Straßenbahn Gorzów Wielkopolski

Die Straßenbahn Gorzów Wielkopolski bedient seit 1899 den städtischen Personennahverkehr in der polnischen Stadt Gorzów Wielkopolski (deutsch: Landsberg an der Warthe).

Straßenbahn
Straßenbahn Gorzów Wielkopolski
Bild
Bild
Ein aus Kassel stammender Straßenbahnwagen in Gorzów
Basisinformationen
Staat Polen
Stadt Gorzów Wielkopolski
Eröffnung 1899
Betreiber MZK Gorzów
Infrastruktur
Streckenlänge 13 km
Spurweite 1435 mm (Normalspur)
Betrieb
Linien 3
Linienlänge 26 km
Fahrzeuge 4 Konstal 105Na
11 Düwag 6xGTW
2 Konstal N
14 Pesa Twist
Statistik
Fahrleistung 1,21 Mio. km pro Jahrdep1
Netzplan
Netzplan
Streckennetzplan, Stand 2018

Entstehung

Aktie über 1000 RM der Elektrizitätswerk und Strassenbahn Landsberg AG vom 16. Juni 1900

Gorzów Wielkopolski gehörte einst zur preußischen Neumark und ist heute die größte Stadt der Woiwodschaft Lebus und Sitz des von der polnischen Zentralregierung für Lebus eingesetzten Wojwoden. Sie liegt im westlichen Teil Polens am Fluss Warthe, rund 80 km nordöstlich von Frankfurt (Oder) und 130 km nordwestlich von Posen.

Als die Stadt am Ende des 19. Jahrhunderts etwa 35.000 Einwohner hatte, bemühte sich die Stadt um ein modernes Verkehrsmittel. Die Helios Elektricitäts-AG aus Köln am Rhein gründete am 16. Juni 1900 die Elektrizitätswerk und Strassenbahn Landsberg AG. Diese übernahm die am 29. Juli 1899 durch die Stadt Landsberg eröffnete elektrische Straßenbahn.

Die in Normalspur gebaute erste Strecke führte vom Staatsbahnhof über den Marktplatz zu den Kasernen im Norden der Stadt mit einer kurzen Abzweig zu den Zanziner Anlagen. Die zweite Strecke verband ab dem 7. Juli 1904 den Marktplatz mit dem Hopfenbruch im Osten.

Mehr als eine Million Fahrgäste wurden erstmals im Geschäftsjahr 1911 befördert. Im Jahr 1914 war das Schienennetz 6,6 Kilometer lang und wurde von zwölf Triebwagen und zwei Beiwagen befahren.

Die Inflationszeit nach dem Ersten Weltkrieg zwang die Gesellschaft, die seit 1912 nicht mehr zur Helios-Gruppe gehörte, den Betrieb 1921 einzustellen; erst im Jahr 1924 konnte er wieder aufgenommen werden. Es kam zu zwei kleineren Streckenneubauten, einmal vom Marktplatz zur Kanalbrücke im Süden und zum anderen von der Ecke Bahnhofstraße zur Friedrichstadt im Westen. Damit besaß das kreuzförmige Streckennetz 8,1 Kilometer Länge.

In den 1930er Jahren wurden zwei Linien bedient:

  • Friedrichstadt – Marktplatz – Hopfenbruch
  • Kanalbrücke – Marktplatz – Kasernen / Zanziner Anlagen

Vom Bahnhof gab es nur noch im Anschluss an ankommende Reichsbahnzüge einzelne Fahrten zum Marktplatz. Die Statistik für das Geschäftsjahr 1939 weist 15 Triebwagen und drei Beiwagen aus. Diese legten insgesamt 517.000 Wagenkilometer zurück. Die Zahl der beförderten Personen betrug zwei Millionen. Ferner waren drei Omnibusse vorhanden, die auf zwei Linien mit einer Gesamtlänge von sechs Kilometern verkehrten. Der Omnibusbetrieb war am 23. Januar 1937 eröffnet worden.

Umstieg zum Obusbetrieb

Weil die Stadt weiterhin ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel benötigte, jedoch die Erneuerung der Straßenbahn unter den damaligen Umständen unmöglich erschien (NS-Rüstungspolitik und daraus resultierende Einsparung von Stahl, auch für Schienen), entschloss sich die Gesellschaft 1941, elektrische Oberleitungsbusse einzuführen. Der Umbau der Oberleitungsanlagen begann 1942 und war im Juni 1943 vollendet. Jedoch ließ die zögerliche Anlieferung der bestellten Fahrzeuge nur eine allmähliche Aufnahme des Obusverkehrs zu. Dieser begann im Juli 1943 mit der acht Kilometer langen Linie 2 von der Friedrichstadt über Marktplatz – Paradeplatz – IG-Farben zur Landesanstalt.

Ab Februar 1944 ersetzte die Linie 1 die Straßenbahn zwischen Bahnhof und Hohenzollernplatz über Marktplatz und Paradeplatz (4,5 km). Obwohl eine dritte Strecke vom Marktplatz über Kanalbrücke zum Kurzen Weg betriebsbereit war, konnten hier wegen des Wagenmangels nur vereinzelt Obusse eingesetzt werden. Deshalb fuhr die seit Juli 1943 „offiziell“ stillgelegte Straßenbahn weiterhin bis zur Kanalbrücke.

Das Kapital der E-Werk- und Straßenbahn-Gesellschaft verteilte sich zuletzt auf die

  • Elektrische Licht- und Kraftanlagen AG, Berlin mit 75 % und die
  • Gesellschaft für Elektrizitäts-Anlagen mbH, Berlin mit 25 %.

Als sich die Rote Armee am 30. Januar 1945 der Stadt näherte, wurde der gesamte Obus- und Straßenbahnbetrieb eingestellt.

Oberleitungslastkraftwagen

Ein Kuriosum des Landsberger Obus-Betriebs stellte eine elektrische Zugmaschine dar, die ihren Strom aus der O-Bus-Fahrleitung bezog. Mit diesem Oberleitungslastkraftwagen wurden Kohlen vom Hafen an der Warthe zum E-Werk, zum Gaswerk und zur Landesanstalt befördert. Dafür wurde noch eine über einen Kilometer lange Zweig-Oberleitung angelegt. Dieser Güterverkehr bestand nur von 1943 bis 1945 (Einsparung von Kraftstoffen wegen des Krieges).

Reaktivierung der Straßenbahn

Begegnung von Credé GT 6 221 (Duewag-Lizenzbau, ex Kassel 356) und Konstal 105Na, 1996
Credé-Triebwagen 224 (ex Kassel 353) auf der Linie 5 in der von 2009 bis 2011 reaktivierten Endschleife Bahnhof, 2010
Credé GT4 204 (ex Kassel 268), 1996
Konstal- und Wegmann-Wagen im Betriebshof an der Ul. Dobra, 2009

Die neue polnische Stadtverwaltung nahm den fast völlig eingestellten Straßenbahnbetrieb nach und nach wieder in Betrieb, zumal das Schienennetz weitgehend noch vorhanden war, 1947 auf einer Linie, ab 1949 auf zwei Linien. Die Obus-Fahrzeuge wurden nicht mehr eingesetzt und an die Stadt Posen abgegeben; die Fahrleitung wurde wieder für den Straßenbahnbetrieb hergerichtet.

1955 wurde der Städtische Verkehrsbetrieb Gorzów Wielkopolski (Miejski Zakład Komunikacji w Gorzowie Wielkopolskim) konstituiert.

Im Laufe der Zeit wurde das frühere Schienennetz um folgende Abschnitte erweitert:

  • von der Kaserne nach der Dzierzynskiego (Hohenzollernplatz),
  • von der Zechower Straße zur Elektrownia (Landesanstalt) und zur Silwana.

Dabei wurden fast alle Strecken zweigleisig ausgebaut und zum Teil auf eine neue Trasse verlegt. Außerdem wurde das Depot am Bahnhof, wo eine Schleife angelegt wurde, aufgegeben und am Ende der um zwei Kilometer nach Westen bis Wieprzyce verlängerten Strecke neu errichtet.

Andererseits wurden die Zweigstrecken zum Hopfenbruch und zu den Zanziner Anlagen stillgelegt; schließlich unterblieb die bereits begonnene Erneuerung der Strecke vom Marktplatz über die Kanalbrücke zur Kobylogorska (Kurzer Weg). (Laut Pharus-Stadtplan aus den 1920er Jahren hieß diese Straße „Kuburger Straße“.)

Im Jahr 1985 waren fünf Straßenbahnlinien vorhanden:

10 Wieprzyce – Marktplatz – Silwana (im Nordosten)
20 Wieprzyce – Marktplatz – Osiedle Piaski (im Norden)
30 Osiedle Piaski – Marktplatz – Silwana
40 Dworzec Glowny (Bahnhof) – Marktplatz – Silwana
50 Dworzec Glowny (Bahnhof) – Osiedle Piaski

Die Linien 4 und 5 verkehrten jedoch nicht zur gleichen Tageszeit. In den 1990er Jahren wurde die Zahl der Linien reduziert; 1995 gab es nur noch drei Linien:

10 Wieprzyce – Piaski
20 Wieprzyce – Silwana
30 Silwana – Piaski

Neben polnischen Straßenbahnfahrzeugen wurden ab Anfang der 1990er Jahre von der Straßenbahn Kassel übernommene Triebwagen Typ 6ZGTW eingesetzt. Dabei handelte es sich um Duewag-Einheitswagen in Einrichtungs- und Zweirichtungsausführung, die in Lizenz von den Kasseler Herstellern Credé und Wegmann gebaut wurden, lediglich Türen und Drehgestelle wurden von Duewag geliefert. Die Front der Wegmann-Triebwagen weicht, anders als die der bei Credé gebauten Fahrzeuge, vom Duewag-Design ab. Da in Gorzów keine Zweirichtungsfahrzeuge benötigt werden, wurden bei diesen Wagen die Türen auf einer Seite verschlossen, der Fahrersitz am hinteren Ende ausgebaut und die dort befindlichen Armaturen mit abschließbaren Klappen versehen. Die ursprünglich mit Blechschildern bestückten Kästen zur Anzeige der Liniennummer und des Fahrziels wurden inzwischen weitgehend ersetzt durch Matrixanzeigen in Leuchtdiodentechnik.

Von Ende 2009 bis Ende 2011 waren die beiden Linien 4 und 5 mit einzelnen ungetakteten Fahrten werktags wieder in Betrieb, damit war der Bahnhof wieder am Straßenbahnnetz. Am 2. Januar 2012 wurden die 4 und 5 wieder eingestellt, da die Subventionen gekürzt wurden. Die Linien 1, 2 und 3 bieten werktags einen 15-Minuten-Takt und am Wochenende einen 20-Minuten-Takt. Durch die Linienüberlagerung auf allen Streckenästen ergibt sich ein kombinierter Takt mit etwa halben Intervallzeiten.

2011 waren für den Betrieb folgende Triebfahrzeuge vorhanden: 17 Kostal 105N/105Na, 11 6EGTW, 7 6ZGTW und ein historischer 4N.[1]

Die Fahrkartenautomaten in den Straßenbahnwagen sind nur mit Münzen (Złoty) benutzbar. Automaten an Haltestellen sind nicht aufgestellt.

Im Dezember 2013 beschloss der Stadtrat, das Netz umfassend zu erneuern und um zwei Linien zu erweitern. Der Betreiber plant eine neue Umsteigestation am Bahnhof. Zu diesem Zeitpunkt fuhren in Gorzów nur ehemalige Kasseler Triebwagen, da zwei Linien wegen der fehlenden finanziellen Mittel nicht verkehrten. Die Wendeschleife am Bahnhof war zu diesem Zeitpunkt nicht an das Netz angebunden.

Der Straßenbahnbetrieb Gorzów Wielkopolski bestellte beim polnischen Schienenfahrzeughersteller Pesa in Bydgoszcz 14 Fahrzeuge des Typs Pesa Twist 3. Die Fahrzeuge sind 24,2 m lang und 2,4 m breit und bieten 48 Fahrgästen einen Sitz- und 170 einen Stehplatz. Die Fahrzeuge sind Zweirichtungswagen und vollständig niederflurig. Die Lieferung erfolgte ab dem Jahr 2018. Sie erreichen bis zu 80 km/h. Einige Fahrzeuge, die von der Kasseler Verkehrsgesellschaft übernommen worden waren, sollen weiterhin als Reserve vorgehalten werden.

Seit dem 1. Oktober 2017 wurden grundlegende Reparaturen an den Gleisanlagen durchgeführt. Dabei ist die Zufahrt zum am Linienendpunkt liegenden Depot Wieprzyce, die Aleje 11 Listopada, für die Straßenbahn nicht mehr befahrbar. Deswegen wurde der komplette Betrieb auf Bus-Ersatzverkehr umgestellt.[2][3] Die Wiedereröffnung war für 2018 vorgesehen.

Ende 2017 wurden die Konstal-105N-Fahrzeuge 89, 92, 98 und 99 sowie die Konstal-105Na-Fahrzeuge 114, 115, 119, 120, 121, 122, 126, 131 und 133 sowie der nicht mehr vollständig vorhandene Düwag 6EGTW 265 als Schrott verkauft.[4][5] Im März 2019 folgten die Düwag 6EGTW 251, 262–264 und 266, wobei die Fahrzeuge 251 und 266 nicht mehr komplett waren.[6]

Bis Anfang Oktober 2019 waren zwölf der niederflurigen Pesa-Fahrzeuge eingetroffen. Einige der Credé- und Wegmann-GT6 erhielten einen schwarz/neongrünen Neulack und sollen im Bestand, die Triebwagen 117 und 134 der Bauart 105Na als historische Wagen erhalten bleiben.

Der auf September 2019 verschobene Eröffnungstermin konnte wiederum nicht eingehalten werden.

Wiederinbetriebnahme

Am 17. April 2020 fand trotz COVID-19-Pandemie in Polen eine öffentliche Probefahrt vom Depot Wieprzyce zur Wendeschleife Silwana mit einem neuen PESA-Triebwagen mit dem Stadtpräsidenten Jacek Wójcicki, der Vizepräsidentin Agnieszka Surmacz und Vertretern der Industrie sowie der Presse statt. Zahlreiche Schaulustige verfolgten mit Kameras das Ereignis an den Straßen. Geplant ist die Wiedereröffnung des öffentlichen Betriebes am Stadtgeburtstag am 2. Juli 2020. Bei der Fahrt wurden, da die neuen Wagen breiter sind, noch Mängel wie im Lichtraumprofil stehende Verkehrsschilder oder Hecken festgestellt.[7]

Fahrzeuge

Bild Modell Jahr der Indienststellung Niederflurig Anzahl
Konstal N 1995 Nein 1[8]
Konstal 105N/Na 1975 Nein 4
Credé 6EGTW 1995 Nein 4
Wegmann 6ZGTW 1999 Nein 7
Pesa Twist 2019 Ja 14
Gesamtzahl 31
Anteil der Niederflurwagen 45 %

Literatur

  • Werner Stock: Obus-Anlagen in Deutschland. Die Entwicklung der Oberleitungs-Omnibus-Betriebe im Deutschen Reich, in der Bundesrepublik Deutschland und in der Deutschen Demokratischen Republik seit 1930. Busch, Bielefeld 1987, ISBN 3-926882-00-X.
  • Józef T. Finster, Robert Piotrowski: 100 lat na szynach: Landsberg 1899 – Gorzów 1999 = 100 Jahre auf den Schienen: Landsberg 1899 – Gorzów 1999. 2. verbesserte Auflage 2007. Landisberch Nova, Gorzów Wlkp., ISBN 83-88135-25-2.
Commons: Trams in Gorzów Wielkopolski – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Holenderskie wagony dla MZK Gorzów Wielkopolski. In: infotram.pl. 7. April 2011, abgerufen am 18. April 2020 (polnisch).
  2. Gorzów wkrótce bez tramwajów
  3. Gorzów Wielkopolski na dwa lata bez tramwajów. In: infotram.pl. 25. August 2017, abgerufen am 18. April 2020 (polnisch).
  4. Gorzów Wielkopolski sprzedaje Konstale. In: infotram.pl. 25. September 2017, abgerufen am 18. April 2020 (polnisch).
  5. Stopiątki opuszczają Gorzów Wielkopolsk. In: infotram.pl. 20. Dezember 2017, abgerufen am 18. April 2020 (polnisch).
  6. Gorzów Wielkopolski sprzedaje pięć Helmutów. In: infotram.pl. 22. März 2019, abgerufen am 18. April 2020 (polnisch).
  7. W Polsce stan epidemii, w Gorzowie impreza z Twistem. In: infotram.pl. 17. April 2020, abgerufen am 18. April 2020 (polnisch).
  8. Miejski Zakład Komunikacji. Tabor. In: mzk-gorzow.com.pl. Abgerufen am 18. April 2020 (polnisch).
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