerwiegenden Herzrhythmusstörungen unter Terfenadin lenkten die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit auf das bis dahin eher wenig beachtete Phänomen der „QT-Verlängerung“ durch Arzneimittel und führten zu Rückrufen von weiteren Arzneimitteln. Heute werden alle Arzneimittel vor ihrer Markteinführung auf solche Wirkungen systematisch hin untersucht.[12]

Handelsnamen und Darreichungsformen

Terfenadin ist der wirksame Bestandteil der Arzneimittel Hisfedin, Terfedura, Terfemundin und anderer mit rein generischen Namen. Diese Fertigarzneimittel werden innerhalb des deutschen Sprachraums nur in Deutschland vertrieben.

Frühere Handelsnamen waren u. a. Aldaban, Allerplus, Cyater, Nebralin, Seldane, Teldane, Teldanex, Terdin, Terfex, Ternadin, Triludan und weitere rein generische Namen.

Einzelnachweise

  1. Datenblatt Terfenadine bei Sigma-Aldrich, abgerufen am 20. November 2022 (PDF).
  2. The Merck Index. An Encyclopaedia of Chemicals, Drugs and Biologicals. 14. Auflage, 2006, ISBN 978-0-911910-00-1, S. 1576.
  3. Heinz Lüllmann u. a.: Pharmakologie und Toxikologie. 16. Auflage. Thieme, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-13-368516-0, S. 112–114, (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  4. Terfenadin. (Memento des Originals vom 2. Januar 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.arznei-telegramm.de arznei-telegramm: Arzneimitteldatenbank: abgerufen am 30. November 2008.
  5. Torsten Kratz, Albert Diefenbacher: Psychopharmakotherapie im Alter. Vermeidung von Arzneimittelinteraktionen und Polypharmazie. In: Deutsches Ärzteblatt, Band 116, Heft 29 f. (22. Juli) 2019, S. 508–517, S. 512.
  6. RL Woosley, Y Chen, JP Freiman, RA. Gillis: Mechanism of the cardiotoxic actions of terfenadine. In: J Am Med Ass., 1993, 269, S. 1532–1536. PMID 8445816.
  7. H. Suessbrich, S. Waldegger, F. Lang, A.E. Busch: Blockade of HERG channels expressed in Xenopus oocytes by the histamine receptor antagonists terfenadine and astemizole. In: FEBS Letters, Vol. 385, Issue 1, S. 77–80.
  8. J Kornhuber, M Muehlbacher, S Trapp, S Pechmann, A Friedl, M Reichel, C Mühle, L Terfloth, T Groemer, G Spitzer, K Liedl, E Gulbins, P Tripal: Identification of Novel Functional Inhibitors of Acid Sphingomyelinase. In: PLoS ONE. 6. Jahrgang, Nr. 8, 2011, S. e23852, doi:10.1371/journal.pone.0023852 (englisch).
  9. Patent US3878217A: Alpha-aryl-4-substituted piperidinoalkanol derivatives. Angemeldet am 12. Juli 1973, veröffentlicht am 15. April 1975, Anmelder: Richardson-Merell Inc, Erfinder: Albert A. Carr, Richard Kinsolving.
  10. CPMP/257/98–Endgültiges Gutachten des Ausschusses für Arzneispezialitäten für Terfenadin (PDF) Europäische Arzneimittelagentur; abgerufen am 16. September 2009.
  11. „Innovationen“ statt rezeptfreier Arzneimittel? Vermeintliche Hintertür führt zur Fallgrube. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. In: Arzneiverordnung in der Praxis, 2004, 31, S. 88–89 (akdae.de (Memento vom 15. Juli 2014 im Internet Archive; PDF)).
  12. Guideline E14 : The Clinical Evaluation of QT/QTc Interval Prolongation and Proarrhythmic Potential. (PDF; 205 kB) International Conference on Harmonisation (2005); abgerufen am 30. November 2008.

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