Kraton

Als Kratone (altgriechisch κράτος kratos, deutsch Kraft) bezeichnet man geologisch sehr alte (proterozoisch oder archaisch) und heute tektonisch stabile Teile der Kontinente (kontinentale Lithosphäre), die etwa 60 % der kontinentalen Landmasse ausmachen.[1] Kratone haben häufig mehrere Zyklen der Kollision und des Zerfalls überdauert und sind daher für gewöhnlich im Inneren von Kontinenten zu finden bzw. bilden deren Kerngebiete, können aber durch Rift-Bildung auch aufgespalten werden.[2]

Kratone Südamerikas und Afrikas während der Trias, als die beiden Kontinente als Teil des Superkontinents Pangea miteinander verbunden waren
Vereinfachte geologische Gliederung der Erde. Die Kratone werden repräsentiert durch die Tafeln (rosa) und Schilde (orange).

Hingegen bestehen die Ränder der Kontinente oft aus jüngeren Krustenteilen, die den Kratonen im Laufe der Erdgeschichte durch Gebirgsbildungen angegliedert wurden.

Die Kratone der Kontinente gliedern sich in zwei Teilbereiche:

  1. die präkambrischen Schilde, in denen das metamorphe Grundgebirge zutage tritt
  2. die kontinentalen Tafeln, wo das Grundgebirge von unmetamorphen, ungefalteten, phanerozoischen Sedimenten überdeckt wird.

Definition

Ursprünglich wurde der Begriff für kontinentale Terrane verwendet, welche über einen relativ langen Zeitraum von vielen 100 Mio. Jahre tektonisch stabil blieben, ohne eine Altersdefinition.

Auch die heutige Verwendung des Begriffes ist uneinheitlich, manche Autoren nehmen in den Begriff auch noch relativ junge Krustenbereiche mit einem Alter des Grundgebirges von 1,5 Mrd. Jahre mit ein. In der Regel wird die Mindestaltersgrenze bei 2,5 Mrd. Jahre gesehen (dies entspricht dem Ende des Archaikums).

Ein besonders anschauliches Beispiel ist das Kaapvaal Kraton, dessen westliche und nördliche Bereiche im Paläo- und Mesoproterozoikum überprägt wurden. Diese Bereiche werden von manchen Autoren mit in die Definition eingeschlossen von anderen Autoren dagegen nicht.

Entstehung

Kratone galten lange Zeit als tektonisch besonders stabil, d. h., dass sie weder unter Zug- noch unter Druckspannung zu Deformation neigen, oder anders formuliert, dass sie weder anfällig für Riftbildung noch für Gebirgsbildung sind, dieses Bild hat sich allerdings relativiert.[3] Das liegt u. a. an der besonders großen Mächtigkeit und der verhältnismäßig geringen Temperatur ihrer subkrustalen Lithosphäre sowie an ihrem an leicht aufschmelzbaren Elementen „verarmten“ Charakter.[4] Der lithosphärische Mantelkiel kann Tiefen von 250 bis 300 Kilometer erreichen; die kratonische Kruste hingegen besitzt mit 35 bis 40 Kilometern nur durchschnittliche Mächtigkeiten. Aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung hat der lithosphärische Mantelkiel einen besonders hohen Schmelzpunkt.

Kratone entstanden vor allem im Archaikum unter deutlich höheren Temperaturbedingungen im Erdmantel als heute.[5][6] Es wird davon ausgegangen, dass sich aus Ozean-Ozeanplatten-Kollisionen Inselbögen formten, durch Inselbogenvulkanismus, gegenseitige Überschiebung von Inselbögen und Unterschiebung ozeanischer Kruste eine krustale Verdickung stattfand und diese Inselbögen durch weitere „Orogenesen“ langsam immer kontinentaler wurden.[7] Die für die Kratone heute typische dicke Kruste scheint teilweise wohl später entstanden zu sein.[3] Aufgrund der immensen Dicke ist die Asthenosphäre heute unterhalb von Kratonen meist relativ geringmächtig oder gar nicht vorhanden.[8] Die peridotitischen Mantelkiele sind wohl Residuen partieller Aufschmelzung unter relativ geringem Druck, die erst durch Orogenesen und Krustenverdickung in die Position des Mantelkiels kamen. Dies geschah im Laufe der Jahrmilliarden v. a. im Zuge der Orogenesen immer wieder, es war also ein sehr lange andauernder mehrphasiger Entstehungsprozess.[1]

Einteilung

Die bis zu 200 Kilometer in den Erdmantel reichenden – ursprünglich magmatischen, im Zeitenlauf aber meist metamorph überprägten – Kratone aus relativ (zur übrigen Erdkruste) leichtem Gestein können ihrem Alter entsprechend grob in folgende Provinzen eingeteilt werden:

  • Tektone: bestehen aus Gesteinen, die infolge plattentektonischer Ereignisse im Meso- und Neoproterozoikum, d. h., im Zeitraum vor 1,6 Milliarden bis vor 600 Millionen Jahren, gebildet oder zuletzt metamorph überprägt wurden (tektonothermales Alter).
  • Protone: sind Kratonprovinzen mit einem tektonthermalen Alter zwischen 1,6 und 2,5 Milliarden Jahren.
  • Archone: sind von jüngeren Kratonprovinzen umschlossene archaische „Gesteinsinseln“ (auch als archaische Kerne) mit einem tektonothermalen Alter von mehr als 2,5 Milliarden Jahren, die teilweise sogar hadaisches Material (älter als vier Milliarden Jahre) enthalten.

Phanerozoische Entwicklung

Kratone haben meist nach dem Proterozoikum oder sogar länger keine tektonische Umformung wie Faltung, Aufwölbung oder ähnliches mehr erfahren, sind also über Äonen im Großen und Ganzen unverändert geblieben. Sie sind die Kerne der Kontinente und wurden meist schon im Archaikum durch tektonische Vorgänge intensiv verfaltet, in großen Tiefen metamorph umgewandelt oder intrudiert und stark erodiert.

Kratone gliedern sich geologisch in Schilde und Tafeln. In den Schilden tritt weitgehend das kristalline Grundgebirge zutage, im Zuge des Verschwindens von Gletschern seit dem Ende der kleinen Eiszeit befinden sich viele von ihnen in einer isostatischen Hebung. In den Tafel- oder Plattformregionen sind die Schilde mit unverformten Sedimenten bedeckt (Deckgebirge). Diese Sedimente liegen dem Grundgebirge in aller Regel diskordant auf, da Erstgenanntes vor Ablagerung der Tafelsedimente eine Gebirgsbildung und dadurch eine Phase der Abtragung durchlaufen hatte; entsprechend besteht zwischen den jüngsten (obersten) Gesteinen des Schildes und den ältesten (am weitesten unten liegenden) Gesteinen der Sedimentdecke eine zeitliche Lücke. Da die Kruste des Grundgebirges der Tafeln eine geringere Dicke und eine höhere Dichte besitzt als die der Schilde, besitzt es weniger Auftrieb und konnte daher im Verlauf der vergangenen 500 Millionen Jahre mehrfach von einem Epikontinentalmeer bedeckt werden, was Ursache für die Ablagerung der Tafelsedimente war.

Kratone weisen alte Störungszonen auf, die bei tektonischer Beanspruchung reaktiviert werden können. So zeigen manche Kratone aktive oder zum Stillstand gekommene Grabenbrüche, wobei dann in diesen Gräben mächtige Sedimentschichten abgelagert wurden und noch werden und teilweise große Mengen vulkanisches Material zutage gefördert wurde.

Wirtschaftliche Bedeutung

Kratone gelten als die einzigen Fundorte von Schmuck-Diamanten, außerdem kommen hier wirtschaftlich sehr bedeutende Gold, und Platin-Lagerstätten, sowie viele andere Edelmetalle und Schmucksteine vor. So wird – besonders in Kanada und Australien – mit Messung des Paläomagnetismus und Gamma-radiometrischen, sonar­reflektorischen und anderen stratigraphischen und geochronologischen Methoden an der Entdeckung und Erforschung dieser alten Festlandteile der Erde gearbeitet. Auch die unzugänglichen Gebiete des sibirischen Kratons und die politisch unruhigen, bergbautechnisch interessanten Regionen Afrikas stehen im Interesse der Weltwirtschaft. Das offen zutageliegende Kraton des Baltischen Schildes – die Halbinsel Kola – ist wichtiger Rohstofflieferant Russlands.

Eine Ausnahme ist das Kraton der Antarktis. Ihre entlegene geographische Lage und die harten klimatischen Bedingungen, sowie die dicke Eisüberdeckung verhinderten lange Zeit eine Exploration von Lagerstätten. Seit 1961 steht zudem der Antarktisvertrag einer wirtschaftlichen Nutzung entgegen.

Liste der Kratone

Vereinfachte geologische Weltkarte (italienisch)
Vereinfachte tektonische Gliederung Nordamerikas
Die tektonischen Provinzen Nordamerikas (einschl. Grönlands) und Fenno­skandi­naviens. Alles was älter als 600 Millionen Jahre ist, also alles außer der blassgrünen Areale, zählt prinzipiell als kratonisch. Zu beachten ist aber, dass in Nordamerika der südwestliche Teil des Kratons von den mesozoischen Gebirgsbildungen („Cordillera“) ergriffen und herausgehoben wurde (u. a. das Colorado-Plateau). Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom metastabilen Kraton (siehe auch darüberstehende Abbildung).

Dies ist eine Aufstellung bekannter Schilde und Kratone sowie einiger daran beteiligter Platten, Tafeln, Becken und Grabenbrüche.

Weitere Karten

Siehe auch

Literatur

  • Roland Walter: Erdgeschichte. Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. de Gruyter, 2003, ISBN 3-11-017697-1.
Commons: Kratone – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. D. Graham Pearson, James M. Scott, Jingao Liu, Andrew Schaeffer, Lawrence Hongliang Wang, Jeroen van Hunen, Kristoffer Szilas, Thomas Chacko, Peter B. Kelemen: Deep continental roots and cratons. In: Nature. Band 596, Nr. 7871, August 2021, ISSN 1476-4687, S. 199–210, doi:10.1038/s41586-021-03600-5 (nature.com [abgerufen am 3. Oktober 2023]).
  2. Kraton. In: Lexikon der Geowissenschaften. Kraton, abgerufen am 12. April 2023.
  3. Stephen Foley, Craig O’Neill: Ancient continental blocks soldered from below. In: Nature. Band 592, Nr. 7856, 29. April 2021, ISSN 0028-0836, S. 692–693, doi:10.1038/d41586-021-01087-8 (nature.com [abgerufen am 3. Oktober 2023]).
  4. Cin-Ty A. Lee, Peter Luffi, Emily J. Chin: Building and Destroying Continental Mantle. In: Annual Review of Earth and Planetary Sciences. Band 39, Nr. 1, 30. Mai 2011, ISSN 0084-6597, S. 59–90, doi:10.1146/annurev-earth-040610-133505 (annualreviews.org [abgerufen am 3. Oktober 2023]).
  5. Henry N. Pollack: Cratonization and thermal evolution of the mantle. In: Earth and Planetary Science Letters. 80, 1986, S. 175–182, doi:10.1016/0012-821X(86)90031-2.
  6. Stephen F. Foley: Rejuvenation and erosion of the cratonic lithosphere. In: Nature Geoscience. 1, 2008, S. 503–510, doi:10.1038/ngeo261.
  7. Cin-Ty A. Lee, Peter Luffi, and Emily J. Chin: Building and Destroying Continental Mantle. Annual Review of Earth and Planetary Sciences 2011 39:1, 59–90
  8. D. E. James et al.: Formation and evolution of Archean cratons: insights from southern africa. In: The Early Earth: Physical, Chemical and Biological Development. London 2002.
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