Zivilehe
Die Zivilehe ist die in den meisten Ländern als Rechtsinstitut des Zivilrechts ausgestaltete Form der Ehe. Sie ist Gegenstand des Eherechts.
„Zivil“ bezeichnet in diesem Zusammenhang die Abgrenzung der staatlich geregelten Ehe von der religiösen, durch Glaubensgemeinschaften vermittelten Ehe (z. B. der kirchlichen Trauung oder der islamischen Ehe). Die Voraussetzungen dafür, die Zivilehe eingehen zu können, und ihre Rechtswirkungen im Einzelnen unterscheiden sich je nach Rechtsordnung. Gleichgeschlechtlichen Paaren steht seit Beginn des 21. Jahrhunderts in vielen westlichen Ländern die Zivilehe offen.
Allgemeines
Die Zivilehe ist die in nichtreligiöser Form (d. h. vor dem Standesbeamten oder Notar) geschlossene und nichtreligiösem Recht unterliegende Ehe.
Ausgehend von der einzelnen Ehe, gibt es staatlicherseits die reine Zivilehe, die rein religiöse Ehe oder Mischformen, bei denen der Staat in begrenztem Umfang (Eheschließung, ggf. auch Nichtigerklärung) die Mitwirkung der Religion zulässt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber etwa auch Frankreich und den Benelux-Staaten ist dem Grundsatz nach die reine Zivilehe obligatorisch. Zugleich kann hier eine Ehe nach religiösem, etwa kanonischem Recht vorliegen, die aber staatlicherseits ohne Bedeutung bleibt (vgl. „Kaiserparagraph“ § 1588 BGB oder Art. 1:30 Abs. 2 BW). Bei der fakultativen Zivilehe existiert staatlicherseits die reine Zivilehe neben der rein religiösen Ehe oder Mischformen.
Deutschland
Geschichte
In Deutschland wurde während der Franzosenzeit in von Frankreich besetzten bzw. annektierten Gebieten der Code civil eingeführt, ebenso in den sogenannten napoleonischen Satellitenstaaten des Rheinbundes (zum Beispiel 1810 im Großherzogtum Berg). In den vier rheinischen Departements wurde sie fakultativ 1795 eingeführt; am 1. Mai 1798 obligatorisch.[1]
Im Zuge der allgemeinen Restauration mit Beginn der preußischen Zeit 1815 wurde die Zivilehe allmählich wieder abgeschafft, wobei der preußische Staat – etwa im Erzbistum Köln – zunächst kompromissbereit gegenüber dem amtierenden konservativen Episkopat agierte. Aufgrund der föderalen Struktur des Deutschen Bundes gab es in der Folge bis zur Reichsgründung regional unterschiedliche Annäherungen an die Wiedereinführung der Zivilehe.
Vorreiter waren die Freie Hansestadt Bremen und das Großherzogtum Oldenburg, wo auf Initiativen des Baptisten Frerich Bohlken bereits am 31. Mai 1855 ein „Gesetz über die Zivilehe für das Land Oldenburg“ verkündet wurde. Die erste zivilrechtliche Trauung auf dieser gesetzlichen Grundlage fand am 12. Juli 1855 in der Stadt Varel statt; damals heirateten der Baptistenpastor August Friedrich Wilhelm Haese und Metta Schütte.[2] Es war für Angehörige von Freikirchen und andere Dissidenten wie Freireligiöse bis dahin nicht möglich, die Ehe einzugehen. Das Recht, legale Eheschließungen durchzuführen, lag bis zum Erlass des genannten Gesetzes allein bei der jeweiligen Staatskirche. Diese wiederum verweigerte solchen, die aus der Staatskirche ausgetreten waren, die Trauung. Preußen führte am 9. März 1874[3] die obligatorische Zivilehe mit einem vom Landtag am 23. Januar 1874 verabschiedeten Gesetz ein.[4] Gegen die Zivilehe gab es teilweise erhebliche Widerstände. Im Deutschen Reich wurde die Zivilehe im Zuge des Kulturkampfs 1875 durch das Gesetz über die Eheschließung nach preußischem Vorbild geregelt (siehe auch Kaiserparagraph).
Rechtslage
In Deutschland gilt heute die sogenannte obligatorische Zivilehe (§ 1310 BGB, Art. 13 Abs. 3 EGBGB). Damit ist gemeint, dass staatliche Instanzen nur diejenigen als Eheleute betrachten, die entsprechend den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches („standesamtlich“) geheiratet haben. Eine Ausnahme von der obligatorischen Zivilehe beinhaltet die Heilungsvorschrift für nicht vor dem Standesbeamten geschlossene Ehen in § 1310 Abs. 3 BGB. Im Jahr 2011 wurden in Deutschland 377.831 Ehen geschlossen.[5]
Bis Ende 2008 durfte eine kirchliche Trauung in Deutschland erst nach der Eheschließung stattfinden (Verbot der religiösen Voraustrauung). Mit dem seit 1. Januar 2009 gültigen Personenstandsrechtsreformgesetz ist dieses Verbot aufgehoben, die kirchliche Trauung hat nun überhaupt keine zivilrechtliche Relevanz mehr und ist darum auch nicht mehr staatlichen Beschränkungen unterworfen.[6] Die evangelische Kirche hat die kirchliche Eheschließung ohne vorherige standesamtliche Eheschließung untersagt; in der katholischen Kirche ist sie in Ausnahmefällen möglich.
Anmeldung
Die beabsichtigte Eheschließung ist nach § 2, § 3 und § 12 des Personenstandsgesetzes[7] beim Standesamt anzumelden. Dabei sind zumindest Geburtsurkunden (bzw. eine beglaubigte Abschrift aus dem Geburtenregister) und eine Familienstandsbescheinigung vorzulegen.[8] Im Einzelfall, etwa bei Ausländern oder schon einmal Verheirateten, sind weitere Urkunden erforderlich.[9] Diese Urkunden sind im Regelfall schriftlich bei den zuständigen Standesämtern zu beantragen. Einen Aushang des standesamtlichen Aufgebotes gibt es seit der Aufhebung des Ehegesetzes am 1. Juli 1998 nicht mehr.
Staatlicher Schutz der Ehe
Artikel 6 des Grundgesetzes setzt in seinem Satz Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung die Zivilehe voraus und schützt grundsätzlich nur diese. (siehe auch Schutz von Ehe und Familie)
Österreich
In Österreich (genauer Cisleithanien) wurde die Zivilehe mit den Maigesetzen 1868 als „Notzivilehe“ eingeführt, wenn ein konfessionelles, aber kein staatliches Ehehindernis bestand.[10] Sie wurde dann erweitert, bis nach dem Anschluss 1938 die obligatorische Zivilehe eingeführt wurde (§ 15 EheG). Die wurde nach Kriegsende beibehalten.
Schweiz
In der Schweiz wurde 1874 im Zuge des Kulturkampfes in der Schweiz vorgeschrieben, dass man erst zivil heiraten muss, bevor man kirchlich heiraten kann (Voraustrauungsverbot, Art. 97 Abs. 3 ZGB).
Weitere Staaten mit obligatorischer Zivilehe
Neben den von Frankreich beeinflussten Rechtsordnungen ist die obligatorische Zivilehe auch in den Ländern des ehemaligen sozialistischen Rechtskreises (einschließlich China[11]) und in Lateinamerika üblich; ebenso in Japan[12] und Korea.[13]
West- und Mitteleuropa: | Südosteuropa: | Osteuropa/Nachfolgestaaten der UdSSR: |
In Tunesien findet die Eheschließung obligatorisch zivil vor einem Standesbeamten oder Notar statt;[14] auch das materielle Eherecht[15] ist zivilen Grundsätzen angenähert.
Fakultative Zivilehe
Bei der fakultativen Zivilehe gibt es zwei Varianten.
Zivilehe neben religiöser Eheschließung
Die meisten Staaten mit fakultativer Zivilehe lassen nur die Wahl zwischen zivilem (nichtreligiösem) und religiösem Akt der Trauung. Hierzu zählen die Länder des anglo-amerikanischen und des nordischen Rechtskreises sowie einige katholisch geprägte Länder. Voraussetzung ist die staatliche Anerkennung der Religionsgemeinschaft, des Geistlichen und/oder der Örtlichkeit. Zumeist erfolgt eine Meldung der Eheschließung durch die Religionsgemeinschaft an die staatlichen Behörden zwecks personenstandsrechtlicher Registrierung (in Italien[16] beispielsweise Transkription genannt). Folgende europäische Rechtsordnungen gestatten eine religiöse Eheschließung:
Überwiegend katholisch:
|
Überwiegend protestantisch: | Überwiegend orthodox:
Überwiegend muslimisch: |
Während beim „nördlichen“ Typus allein die staatliche Trauungsperson durch eine religiöse Trauungsperson ersetzt wird, richten sich beim „südlichen“ Typus auch die Ehevoraussetzungen nach kirchlichem Recht;[19] Italien, Spanien, Portugal und Malta lassen zudem die Nichtigerklärung durch ein katholisches Kirchengericht zu.[20]
Zivilehe neben religiöser Ehe
Einige Staaten kennen die Zivilehe neben der religiösen Ehe. Ein typisches Beispiel ist die Sonderehe (Special marriage) in Indien, Pakistan und Bangladesch,[21] die hier neben der rein religiösen islamischen Ehe und zumindest religiös geschlossenen weiteren Eheformen besteht. Weitere Beispiele sind das Partnerschaftsbündnis von Konfessionslosen in Israel[22] (was allerdings Konfessionslosigkeit beider Teile voraussetzt und somit keine echte Wahlmöglichkeit darstellt) sowie die Wahlmöglichkeit von Muslimen in Griechenland.[23]
Religiöse Ehe
Der einzige Staat Europas mit obligatorischer Klerikalehe ist der Vatikanstaat, der nur die kanonische Ehe zulässt[24] (bis 1993 ebenso Andorra). In vielen islamisch geprägten Staaten von Marokko im Westen bis Indonesien im Osten (Ausnahmen: Tunesien, Türkei, Nachfolgestaaten der Sowjetunion) und auch in Israel ist die rein religiöse Ehe üblich, wobei in der Regel mehrere Religionen anerkannt, aber konfessionsverschiedene Ehen kaum möglich sind.
In Israel haben Juden, Muslime, Drusen und einige christliche Konfessionen (jedenfalls die lateinische, die maronitische und die griechisch-orthodoxe) eigenes Recht und eigene Gerichtsbarkeit in Fragen des Personalstatuts.[25] Hier kann etwa eine jüdisch geschlossene Ehe deshalb nur vom Rabbinatsgericht geschieden werden,[26] das den Scheidebrief (Get)[27] archiviert. Im Libanon bestehen sogar 18 anerkannte Glaubensgemeinschaften[28] mit jeweils eigenem Eherecht und Gerichtsbarkeit. Manche heiratswillige Paare aus Israel oder dem Libanon weichen nach Zypern aus, um eine Ehe in ziviler Form zu schließen.
Weitere Beispiele: Jordanien,[29] Syrien,[30] Iran,[31] Indonesien.[32]
Literatur
- Alexandra Maschwitz: Die Form der Eheschließung. Göttingen 2014.
- Inken Fuhrmann: Die Diskussion über die Einführung der fakultativen Zivilehe in Deutschland und Österreich seit Mitte des 19. Jahrhunderts. (= Rechtshistorische Reihe. Band 177.) Frankfurt am Main 1998.
- Joseph Overath: Zur Einführung der Zivilehe im „Kulturkampf“. In: Joseph Overath: Kirchengeschichte. Orientierungshilfen, Standpunkte, Impulse für heute. Frankfurt am Main 1987, S. 165–182.
- Werner Schubert: Preußen und die Zivilehe in der Nachmärzzeit. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung. 117, 1987, S. 216–246.
Weblinks
Einzelnachweise
- Andreas Becker: Napoleonische Elitenpolitik im Rheinland: die protestantische Geistlichkeit im Roerdepartement 1802–1814 (= Rheinisches Archiv, Band 156). Böhlau Verlag, Köln 2011, ISBN 978-3-412-20655-0, S. 51 ff.
- Varel-Lexikon: Johann Gerhard Oncken bahnte Zivilehe den Weg. In: Nordwest-Zeitung online. 5. Juni 2010, abgerufen am 16. Dezember 2017.
- Michael Sachs: ‘Fürstbischof und Vagabund’. Geschichte einer Freundschaft zwischen dem Fürstbischof von Breslau Heinrich Förster (1799–1881) und dem Schriftsteller und Schauspieler Karl von Holtei (1798–1880). Nach dem Originalmanuskript Holteis textkritisch herausgegeben. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 35, 2016 (2018), S. 223–291, hier: S. 278.
- Kalenderblatt 2006: 23. Januar. Rhein-Zeitung, 23. Januar 2006.
- Trauungen in Deutschland – Daten und Fakten. (Memento vom 11. März 2014 im Internet Archive) Abgerufen am 26. März 2013.
- Heiraten bald ohne Standesamt erlaubt. auf: spiegel.de, 3. Juli 2008.
- Nach Inkrafttreten des Personenstandsrechtsreformgesetzes von 2007 am 1. Januar 2009 werden die Familien- und Heiratsbücher etc. durch elektronische Personenstandsregister ersetzt.
- Für Adoptierte vgl. Personenstandsurkunde.
- vgl. beispielsweise die Vorgaben des Standesamtes Bad Homburg. Website der Stadt Bad Homburg, abgerufen am 16. Dezember 2017.
- Reichs-Gesetz-Blatt für das Kaiserthum Oesterreich, Jahrgang 1868, 19. Stück: RGBl. 47/1868, S. 93.
- Art. 8 EheG (婚姻法)
- Art. 739 ZGB (民法)
- Art. 812 ZGB (민법)
- Art. 31 PStG (Loi n° 57-3 réglementant l'état civil)
- Gesetzbuch über das Personalstatut (Code du statut personnel)
- allgemein: Legge 24 giugno 1929, n. 1159, Art. 10; katholisch: Legge 27 maggio 1929, n. 847, Art. 9; siehe auch Diözese Bozen-Brixen: Ansuchen um Überschreibung der Ehe in die Zivilstandsregister
- Verfassungsgericht der Republik Litauen, Case No. 6/94
- Hintergrund: Bergmann aktuell (26. Oktober 2017)
- Alexandra Maschwitz: Die Form der Eheschließung (2014), S. 41
- vgl. Art. 63 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa); Thomas Rauscher: Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, Art 63 Brüssel IIa-VO
- Indien: The Special Marriage Act, 1954; Pakistan: The Special Marriage Act, 1872; Bangladesch: The Special Marriage Act, 1872
- Civil Union Law for Citizens with no Religious Affiliation, 2010
- Art. 5 Abs. 4 des Gesetzes 1920/1991 in der Fassung von 2018; Bergmann aktuell (29. Januar 2018)
- Art. 4 Buchst. c Rechtsquellengesetz
- vgl. The Palestine Order in Council, 1922–1947, ss. 51–67; Angelika Günzel: Religionsgemeinschaften in Israel (2006)
- Gil Yaron: Scheidungsrecht: Warum im modernen Israel Frauen „angekettet“ werden Die Welt, 11. April 2016
- Hanno Hauenstein: „Get – Der Prozess der Viviane Amsalem“: Kein Freibrief für die Frau Die Zeit, 17. Januar 2015
- Nach der Entscheidung Nr. 60 des französischen Hochkommissars vom 13. März 1936 mit Änderung von 1996 (arabisch) sind das
- 5 islamische, darunter die sunnitische, 3 schiitische (dschaʿfaritische, alawitische, ismailitische) und die drusische;
- 12 christliche, darunter 6 katholische (maronitische, melkitische griechisch-katholische, armenisch-katholische, syrisch-katholische, chaldäische, lateinische), eine byzantinisch-orthodoxe (griechisch-orthodoxe), 4 orientalisch-orthodoxe (armenisch-orthodoxe-gregorianische, syrisch-orthodoxe, assyrisch-chaldäisch-nestorianische, koptisch-orthodoxe) und die protestantische (evangelische);
- sowie die jüdische (israelitische).
- Verfassung (englisch), Art. 105–106 (Islam), Art. 108–109 (andere); darunter (Gesetz Nr. 2/1938 über die Räte der nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften; arabisch) die griechisch-orthodoxe, die griechisch-katholische, die armenische, die lateinische und die anglikanische Gemeinschaft
- Dekret-Gesetz Nr. 59 über das Personalstatut vom 17. September 1953 (arabisch), Art. 307 (Drusen), Art. 308 (Christen und Juden)
- Verfassung (englisch), Art. 12 (Islam), Art. 13 (Zoroastrismus, Judentum, Christentum)
- Ehegesetz (UU No. 1 Thn 1974 - Perkawinan (Memento vom 27. Juli 2016 im Internet Archive)), Art. 2. Neben dem Islam (Kompilasi Hukum Islam) sind Buddhismus, Hinduismus, Katholizismus, Protestantismus und seit 2006 Konfuzianismus anerkannt (Bergmann, Indonesien S. 29).