Salischer Kirchenraub

Im Jahr 985 eignete sich Herzog Otto, der aus dem Geschlecht der Salier stammte, an verschiedenen Orten am Ober- und Mittelrhein Besitz des Klosters Weißenburg an. Dieser Vorgang ging unter dem Titel Salischer Kirchenraub in die Geschichte ein, auch wenn es sich tatsächlich weniger um einen „Raub“ als vielmehr um eine vom Kaiser und der Führungselite des Reiches abgesegnete Besitzumverteilung handelte.

Geschichtlicher Kontext

Herzog Otto auf der Verwandtschaftstafel der Ottonen (Chronica Sancti Pantaleonis, 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts. Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 74.3 Aug., pag. 226)

Im Hintergrund des sogenannten Salischen Kirchenraubes stand, dass Herzog Otto im Jahr 985 zugunsten des Luitpoldingers Heinrich das Herzogtum Kärnten abtreten musste (jedoch als „Herzog von Worms“ den dux-Titel behielt). Als Ersatz dafür erhielt er verschiedenen Besitz in seiner angestammten Heimat, im Wormsgau, sowie überhaupt am Mittel- und auch am Oberrhein. Aufkommen dafür musste vor allem das Reichskloster Weißenburg (obwohl es in die Streitigkeiten der damaligen Reichspolitik keineswegs verwickelt war). Wahrscheinlich ging dieser Vorgang so vor sich, dass das Kloster gezwungen wurde, einen Teil seines Besitzes an Otto I. als Lehen zu vergeben. Was aus der Sicht des hohen Adels nur eine Umverteilung von Reichsgut war und jedenfalls mit Einwilligung oder sogar auf Anordnung der kaiserlichen Vormundschaftsregierung geschah (Kaiser Otto III. war damals noch ein Kind), erschien aus Sicht des Klosters verständlicherweise als ein Raub.

Die Annalen des Klosters Weißenburg halten für das Jahr 985 fest, Herzog Otto I. sei mit Gewalt in Weißenburg eingefallen und habe „Ortschaften verteilt“: „Otto dux, filius Cuonradis ducis, istud cenobium, id est Wicenburg, vi invasit, loca distribuit“.[1] Ende des 13. Jahrhunderts, als das Kloster Weißenburg bereits einen großen Teil seines Besitzes verloren hatte, ließ der damals amtierende Abt Edelin ein Verzeichnis des noch vorhandenen Besitzungen anlegen („Codex Edelini“ oder „Liber possessionum Wizenburgensis“ genannt; heute im Landesarchiv Speyer aufbewahrt). Darin wird auch der 985 verlorene Besitz aufgezählt, offenbar in der Erwartung, ihn zurückzugewinnen (im Vorwort jenes Codex sprach Abt Edelin die Erwartung aus: „Wenn die Außenstehenden Kenntnis von unseren Besitztümern haben, werden sie es ohne große Gewissensbedenken nicht mehr wagen, solche zu besetzen und die, welche gegen alles Recht und Gerechtigkeit solche in Besitz haben, können sich jetzt anhand dieses Verzeichnisses umso leichter vergewissern, dass sie endlich in sich gehen, an ihr Seelenheil denken und das Eigentumsrecht unseres Klosters anerkennen“). Dieser Wunsch des Abtes sollte sich freilich nicht erfüllen – der dem Kloster 985 entfremdete Besitz kehrte nie mehr als Eigentum in die Hand der Weißenburger Mönche zurück.

Der tatsächlich bereits auf das Jahr 985 zu datierende Vorgang wird im Codex Edelini fälschlich auf das Jahr 991 bezogen und wird wörtlich als „oppressio“ (Unterdrückung, Zwang) bezeichnet. Der vollständige Text dieser Notiz lautet:

Umfang des „Kirchenraubes“

Imperatore Ottone II nature inexcusabile ius solvente filius eius Otto adhuc infantulus propter virium inpotentiam a multis negligebatur et a regno privari dicitabatur. Qua fiducia plures illecti partes regni sibi quisque pro viribus usurpabant; inter quos etiam Otto dux, filius Cuonradis ducis, Wizenburgensem abbatiam dominio suo subiungavit hostili oppressione; et beneficia militum eiusdem loci fratrumque deputata necessariis fautoribus suis distribuit, illicita praesumptione, que notata sunt in hac subscriptione:

Lantsindewilare
Kanteskircha
Heriesheim
Otteresheim
Altdorf
Haselach
Muosbach
Agridesheim
Lidrichesheim
Westhouen
Woluesheim
Grellingen
Bruochsella
Owinesheim
Tardingen
Ceisenhusen
Witegowenhusen
Raantingen
Houeheim
Kagalunstat
Logunstein
Peffingen
Vnkunstein
Westheim
Vgelenheim
Rockenstrowe
Wingarten
Brunneheim
Bühelen
Ensichesheim
Grindestat
Wachenheim
Wilenheim
Wisa
Flameresheim
Schonestat
Rorbach
Münichhusen
Briuningeswilare
Munifridesheim
Mulnhouen
Spirdorf
Beunigen
Lustat
Wingarten ultra renum
Geroltesheim
Bettenheim
Paffenhouen
Meckenheim
Molfinga
Guntheim
Liutoluesheim
Flahinga
Heidoluesheim
Sigemundesheim
Ossinga
Colungunstein
Biutincheim
Bussinga
Turmaresheim
Habecheffelt
Ruodgesinga
Gladebach
Freinesheim
Gunterammesheim
Muoterstat
Darigingen
Hochhusen

Hee curtes in summam collecte LX et VIII inveniuntur. Acta sunt hec anno domini DCCCCLXXXXI sub Ottone tercio.

Nachdem Kaiser Otto II. gestorben war, wurde sein Sohn Otto, der noch ein kleines Kind war, wegen seiner Schwäche von vielen verachtet und sollte des Reiches beraubt werden. In diesem Glauben rissen viele Teile des Reiches an sich, darunter auch Herzog Otto, der Sohn Herzog Konrads, der die Abtei Weißenburg durch feindselige Unterdrückung seiner Herrschaft unterwarf. Die Lehen der Dienstleute des Klosters und was für den Unterhalt der Mönche gedacht war, verteilte er mit unrechtmäßig angemaßter Vollmacht an seine Anhänger. Diese Güter sind folgende:

Leinsweiler
St. Johann bei Albersweiler
Herxheim
Ottersheim
Altdorf
Haßloch
Mußbach
Oggersheim
Littersheim (Wüstung bei Bobenheim-Roxheim)
Westhofen
Weinolsheim
Grötzingen?
Bruchsal
Öwisheim
Derdingen
Zaisenhausen
Witegowenhusen (Wüstung bei Eppingen)
Renningen?
Hoffenheim
Kallstadt
Logunstein
Pfeffingen
Ungstein
Westheim
Iggelheim
Rockenstrowe
Weingarten
Brunneheim
Böhl
Essingen?
Grünstadt
Wachenheim
Weinolsheim
Weisenheim?
Flomersheim
Schonestat
Rohrbach
Münchhausen
Breunigweiler
Munifridesheim
Mühlhofen
Speyerdorf
Böbingen
Lustadt
Weingarten
Gerolsheim
Bettenheim
Pfaffenhofen
Meckenheim
Molfinga
Gundheim
Liedolsheim
Flehingen
Heidelsheim
Simmozheim
Ossinga
Colgenstein
Bietigheim-Bissingen
Bissingen
Durmersheim
Hagsfeld
Ruodgesinga
Glattbach bei Mühlacker
Freinsheim
Gundersheim
Mutterstadt
Darigingen
Hochhausen

Diese Höfe ergeben zusammen 68. Geschehen ist dies im Jahr des Herrn 991 unter Otto III.

Mehrere der hier genannten Orte berufen sich auf diese im 13. Jahrhundert niedergeschriebene Liste als den ältesten urkundlichen Nachweis ihrer Existenz.

Kaspar Brusch gab 1551 an, Herzog Otto hätte das Kloster im Jahr 985 erobert, zerstört und niedergebrannt und Abt Sanderadus sei gewaltsam vertrieben und durch den Abt Gisillarius ersetzt worden: „Accidit sub huius (sc. Sanderadi) gubernatione ut Dux quidam Otho, Conradi Ducis filius, coenobium Weissenburgense invaderet, diriperet & exureret anno 985 & Abbate Sanderado expulso Gisillarium quendam Monasterio tandem præficeret.“[2] Ebenso meldete Johann Friedrich Schannat im Jahr 1723: „sub ipso (sc. Sanderado) quidam Dux Otto Monasterium Weissenburgense incendio delevit Anno DCCCCLXXXV“.[3] Ob es wirklich zu derartigen gewaltsamen Vorgängen im Kloster gekommen ist, scheint aber fraglich, möglicherweise handelt es sich hierbei um Übertreibungen aus späterer Zeit.

Literatur

  • Hermann Graf: War der Salier Graf Otto von Worms, Herzog von Kärnten, unter Ausnützung der Schwäche der Reichsregierung eine Raffer von Reichsland und ein Räuber von Kirchengut? In: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte 28 (1961), S. 45–60.
  • Jean Rheinwald: L' abbaye et la ville de Wissembourg. Avec quelques châteaux-forts de la basse Alsace et du Palatinat. Monographie historique. Wentzel, Wissembourg 1863 (Nachdruck: Res Universis, Paris 1992).
  • Hansmartin Schwarzmaier: Herzog Otto von Worms, der „Kirchenräuber“. In: ders.: Von Speyer nach Rom: Wegstationen und Lebensspuren der Salier. Sigmaringen, 1991, S. 28–37.

Belege

  1. Annales Weissenburgenses. In: Georg Heinrich Pertz u. a. (Hrsg.): Scriptores (in Folio) 3: Annales, chronica et historiae aevi Saxonici. Hannover 1839, S. 33–72 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat), hier S. 70. Auch in: Oswald Holder-Egger (Hrsg.): Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 38: Lamperti monachi Hersfeldensis Opera. Anhang: Annales Weissenburgenses. Hannover 1894, S. 9–57 (Monumenta Germaniae Historica, Digitalisat), hier S. 47.
  2. Kaspar Brusch: Monasteriorum Germaniae praecipuorum ac maxime illustrium centuria prima, Ingolstadt 1551, fol. 6a, Google Books
  3. Johann Friedrich Schannat: Vindemiae literariae, Fulda und Leipzig 1723, S. 8, Google Books
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