Spannbeton-Fertigdecke
Die Spannbeton-Fertigdecke oder Hohlkammer-Fertigdecke, auch Spannbeton-Hohldecke ist eine Deckenkonstruktion, die aus individuell vorgefertigten Spannbeton-Formteilen besteht. Die einzelnen Elemente werden auf der Baustelle zur vollständigen Decke zusammengefügt (Vollmontagebauweise). Entsprechend rationell und zeitsparend sind die Bauabläufe. Aufgrund des hohen Vorfertigungsgrades ist es ratsam, Spannbeton-Fertigdecken frühzeitig in die Gebäudeplanung einzubeziehen.
Spannbeton-Fertigdecken sind weitspannend und ermöglichen eine flexible Raumgestaltung. Darüber hinaus können die Belüftung, Beheizung und Klimatisierung des Raumes in die Deckenelemente integriert werden.
Bei der Produktion der Standard-Formteile werden im Innern Hohlräume ausgespart, wodurch sich das Gewicht und der Materialverbrauch im Vergleich zu Massivbauteilen um bis zu 50 Prozent verringern. In den dazwischen verbleibenden Stegen sind die Spannstähle angeordnet. Die Plattenunterseiten sind in ihrer Optik mit Sichtbeton oder Elementdecken vergleichbar. Die unterseitigen Plattenstöße können als sichtbare Fugen oder auch – durch eine spezielle Nachbehandlung (Verfugen) – ohne sichtbare Fugen ausgebildet werden.
Geschichte
Hohlkammer-Fertigdecken wurden in den 1930er Jahren in Deutschland entwickelt. Sie sind eine Weiterentwicklung der Beton-Hohldielen, die bauseits noch bewehrt und mit Ortbeton vergossen werden mussten. Im Verlauf der 1950er Jahre fanden sie vor allem in den Vereinigten Staaten eine weite Verbreitung. Seit den 1990er Jahren haben sie sich aufgrund der kurzen Bauzeiten auch in vielen europäischen Ländern etabliert. In Skandinavien beispielsweise verfügen Spannbeton-Fertigdecken über einen Marktanteil von etwa 40 Prozent.
Herstellung
Die Herstellung erfolgt in einem Betonfertigteilwerk mit eigens dafür eingerichteten Produktionsstätten und einem speziellen Fertigungsprozess, durch den sich die großen Spannweiten der Spannbeton-Fertigdecken realisieren lassen. Auf bis zu 200 m langen flachen Stahlbahnen werden zunächst die Spanndrähte oder auch Spannlitzen eingelegt. Stahlformteile erzeugen die charakteristischen Hohlräume. Auch eventuelle Aussparungen – zum Beispiel für Installationen – werden bereits zu diesem Zeitpunkt hergestellt. Danach werden die Randschalungen aufgebaut. Die Breite wird zwischen 1,10 und 2,40 m eingestellt, wobei 1,20 m als Standard gilt. Zum Ausgleich auf das individuelle Baumaß können auch gezielt schmalere Passplatten hergestellt werden. Im Anschluss wird die statisch erforderliche Vorspannung auf die Litzen aufgebracht. Die Anzahl der Spannlitzen sowie die Vorspannung ergibt sich aus einer statischen Berechnung. Die Vorspannung beugt im Gebrauchszustand Rissen vor. Gleichzeitig ist die Durchbiegung geringer als bei Decken, die nicht vorgespannt werden.
Die Betonage erfolgt mit Beton einer höheren Festigkeitsklasse (meist C50/60) und wird mittels eines Extruders oder Gleitfertigers eingebracht. Nach etwa achtstündiger Erhärtungszeit unter Nachbehandlung werden die Produktionsbahnen mit Diamantscheiben auf ihre Einbaulängen zersägt und für den Transport vorbereitet. Die Länge der Formteile lässt sich also abhängig vom konkreten Anwendungsgebiet individuell bestimmen. Gleiches gilt für die Dicke, die zwischen 14 und 50 Zentimetern liegen kann.
Spannbetonfertigdecken unterliegen in Deutschland der Bauaufsicht. Das heißt, sie benötigen eine bauaufsichtliche Zulassung durch das Deutsche Institut für Bautechnik.
In Österreich gibt es vier Hersteller, die Deckenelmente mit einer Breite von 1,20 oder 2,40 Meter und einer Stärke von 14 bis 50 cm produzieren, wobei sich die Breite von 1,20 Meter und die Stärken 16, 20, 26,5, 32, 40, 45 und 50 cm als "Standard" etablierten. Die Herstellung erfolgt gemäß EN1168.
Hersteller | Regelbreite | Stärken (in cm) | Fertigungsverfahren |
---|---|---|---|
Habau Hoch- und Tiefbauges.m.b.H. | 2,40 m | 14/16/20/22/24/26/32 | Gleitfertiger |
Josef Lehner GmbH. | 1,20 m | 16/20/24/25/26,5/32 | Extruder |
Oberndorfer Gruppe | 1,20 m | 16/20/26,5/32/40/45/50 | Extruder |
Spannbetonwerk Jennersdorf GmbH. | 1,20 m | 16/20/26,5/32/40/45/50 | Extruder, Gleitfertiger |
Montage
Die individuell vorgefertigten Betonelemente werden auf der Baustelle durch einen Mobilkran nach einem Deckenplan in Einbaulage gebracht. Im Querverbund der Platten wird eine übermäßige Durchbiegung durch einen Fugenverguss mit Ortbeton verhindert. Hinzu kommt eine betonierte, umlaufende und kraftschlüssig verankerte Ringankerbewehrung.
Einsatzgebiete
Aufgrund der großen Spannweiten können Spannbeton-Fertigdecken bei ganz unterschiedlichen Gebäudetypen zum Einsatz kommen.
Vorteile
Im Wohnungsbau handelt es sich wegen des schnellen Baufortschritts um eine kostengünstige Alternative zu Decken aus Ortbeton oder Halbfertigteilen. Daneben erweisen sich die hohe Planungssicherheit, die geringe Baufeuchte sowie die stützenarme Grundrissaufteilung als vorteilhaft. Gleiches gilt für die Konstruktion von Bürogebäuden: Mit 32 Zentimeter hohen Deckenelementen können Entwürfe in einer Breite von bis zu 13 Metern umgesetzt werden. Aufwändige Trennwandanschlüsse sind nicht erforderlich, was den Innenausbau vereinfacht.
Nachteile
Die vorgespannten Platten weisen einen Stich nach oben auf, der herstellungsbedingt bei den Endplatten einer Produktionsbahn, aber auch bei kürzeren Spannweiten, verschieden groß ist. Durch die einachsige Bewehrung /Spannung sind im Gegensatz zur Elementedecke konstruktive Einschränkungen vorhanden. So dürfen beispielsweise nachträgliche Deckenaussparungen nur so breit sein wie die Hohlkammern, da sonst die Spannstähle zerstört werden.
Bauaufsichtliche Zulassung gibt es zurzeit (August 2010) nur für vorwiegend ruhende Verkehrslasten, das heißt beispielsweise Gabelstapler dürfen die Decken nicht befahren.
Durch die gegenüber einer Decke aus Ortbeton geringere Masse ergeben sich Nachteile bei der Schalldämmung. Um beispielsweise die Ausbreitung von Körperschall /Trittschall wirksam zu verhindern, werden neben dem Einsatz von schwimmendem Estrich auch Mattenbahnen aus Gummischrot möglichst fugenlos auf den Mauerkronen ausgelegt. Diese sollen die aufgelegten Deckenelemente gegenüber den Wänden akustisch entkoppeln.
Spannweiten
Um die mögliche Spannweite für ein konkretes Objekt zu ermitteln, muss die Deckenhöhe „h“ ins Verhältnis zur Spannweite „L“ gesetzt werden (Schlankheit). Dabei gilt der Richtwert h/L = 1/35, d. h. eine Plattenhöhe von rund 20 Zentimetern ermöglicht eine Spannweite von rund 7 Metern. Abhängig von der Verwendung kann die Plattenhöhe auch etwas geringer ausfallen. So wird beispielsweise bei Dächern ein Verhältnis von h/L = 1/50 angesetzt.
Letztlich sinkt die konkrete Spannweite mit der wachsenden Verkehrslast. So wird bei Wohngebäuden eine Verkehrslast von 2,0 kN/m2 veranschlagt. Entsprechend sind in diesem Anwendungsbereich bei einer 20-Zentimeter-Platte Spannweiten von bis zu 7,5 Metern möglich. Im Industriebau ist indes eine zu erwartende Verkehrslast von 10 kN/m2 Grundlage der Berechnung, so dass Spannweiten von 5 Metern möglich sind. Diese 10 kN/m2 sind gleichzeitig die maximal zulässige Verkehrslast für eine Spannbeton-Fertigdecke. Im Einzelfall sind bei Plattenhöhen von über 25 Zentimetern auch Verkehrslasten bis 12,5 kN/m2 möglich.
Eine Übersicht über die Verkehrslast einzelner Gebäudetypen mit den entsprechenden Spannweiten bietet die nebenstehende Tabelle.
Weitere Funktionen
Lüftung
Spannbeton-Fertigdecken bieten die Möglichkeit, ein Lüftungssystem für die Gebäudeinnerräume direkt in den Deckenquerschnitt zu integrieren. Dabei fungieren die Hohlkammern der Deckenelemente als Lüftungskanäle, indem sie ab Werk mit einer speziellen Beschichtung ausgestattet werden. Tellerventile oder Schlitzauslässe in der Deckenuntersicht sorgen für die Verbindung zwischen Raum und Lüftungsführung im Innern der Hohlplatte. Auch die Lüftungsauslässe werden bereits bei der Fertigung hergestellt.
Wegen des großen Querschnitts der Hohlkammern hält eine Lüftungsdecke die Luftgeschwindigkeiten und den Druckverlust niedrig. Das reduziert den Energieverbrauch und die Strömungsgeräusche. Außerdem kann die Raumhöhe in vollem Umfang genutzt werden, da störende Komponenten wie Lüftungsrohre entfallen. Bei einer höheren Etagenanzahl können auf diese Weise ganze Stockwerke gewonnen werden.
Klimatisierung
Auch die Kühlung und Beheizung von Innenräumen kann über eine Spannbeton-Fertigdecke geregelt werden, man spricht von einer Thermischen Bauteilaktivierung. Hierbei stattet der Hersteller die Deckenelemente mit einem Leitungssystem aus, durch das temperiertes Wasser geleitet wird. Bei kühlem Wasser nimmt der Beton die Raumwärme auf und sorgt somit für eine niedrigere, homogene Temperierung ohne unangenehme Zugluft. Strömt Wasser durch die Leitungen, das im Vergleich zur Raumtemperatur wärmer ist, kommt es zum gegenteiligen Effekt. Der Beton heizt auf und gibt die Wärme gleichmäßig in den Raum ab.
Da Beton über ein hohes thermisches Speichervermögen verfügt, ist für das Aufheizen eine entsprechend der Masse lange Reaktionszeit bei der Planung der Anlagen zu berücksichtigen. Insbesondere beim Abkühlen des Bauteils müssen verlängerte Abschaltzeiten mit zunehmender Masse beachtet werden. Bei den massiven thermisch wirksamen Decken stehen dem System vollmassiven Betondecken mit thermischer Bauteilaktivierung (TBA) auf der trägen Seite und Klimadecken mit deutlich kürzeren Reaktions-/ Abklingzeiten auf der flinken Seite gegenüber. Eine eigene Gruppe bilden die nachträglich untergebauten Heiz-/Kühldecken. Sie verfügen i. d. R. über die kürzesten Reaktionszeiten. Tendenziell hilft die größere Trägheit der TBA, die Spitzenbelastungen von gebäudetechnischen Anlagen, insbesondere von Kühlaggregaten, zu senken ohne jedoch selbst diese Spitzen abdecken zu können. Dagegen können mit flinken Klimadecken durchaus auch Spitzenlasten abgedeckt werden. Die Regelbarkeit ist hier als Vorteil zu sehen, allerdings um den Preis der geringeren Speichermasse, was in Spitzenzeiten zu höheren Lasten auf der Anlagenseite führt. In der Praxis werden die jeweiligen Nachteile meist durch ergänzende Maßnahmen, wie zusätzliche flinke Heizunterstützungen (z. B. Heizkörper, Warmluftheizungen mit kombinierter Lüftung usw.) oder weitere, durch den Kühlkreislauf eingebundene Speichermassen (z. B. Keller- oder Tiefgaragengeschosse, Pufferspeicher usw.) ausgeglichen. Heiz-/Kühldecken verursachen einen verhältnismäßig geringen Energieaufwand im laufenden Betrieb. So wurden beispielsweise bei dem Erweiterungsbau des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Gesundheit in Berlin durch diese Bauweise Einsparungen von rund 40 Prozent erzielt. Für die alleinige Beheizung von Gebäuden mittels Klimadecken sind flinke Systeme zu bevorzugen. Dabei stellt die Kombination mit einer modernen Wärmepumpe eine sinnvolle Anwendung dar.
Wärmedämmung
Die Standard-Formteile einer Spannbeton-Fertigdecke können werksseitig mit einer zusätzlichen Dämmschicht aus expandiertem Polystyrol (EPS) ausgerüstet werden. Die Dämmstoffstärken können bis zu 250 Millimeter betragen, was einem Wärmedurchgangskoeffizienten von 0,14 W/(m2·K) entspricht.
Wärmegedämmte Spannbeton-Fertigdecken werden vorwiegend als Bodenplatte für das Gebäudefundament eingesetzt. Sie eignen sich aber auch als Decke über Kriechkellern bzw. unbeheizten Kellerräumen. In Kombination mit einer Klimadeckenkonstruktion ermöglichen sie wirtschaftliche Gebäudekonzepte von hoher Energieeffizienz.
Literatur
- Andrej Albert, Heiko Denk, Martin Mertens, Andreas Nitsch: Spannbeton – Grundlagen und Anwendungsbeispiele. Werner, Düsseldorf 2007, ISBN 3-8041-1090-8.
- Günter Rombach: Spannbetonbau. Ernst & Sohn, Berlin 2003, ISBN 3-433-02535-5.
- Josef Hegger, Stephan Görtz: Quertragfähigkeit von Stahlbeton- und Spannbetonbalken aus Normal- und Hochleistungsbeton. Beuth, Berlin/Wien/Zürich 2007, ISBN 978-3-410-65757-6.
- Jens Peter Grunert: Zum Tragverhalten von Spannbetonfertigteilbalken aus Stahlfaserbeton ohne Betonstahlbewehrung. 2006, ISBN 978-3-89288-176-6.
- Jörg Moersch: Zur wasserstoffinduzierten Spannungsrisskorrosion von hochfesten Spannstählen. Untersuchungen zur Dauerhaftigkeit von Spannbetonbauteilen. Beuth, Berlin/Wien/Zürich 2005, ISBN 978-3-410-65763-7.