Senthuran Varatharajah

Senthuran Varatharajah (* 1984 in Jaffna auf Sri Lanka) ist ein deutscher Schriftsteller, Philosoph und Theologe tamilischer Herkunft.

Senthuran Varatharajah, LitCologne 2019
Senthuran Varatharajah bei einer Schullesung in München im Januar 2018

Leben

Varatharajahs Familie floh in den 1980er Jahren vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka nach Deutschland[1] und ließ sich im bayerischen Oberfranken nieder.[2] Varatharajah studierte Philosophie, ev. Theologie sowie Religions- und Kulturwissenschaften an der Philipps-Universität Marburg, der Humboldt-Universität zu Berlin und am King’s College London. Varatharajah lebt in Berlin. Er ist der ältere Bruder von Sinthujan Varatharajah.[3]

Werk

2014 nahm Varatharajah – ohne zuvor etwas veröffentlicht zu haben – an den 38. Tagen der deutschsprachigen Literatur teil und erhielt den 3Sat-Preis. Sein vielbeachteter und mehrfach ausgezeichneter Debütroman Vor der Zunahme der Zeichen erschien im Frühjahr 2016 im S. Fischer Verlag. Die Literaturkritikerin Meike Feßmann bezeichnet den Roman in der Süddeutschen Zeitung als ein Werk, das durchgängig „mit der Überblendung von Theorie und Literatur“ arbeite und „von enormer gedanklicher Konsequenz und einer sprachlichen Radikalität“ sei, „die selten geworden ist in der deutschen Gegenwartsliteratur“.[4] Die Schriftstellerin Ulla Hahn beschreibt Vor der Zunahme der Zeichen als „ein langes Prosagedicht“, als „denkendes Dichten“. Der Roman sei „ein Geschenk an die deutsche Sprache“.[5] Varatharajah beschreibt sich selbst als „Schriftsteller ohne Sprache“.[6] In einem Essay für den Merkur schreibt Varatharajah: „Wenn ich gefragt werde, wo ich herkomme, sage ich: aus der Sprachlosigkeit.“[7]

Im Frühjahr 2022 erschien Varatharajahs zweiter Roman Rot (Hunger), ebenfalls im S. Fischer Verlag. Die Literaturkritikerin Shirin Sojitrawalla bespricht den Roman im Deutschlandfunk mit den Worten: „Heiligkeit, Schönheit und Grausamkeit des Zerbrechens sind dem Roman eingeschrieben. […] Rot (Hunger) erweist sich als extrem eigen. Und als ebenso verstörender wie faszinierender Solitär innerhalb der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.“[8] Der Literaturwissenschaftler Christian Metz beschreibt Rot (Hunger) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „provozierend brillanten Roman über Liebe und Kannibalismus“, in dem „die fatale, mitunter kaum zu ertragende menschliche Mechanik mit einer hochpräzisen Mechanik des Erzählens einhergeht. In diesem Roman herrscht größtmögliche und zudem symmetrische Ordnung. Keine Zeile zu viel, keine zu wenig. Fein ausbalancierte, kühle erzählerische Akribie, wie sie einst Goethe in Die Wahlverwandtschaften zum Maßstab seines Liebesexperiments machte.“[9] Die Literaturkritikerin Claudia Kramatschek beschreibt den Roman im Deutschlandfunk Kultur als „eine verstörende Studie, als Meditation über den verstörenden Hunger nach Liebe, dessen Natur und dessen sprachliche Struktur, und auch die Sprache des Autors selbst oszilliert zwischen einem sehr lyrischen Ton, sehr atmosphärisch dicht, sehr intensive Bilder, sie ist auch unerbittlich, aber das Zepter hat dann zugleich auch eine sehr starke philosophische Strenge. Dieser sprachlich, formal und analytisch wirklich radikale Zugriff macht Rot (Hunger) zu einer literarischen Grenzerfahrung, und zu einem literarischen Ereignis.“[10] Im Bayerischen Rundfunk fasst der Literaturwissenschaftler Andreas Trojan zusammen: „Die Farbe Rot bestimmt den Roman: Blut der Liebe. Blut des Krieges. Blut eines Körpers, der sich verzehrt, und der verzehrt wird. Mit seinem Roman ist der Schriftsteller und Theologe ein großes Wagnis eingegangen. Varatharajahs Experiment ist zu 100 Prozent gelungen. Einen Prosatext mit annähernd ähnlicher Intensität wird man in der Gegenwartsliteratur schwerlich finden.“[11]. Im Lesenswert-Quartett des SWR Fernsehens sagt die Literaturkritikerin Insa Wilke, dass der Roman die „Schönheit einer mathematischen Gleichung“ besitzt. Der Literaturkritiker Denis Scheck bezeichnet in derselben Sendung Rot (Hunger) als „Meisterwerk“.[12] Varatharajah erzählt in Rot (Hunger) unter anderem die Geschichte des Kannibalen von Rotenburg – allerdings als Liebesgeschichte. Im ARD resümiert Denis Scheck in seiner Literatursendung Druckfrisch: „In seinem neuen Roman Rot (Hunger) macht Senthuran Varatharajah aus diesem Fall grandiose Literatur.“[13]

2019 hielt Varatharajah die Kanzelrede zu Christi Himmelfahrt am Berliner Dom.[14] 2020 schrieb er das Libretto Und Abraham streckte seine Hand aus für die Hamburger Elbphilharmonie.[15] Varatharajah übersetzte zusammen mit Anabelle Assaf Akwaeke Emezis Debütroman Freshwater. Emezis viertes Buch, Dear Senthuran, wurde nach Varatharajah benannt. Essays von ihm sind unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, der taz, der Zeit und im Merkur erschienen. 2022 war Varatharajah Gast im Talkshow-Format Sternstunde Philosophie des Schweizer Fernsehprogramms SRF 1, wo er über die drei wesentlichen Begriffe seiner Arbeit, Liebe, Gott und Tod sprach.[16] Varatharajah lehrt Theorie und literarisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin, der Stiftung Universität Hildesheim und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Varatharajah ist Mitglied der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.[17]

Auszeichnungen (Auswahl)

Senthuran Varatharajah als Poetikdozent des Internationalen Forschungszentrums Chamisso an der Ludwig-Maximilians-Universität München (Januar 2018).

Veröffentlichungen

Eigenständige Veröffentlichungen
  • Vor der Zunahme der Zeichen (Roman). S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016, ISBN 978-3-10-002415-2.
  • Rot (Hunger) (Roman). S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2022, ISBN 978-3-10-397075-3.
Beiträge in Anthologien und Literaturzeitschriften (Auswahl)
  • k (wir gehen von bildern aus). In: Matthias Jügler (Hrsg.): Wie wir leben wollen – Texte für Solidarität und Freiheit. Suhrkamp, 2016, ISBN 978-3-518-46710-7.
  • und wir werden uns das halbierte auge zerstören am geduldigen grund der bilder. In: Neue Rundschau, März 2016, ISBN 978-3-10-809105-7.
  • spiegelverkehrt, auf der rückseite des papiers (dieses blau und das rot). In: Allmende – Zeitschrift für Literatur, Juni 2015, ISSN 0720-3098.
  • im abfall einer stimme (was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben). In: Sprache im technischen Zeitalter, März 2015, ISBN 978-3-412-22522-3.
Commons: Senthuran Varatharajah – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Giacomo Maihofer: Senthuran Varatharajahs Debütroman – Jeder Buchstabe hat seinen Preis. In: tagesspiegel.de. 21. März 2016, abgerufen am 28. September 2023.
  2. Senthuran Varatharajah – Im Gespräch. In: oe1.orf.at. 6. Juni 2018, abgerufen am 29. September 2023.
  3. Sinthujan Varatharajah. In: hanser-literaturverlage.de. Abgerufen am 18. August 2022.
  4. Meike Feßmann: Deutsche Gegenwartsliteratur – Das Alphabet des Exils. In: sueddeutsche.de. 22. März 2016, abgerufen am 18. April 2021.
  5. Ulla Hahn: Empfehlung vor dem Fest (23): Ulla Hahn über den Roman „Vor der Zunahme der Zeichen“ von Senthuran Varatharajah, bei dem sich jede Minute Lesezeit lohnt. In: buecheratlas.com. 23. Dezember 2020, abgerufen am 28. April 2021.
  6. Senthuran Varatharajah: Wir hießen Dahergeschleifte, Asylantenschweine, Affen, Neger. In: sueddeutsche.de. 9. Januar 2018. Abgerufen am 23. Mai 2020.
  7. Senthuran Varatharajah: Etc. (Warten; Notizen zur leeren Hand). In: Merkur-Blog. 26. September 2018, abgerufen am 29. September 2023.
  8. Shirin Sojitrawalla: Deutschlandfunk Büchermarkt Senthuran Varatharajah: Rot (Hunger) In: deutschlandfunk.de.
  9. Christian Metz: Wen man zum Fressen gern hat. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 4. August 2022, abgerufen am 14. August 2022.
  10. Claudia Kramatschek: Der unstillbare Hunger nach Liebe: Rot (Hunger) In: deutschlandfunkkultur.de.
  11. Andreas Trojan: Diwan – Das Büchermagazin. In: br.de. 4. März 2022, abgerufen am 22. März 2023 (Aufzeichnung der Sendung auf Bayern 2).
  12. SWR lesenswert Quartett: Senthuran Varatharajah: Rot (Hunger) In: SWR Fernsehen.
  13. Senthuran Varatharajah: "Rot (Hunger)" In: Druckfrisch.
  14. Christi Himmelfahrt 2019. In: berlinerdom.de. 2019, abgerufen am 10. Juni 2021.
  15. Abgesagt: Chor zur Welt / Father الأب אבא. In: elbphilharmonie.de. 2020, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. August 2020; abgerufen am 5. September 2022.
  16. Senthuran Varatharajah – Über Liebe, Gott und den Tod In: Sternstunde Philosophie.
  17. Senthuran Varatharajah. In: diejungeakademie.de. Abgerufen am 9. Juli 2021.
  18. Text & Sprache 2023 – die Nominierten. In: boersenblatt.net. 13. Januar 2023, abgerufen am 13. Januar 2023.
  19. Senthuran Varatharajah – Rot (Hunger). In: literatournord.de. Abgerufen am 28. Dezember 2022.
  20. Pressemitteilung der Akademie der Künste Abgerufen am 16. April 2021
  21. Werkstipendien 2020. Abgerufen am 23. Mai 2020
  22. Arbeitsstipendien 2018. Abgerufen am 22. Dezember 2018
  23. Villa Concordia Stipendiaten Abgerufen am 30. Mai 2018
  24. Villa Concordia Stipendiaten Abgerufen am 30. Mai 2018.
  25. Literaturport. Abgerufen am 31. Januar 2018.
  26. Vor der Zunahme der Zeichen – Eine Nachbereitung des Romans. Poetikdozentur von Senthuran Varatharajah. Abgerufen am 28. Januar 2018.
  27. Rauriser Literaturpreis an Senthuran Varatharajah. Abgerufen am 7. Februar 2017.
  28. Villa Aurora Stipendiaten. In: vatmh.org. Abgerufen am 9. Oktober 2023.
  29. Die SWR Bestenliste Mai Abgerufen am 1. Mai 2016.
  30. Arbeits- und Recherchestipendien 2015. Abgerufen am 1. Mai 2016.
  31. Autorenwerkstatt Prosa 2014 Abgerufen am 1. Mai 2016.
  32. Senthuran Varatharajah „Vor der Zunahme der Zeichen“ – Buchpremiere. In: adk.de. 2016, abgerufen am 27. Mai 2020.
  33. Alfred-Döblin-Stipendien in Wewelsfleth 2014. Pressemitteilung. In: adk.de. 17. März 2014, abgerufen am 27. Mai 2020.
  34. Senthuran Varatharajah, Berlin (D). In: orf.at. Abgerufen am 1. Mai 2016.


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