Szjapan Puzila
Szjapan Puzila (belarussisch Сцяпан Аляксандравіч Пуціла, russisch Степан Александрович Путило ‚Stepan Aleksandrowitsch Putilo‘; * 27. Juli 1998 in Minsk) ist ein belarussischer Journalist, Blogger, Filmemacher und Fernsehmoderator. Er ist maßgeblich bekannt als Gründer des Medienprojekts Nexta, das den größten belarussischen YouTube-Kanal betreibt.[1] Puzila lebt im Exil in Polen.
Szjapan Puzila | |
Szjapan Puzila | |
YouTube-Kanal (Nachrichten, Politik) | |
Sprache | Russisch |
---|---|
Gründung | 19. März 2014 (Nexta Live) 4. Oktober 2015 (Nexta) 27. August 2021 (Nexta Archive) |
Kanäle | Nexta Live Nexta Nexta Archive |
Abonnenten | über 844.000 (Nexta Live) über 654.000 (Nexta) über 7.500 (Nexta Archive) |
Aufrufe | über 287.000.000 (Nexta Live) über 163.000.000 (Nexta) über 516.000 (Nexta Archive) |
Videos | über 725 (Nexta Live) über 143 (Nexta) über 164 (Nexta Archive) |
Kyrillisch (Belarussisch) | |
---|---|
Сцяпан Аляксандравіч Пуціла | |
Łacinka: | Sciapan Aliaksandravič Pucila |
Transl.: | Sciapan Aliaksandravič Pucila |
Transkr.: | Szjapan Aljaksandrawitsch Puzila |
Kyrillisch (Russisch) | |
Степан Александрович Путило | |
Transl.: | Stepan Aleksandrovič Putilo |
Transkr.: | Stepan Aleksandrowitsch Putilo |
Leben
Puzila wurde am 27. Juli 1998 in Minsk geboren. Sein Vater ist der Journalist Aljaksandr Puzila, der zuvor als Sportkommentator für die staatliche Belaruskaja Tele-Radio Campanija gearbeitet hat und seit 2008 als Autor und Moderator von Sportsendungen für den polnischen Satellitenfernsehsender Belsat tätig ist.[2][3]
Er absolvierte das Jakub-Kolas-Lyzeum für Geisteswissenschaften, dem der Status einer offiziellen Schule in Belarus aberkannt wurde. Dort veröffentlichte er mehrere Ausgaben einer Lyzeumszeitung.[4]
Von 2016 bis 2019 studierte Puzila an der Schlesischen Universität im polnischen Katowice Film- und Fernsehproduktion.[5][6] Vom Herbst 2018 bis Ende Juni 2020 moderierte er eine belarussischsprachige Fernsehsendung für den polnischen Sender Belsat.[7]
Gründung des Medienprojekts Nexta
Im Oktober 2015 gründete Puzila den YouTube-Kanal Nexta, ursprünglich als Musikkanal. Das erste Video, das hochgeladen wurde, war ein Videoclip mit dem Titel „Es gibt keine Wahl“, der sich mit der Präsidentschaftswahl in Belarus 2015 und massiven Fälschungen beschäftigt.[5] Nach eigenen Angaben besuchten Sicherheitsdienste daraufhin seine frühere Schule, um Informationen über ihn zu sammeln.[8]
Im Jahr 2017 veröffentlichte Puzila auf seinem YouTube-Kanal Nexta ein Video über die Todesstrafe in Belarus, das über 5,5 Millionen Aufrufe sammeln konnte. Besonders große Bekanntheit erlangte sein 2019 publizierter Dokumentarfilm „Lukaschenko. Ein Strafregister“. Parallel dazu erweiterte Puzila ab Herbst 2018 sein Medienprojekt um einen Telegram-Kanal. Im Februar desselben Jahres versuchten belarussische Behörden aufgrund seiner Videos, ein Strafverfahren gegen Puzila wegen „Beleidigung des Präsidenten“ einzuleiten. Seitdem reist er aus Angst vor Verfolgung durch die Behörden nicht mehr nach Belarus.[5]
Im Jahr 2020 erreichten die von Puzila gegründeten Telegram-Kanäle Nexta, Nexta Live und Luxta zusammen zeitweise mehr als drei Millionen Abonnenten.[5] Insbesondere während der Proteste in Belarus ab 2020 gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl spielte Nexta Live eine entscheidende Rolle als Koordinationsmedium für die Demonstranten. Auf dem Kanal fanden sich nicht nur Informationen über Polizeigewalt, sondern auch Aufrufe zu Demonstrationen oder zum Generalstreik.[9]
Repressionen
Im August 2020 leitete die Kriminalpolizei des Innenministeriums der Republik Belarus ein Strafverfahren gegen Puzila ein. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis wegen der Organisation von „Massenunruhen, begleitet von Gewalt gegen eine Person, Pogromen, Brandstiftung, Zerstörung von Eigentum oder bewaffnetem Widerstand gegen Vertreter der Behörden“.[10] Im selben Jahr wurden Puzila und Raman Pratassewitsch, der frühere Chefredakteur von Nexta, von der belarussischen Regierung als Terroristen eingestuft – als erste Belarussen überhaupt.[11] Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bezeichnete die Einstufung der Blogger als Terroristen als „willkürlich“ und erklärte, die Entscheidung der belarussischen Behörden sei allein auf die journalistische Arbeit von Puzila und Pratassewitsch zurückzuführen. Pratassewitsch wurde am 23. Mai 2021 nach der erzwungenen Landung des Ryanair-Flugs 4978 verhaftet.[12]
Im Januar 2022 wurde bekannt, dass Puzila, zusammen mit Raman Pratassewitsch, Franak Wjatschorka und dem Blogger Anton Motolko von belarussischen Behörden in 10 Anklagepunkten verdächtigt wird. Ihnen wird vorgeworfen, eine Verschwörung zur Machtergreifung organisiert, zum Hass aufgestachelt, Massenunruhen organisiert, extremistische Formationen gebildet, Hochverrat sowie eine Reihe weiterer schwerer Straftaten begangen zu haben.[13]
Am 26. Januar 2022 erklärte das Warschauer Bezirksgericht, dass die Auslieferung Puzilas an Belarus „rechtlich unzulässig“ sei. Das belarussische Außenministerium hatte bereits im November 2020 Puzilas Auslieferung beantragt. Der Richter Dariusz Łubowski kommentierte die Entscheidung mit den Worten: „Dieses Land verlangt die Auslieferung eines völlig unschuldigen Bürgers, nur weil er andere Ansichten hat als ein psychopathische Diktator – ein Diktator, der von keinem zivilisierten Staat anerkannt wird“.[14] Daraufhin leitete die Generalstaatsanwaltschaft von Belarus ein Strafverfahren gegen Łubowski ein.[15]
Im Mai 2022 wurden in Belarus gegen Puzila weitere Ermittlungen eingeleitet. Ihm wird vorgeworfen, eine „Terrororganisation“ anzuführen. Er habe demnach zusammen mit seinen Kollegen versucht, die Lage im Land zu „destabilisieren“.[16]
Im Mai 2023 wurde Raman Pratassewitsch zu 8 Jahren verschärfter Lagerhaft verurteilt, unter anderem wegen angeblicher Organisation von Massenunruhen, öffentlicher Aufrufe zu Terroranschlägen, der Führung einer extremistischen Organisation (als solche ist «Nexta» in Belarus eingestuft), der Verleumdung und Beleidigung des Präsidenten sowie weiterer, ungenannter Vergehen. Gleichzeitig wurden zwei Mitangeklagte in Abwesenheit, Szjapan Puzila und Jan Rudik, ein weiterer leitender Redakteur des Kanals, zu Lagerhaftstrafen von 20 und 19 Jahren verurteilt. Allen warf die von der Politik abhängige Justiz die Planung einer Verschwörung zur gewaltsamen Machtergreifung vor.[17] Nur wenige Wochen nach seiner Verurteilung wurde Pratassewitsch am 22. Mai 2023 überraschend begnadigt. Eine Begründung wurde nicht genannt. Pratassewitsch wurde nach seiner Festnahme wiederholt im belarussischen Staatsfernsehen gezeigt, wo er sich von seiner oppositionellen Tätigkeit distanzierte. Angehörige gingen davon aus, dass er seine regierungsfreundlichen Aussagen in Haft unter Druck und Folter machte.[18]
Auszeichnungen
- 2019: Nationaler Wiktar-Iwaschkewitsch-Menschenrechtspreis der Initiative Charta 97[19]
- 2020: Auszeichnung „Beruf: Journalist“ der Initiative „Offenes Russland“[20]
- 2020: Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments (einer der Vertreter der demokratischen Opposition in Belarus)[21]
- 2020: Nominierter unter den Top-5 für den polnischen Grand Press Award[22]
- 2021: Nominierter unter den „30 vielversprechendsten Russen unter 30“ der Zeitschrift Forbes in der Kategorie „Neue Medien“[23]
Einzelnachweise
- Количество просмотров беларуских YouTube-каналов в мае 2022 (включая аудиторные показатели). Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Александр Путило, автор и ведущий спортивных новостей. Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Сына спортивного комментатора подозревают в оскорблении Лукашенко. Ему грозит тюрьма. Archiviert vom am 30. Oktober 2020; abgerufen am 4. August 2019.
- Колосовскому лицею — 29. Блогер NEXTA и другие выпускники — о своей альма-матер. 14 января 2019. Archiviert vom am 4. August 2019; abgerufen am 4. August 2019.
- Эксклюзивное интервью с основателем NEXTA: мы – голос революции в Беларуси, но стали им поневоле. Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Profil von Stsiapan Putsila auf LinkedIn
- Субъектив на «Белсате». Archiviert vom am 4. August 2019; abgerufen am 4. August 2019.
- «Текст о сотруднике ГАИ набирал дрожащими руками». Интервью с автором канала NEXTA. Archiviert vom am 15. August 2020; abgerufen am 22. Mai 2019. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Telegram-Kanal „Nexta“: Wo sich der Protest von Belarus organisiert. Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Criminal case launched against NEXTA. He faces up to 15 years in prison. Abgerufen am 14. August 2020.
- Nexta-Chef zur Festnahme von Protassewitsch: »Wir sind die Staatsfeinde Nummer eins«. Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Belarus: Free journalist detained following forced emergency landing in Minsk. Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Masowa sprawa karna przeciwko białoruskim aktywistom. In: Belsat.
- Poland won't extradite Belarusian dissident, court says. In: Polskie Radio. 26. Januar 2022, abgerufen am 8. Februar 2022 (englisch).
- Mińsk ściga polskiego sędziego. Nie wydał Łukaszence założyciela kanału Nexta. In: Telewizja Polska. 1. Februar 2022, abgerufen am 8. Februar 2022 (polnisch).
- Belarussische Justiz ermittelt gegen Vertreter des oppositionellen Nachrichtenkanals Nexta. Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Markus Ackeret: Acht Jahre Haft für Roman Protasewitsch – den Blogger, den Weissrussland vom Himmel holte. In: Neue Zürcher Zeitung, 3. Mai 2023.
- Protassewitsch ist begnadigt worden – als «gebrochener Mann» In: SRF.ch, 22. Mai 2023.
- NEXTA: There Is a Desire to Accumulate All Trash of Lukashenka's Belarus. Abgerufen am 26. Juli 2022.
- Названы лауреаты премии «Профессия — журналист». In: Colta.ru. Archiviert vom am 30. August 2021; abgerufen am 28. Juli 2022 (russisch).
- The democratic opposition in Belarus - 2020, Belarus. Europäisches Parlament, abgerufen am 22. Oktober 2020.
- Białoruski bloger NEXTA w TOP-5 konkursu Dziennikarz Roku Grand Press 2020. Archiviert vom am 28. Dezember 2021; abgerufen am 7. März 2022.
- Степан Путило (NEXTA). In: Forbes. Archiviert vom am 7. Februar 2022; abgerufen am 12. Februar 2022 (russisch).