Jugendmusikbewegung

Die Jugendmusikbewegung (in den 1920er und 1930er Jahren oft auch Singbewegung) war eine von der Jugendbewegung beeinflusste musikpädagogische Richtung des beginnenden 20. Jahrhunderts. Sie war bestrebt, auch unter Laien das Musizieren zu fördern, dazu gehörte auch die Pflege traditioneller Volkslieder.

Die Gitarrenlaute war ein typisches Instrument der Jugendmusikbewegung
Mohr de Sylva 1924 an der Laute in Wertheim

Entwicklung

Einer der Ausgangspunkte war die Wiederentdeckung des deutschen Volkslieds um 1900 durch die Jugendbewegung „Wandervogel“. Große Verbreitung in der Jugendmusikbewegung fanden das von Hans Breuer herausgegebene Liederbuch Der Zupfgeigenhansl und ein neues Musikinstrument, die Gitarrenlaute. Daneben erlebten in der Wandervogelbewegung auch alte und teilweise in Vergessenheit geratene Instrumente ein Revival, wie die Blockflöte, die Waldzither oder die Mandoline.

Das eigentliche Geburtsjahr der Jugendmusikbewegung ist nach Dorothea Kolland das Jahr 1918 durch das Erscheinen des Buchs Musikalische Jugendkultur, Anregungen aus der Jugendbewegung von Fritz Jöde. Diese und weitere Schriften u. a. von Walther Hensel, Hans Breuer erweiterten damit die Jugendbewegung um den musikalischen Aspekt. Die Musikpraxis der „Wandervogels“ sollte die Liedpraxis des Zupfgeigenhansels beim Wandern und am Lagerfeuer erweitern zu einem Musikideal der Chormusik, die in zahlreichen offenen Singstunden und Singwochen (oft verbunden mit dem Aufenthalt in Jugendherbergen) verwirklicht wurde. Die Arbeit der Singwochen prägt die außerschulische Musikerziehung und musikpädagogische Landschaft Deutschlands bis in die Gegenwart.

Der Musikerzieher und Volksliederneuerer Walter Hensel veröffentlichte ab 1923 zahlreiche Bearbeitungen oder Vertonungen von Volksliedern. Er führte in Finkenstein, in der Nähe von seinem Geburtsort Mährisch-Trübau, die erste Singwoche durch und war der erste Autor des neu gegründeten Bärenreiter-Verlags. Der Musikpädagoge Fritz Jöde rief 1924 den „Finkensteiner Bund“ ins Leben und veröffentlichte sechs Hefte Die Musikanten, Lieder für die Schule und veranstaltete zahlreiche Singwochen.

Als Beispiel der Singbewegung in ganz Deutschland seien die Kantatensonntage mit 300, 600 und bis zu 1000 Teilnehmern und die über 50 Singwochen im Hohenloher Land genannt, die vom Pfarrer Heinrich Mohr de Sylva (1891–1989) oder mit ihm von 1929 bis 1962 geleitet wurden.

Persönlichkeiten (Auswahl)

Literatur

  • Fritz Jöde (Hrsg.): Musikalische Jugendkultur. Anregungen aus der Jugendbewegung. Saal, Hamburg 1918.
  • Fritz Jöde: Musikmanifest. Greifenverlag, Hartenstein 1921.
  • Fritz Jöde: Unser Musikleben. Absage und Beginn. Zwissler, Wolfenbüttel 1923.
  • Walther Hensel: Über die gesamte Musikpflege in Schule und Volk (= Deutsche Zukunft. Beiträge zur Wiedergeburt aus dem Geiste der Jugend. 1, ZDB-ID 2540848-3). Greifenverlag, Rudolstadt 1924.
  • Hilmar Höckner: Jugendmusik im Landerziehungsheim (= Die Musikanten-Gilde. Werkschriften der Musikantengilde. 1, ZDB-ID 541284-5). Kallmeyer, Wolfenbüttel 1926.
  • Hilmar Höckner: Die Musik in der deutschen Jugendbewegung. Entwicklungsgeschichtlich dargestellt. Kallmeyer, Wolfenbüttel 1927.
  • Annemarie Flügel: Jugendbewegung und Jugendmusik. Kurz gefaßte Einführung in die Entwicklung der Jugendbewegung und Jugendmusik, mit Angabe der einschlägigen Bücher, Fachzeitschriften und Liedersammlungen. Steiger, Moers 1931.
  • Reinhart Stephani: Die deutsche musikalische Jugendbewegung. Marburg 1952, (Marburg, Universität, Dissertation, 1952; maschinschriftlich).
  • Theodor W. Adorno: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt (= Kleine Vandenhoeck-Reihe. 28/29, ZDB-ID 255845-2). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1956.
  • Reinhard Szeskus: Die Finkensteiner Bewegung. Leipzig 1966, (Leipzig, Universität, Dissertation, 1966; maschinschriftlich).
  • Ulf Jöde: Die Entwicklung des Liedsatzes in der deutschen Jugendmusikbewegung. Möseler, Wolfenbüttel u. a. 1969, (Zugleich: Hamburg, Universität, Dissertation, 1969).
  • Dorothea Kolland: Die Jugendmusikbewegung. „Gemeinschaftsmusik“ – Theorie und Praxis. Metzler, Stuttgart 1979, ISBN 3-476-00427-9 (Zugleich: Berlin, Technische Universität, Dissertation, 1978).
  • Wilhelm Scholz, Waltraut Jonas-Corrieri u. a. (Hrsg.): Die deutsche Jugendmusikbewegung in Dokumenten ihrer Zeit von den Anfängen bis 1933. Möseler, Wolfenbüttel u. a. 1980.
  • Sigrid Abel-Struth (Hrsg.): Jugendbewegungen und Musikpädagogik (= Musikpädagogik. Beiheft. 2 = Wissenschaftliche Sozietät Musikpädagogik. Sitzungsbericht. 2). Schott, Mainz u. a. 1987, ISBN 3-7957-1821-X.
  • Karl-Heinz Reinfandt (Hrsg.): Die Jugendmusikbewegung. Impulse und Wirkungen. Möseler, Wolfenbüttel u. a. 1987.
  • Klaus Peter Leitner: Hans Grischkat (1903–1977). Ein Bachinterpret der Jugendmusikbewegung in Württemberg (= Schriftenreihe Schriften zur Kulturwissenschaft. 32). Kovac, Hamburg 2000, ISBN 3-8300-0122-3 (Zugleich: Tübingen, Universität, Dissertation, 1999).
  • Volker Jehle: Jehle, Johannes Albert Emil Traugott. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Band 35: Ergänzungen XXII. Bautz, Nordhausen 2003, ISBN 978-3-88309-882-1, Sp. 608–625, (auch online).
  • Charlotte Wäsche: Vom Singen im Volke – Richard Poppe (1884–1960) und die Ideale des Finkensteiner Bundes. Margraf Pubklishers, ISBN 978-3-8236-1507-1.
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