Sifrhippus
Sifrhippus ist eine ausgestorbene Gattung aus der Familie der Pferde (Equidae). Sie stellt den ursprünglichsten Vertreter dieser Familie und lebte zu Beginn des Eozän vor rund 56 Millionen Jahren im westlichen Nordamerika. Die Vertreter erreichten die Größe heutiger Hauskatzen und lebten in offenen Waldlandschaften.
Sifrhippus | ||||||||||||
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Lebendrekonstruktion von Sifrhippus im Naturhistorischen Reichsmuseum in Stockholm. | ||||||||||||
Zeitliches Auftreten | ||||||||||||
Unteres Eozän | ||||||||||||
56 Mio. Jahre | ||||||||||||
Fundorte | ||||||||||||
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Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Sifrhippus | ||||||||||||
Froehlich, 2002 |
Merkmale
Funde von Sifrhippus, die überwiegend stark fragmentierte fossile Überreste aber auch ein nahezu vollständiges Skelett umfassen, sind bisher größtenteils nur aus Nordamerika, speziell dem Clarks-Fork-Becken und dem Bighorn-Becken im nordwestlichen Wyoming bekannt. Lediglich ein einzelner hinterer Backenzahn wurde aus Belgien und damit aus Europa berichtet.[1] Es handelt sich um einen sehr kleinen Vertreter der frühen Pferde, der im Durchschnitt etwa 15 bis 20 % kleiner war als vergleichbare Exemplare des gleichzeitig lebenden Hyracotherium; spätere Vertreter waren aber schon merklich größer. Der Schädel war rund 15 cm lang und besaß ein rechtwinkliges Hinterhauptsbein sowie eine konvex verlaufende Stirnlinie. Der Unterkiefer maß gut 12 cm und besaß eine schmale und lange Symphyse. Das Gebiss verfügte über die vollständige untere Säugetierbezahnung, die sich aus drei Schneidezähnen, einem Eckzahn, vier Prämolaren und drei Molaren zusammensetzte, wodurch folgende Zahnformel entsteht: . Der Eckzahn übertraf die Schneidezähne deutlich an Höhe. Zwischen Eckzahn und vorderen Prämolar bestand ein knapp 8 mm langes Diastema. Ein weiteres, aber wesentlich kürzeres bestand zum zweiten Prämolaren. Die Prämolaren selbst wiesen kaum molarisierte Merkmale auf und unterscheiden sich dadurch deutlich von den Molaren (hinteren Backenzähnen). Diese besaßen zwei quergestellte Zahnschmelzleisten (bilophodont), wiesen aber an deren Enden jeweils einen erhöhten Höcker auf und wirken dadurch eher bunodont. Insgesamt besaßen die Backenzähne niedrige Zahnkronen (brachyodont).[2][3][4]
Das postcraniale Skelett ist nahezu vollständig überliefert. Die Wirbelsäule bestand aus sieben Hals-, 17 Brust-, sieben Lenden- und fünf Kreuzbeinwirbeln, die Anzahl der Schwanzwirbel ist unbekannt. Von den Gliedmaßen sind nahezu alle Knochenelemente überliefert. Der Humerus wies eine Länge von bis zu 10 cm auf, der Radius von 9 cm. Die Vorderbeine endeten wie bei anderen frühen Pferden in vier Zehen (Strahlen II bis V), wobei das Metacarpus III (Mittelfinger) mit 4 cm am längsten war. Bei den hinteren Gliedmaßen wies der Oberschenkelknochen bis 14 cm und das Schienbein 12 cm Länge auf. Hier waren nur drei Zehen ausgebildet, wobei der mittlere (Metatarsus III) mit 6 cm ebenfalls die größte Länge aufwies. Allerdings war der äußerste Zehenstrahl (Strahl V) noch als verkümmerter, mondsichelartiger Knochen präsent, was insgesamt untypisch für frühe Unpaarhufer ist. Die Langknochen ähnelten jenen von Hyracotherium, waren aber deutlich graziler gebaut. In ihrer Gesamtgröße und im Aufbau sind sie vergleichbar mit den entsprechenden Knochen einer rezenten Siamkatze.[2][4]
Paläobiologie
Die gute Erhaltung der Knochenreste lassen einige Aussagen zur Paläobiologie zu. Die kräftige Ausbildung der Dornfortsätze an den Halswirbeln, vor allem am zweiten und siebenten, sprechen für kräftige Muskulatur, die eine hohe vertikale Beweglichkeit des Halses und des Kopfes erzeugten, eine ebensolch gute horizontale Bewegung aber gleichzeitig einschränkten. Unterstützt wurde dies weiterhin auch durch die ersten Brustwirbel, die ebenfalls große Dornfortsätze besaßen. Insgesamt war die Wirbelsäule im Stand leicht konvex gebogen. Die zahlreichen Gelenkflächen und Muskelansatzstellen an den Hinterbeinen bewirkten eine hohe Beweglichkeit und ermöglichten eine kraftvolle Bewegung, wobei die größte Kraftentfaltung wohl im Bereich des Knies erzeugt wurde. Der deutlich kräftige Femurkopf spricht für eine hohe Manövrierbarkeit im geschlossenen Gelände, ebenso wie jener des Humerus. Auch die vorderen Beine waren sehr beweglich und ermöglichten so unterschiedliche Bewegungsabläufe, allerdings war aufgrund der Ellenbogenstruktur eine Ein- und Auswärtsdrehung nicht möglich. Eine weitere Einschränkung der Beweglichkeit erfolgte durch eine geringere Mobilität von Hand und Fuß, was eine Fortbewegung in dicht bewaldeten oder stark unebenen Gelände wiederum erschwerte. Für das frühe Eozän wird im Nachweisgebiet von Sifrhippus anhand der Reste der Flora eine parkwaldartige Landschaft rekonstruiert mit dichtem Untergrundbewuchs.[4]
Sifrhippus lebte im beginnenden Eozän vor nahezu 56 Millionen Jahren. Da keine Vorgängerformen in Nordamerika bekannt sind, wird angenommen, dass es über nördliche Verbreitungswege eingewandert ist. Während dieser geologischen Epoche kam es zum globalen Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum, welches mit einer Abnahme der Konzentration des 13C-Isotops relativ zum 12C-Isotop aufgrund der Freisetzung tausender Gigatonnen von an 13C abgereichertem (leichtem) Kohlenstoff in das Ozean-Atmosphären-System charakterisiert ist.[5] Das Ereignis währte etwa 175.000 Jahre, wobei es innerhalb der ersten 60.000 Jahre zu einem Temperaturanstieg von bis zu 10 °C gegenüber der Ausgangssituation kam, verbunden mit einer während des Höhepunktes zunehmenden Aridisierung des Klimas.[6]
Untersuchungen des entsprechenden Kohlenstoffisotops an mehr als 40 stratifizierbaren jeweils ersten Molaren von eindeutig erwachsenen Individuen von Sifrhippus, die alle dem Bighorn-Becken entstammen, und parallel vorgenommenen Größenmessungen der jeweiligen Zähne ergaben markante Körpergrößenveränderungen im Laufe des Paläozän/Eozän-Temperaturmaximums. Die frühesten Vertreter von Sifrhippus besaßen dabei ein durchschnittliches Körpergewicht von 5,6 kg. Dieses reduzierte sich in den darauffolgenden 130.000 Jahren um 30 % auf etwa 3,9 kg, was mit der Verkleinerung der Molaren einherging. Diese Angehörigen von Sifrhippus sind damit die kleinsten bekannten Pferde der Erdgeschichte. Gegen Ende des Klimaereignisses mit merklichem Temperaturrückgang wuchs die Größe der Tiere wieder um 76 % auf durchschnittlich 7 kg an. Diese fluktuierenden Körpergrößenänderungen werden weitgehend mit der Bergmannschen Regel in Verbindung gebracht, welche erklärt, dass in wärmeren Gebieten durchschnittlich kleinere Körperformen bei endothermen Tieren zu beobachten sind. Das der Schrumpfungsprozess nicht auf Nahrungsmangel zurückzuführen ist, zeigten die anhand der Isotopenuntersuchungen festgestellten Klimabedingungen, welche während des Temperaturanstiegs feuchteres Klima und damit eine höhere Biomassenproduktion befürworten. Nur während des Höhepunkts des Paläozän/Eozän-Temperaturmaximums herrschte trockenes Klima vor.[6][7][8] Ähnliche Körpergrößenänderungen konnten auch für eine spätere Klimaschwankung während des zweiten Eozänen Temperaturmaximums vor 53 Millionen Jahren bei Arenahippus festgestellt werden. Die Größenreduktion fiel hier aber mit rund 14 % geringer aus, verglichen mit den 30 % während es Paläozän/Eozän-Temperaturmaximums.[9]
Weitere Isotopenanalysen anhand der gleichen Zähne ergaben extrem hohe Schwankungen für das 18O-Isotop. Diese Ergebnisse werden mit der Lebensweise von Sifrhippus erklärt, welches offene Landschaften bewohnte und sich dort von weicher Pflanzenkost, hauptsächlich von Blättern und deren Verdunstungswasser ernährte.[6]
Systematik
Sifrhippus ist einer der bisher ursprünglichste Vertreter der Familie der Equidae, welche auch die heutigen modernen einhufigen Pferde einschließt. Das Schwestertaxon der Equidae stellen die ausgestorbenen Palaeotheriidae dar, denen unter anderen die Gattungen Palaeotherium und Hyracotherium zugewiesen werden. Beide Familien formen die Überfamilie Equoidea und die Zwischenordnung Hippomorpha, die innerhalb der Unpaarhufer-Systematik den Ceratomorpha mit den heutigen Tapiren und Nashörnern gegenüberstehen.[3][10]
Die Erstbeschreibung von Sifrhippus erfolgte 2002 von David J. Froehlich. Der Holotyp (Exemplarnummer UM 83567) umfasst ein rechtes Unterkieferfragment von nur 3 cm Länge und 1,7 cm Höhe mit den drei erhaltenen hinteren Backenzähnen und entstammt der Willwood-Formation im Clarks-Fork-Becken im nordwestlichen Wyoming. Der Gattungsname leitet sich vom arabischen Wort für „Null“ (صفر, ṣifr) und dem griechischen Wort für „Pferd“ (ἵππος, hippos) ab. Dabei bezieht sich die Bezeichnung „Sifr“ auf den basalen Teil des früheozänen Wasatchium-Faunenkomplexes im westlichen Nordamerika, dem die Funde entstammen und der mit Wa0-Fauna abgekürzt wird.[3]
Zwei Arten werden heute anerkannt:
- S. grangeri (Kitts, 1956)
- S. sandrae (Gingerich, 1989)
Beide Arten wurden in ihren ursprünglichen Beschreibungen jeweils Hyracotherium zugewiesen, wobei S. grangeri ursprünglich als H. angustidens grangeri nur Unterartenstatus besaß und 1989 von Philip D. Gingerich auf Artebene gehoben wurde. David. J. Froehlich wiederum ordnete 2002 H. sandrae aufgrund des paraphyletischen Ursprungs der Gattung Hyracotherium dem neu geschaffenen Taxon Sifrhippus zu, während er H. grangeri in die ebenfalls neue Gattung Arenahippus eingliederte.[2][3] Im Jahr 2012 wurde letztendlich Arenahippus aufgrund zu wenig trennender Merkmale in Teilen mit Sifrhippus gleichgesetzt.[6] Eine weitere Studie der Zähne von Sifrhippus mit denen von Minihippus, ebenfalls von Froehlich 2002 aufgestellt, zweifelt an der Eigenständigkeit von letzterer Gattung. Die Autoren der Untersuchung verweisen dabei auf den teils starken Abkauungs- und Verwitterungsgrad der Zähne und vereinigten beide Gattungen. Sie schlugen für den gesamten Sifrhippus-Minihippus-Komplex die Artbezeichnung S. index vor, mahnen aber weitere Untersuchungen der eozänen nordamerikanischen Pferde an.[11]
Einzelnachweise
- Constance Bronnert und Grégoire Métais: Early Eocene hippomorph perissodactyls (Mammalia) from the Paris Basin. Geodiversitas 45 (9), 2023, S. 277–326, doi:10.5252/geodiversitas2023v45a9
- Philip D. Gingerich: New earliest Wasatchian mammalian fauna from the Eocene of northwestern Wyoming: composition and diversity in a rarely sampled high-floodplain assemblage. University of Michigan Papers on Paleontology 28, 1989, S. 1–97
- David J. Froehlich: Quo vadis eohippus? The systematics and taxonomy of the early Eocene equids (Perissodactyla). Zoological Journal of the Linnean Society, 134, 2002, S. 141–256
- Aaron R. Wood, Ryan M. Bebej, Carly L. Manz, Dana L. Begun und Philip D. Gingerich: Postcranial Functional Morphology of Hyracotherium (Equidae, Perissodactyla) and Locomotion in the Earliest Horses. Journal of Mammal Evolution 18, 2011, S. 1–32
- Appy Sluijs, Henk Brinkhuis, Stefan Schouten, Steven M. Bohaty, Cédric M. John, James C. Zachos, Gert-Jan Reichart, Jaap S. Sinninghe Damsté, Erica M. Crouch und Gerald R. Dickens: Environmental precursors to rapid light carbon injection at the Palaeocene/Eocene boundary. Nature 450 (7173), 2007, S. 1218–1221 doi:10.1038/nature06400
- Ross Secord, Jonathan I. Bloch, Stephen G. B. Chester, Doug M. Boyer, Aaron R. Wood, Scott L. Wing, Mary J. Kraus, Francesca A. McInerney und John Krigbaum: Evolution of the Earliest Horses Driven by Climate Change in the Paleocene-Eocene Thermal Maximum. Science 335, 2012, S. 959–962
- Ross Secord, Jonathan I. Bloch, Stephen G. B. Chester, Doug M. Boyer, Aaron R. Wood, Scott L. Wing, Mary J. Kraus, Francesca A. McInerney und John Krigbaum: Supporting Online Material for Evolution of the Earliest Horses Driven by Climate Change in the Paleocene-Eocene Thermal Maximum. Science 335, 2012, S. 1–32
- Felisa A. Smith: Some Like It Hot. Science 335, 2012, S. 924–925
- Abigail R. D’Ambrosia, William C. Clyde, Henry C. Fricke, Philip D. Gingerich und Hemmo A. Abels: Repetitive mammalian dwarfing during ancient greenhouse warming events. Science Advances 3 (3), 2017, S. e1601430 doi:10.1126/sciadv.1601430
- Luke T. Holbrook: Comparative osteology of early Tertiary tapiromorphs (Mammalia, Perissodactyla). Zoological Journal of the Linnean Society 132, 2001, S. 1–54
- Julie E. Rej und Spencer G. Lucas: Morphological comparison of two Early Eocene horse taxa: Minihippus of New Mexico and Sifrhippus of Wyoming. New Mexico Museum of Natural History and Science Bulletin 74, 2016, S. 223–230