SLAPP

SLAPP (engl. strategic lawsuit against public participation = Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung; engl. slap = Ohrfeige, Schlag ins Gesicht) ist ein Akronym für eine rechtsmissbräuchliche Form der Klage, die den Zweck hat, Kritiker einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden. Sie wird in den meisten Fällen von Unternehmen, seltener von Privatpersonen oder Behörden, gegen NGOs oder Individuen angestrengt, welche die Geschäftspraktiken des Unternehmens, die Aktivitäten des Individuums oder der Behörde öffentlich kritisieren.

Geschichte

Der Begriff wurde in den 1990ern von den beiden Professoren Penelope Canan und George W. Pring von der Universität Denver geprägt.[1] Typischerweise geht es nicht darum, ob die Klage realistische Erfolgsaussichten hat, sondern darum, den Beklagten durch die zu befürchtenden Prozesskosten und den hohen Aufwand eines Gerichtsverfahrens dazu zu bringen, „freiwillig“ seine Tätigkeit einzustellen. Eine SLAPP kann auch dazu führen, dass andere davon abgehalten werden, sich an der Debatte zu beteiligen.

Gesetze in den USA

In vielen US-Bundesstaaten gibt es mittlerweile Schutzgesetze gegen SLAPPs, sogenannte anti-SLAPP (auch engl. SLAPP-back) Gesetze, die eine zügige Klageabweisung und Kostenerstattung an den Beklagten vorsehen.[2]

Gesetze in Europa

Anfang 2021 hat die Europäische Kommission eine Anti-SLAPP Expertengruppe benannt.[3] Die Europäische Kommission stellte im Kampf gegen strategische Klagen gegen Journalisten (SLAPP) am 16. September 2021 nun auch Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten vor.[4] Solche strategische Klagen ohne Aussicht auf Erfolg werden auch in Unionsmitgliedstaaten als Druckmittel zur Einschüchterung von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern eingesetzt. Die Kommission hat am 4. Oktober 2021 eine öffentliche Konsultation zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern gegen solche missbräuchliche Gerichtsverfahren gestartet.[5] Den Mitgliedsstaaten empfiehlt die EU-Kommission z. B. rechtliche und psychologische Beratung für betroffene Journalisten und Menschenrechtsverteidiger zur Verfügung zu stellen.[6] 2022 soll eine Richtlinie auf europäischer Ebene zur Medienfreiheit vorgestellt und SLAPP verboten werden.[7] Auch im Europäischen Parlament laufen diesbezüglich Untersuchungen.[8][9]

Beispiele

SLAPP-Klagen wurden in den USA beispielsweise gegen Umweltschutzorganisationen eingereicht, die sich gegen den Bau der Dakota Access Pipeline eingesetzt haben.[10] In der EU werden SLAPP-Klagen unter anderem aus Polen, Ungarn und Malta berichtet, wo Regierungsvertreter Medien einschüchterten.[11] Das in Deutschland bekannteste SLAPP-Verfahren betrifft den Autor und Filmemacher Alexander Schiebel und Karl Bär vom Umweltinstitut München, die von fast 1.400 Südtiroler Bauern wegen übler Nachrede verklagt wurden.[12]

In Österreich wurde 2021 das regierungskritische Online-Medium Zackzack.at vom Wiener Gastronomen und persönlichen Freund des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) Martin Ho und dem Tiroler Bauunternehmer René Benko in zwei separaten Klagen auf insgesamt 3 Millionen Euro verklagt, um kritische Berichterstattung in Zusammenhang mit der Regierungspartei ÖVP zu unterbinden. Die Höhe der Klagesumme beträgt das Dreifache des Jahresbudgets von Zackzack.at und hat daher das Potential, das Medium in den Konkurs zu treiben.[13][14]

Die Stadt Wien sandte nach einer mehrere Monate anhaltenden Besetzung einer Baustelle im Zusammenhang mit dem Bau des Lobautunnels und der „Stadtstraße“ 2021 Anwaltsbriefe an Kritiker des Straßenbaus und Baustellenbesetzer, unter denen sich auch ein Kind und mehrere Jugendliche befanden, in denen sie diese aufforderte, die Baustellenbesetzung zu beenden. Da der Stadt durch die lange Bauverzögerung finanzielle Schäden entstehen würden, wurden im Falle einer Weigerung mögliche Schadenersatzforderungen in den Raum gestellt (die angedrohten Schadenersatzklagen wurden von den betroffenen Baustellenbesetzern als SLAPP-Klagen interpretiert). Dass einige der Anwaltsbriefe auch an jugendliche Baustellenbesetzer ergingen, wurde im Nachhinein von der für den Bau zuständigen Verkehrs- und Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) bedauert.[15][16][17] Die Stadt Wien zog in weiterer Folge nur die Klageandrohungen gegen die minderjährigen Aktivisten zurück.[18] Mehr als zwei Monate später erklärte die Stadt Wien, dass sie auf Klagen verzichte, die Schreiben seien nur Informationsschreiben gewesen, um die Baustellenbesetzer über mögliche rechtliche Konsequenzen ihres Handelns zu informieren.[19] Im Dezember 2021 wurde die Aufgabe des Bauvorhabens bekannt gegeben.

Im Juli 2023 forderten „Hilfsorganisationen, darunter Caritas, Diakonie und Amnesty International, von der österreichischen Bundesregierung eine Gesetzgebung zur Verhinderung von „SLAPP“-Klagen, bei denen das Justizsystem missbraucht und Kritikerinnen und Kritiker eingeschüchtert werden sollen.“[20]

Im November 2023 berichtete Greenpeace, dass der Energiekonzern Shell eine Klage gegen Greenpeace Großbritannien und Greenpeace International eingereicht habe und eine Schadensersatzforderung in Höhe von rund acht Millionen Euro (8,6 Millionen US-Dollar) verlange, sofern Greenpeace sich nicht dazu verpflichtet, künftig jegliche Proteste auf Shell-Infrastrukturen (Plattformen, Frachtern, Firmensitzen etc.) zu unterlassen. Greenpeace bezeichnet dies als „Einschüchterungsklage“ und fordert Shell dazu auf, solche Einschüchterungsversuche zu unterlassen und stattdessen die Verantwortung für die verursachte Klimazerstörung zu übernehmen.[21]

Einzelnachweise

  1. George W. Pring, Penelope Canan: SLAPPs: Getting Sued for Speaking Out 1996
  2. Beispiel: What is a Strategic Lawsuit Against Public Participation (SLAPP)? California Anti-SLAPP Project
  3. Expert group against SLAPP (E03746), Europäische Kommission.
  4. COMMISSION RECOMMENDATION of 16. September 2021 on ensuring the protection, safety and empowerment of journalists and other media professionals in the European Union, Brussels, C(2021) 6650 final.
  5. EU-Maßnahmen zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren (SLAPP-Klagen), Webseite: ec.europa.eu.
  6. EMPFEHLUNG DER KOMMISSION vom 27. April 2022 zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren („strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“), Webseite: ec.europa.eu, SWD(2022) 117 final / C(2022) 2428 final .
  7. Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zum Schutz von Personen, die sich öffentlich beteiligen, vor offenkundig unbegründeten oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren („strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“), Webseite: ec.europa.eu, SWD(2022) 117 final / 2022/0117 (COD).
  8. Nutzung von SLAPP-Klagen zur Einschüchterung von Journalisten, nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft, Europäisches Parlament, Studie der Politischen Abteilung für Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten des Europäischen Parlaments auf Ersuchen des JURI-Ausschusses, Juni 2021.
  9. DRAFT REPORT on the strengthening democracy and media freedom and pluralism in the EU: the undue use of actions under civil and criminal law to silence journalists, NGOs and civil society, Europäisches Parlament, 2021/2036(INI) vom 14. Juni 2021.
  10. Greenpeace: Was du über die Klage von Energy Transfer Partners wissen musst, 3. Juni 2018.
  11. SLAPP: the background of Strategic Lawsuits Against Public Participation. In: European Centre for Press & Media Freedom. Abgerufen am 7. August 2021 (englisch).
  12. Christian Rath: Slapp–Klagen in der EU: Klagen als Schikane. In: taz. Abgerufen am 7. August 2021.
  13. Slapp gegen Zack. In: zackzack.at. Abgerufen am 19. Dezember 2021 (deutsch).
  14. „Zackzack“: SPÖ will Schritte gegen „Einschüchterungsklagen“, auf derstandard.at, abgerufen am 27. Dezember 2021
  15. Stadtstraße: Anwaltsbriefe auch an Experten, Webseite: wien.orf.at vom 14. Dezember 2021.
  16. Lobau: Organisationen geben Stadt 48 Stunden für Rücknahme der Klagsdrohungen. In: Der Standard, 15. Dezember 2021. Abgerufen am 15. Dezember 2021.
  17. Scharfer NGO-Protest gegen Klagsdrohung zu Causa Stadtstraße. In: Salzburger Nachrichten, 15. Dezember 2021. Abgerufen am 15. Dezember 2021.
  18. Lobau: Wien zieht Klagsdrohung gegen Minderjährige zurück, Webseite: orf.at vom 23. Dezember 2021.
  19. Stadtstraße: Stadt verzichtet auf Klagen, Webseite: orf.at vom 15. Februar 2022.
  20. religion ORF at/KAP red: NGOs fordern Ende von „SLAPP“- Prozessen. 18. Juli 2023, abgerufen am 18. Juli 2023.
  21. gescheitert: Shell droht Greenpeace auf 8 Millionen Euro zu verklagen, Webseite: OTS-at vom 9. November 2023.

This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. Additional terms may apply for the media files.