Verbindlicher Vorbescheid

Ein verbindlicher Vorbescheid, auch advance ruling oder advance tax ruling[1] (von englisch to rule = entscheiden), ist eine verbindliche Auskunft einer Steuerbehörde gegenüber einer juristischen oder natürlichen Person betreffend deren Besteuerung.[2] In Deutschland wird auch von einer verbindlichen Auskunft gesprochen.

Bedeutung

Mit der Auskunft will sich der Antragsteller in der Regel Rechtssicherheit bei geplanten Investitionen oder Umstrukturierungen verschaffen.[3]

Der Steuerpflichtige legt dar, welchen Sachverhalt er zu verwirklichen beabsichtigt, welchen steuerrechtlichen Standpunkt er dazu vertritt, formuliert bestimmte Rechtsfragen und ersucht um Auskunft, wie die Behörde diesen Sachverhalt steuerlich beurteilt. Die Steuerbehörde erteilt nach Prüfung der Rechtslage dem Steuerpflichtigen eine schriftliche Auskunft, an die sie bei der steuerlichen Veranlagung gebunden ist, wenn der später verwirklichte Sachverhalt von dem der Auskunft zugrunde gelegten nicht oder nur unwesentlich abweicht.[4]

Wirkung

Verbindliche Vorbescheide haben einen hohen Stellenwert im internationalen Steuerwettbewerb,[5] zumal in einer globalisierten Welt alle potentiellen Standorte um Investoren konkurrieren.[6] Aus rechtsstaatlicher Sicht werden steuerrechtliche Vorbescheide kontrovers diskutiert,[5] etwa im Rahmen der Luxemburg-Leaks. Insbesondere verlangt das Gleichbehandlungsgebot, dass alle Steuersubjekte vor dem Staat gleich behandelt werden. Da Vorbescheide nicht öffentlich zugänglich sind, ist dies – im Gegensatz zu für jedermann gültigen Steuergesetzen, Doppelbesteuerungsabkommen oder Weisungen – nicht nachprüfbar. Von offizieller Seite gibt es denn auch kaum Auskünfte zu Anzahl oder Art von Rulings.[7] Entsprechend stehen Rulings in der Kritik, in nicht gerechtfertigter Weise zur Steigerung des Standortvorteils verwendet zu werden.[8]

Internationale Verbreitung

Entsprechende Regelungen finden sich beispielsweise in der Schweiz, in Deutschland, in Irland,[9] den Niederlanden,[10] Belgien[11] oder Singapur.[12]

Reformbestrebungen

Europäische Union

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union tauschen momentan nur sehr begrenzt Informationen über Steuervorbescheide aus. Jeder Mitgliedstaat entscheidet nach eigenem Ermessen, ob ein Bescheid für einen anderen Mitgliedstaat von Belang sein könnte. Daher wissen die Mitgliedstaaten oft nicht, dass von einem anderen Staat in der EU ein Steuervorbescheid erteilt worden ist, der sich auf ihre eigene Steuerbasis auswirken könnte. Manche Unternehmen machen sich diesen Mangel an Transparenz zunutze, um ihren Steueranteil zu kürzen.[13]

Die Europäische Kommission strebt daher eine Harmonisierung der nationalen Steuersysteme, insbesondere bei der Unternehmensbesteuerung an, um einen wettbewerbswidrigen Missbrauch von Steuervorentscheidungen durch Rechtsflucht zu verhindern. Dazu sollen eine gemeinsame Grundlage für die Bemessung der Körperschaftssteuer geschaffen sowie der automatische Informationsaustausch zwischen den nationalen Steuerbehörden durch einheitliche Transparenzstandards bei grenzüberschreitenden Steuervorentscheidungen verbessert werden.[14][15]

Im Februar 2015 hat das Europäische Parlament einen Sonderausschuss beschlossen, um "Steuervorbescheide und andere Maßnahmen ähnlicher Art oder Wirkung" in den EU-Ländern zu untersuchen und Empfehlungen für die Zukunft abzugeben.[16]

Im Oktober 2015 einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine Richtlinie zum automatischen Austausch von Steuervorbescheiden. Mit Umsetzung der Richtlinie bis Ende 2016 werden die Mitgliedstaaten nicht länger nach freiem Ermessen über Inhalt, Zeitpunkt und Adressat der Informationsweitergabe entscheiden können. Durch die damit ermöglichten gegenseitigen Kontrollen soll es den Steuerbehörden künftig schwerer fallen, einzelnen Unternehmen eine steuerliche Vorzugsbehandlung anzubieten. Davon verspricht sich die EU einen gesünderen Steuerwettbewerb.[13]

OECD

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatte 2014 einen Aktionsplan entwickelt, um internationale Standards zur Besteuerung von Unternehmenseinkünften auf internationaler Ebene abzustimmen,[17] den der damalige EU-Kommissar für Steuern und Zollunion, Audit und Betrugsbekämpfung Algirdas Šemeta begrüßte.[18] Das sog. BEPS-Projekt (Base Erosion and Profit Shifting, dt. Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung) wurde im Oktober 2015 abgeschlossen. Der konkrete Umsetzungsbedarf in Deutschland wird gegenwärtig geprüft.[19]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Bundeszentralamt für Steuern: Advance ruling (Verbindliche Auskunft), 2014
  2. Stadt Zürich, Tax rulings, „Bei Fragen über den Umfang der Steuerpflicht kann beim Kantonalen Steueramt ein verbindlicher Vorbescheid über die Art und Weise der Besteuerung eingeholt werden.“
  3. Philip Robinson: Mehr Sicherheit dank Ruling. In: Neue Zürcher Zeitung. 5. Dezember 2013, abgerufen am 13. November 2014.
  4. Verordnung zur Durchführung von § 89 Abs. 2 der Abgabenordnung (Steuer-Auskunftsverordnung - StAuskV) vom 30. November 2007 (BGBl. I S. 2783)
  5. Catherine Morf, Andreas Müller, Therese Amstutz: Schweizer Steuerruling - Erfolgsmodell und Werthaltigkeit. Bedeutung und Verbindlichkeit für den Steuerstandort. (PDF) In: Der Schweizer Treuhänder. Oktober 2008, S. 818, abgerufen am 26. November 2014.
  6. Frank Marty, Christian Frey: Steuerstandort Schweiz: Herausforderungen und Lösungen. (PDF) In: dossierpolitik. economiesuisse, 3. Juni 2013, S. 1, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 26. November 2014.@1@2Vorlage:Toter Link/www.economiesuisse.ch (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  7. David Schaffner: Was bitte ist eine Ruling? In: Tages-Anzeiger. 22. September 2014, abgerufen am 13. November 2014.
  8. Marcello Odermatt: Die Steuerverwaltung im Visier der Linken. In: Der Bund. 7. Februar 2014, abgerufen am 26. November 2014: „Es ist insbesondere die SP, die die Rolle der Steuerbehörde um den langjährigen Amtschef Bruno Knüsel hinterfragt. Zwar geht der Präsident der Kantonalpartei, Roland Näf, nicht so weit, der Steuerverwaltung vorzuwerfen, sie werbe offensiv mit Offshore-Modellen. Aber: «Die Steuerverwaltung sowie die Finanzdirektorin weigern sich, das Gesetz umzusetzen.»“
  9. The Irish Times, EC says Apple’s Irish tax deal is illegal state aid
  10. Belastingdienst (Niederländisches Steuerbehörde), Advance tax ruling (Memento des Originals vom 13. November 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.belastingdienst.nl
  11. Belgian Federal Government, Invest in Belgium - Support measures
  12. Steuerbehörde Singapur, Zitat: „Ein Tax Ruling ist eine schriftliche Interpretation der Einkommensteuer mit Hinsicht darauf wie bestimmte Angelegenheiten, welche sich aus Vereinbarungen ergeben, bei steuerlichen Zwecken behandelt werden.“
  13. Finanzminister einigen sich auf automatischen Informationsaustausch über Steuervorbescheide, Pressemitteilung der EU-Kommission vom 6. Oktober 2015
  14. Pierre Moscovici, Margrethe Vestager: Für ein faires Steuerrecht in Europa. Süddeutsche Zeitung vom 17. Januar 2015. Abgerufen am 17. Januar 2015.
  15. Bastian Brinkmann und Cerstin Gammelin: Fiskalpolitik. So will Brüssel gegen die Steuertricks der Konzerne vorgehen. Süddeutsche Zeitung vom 18. März 2015. Abgerufen am 18. März 2015.
  16. Parlament richtet Sonderausschuss zu angeblichen Steuerabsprachen ein Website des Europäischen Parlaments. Abgerufen am 26. Juni 2015
  17. Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung@1@2Vorlage:Toter Link/www.oecd-ilibrary.org (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. OECD, 2014
  18. Kommissar Šemeta begrüßt Einigung der G20-Finanzminister auf neue Maßnahmen gegen Steuervermeidung durch Unternehmen Pressemitteilung der Europäischen Kommission, 21. September 2014
  19. Bundesministerium der Finanzen: Fragen und Antworten zum Abschluss des BEPS-Projekts (Memento des Originals vom 2. November 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.bundesfinanzministerium.de 5. Oktober 2015

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