Schulchan Aruch
Als Schulchan Aruch (hebräisch שולחן ערוך „gedeckter Tisch“) wird die im 16. Jahrhundert von Josef Karo verfasste und im Folgenden von mehreren Rabbinergenerationen überarbeitete autoritative Zusammenfassung religiöser Vorschriften (Halachot) des Judentums bezeichnet. Mit dem Titel „Schulchan Aruch“ wird sowohl Karos Kompendium bezeichnet als auch der Text mit Hinzufügungen, insbesondere den Glossen des Krakauer Rabbiners Moses Isserles (gest. 1572). (Dabei wird Karo traditionell als der מְחַבֵּר Mechaber (Autor) und Isserles als der רמ”א Rema bezeichnet, ein Akronym des Namens Rabbi Moshe Isserles.)
Charakterisierung
Alle für den Alltagsgebrauch im Allgemeinen ausreichend detailliert beschriebenen Gebote und Verbote beruhen auf der Thora, auf zugehörigen Midraschim und besonders auf dem babylonischen Talmud. Die Absicht des Verfassers und der Redaktoren war eine übersichtliche Hilfestellung für den (jüdischen) Laien im sich (auf Grund seiner Komplexität) letztlich nur dem Gelehrten erschließenden Regelwerk des religiösen jüdischen Lebens.
Weitere ältere Werke bilden auch Quellen des jüdischen Rechts, Nebenquellen wurden später Tosefta (Zusätze zur Mischna), Siphra (Kommentar zu Leviticus) und Siphre (Kommentar zu Numeri und Deuteronomium). Der Schulchan Aruch bildet für den täglichen Gebrauch weltweit bei vielen Juden, vor allem im orthodoxen Judentum, eine anerkannte schriftliche Rechtsvorschrift, bei der in ihrer Entstehung (Genese) auch kleinere Varianten (siehe Wilnaer Ausgabe) erschienen, was aber neuerdings nicht mehr stattfindet.
Entstehungsgeschichte
Der Schulchan Aruch wurde von Joseph Karo (1488–1575), Rabbiner in Safed, verfasst, der bereits den umfangreichen Kommentar Bejit Josef (hebräisch בית יוסף) zum Werk Arba'a Turim des Jakob ben Ascher geschrieben hatte. Am Schulchan Aruch, der eine kürzere und auf das Wesentliche reduzierte Zusammenfassung seines größeren Werks Bet Josef darstellte, arbeitete er ab 1522 über 20 Jahre. Die erste Ausgabe erschien 1565 in Venedig.
Der Text war ursprünglich sehr kurz gehalten, ist aber im Laufe der Zeit durch zahlreiche Kommentare zu einem mehrbändigen Werk herangewachsen. Die Titelseite der sechsten Ausgabe im Taschenformat (Venedig 1574) enthielt den Hinweis, dieses Format sei gewählt worden, „um es bei sich tragen zu können, so dass es jederzeit und an jedem Ort zu Rate gezogen werden kann, auch während des Ruhens oder auf Reisen.“ Der Schulchan Aruch besteht ausschließlich aus gesetzlichem Material und enthält weder aggadische, d. h. legendenhafte Einschübe noch moralische oder metayphische Diskussionen, wie zum Beispiel über Gottes Eigenschaften oder jüdische Ethik.
Einteilung
Der Schulchan Aruch folgt den Arba'a Turim (wörtlich „Vier Reihen“) in seiner Einteilung in vier große Themengebiete:
- Orach Chajim, hebräisch אורח חיים, d. h. „Weg zum Leben“ (Vgl. Psalm 16, 11), enthält die gesetzlichen Bestimmungen über das tägliche häusliche wie synagogale Leben des Juden, das ganze Jahr hindurch. Diese Abteilung zerfällt in 27 Kapitel mit 697 Paragraphen, von denen wieder ein jeder mehrere Teile hat.
- Jore De'a, hebräisch יורה דעה, d. h., „er lehrt Kenntnis“ bzw. „Lehrer der Erkenntnis“ (Jes 28,9 ), behandelt in 35 Kapiteln mit 403 Paragraphen jüdische Speise- und Reinigungsgesetze, Trauergesetze und viele andere religiöse Vorschriften.
Rezeptionsgeschichte
Da in manchen untergeordneten Punkten sich Differenzen zwischen den rechtskräftigen Gewohnheiten der Sephardim und Aschkenasim ausgebildet hatten, schrieb Moses Isserles, der von 1550 bis zu seinem Tod 1572 als Rabbiner in Krakau amtierte und ebenfalls einen Kommentar zu den „Arba'a Turim“ unter dem Titel Darkej Mosche verfasst hatte, Zusätze und Berichtigungen zu allen vier Teilen des Schulchan Aruch, die bei den abendländischen Juden dasselbe Ansehen wie Karos Worte erhielten.
Bald nach der Vorrede von Karo, aber auch der von Isserles, begann die Kommentierung der Schulchan-Abteilungen, wobei die ältesten von Schülern Isserles’ stammen, wie Sefer me'iroth 'enajim (Sma), Erklärung zum Choschen Ha-Mischpat; Chelqath mechoqeq, Erklärung zu Eben Ha-Eser. Danach dann Turej Sahav, ein Kommentar zu allen Teilen und Siftej Kohen (Schach) zu Jore De'a und Choschen Ha-Mischpat. Dann Magen Abraham, Erklärung zu Orach Chajim und als 6. Bet Schmuel zu Even Ha-Eser. Danach kamen unzählige weitere Kommentare bis zur Gegenwart hinzu. Unter den aschkenasischen Juden hat neben der Mischna Brura von Israel Meir Kagan der zusammenfassende Kizzur Schulchan Aruch (1870) von Rabbiner Salomon Ganzfried (1804–1886) aus Ungarn besondere Geltung erhalten.[1] In den Kizzur Schulchan Aruch wurden auch spätere Gelehrtenmeinungen aufgenommen. Unter den orientalischen Juden kommt dem Ben Ish Chai von Yosef Chaim (1832–1909) aus Bagdad eine vergleichbare Rolle zu, da dieser ebenfalls eine Zusammenfassung des Schulchan Aruch darstellt.
Einzelnachweise
- Sol Scharfstein: Understanding Jewish Holidays and Customs - Historical and Contemporary, KTAV Publishing House, 1999, ISBN 0-88125-626-9, S. 166
Literatur
- Deutschsprachige (Teil-)Ausgaben
- Übersetzungen ins Deutsche: Schulchan Aruch (Digitalisate)
- Übersetzung von Löwe (Digitalisate)
- Johannes A. F. E. L. V. von Pavly: Šulchan-Arukh (Gedeckte Tafel) (Ez. XXIII, 41) oder Das Ritual- und Gesetzbuch des Judenthums. Unter Mitwirkung hervorragendster Fachgelehrten zum ersten Male aus dem Original frei in’s Deutsche übersetzt und mit Quellenangaben, Erläuterungen und den wichtigsten Bemerkungen aller Commentare versehen. Erster Theil: Orach-Chajim (Lebenspfad) [Abschnitte 1–160], Basel 1888 (Digitalisate: BSB München, HathiTrust)
- Zweisprachig (hebräisch und deutsch): Schelomo Ganzfried: קצור שלחן ערוך Kizzur Schulchan Aruch. Mit Punktation versehen. Ins Deutsche übertragen von Selig Bamberger. Neue, verbesserte Ausgabe, Basel 1978, 2 Bände.
- Kommentare
- Sabbatai ben Meir ha-Kohen: Sifte ha-Kohen. („Lippen des Priesters.“)
- Israel Meir Kagan: Mischnah Berurah. („Klare Lehre.“) Sechs Bände 1884–1907.
- Sekundärliteratur
- Elad Schlesinger: Four Editions, Four Faces, One Book: Printing the Shulḥan Arukh in Amsterdam, 1661–1708. In: Studia Rosenthaliana, Jg. 46 (2020), S. 51–70 (doi:10.5117/SR2020.1-2.003.SCHL).