Schwirrgerät
Das Schwirrgerät, auch Schwirrholz, (englisch Bullroarer), gehört zu den ältesten Klangerzeugern. Instrumentenkundlich ist es ein Wirbelaerophon. Seine Wurzeln hat das Schwirrgerät in der Altsteinzeit, wie Funde aus Elfenbein, Geweih und Knochen zeigen. Ungeklärt ist die damalige Verwendung als Kommunikationsmittel oder Ritualinstrument. Heute wird es in Ritualen oder als Spielzeuginstrument verwendet.
Tonerzeugung
Das Schwirrgerät ist ein flaches, meist ovales Stück Holz, seltener Bambusrohr, Knochen, Stein oder Eisen, von 15 bis 50 cm Länge mit abgerundeten Kanten, das an einer 1 bis 2,5 Meter langen Schnur im Kreis geschwungen wird. Dabei wird das Holz um sich selbst in Drehung versetzt und die Schnur verdrillt. So entstehen Wirbel und die Druckvariation der Wirbel erzeugt einen tiefen, auf- und abschwellenden Ton, der bei Steigerung der Geschwindigkeit in ein Brummen oder Sirren übergeht. Die Töne entstehen auch durch Oszillation des Schwirrkörpers.[1] Sein Klang ähnelt keinem anderen Klangerzeuger und hängt von der Form des Gerätes und der Drehgeschwindigkeit ab. Durch den auch bei Wind weithin hörbaren Klang kann über große Strecken hinweg mit diesem Instrument kommuniziert werden. Die typische Frequenz der Schwirrhölzer liegt um 80 Hz.[2]
Verwendung
Das Schwirrgerät wurde bereits im Jungpaläolithikum verwendet, wobei es in Mitteleuropa Funde in der Stadt Havelsee bei Fohrde[3] in Brandenburg, in Stellmoor aus der Ahrensburger Kultur[4] in Schleswig-Holstein und in der Grotte de la Roche, Lalinde[5] im Département Dordogne aus dem Magdalenien in Frankreich gibt.
Das Schwirrgerät kam in den unterschiedlichsten Kulturen von Afrika über Asien und Papua-Neuguinea[6] bis Australien, Ozeanien sowie Nord- und Südamerika üblicherweise für Rituale zum Einsatz. In Nordamerika entspricht das Schwirrgerät unter anderem als Hilfsmittel für Krankenheilungen und Regenzauber funktionell der Gefäßrassel. Auf der Insel Neuirland wurde es zusammen mit dem Reibholz Lounuat bei Totenbeklagungsritualen eingesetzt.
Bei den Ritualen afrikanischer Männerbünde und bei Besessenheitskulten wie Bori und Dodo in Nigeria sollten die durchdringenden Geräusche des Schwirrgeräts die Frauen erschrecken und vom Ritualort fernhalten. Eine ähnliche furchteinflößende Wirkung wollte der heraufbeschworene „Geist“ erzielen, wenn er einen Stimmenverzerrer (einen Hohlkörper mit Mirliton) für seine Ansprachen verwendete.[7]
Heute ist es bei den Aborigines Australiens und einigen Indianervölkern Nordamerikas in Gebrauch, die es Bullroarer nennen. Die Aborigines setzen ihre oft reich bemalten und mit Schnitzereien versehenen, Bora-Bora, Bugurum oder Tjuringa genannten Schwirrgeräte auch zur rituellen Kommunikation mit ihren Ahnen ein und um ihre Zeremonien zu initiieren. Das Schwirrgerät kommt in der Traumzeitgeschichte der Aborigines Byamee and the Bullroarer vor. Der Byamee ist ein Traumzeitwesen, der dem Schwirrgerät seine, nur ihm eigenen Töne verleiht.[8] Als eine der bekanntesten politischen australischen Rockbands, Midnight Oil, in ihrem Song Bullroarer (der CD Diesel And Dust, 1987) Töne des Schwirrgeräts einspielten, wurden sie von den Aborigines dafür heftig kritisiert, da diese Töne zu geheiligten Ritualen gehören und diese nicht in Liedern abgespielt werden dürfen.[9]
Ein Anwendungsbeispiel wird im Film Crocodile Dundee II (1988) dargestellt. Hier wird das Schwirrgerät vom Protagonisten als Kommunikationsmittel benutzt.
A. S. F. Gow (1934) will die griechische Iynx (ἴυγξ) bzw. den römischen Rhombus als Schwirrgerät identifizieren.[10] Es kann sich dabei aber auch um ein magisches Instrument handeln, das zwischen zwei Schnüren an Ort und Stelle rotiert wird bzw. als Symbol von Eros dient,[11] wie auch auf griechischen Vasen abgebildet.[12] Höpfner identifiziert es dagegen als Kreisel.[13]
- Bullroarer der Apachen (sounding Wood)
- Bullroarer der Diné (groaning stick)
- Bullroarer von den Gros Ventre (making cold)
- Bullroarer von den Britischen Inseln (56 cm lang)
Literatur
- Alan Dundes: A Psychoanalytic Study of the Bullroarer. In: Man, New Series, Bd. 11, Nr. 2, Juni 1976, S. 220–238
- J. R. Harding: The Bull-Roarer in History and in Antiquity. In: African Music, Bd. 5, Nr. 3, 1973/1974, S. 40–42
- Hans Hickmann: Unbekannte ägyptische Klangwerkzeuge (Aërophone). 1. Schwirrholz und Schwirrscheibe. In: Die Musikforschung, 8. Jahrgang, Heft 2/3, 1955, S. 151–157
- Emil Hoffmann: Lexikon der Steinzeit. C. H. Beck Verlag, München 1999, ISBN 978-3406421259.
- Marius Schneider: Schwirrholz. In: (MGG1) MGG Online, November 2016
- Klaus Wachsmann: Bullroarer. In: Grove Music Online, 2001
- Otto Zerries: Das Schwirrholz. Untersuchung über die Verbreitung und Bedeutung der Schwirren im Kult. Strecker und Schröder Verlag, Stuttgart 1942.
Weblinks
Einzelnachweise
- Jearl Walker: Der fliegende Zirkus der Physik. Fragen und Antworten. 9. Auflage. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2008, ISBN 978-3-486-58067-9, S. 184. Online auf Google Books. Abgerufen am 7. Juni 2010
- Neville H. Fletcher: Australian Aboriginal Musical Instruments: The Didjeridu, The Bullroarer And The Gumleaf. Research School of Physical Sciences Australian National University, Canberra und School of Physics, University of New South Wales, Sydney. Abgerufen am 7. Juni 2010.
- Abbildung und Erläuterung eines Schwirrgeräts aus der späten Altsteinzeit (14.000–10.000 v. Chr.) im Kreismuseum Jerichower Land in Sachsen-Anhalt. Abgerufen am 7. Juni 2010
- Nachbildung des Schwirrgeräts aus der Ahrensburger Kultur, das aus einem Rentierschienbein besteht (Memento vom 22. März 2010 im Internet Archive). Abgerufen am 7. Juni 2010
- Abbildung des Schwirrgeräts aus der Grotte de la Roche in Frankreich. Abgerufen am 7. Juni 2010
- Francis Edgar Williams: Bull-roarers in the Papuan Gulf. Bock, Government Printer, Port Moresby 1936. (Territory of Papua: Anthropology report. Nr. 17).
- B. M. Blackwood, Henry Balfour: Ritual and Secular Uses of Vibrating Membranes as Voice-Disguisers. In: The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, Bd. 78, Nr. 1/2, 1948, S. 45–69, hier S. 46
- R. Lewis: The Beginner's Guide to Australian Aboriginal Art. The symbols, their meanings and some Dreamtime stories. 3. Auflage. Fountainhead Press, Canning Vale DC 2004.
- Laetitia Vellutini: Finding a Voice on Indigenous Issues: Midnight Oil's Inappropriate Appropriations (Memento vom 9. März 2014 im Internet Archive). Abgerufen am 7. Juni 2010
- A. S. F. Gow: ΙΥΓΞ, ΡΟΜΒΟΣ, Rhombus, Turbo. In: Journal of Hellenic Studies. Band 54/1, 1934, S. 1–13.
- Grace W. Nelson: A Greek Votive Iynx-Wheel in Boston. In: American Journal of Archaeology. Band 44/4, 1940, S. 443–456
- Z. B. auf einer Vase im Berliner Museum, In. Nr. Berlin 1968.12.
- Theodor Höpfner: Griechisch-ägyptischer Offenbarungszauber. Mit einer eingehenden Darstellung des griechisch-synkretischen Dämonenglaubens und der Voraussetzungen und Mittel des Zaubers überhaupt und der magischen Divination insbesondere. Wessels Studien zur Paläographie und Papyruskunde 21. Leipzig, H. Hässel-Verlag 1921, § 604.