Zeitumkehr (Physik)

Zeitumkehr ist die Betrachtung physikalischer Vorgänge unter der Annahme, die Zeit laufe in umgekehrter Richtung. Manche Vorgänge würden davon nicht beeinflusst werden, sind also zeitumkehrinvariant: sie könnten auch zeitlich rückwärts ablaufen. In der Darstellung durch Gleichungen ist die Zeitumkehr eine Transformation, bei der die Zeit t durch −t ersetzt wird. Fast alle grundlegenden physikalischen Gesetze sind symmetrisch gegenüber einer Umkehrung der Zeit; man spricht auch von -Symmetrie.

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Zeitumkehrinvarianz ist nicht zu verwechseln mit Zeitinvarianz, einem Begriff der Systemtheorie.

Makroskopische Phänomene: Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik

Unsere tägliche Erfahrung zeigt uns, dass es nicht umkehrbare Phänomene gibt: Wasser fließt stets bergab, Tassen zerspringen beim Hinunterfallen, und heißer Tee kühlt sich auf Zimmertemperatur ab. Bei vielen Phänomenen, etwa der relativen Bewegung von Körpern mit Reibung oder der viskosen Strömung von Flüssigkeiten, erfolgt Dissipation von Energie, also Umwandlung von kinetischer Energie in Wärme. Diese Umwandlung wird durch den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auf eine Richtung festgelegt (Zeitpfeil).

In einem Gedankenexperiment setzte sich James Clerk Maxwell mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik auseinander. Sein Maxwellscher Dämon ist ein mikroskopischer Torwächter zwischen zwei Hälften eines Raums, der die langsamen Moleküle nur in eine Richtung, die schnellen in die andere Richtung durchlässt. Auf diese Weise würde sich die eine Hälfte des Raums auf Kosten der anderen Hälfte erwärmen. Es scheint, dass die Entropie sinkt und sich der Zeitpfeil umkehrt. Eine genauere Untersuchung unter Einbeziehung des Dämons zeigt jedoch, dass die Gesamtentropie von Raum und Dämon zunimmt.

Der wissenschaftliche Konsens ist heute die Interpretation von Ludwig Boltzmann und Claude Shannon, die den Logarithmus des Phasenraumvolumens mit der Informationsentropie in Beziehung setzt. Der makroskopische Ausgangszustand in Maxwells Gedankenexperiment hat ein geringes Phasenraumvolumen, da die Position der Atome begrenzt ist. Wenn sich das System unter Einfluss von Dissipation weiterentwickelt, vergrößert sich das Phasenraumvolumen, und die Entropie steigt.

Ein anderer Standpunkt ist, dass wir „nur“ deswegen einen stetigen Anstieg der Entropie beobachten, weil der Anfangszustand des Universums eine niedrige Entropie hatte; andere mögliche Anfangszustände des Universums könnten demnach zu sinkender Entropie führen. Nach dieser Ansicht ist die makroskopische Irreversibilität ein Problem der Kosmologie: Warum begann das Universum bei niedriger Entropie? Die Frage nach dem Anfangszustand des Universums ist eine offene Frage in der aktuellen Physik.

Mikroskopische Phänomene: Zeitumkehrinvarianz

Klassische Mechanik und Elektrodynamik

In der klassischen Mechanik z. B. kehrt sich die Geschwindigkeit bei Zeitumkehr um, während die Beschleunigung unverändert bleibt. Allgemein ist ein Vorgang offenbar zeitumkehrinvariant, wenn die Zeit t nur in gerader Potenz wie t2, t4 usw. vorkommt, so dass t durch −t ersetzt werden kann. Bei der Beschreibung von Reibung tritt t jedoch in erster Potenz auf.

Die Bewegung geladener Teilchen im Magnetfeld wird bestimmt durch die Lorentz-Kraft und scheint auf den ersten Blick nicht invariant unter Zeitumkehr zu sein. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass auch bei Zeitumkehr seine Richtung ändert, da ein Magnetfeld durch einen elektrischen Strom erzeugt wird, der seine Richtung bei Zeitumkehr ebenfalls umkehrt. Damit ist die Bewegung geladener Teilchen im elektromagnetischen Feld symmetrisch gegenüber Zeitumkehr, ebenso wie die Gravitationsgesetze.

Quantenphysik

Die quantenmechanische Kinematik kann durch die Metrik des speziell-relativistischen Minkowskiraums gekennzeichnet sein; diese Metrik ist zeitumkehrinvariant. Dagegen verletzen die Bahnen der Teilchen in diesem Raum unter Umständen, z. B. beim β-Zerfall, unter dem Einfluss der Wechselwirkungspotentiale die Zeitumkehrinvarianz. Wie in der klassischen Kinematik, die durch die newtonschen Gesetze der Bewegung beschrieben wird, sagt auch hier die Kinematik nichts über die Zeitumkehrinvarianz der Dynamik aus. Die Dynamik kann die Zeitinvarianz verletzen, obwohl man den kinematischen Größen dieses Verhalten nicht ansieht.

Eine grundlegende Verletzung der Zeitumkehrinvarianz wurde für die schwache Wechselwirkung (β-Zerfall u. a.) 1956 indirekt entdeckt. Es wurde eine leichte Verletzung der CP-Invarianz (=Symmetrie der physikalischen Gesetze, wenn die Vorzeichen von Ladung und Parität geändert werden) beobachtet. Daraus folgt auch die Verletzung der Zeitumkehrinvarianz, sofern man das CPT-Theorem (=Symmetrie der physikalischen Gesetze, wenn die Vorzeichen von Ladung, Parität und Zeit geändert werden) als gültig voraussetzt.

Nachdem die Verletzung der CP-Symmetrie in den B-Meson-Fabriken BaBar und Belle 2002 bestätigt worden war, gelang 2012 aus der Nachanalyse alter BaBar-Daten auch der direkte Nachweis der T-Verletzung.[1][2]

Mathematische Darstellung

Beschreibt man den Zustand des Systems mit einem Zweierspinor, also durch zwei Wellenfunktionen

und
,

dann hat der „zeitlich invertierte“ Zweierspinor die Komponenten

und
.

Es werden also

  1. die konjugiert komplexen Wellenfunktionen gebildet ,
  2. up- und down-Spinkomponenten vertauscht und
  3. die „Phasenfaktoren“ +1 bzw. −1 angebracht, was der üblichen „Winkelhalbierung“ beim Übergang von Vektoren zu Spinoren entspricht, nämlich
und
.

Literatur

  • Jörn Bleck-Neuhaus: Elementare Teilchen. 2. Auflage, Springer-Verlag 2012, ISBN 978-3-642-32578-6, S. 559–247
  • Paul Davies: Die Unsterblichkeit der Zeit. Scherz-Verlag 1997, S. 229–257

Einzelnachweise

  1. J. P. Lees u. a. Observation of Time-Reversal Violation in the B0 Meson System, Phys. Rev. Lett., Band 109, 2012, S. 211801
  2. Dirk Eidemüller: Zeitasymmetrie erstmals direkt nachgewiesen, Pro Physik, November 2012 (Memento vom 1. Dezember 2012 im Internet Archive)
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