Sephiroth
Sephiroth, Sephirot, Sefirot oder Sefiroth (heb. sg. סְפִירָה səfīrā Sefira, pl. סְפִירוֹת səfīrōt) ist die hebräische Bezeichnung der zehn göttlichen Emanationen im kabbalistischen Lebensbaum (hebräisch Ez Chajim). Diese Emanationen (s. Neuplatonismus), die in philosophischen und theologischen Denkmodellen für das Ausströmen oder Hervorgehen von Ideen und Attributen aus der Fülle des ursprünglich Einen oder Vollkommenen – auch aus dem Göttlichen – stehen, verkörpern nach der von Isaak Luria konzipierten Kabbala (lurianische Kabbala) in ihrer Gesamtheit symbolisch den himmlischen Menschen, den Adam Qadmon. Die Rückseite (sitra achra) des Lebensbaumes bildet der Baum des Todes mit den Qlīpōt.
Begriff und Sinn der Sephiroth
Sephiroth ist der Plural des hebräischen Wortes Sephira, was Ziffer bedeutet. Die Kabbala sieht in diesem Begriff zugleich den mystischen Ursprung des griechischen Wortes Sphäre. Die vokale Verwandtschaft der Begriffe geht vermutlich auf den gemeinsamen Ursprung des hebräischen und des griechischen Alphabets in der phönizischen Schrift zurück. Auch dem deutschen Begriff Ziffer ist die gleiche etymologische Herkunft über das Arabische anzumerken.
Das Modell Lebensbaum wird durch die Abfolge der Ziffern von 1 bis 10 (10 = Malchuth, 1 = Kether) strukturiert und will so die göttliche Schöpfung zugleich im Mikrokosmos und Makrokosmos widerspiegeln. Die Sephiroth ergeben in ihrer Folge ein dynamisches Modell der Begegnung von semantischen Gegensatzpaaren, die auf der mittleren Achse einen Ausgleich erfahren. Den zehn Sephiroth werden sämtliche Inhalte der irdischen und göttlichen Welt systematisch zugeordnet. Dazu gehören Deutungen der hebräischen Bibel, Farben, Formen, hebräische Buchstaben, Engel, Welten, Körperglieder. Der Kabbalist vereinigt so alle möglichen Erfahrungen, Elemente und Ereignisse im Modell des Lebensbaums mit dem Ziel der Vertiefung von Geist und Seele (Vergeistigung). Spekulative Kabbalisten (theoretische Kabbala) meditieren damit, Magier (praktische Kabbala) nutzen es als Modell für magische Operationen.
Der Terminus Sefirot lässt sich zugleich positiv als Merkmal zur Bestimmung eines Werkes als kabbalistisch heranziehen: Werke, die diesen Terminus verwenden, sind als kabbalistisch anzusehen. Einzige Ausnahme ist das Sefer Jetzira, welches diesen Terminus zwar erstmals verwendet, aber kein kabbalistisches Werk darstellt. Umgekehrt verwenden jedoch viele kabbalistische Werke aus verschiedenen Gründen den Terminus nicht. Das Sefer ha-Bahir beispielsweise bevorzugt die Termini midot (Merkmale, Eigenschaften) und ma'amarot (Äußerungen). Im Zohar ist der Terminus ebenfalls sehr selten vorzufinden. Abraham Abulafia, obwohl Kabbalist, lehnte die Vorstellung der Sefirot kategorisch ab. Mosche Chaim Luzzatto hingegen vermeidet ihn, um seine kabbalistische Weltanschauung zu verbergen.[1]
Systematik der Sephiroth
Die Namen der zehn Sephiroth sind dem Tanach entnommen. Im Vers 1 Chr 29,11 finden sich die meisten der entsprechenden Worte:
- Kether oder Kether Eljon[2] (Krone, erster aufleuchtender Punkt im En Sof)
- Chochmah (göttliche Weisheit, Klugheit, Geschicklichkeit, Schöpfungsplan)
- Binah (Wille, Einsicht, Verstand; Intelligenz)
- Chesed (Liebe, Barmherzigkeit, Gnade, Gunst, Treue), bisweilen auch bezeichnet als Gedulah (Größe, Langmut), Abraham
- Din, Gewurah oder Gebura[2] (Gesetz, Stärke, Macht, Sieg, Gerechtigkeit), Isaak
- Tiphareth (Aufrechterhaltung des Daseins, Pracht, Verherrlichung, Schönheit), Jakob
- Netzach (Ewigkeit, Beständigkeit, Sieg; Ruhm, Blut, Saft)
- Hod (Glanz, Majestät, Donner)
- Jesod (Fundament, Gründung, Grund, Grundstein, Grundlage), Josef
- Malchuth oder Schechina[2] (Königreich, Herrschaft, königliche Würde, Regierung), David
- Da’at (das innere Wissen, Erkenntnis, Empfangen)
Das Da’at findet im kabbalistischen Lebensbaum Erwähnung und wird zuweilen als 11. Sephira, Nicht-Sephira oder Schein-Sephira benannt, da sie keine eigenständige Kraft, sondern einen Zustand repräsentiert, in dem alle göttlichen zehn Sephiroth mystisch vereint sind.
Das System der Sephiroth wird grundlegend im Buch Sefer Jetzira (hebräisch: „Buch der Formung“) dargestellt, einem der wichtigsten Vorläuferwerke der Kabbala, das vor dem 6. Jahrhundert n. Chr. entstand. Je nach kabbalistischem Autor werden verschiedene Modelle und Kombinationen dieser Sephiroth vertreten, deren ausführlichste die Konzeption von Isaak Luria darstellt.
Die anthropomorphe Auffassung der Sefirot als Körperteile geht im Wesentlichen auf die Schrift Schi’ur Qoma zurück. Hierin wird gemäß der Beschreibung des Geliebten im Hohenlied der göttliche Leib des Schöpfers mit geheimen Namen und Maßangaben beschrieben. Die drei oberen Sefirot stehen für das göttliche Haupt, die nächsten beiden für die Arme, die sechste für Körper, Herz und Männlichkeit, die nächsten beiden für die Beine und die neunte für den Phallus. Die zehnte Sefira bezeichnet einen eigenständigen, weiblichen Körper: die Schechina. Diese Auffassung liegt auch dem lurianischen Konzept des Adam Qadmon zugrunde.
Eine andere Auffassung begreift die Sefirot als Phasen der göttlichen Emanation (vgl. Neuplatonismus), während wieder andere Kabbalisten die Sefirot als Personifikation ethischer Werte begreifen. Wiederum andere begreifen sie als Welten, von der Göttlichkeit bis hinab zur materiellen, physischen Sphäre.
Ein drittes Modell integriert die biblischen Gottesnamen in das System der Sefirot. So steht das Tetragramm JHWH für die Sefira Kether, das J darin für Chochmah, das erste H für Binah, das W für die folgenden sechs Sefirot und das zweite H für die Schechina. Ein viertes Modell ordnet die Sphären den biblischen Helden zu. Weitere Modelle identifizieren verschiedene paarweise vorkommenden Konzepte und Dinge (männlich/weiblich, Sonne/Mond, Himmel/Erde/ Tag/Nacht usw.) mit Sefirot. In der mittelalterlichen Kabbala können außerdem die Sefira verdoppelt, vervielfältigt und wiederholt werden, so dass zwanzig bis hundert Sefirot erörtert werden.
In der lurianischen Kabbala schließlich ist die Zahl der Sefirot unendlich, da jede Wesenheit aus unterschiedlichen Kombinationen des Sefirot-Systems bestehe. Der Lebensbaum stellt in der lurianischen Kabbala die zehn Sephiroth und die 22 sie verbindenden Pfade dar, wobei die Sephiroth mit Namen und Ziffern, die sie verbindenden Pfade hingegen mit den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets bezeichnet werden.
Sephiroth im außerjüdischen Kontext
Der Lebensbaum hat in esoterischen Traditionen auch im außerjüdischen Kontext erheblichen Einfluss erlangt. So bringt der Hermetic Order of the Golden Dawn die Karten des Tarot damit in Verbindung.
Die Illuminatus!-Trilogie von Robert Anton Wilson gliedert sich nach den Sephiroth, ebenso Umberto Ecos Roman Das Foucaultsche Pendel.
Außerdem gibt es in der bekannten Spielserie Final Fantasy einen Antagonisten dieses Namens und der Baum des Lebens wird im Vorspann der Animeserie Neon Genesis Evangelion gezeigt.
Des Weiteren wird ein Abbild des Baum des Lebens unter dem Namen „Tor der Weisheit“ in der Anime- und Mangaserie Fullmetal Alchemist gezeigt.
Literatur
- Joseph Dan: Die Kabbala: Eine kleine Einführung. 2. Auflage, Reclam, Stuttgart 2012, ISBN 978-3150189467.
- Karl R. H. Frick: Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts – ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Neuzeit. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1973, ISBN 3-201-00834-6.
- Z’ev ben Shimon Halevi: Lebensbaum und Kabbala. Heyne, München 1997; ISBN 3-453-11836-7.
- Johann Maier: Die Kabbalah. Einführung – Klassische Texte – Erläuterungen. 2. Auflage, Beck, München 2004, ISBN 3-406-39659-3.
- Gershom Scholem: Zur Kabbala und ihrer Symbolik. Suhrkamp, Frankfurt 1973; ISBN 3-518-27613-1.
Weblinks
Einzelnachweise
- Joseph Dan: Die Kabbala. Eine kleine Einführung. Reclam, Stuttgart 2012, S. 60f.
- Karl R. H. Frick: Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18.Jahrhunderts – ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Neuzeit. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1973, ISBN 3-201-00834-6, S. 98 f.