Stennes-Putsch
Der Stennes-Putsch war eine Auseinandersetzung innerhalb der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, bei der SA-Männer am 1. April 1931 ein Gebäude ihrer Partei in Berlin besetzten. Der „Putsch“ des SA-Oberführers Walther Stennes gegen Adolf Hitler und die Münchner Parteiführung scheiterte.
Verlauf
Am 1. April 1931 besetzten mehrere hundert SA-Männer das Parteigebäude in der Hedemannstraße in Berlin. Ziel dieser Aktion war es, den von Adolf Hitler eingesetzten Nachfolger von Oberführer Hauptmann a. D. Walther Stennes am Zutritt zu hindern. Hierbei kam es zu Rangeleien mit der vor Ort eingesetzten SS-Wache. Im Laufe des Tages erklärte Stennes Hitler für abgesetzt. Hinter ihm, so Stennes, stehe die gesamte ostelbische SA und angeblich auch der Gauleiter von Berlin Joseph Goebbels. Die Nummer der Parteizeitung Der Angriff, deren Redaktionsräume ebenfalls gewaltsam besetzt worden waren, wurde durch Stennes am Folgetag selbst herausgebracht. Mit Hilfe der Berliner Polizei gelang Hitler die Entsetzung der Räumlichkeiten. Obwohl Stennes die Unterstützung von Teilen der SA in Berlin, Schleswig-Holstein, Schlesien und Pommern genoss, kam es nicht zu einem regelrechten Aufstand. Der „Putsch“ war gescheitert; es folgten Parteiausschlüsse für ungefähr 500 der beteiligten SA-Männer.
Hintergrund
Bereits vor der Reichstagswahl vom 14. September 1930 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Parteispitze und dem Gruppenführer Stennes, dem zugleich die Sturmabteilungen in Ostdeutschland unterstanden. Er forderte von Hitler nachdrücklich eine Berücksichtigung von SA-Führern auf sicheren Listenplätzen. Nach der Weigerung Hitlers, dieser Forderung nachzukommen, verweigerten Sturmabteilungen in Berlin ihren Dienst. Wahlkampfveranstaltungen der NSDAP sollten nicht mehr von der SA geschützt werden. Diese Auseinandersetzungen innerhalb der NSDAP konnten beigelegt werden, auch weil Hitler finanzielle Verbesserungen für die SA in Aussicht stellte.[1] Stennes setzte jedoch bis 1931 – auch in öffentlichen Verlautbarungen – seine Kritik an der NSDAP fort. Hitler verfügte deshalb die Entlassung von Stennes, der daraufhin im April 1931 die „Nationalsozialistische Kampfbewegung Deutschlands (NSKD)“ gründete, die jedoch nie einen politischen Einfluss gewann.[2] Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Frühjahr 1933 wurde Stennes vorübergehend verhaftet und ging dann zusammen mit seiner Frau und Tochter in die Emigration nach China.
Parteiausschlüsse
Zu den bekannten Personen, die im Zuge der „Säuberung“ der NSDAP und der SA nach der Stennes-Revolte aus der NSDAP und/oder der SA ausgeschlossen wurden, zählten u. a.
Ausgeschlossene OSAF-Stellvertreter:
- Walther Stennes, OSAF-Stellvertreter Ost der SA (Oberbefehlshaber der SA in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg, Pommern und Schlesien)
Ausgeschlossene Angehörige des Stabes des OSAF-Stellvertreters Ost und der Gausturm-Stäbe:
- Hans-Eitel Friedrich (* 14. Juli 1898 in Potsdam; † 19. Februar 1979 in Berlin), Adjutant des Gausturms Brandenburg
- Walter Jahn, Adjutant des OSAF-Stellvertreters Ost
- Herbert Jantzon (* 20. Mai 1898 in Spandau), Adjutant des Gausturms Berlin
Ausgeschlossene SA-Gausturm-Befehlshaber:
- Kurt Kremser (* 5. September 1895 in Leobschütz), Oberführer des SA-Gausturms Schlesien
- Hans Lustig (* 22. Februar 1895; † 6. Mai 1981), Oberführer des SA-Gausturms Pommern
- Wilhelm Püstow (* 1. März 1886 in Schwerin), Oberführer des SA-Gausturms Mecklenburg
- Joseph Veltjens, Oberführer des SA-Gausturms Brandenburg
- Ernst Wetzel, Oberführer des SA-Gausturms Berlin
Ausgeschlossene Führer der Berliner SA-Formationen:
- Erich Döbrich, Führer der SA-Standarte I (Charlottenburg, Spandau, Moabit)
- Hans Breuer, Führer der SA-Standarte IV (Mitte)
- Hans Hustert, Führer der SA-Standarte V (Friedrichshain)
- Gustav Kempe (* 26. September 1900 in Wilhelmshaven), Führer des Motorsturms des OSAF-Ost[3], Führer des Berliner SA-Motorsturms
- Wilhelm Krach, Führer der SA-Standarte III (Tempelhof)
- Karl van Rey, Führer der SA-Standarte II (Steglitz)
Ausgeschlossene Mitarbeiter des Angriff-Verlages:
- Friedrich Wilhelm Ehorn (28. September 1904), Vertriebsleiter des Angriff-Verlages
- Josefine von Behr, Sekretärin der Zeitung Der Angriff
- (Fritz) Rudolf Gundel, Versandleiter des Angriff-Verlages, zugleich SA-Führer z.b.V. bei Stennes
- Karl Kiefer, Redakteur der Zeitung Der Angriff
- Ernst Werner Techow, Sekretär im Angriff-Verlag
- Ludwig Weißauer, Geschäftsführer des Angriff-Verlages
- Melitta Wiedemann, Redakteurin der Zeitung Der Angriff
Weitere ausgeschlossene NSDAP-Mitglieder:
- Adolf Aich (* 7. Februar 1903 in Gmünd), Bürovorsteher von Stennes
- Walter Bergmann (* 4. Mai 1905), Abteilungsführer bei Stennes
- Walter Caternberg (* 16. Oktober 1903 in Berlin-Weißensee), Mitglied der Stennes'schen Stabswache
- Joseph Franke (* 14. Februar 1894 in Münster; † 14. Dezember 1978 ebd.), Führer des „Unteren Nachrichten-Rahmens“ bei Stennes
- Ludwig Gehre, Hauptmann a. D., im „Oberen Nachrichtenrahmen“ von Stennes beschäftigt gewesen
- Heinz Grünhagen (* 9. Dezember 1900), SA-Führer z.b.V.
- Richard Harwardt (* 30. Juli 1893), Mitglied der Stabswache von Stennes
- Heinrich Kuhr, Sturmführer, Abteilungsführer bei Stennes
- Bernhard Lichtenberg (* 18. Januar 1896 [?] in Berlin), Sturmführer, Abteilungsführer bei Stennes
- Charlotte Schultz-Ewerth (* 11. Juni 1898)
Literatur
- Andreas Dornheim: Röhms Mann fürs Ausland. Politik und Ermordung des SA-Agenten Georg Bell, Münster 1998, v. a. S. 110–112.
- Ian Kershaw: Hitler. Bd. 1: 1889–1936, Stuttgart/München 1998, ISBN 3-421-05131-3, S. 437–452.
- Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA, München 1989, v. a. S. 109–111.
- Sven Reichardt: Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2009, v. a. S. 166–173.
- Bernhard Sauer: „Goebbels «Rabauken». Zur Geschichte der SA in Berlin-Brandenburg“, in: Uwe Schaper [Hrsg.]: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2006, Berlin 2006, S. 107–164.
- Sascha Steger: „Kurt Daluege, die Stennes-Revolten 1930/31 und der Aufstieg der SS“, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2021, Heft 4, S. 607–632.
Weblinks
- Bernhard Sauer: Goebbels »Rabauken«. Zur Geschichte der SA in Berlin-Brandenburg. (PDF; 1,6 MB) In: Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, 2006
- Institut für Zeitgeschichte: Digitalisat des Zeugenschrifttums 1147: Zeugenschrifttum Walther Stennes Nr. 1 (mit reichhaltigem Material über den Stennes-Putsch)
Einzelnachweise
- Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß (Hrsg.): Enzyklopädie des Nationalsozialismus. 4. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co KG, München 1997, ISBN 3-423-33007-4, Teil II, Lexikon, S. 750.
- Peter Longerich: Geschichte der SA, München 2003, S. 100ff.
- Gustav Kempe war ein deutscher Mediziner und SA-Führer. Nach dem Medizinstudium lebte Kempe in Berlin-Neukölln. Nach dem Parteitag von 1929 trat er in die NSDAP und in die SA ein. Kempe fand in der Berliner SA schnell Anschluss an den damaligen OSAF-Ost Walter Stennes, der ihn in seinen Stab aufnahm und auf dessen Veranlassung er den ersten Motorsturm der Berliner SA bildete und bis 1931 führte (Motorsturm OSAF-Ost). Zugleich leitete er das Ic-Referat (Nachrichtendienst) in Stennes’ Stab. Eine scharfe Ablehnung brachte Kempe dem Berliner Gauleiter Goebbels entgegen, angeblich aufgrund einer persönlichen Erbitterung, die er darüber empfand, dass Goebbels ihn, als er sich einmal in der Berliner Gauleitung gemeldet hatte und sich diesem angeboten hatte, sich und seinen Kraftwagen zur persönlichen Verfügung Goebbels zu stellen, zurückgewiesen hatte. Aus Gekränktheit hierüber soll er die Nähe von Stennes gesucht und Goebbels mit persönlichem Hass gegenüber gestanden haben. Aufgrund der Freigiebigkeit, mit der er SA-Männer in seinem Haus bewirtete, war er in der Berliner SA zeitweise überaus populär. Aus Ablehnung der politischen Linie der Parteiführung der NSDAP, die ihm nicht revolutionär genug war, und persönlicher Antipathie gegen Goebbels soll Kempe 1930 und im Frühjahr 1931 viel gegen die Reichsleitung der NSDAP und ab Frühjahr 1931 auch gegen die Oberste SA-Führung unter Ernst Röhm in München und sogar gegen Hitler als Obersten SA-Führer "gehetzt" haben. Sein politisches Ziel war es, die Herbeiführung einer Abspaltung der SA von der NSDAP zu erreichen. Auch wurde Kempe verdächtigt, der sozialdemokratischen Abendzeitung Tempo während der "Kampfzeit" vertrauliche Informationen über das Innenleben der Berliner NSDAP zur Verfügung gestellt zu haben und kritische Artikel in dieser Zeitung verfasst oder zumindest veranlasst zu haben. Seit 1930 soll Kempe im Zuge der sich immer stärker herauskristallisierenden Differenzen zwischen NS-Führung und SA sogar zu Gewalttätigkeiten gegen Hitler, Goebbels, Göring und andere politische Führer der NSDAP aufgerufen haben, die er mit Namen wie "Operettendiva", "vollgefressenes Schwein", "Morphinist oder "Kaufmannslehrling" bedacht haben soll. Den General Litzman schlug er nachweislich öffentlich in der Friedrichstraße, während er den Wagen des SS-Arztes Leonardo Conti von seinen Männern "ausschlachten" und als unbrauchbares Gerüst stehen ließ. Durch seine "Hetzereien" soll er erheblich zur Erzeugung der Revolte-Stimmung in der Berliner SA beigetragen haben, die schließlich zur Stennes-Revolte führte. Der Sturmführer Franz Knospe nannte ihn später sogar den "eigentlichen Urheber der Stennes-Affäre". Im April 1931 beteiligte Kempe sich mit seinem Motorsturm aktiv an der Stennes-Revolte, so dass er aus der NSDAP und der SA ausgeschlossen wurde. Während der kritischen Tage soll er erneut zu Gewalttätigkeiten gegen politische Führer der NSDAP aufgerufen haben. Von 1931 bis 1933 soll er dann den Zeugnissen diverser Berliner SA-Führer zufolge in nachdrücklicher Opposition zur NS-Bewegung gestanden haben. Mitte der 1930er Jahre siedelte er als Kreisarzt nach Ortelsburg in Ostpreußen über.