Ruth Baumgarte

Ruth Baumgarte (* 27. Juni 1923 in Coburg; † 7. Februar 2013 in Bielefeld) war eine deutsche Malerin und Galeristin.

Ruth Baumgarte (1985)

Leben

Ruth Baumgarte im Atelier, 1989
Ruth Baumgarte bei den Massai in den 1990er Jahren

Ruth Baumgarte wurde als Tochter von Margarethe Kellner-Conrady und Kurt Rupli in Coburg geboren und wuchs bei ihrer Mutter in Berlin-Tiergarten und später in Berlin-Karlshorst auf. Ihre erste künstlerische Ausbildung erhielt sie von 1939 bis 1941 bei Emmy Stalmann an der Privaten Kunstschule des Westens in Berlin.

Von 1941 bis 1944 studierte sie Malerei und Freie Grafik an der Hochschule für bildende Künste Berlin unter anderen bei Kurt Wehlte und wurde mehrfach wegen besonderer Begabung ausgezeichnet.[1] Während des Studiums beschäftigte sie sich im Verborgenen mit der Darstellung von Verfolgung und Deportation von Roma und Sinti sowie der jüdischen Bevölkerung und war ständige Mitarbeiterin des Zeichentrick-Ateliers von Wolfgang Kaskeline[2], der als jüdischer Filmproduzent für die Nationalsozialisten in Walt-Disney-Manier arbeitete.[3] Infolge der Evakuierung der Hochschule im Zweiten Weltkrieg wechselte sie im März 1944 zur Staatlichen Industrie- und Kunstgewerbeschule Sonneberg in Thüringen.[4] Zunächst wurde sie Pressezeichnerin bei der ersten deutsch-russischen Tageszeitung Berliner Zeitung.[5] Wegen ihrer ersten Ehe mit einem aus Bielefeld stammenden Künstler siedelte sie nach Westdeutschland um.[6]

Tagesaktuell zeichnete sie in den Jahren 1949 bis 1953 für die Bielefelder Freie Presse[7] und arbeitete als Buchillustratorin sowie als freie Künstlerin.[8] 1952 heiratete sie den Industriellen Hans Baumgarte (verstorben 1999). Nach 1985 wurde sie international bekannt, überwiegend durch ihren Afrika-Zyklus.

1986 war sie Mitbegründerin der Samuelis Baumgarte Galerie, die heute von ihrem Sohn Alexander Baumgarte geführt wird.

Werk

Insgesamt umfasst ihr Werk über 1100 Zeichnungen, 700 Aquarelle und 50 Ölgemälde. Besonders mit der Aquarellmalerei hielt sie zahlreiche Reiseimpressionen und gesellschaftspolitische Themen bildlich fest.

Sie schuf zahlreiche Porträts und Bühnenkompositionen von Schauspielern, Tänzern und Artisten. Gestik und Habitus von Menschen in ihrem persönlichen Umfeld, Verarbeitungen persönlicher Erlebnisse, sozialpolitische Themen wie die Darstellung des Menschen in der Schwerindustrie sowie Eindrücke von ihren Reisen waren ihre Themen. Außerdem erhielt sie von Buchverlagen Aufträge für die Gestaltung von Belletristik, Kinder- und Jugendliteratur.

Durch die Ehe mit Hans Baumgarte, Eigentümer eines Eisenwerks, kam sie mit der Stahlindustrie in Berührung und porträtierte als eine der wenigen Frauen in der Kunstgeschichte Menschen im Kontext industrieller Produktion.[9]

Ruth Baumgarte ging ab den 1970er Jahren immer wieder den einschneidenden Veränderungen im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft nach. Mit ihrem Porträt-Zyklus der „Nichtsesshaften“ widmete sie eine eigene siebenteilige Bildfolge mit Charakterstudien dem sozialen Ungleichgewicht in der Bundesrepublik der 1980er Jahre. In diesem Kontext entstanden um 1985 auch Milieustudien, in denen sie auf die diversen Ausdrucksformen der Jugendkultur blickte und diese neu interpretierte.[10]

Afrika-Zyklus

Für die Arbeiten aus dem Afrika-Zyklus bereiste Ruth Baumgarte erstmals in den 1950er Jahren und seit den frühen 1980er Jahren zahlreiche afrikanische Länder.[11] Aus ihren Reisenotizen entstanden großformatige Ölgemälde, die sich mit afrikanischer Stammeskultur und zunehmender Industrialisierung und Zerstörung afrikanischer Riten beschäftigten.[12] Diese Bilder zeigen im expressiven Stil Menschen vor in sich verschmelzenden Landschaftsvisionen.[13]

Ausstellungen (Auswahl)

Kunststiftung Ruth Baumgarte

Im Frühjahr 2012 gründete Baumgarte die Kunststiftung Ruth Baumgarte zur Förderung und Verwaltung ihres künstlerischen Lebenswerkes.[14] Den Vorsitz der Stiftung hat der Sohn der Künstlerin Alexander Baumgarte auf Lebenszeit inne.

Seit 2014 vergibt die Stiftung den mit 20.000 € dotierten Kunstpreis Ruth Baumgarte an einen gegenständlich arbeitenden Künstler.[15] Preisträger waren seither Judith Hopf,[16] Kader Attia,[17] Amelie von Wulffen,[18] Mona Hatoum, Nan Goldin,[19] Michael Armitage,[20] William Kentridge und Athi-Patra Ruga.[21]

Ehrung

Im Oktober 2020 wurde in der Nähe ihres früheren Wohnhauses am Rheinsteinpark in Berlin-Karlshorst eine Gedenkstele enthüllt[22] sowie 2021 eine Straße in der Parkstadt Karlshorst nach der Künstlerin benannt[23]. Auch ehrte die Stadt Bielefeld Ruth Baumgarte mit der Benennung einer Straßenbahn im Juni 2021.[24]

Literatur

  • Monika Spiller: Baumgarte, Ruth. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker (AKL). Band 7, Saur, München u. a. 1993, ISBN 3-598-22747-7, S. 605.
  • Bezirksamt Lichtenberg zu Berlin (Hrsg.), Martin Fenner: Ruth Baumgarte. Herkunft / Prägung / Zäsuren. Berlin 2017, ISBN 978-3-9818840-0-5.
  • Kurt Bütow: Europäisches Künstlerlexikon. Malerei und Zeichenkunst. Band 1. Bavaria Kunstverlag, Königsbrunn 1995.
  • Michael Dückershoff (Hrsg.): Ruth Baumgarte und das Wirtschaftswunder. Farbrausch am Kessel. Wienand Verlag, Köln 2018, ISBN 978-3-86832-435-8.
  • Frost & Reed, Ltd. (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Paintings & Works on Paper. London 1992
  • Peter Joch (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Vision Afrika. Turn of the Fire. Petersberg 2019, ISBN 978-3-7319-0816-6.
  • Evgenia Petrova (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Palace Editions, St. Petersburg 2018, ISBN 978-3-906917-21-4.
  • Städtische Kunstsammlungen Salzgitter (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Farbrausch am Kessel. Salzgitter 2015, ISBN 978-3-9816004-5-2.
  • Wiebke Steinmetz / Viola Weigel (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Werde, die du bist! Lebenskunst. München 2020, ISBN 978-3-7774-3624-1.
  • Susan Aberbach Fine Art (Hrsg.): Ruth Baumgarte. African Visions. New York 2001.
  • Klaus Albrecht Schröder, Angela Stief (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Africa: Visions of Light and Color, Hirmer Verlag, München 2022, ISBN 978-3-7774-4126-9.
  • Wiebke Steinmetz, Viola Weigel (Hrsg.): Ruth Baumgarte Werkverzeichnis / Catalogue Raisonné Vol. I-III, Hirmer Verlag, München 2023, ISBN 978-3-7774-3838-2
Commons: Ruth Baumgarte – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Vgl. Klassenlisten der Staatlichen Hochschule für bildende Künste vom WS 1939/40 - WS 1943/44 im Archiv der Universität der Künste Berlin.
  2. Herma Kennel: Als die Comics laufen lernten. Der Trickfilmpionier Wolfgang Kaskeline zwischen Werbekunst und Propaganda. Bebra Verlag, Berlin-Brandenburg 2020, ISBN 978-3-89809-173-2, S. 139.
  3. Rolf Giesen: Rezension zu: Kennel, Herma: Als die Comics laufen lernten. Der Trickfilmpionier Wolfgang Kaskeline zwischen Werbekunst und Propaganda. In: H-Soz-Kult. 22. Oktober 2020 (www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-29809).
  4. Vgl. Thüringisches Staatsarchiv Meiningen, Ingenieurschule für Spielzeugformgestaltung und Maschinenbau Sonneberg, Nr. 1027
  5. Martin Fenner: Auf jedem Stein erglänzt das Silberlicht. In: Bezirksamt Lichtenberg zu Berlin / Martin Fenner (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Herkunft / Prägung / Zäsuren. Berlin 2017, ISBN 978-3-9818840-0-5, S. 1332.
  6. Siehe hierzu: Archivierte Kopie (Memento vom 18. Juli 2014 im Internet Archive)
  7. Vgl. Stadtarchiv Bielefeld, Zeitschriftenbestand, Freie Presse 29.06.1949 – 22.02.1953.
  8. Vgl. u. a. M. M. Schwarz: Keinbein hält die Fährte. Schlösser-Verlag, Braunschweig 1954; Kurt Knaak: Brav, mein Weidgesell! Schmidt-Verlag, Bielefeld 1954; Marei Hoppe: Bille, der Backfisch. Erich Schmidt Verlag, Berlin 1955; Berte Bratt: Gewagt – gewonnen. Schmidt-Verlag, Bielefeld 1956.
  9. Sandra Mühlenberend: Ruth Baumgarte. Bilder zu Wiederaufbau und Expansion. In: Michael Dückershoff (Hrsg.): Ruth Baumgarte und das Wirtschaftswunder. Farbrausch am Kessel. Wienand Verlag, Köln 2018, S. 919.
  10. Vgl. Gerhard Charles Rump: Mit der Zeit, über die Zeit. Ruth Baumgarte und die Entwicklung der Westkunst. In: Samuelis Baumgarte Galerie (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Hommage zum 90. Geburtstag, Wichtige Werke aus sieben Jahrzehnten. Bielefeld 2013, S. 8f.
  11. Beate Reifenscheid: „Ich möchte nirgendwo lieber sein als in Afrika“. In: Beate Reifenscheid (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Turn of the Fire. Prestel Verlag, München 2017, ISBN 978-3-7913-5703-4, S. 11–12.
  12. Bianca Strauß: Zwischen Erinnern und Vergessen. Re-Animationen und Gedächtniskultur im Afrika-Werk von Ruth Baumgarte. In: Peter Joch (Hrsg.): Ruth Baumgarte. Vision Afrika. Turn of the Fire. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, ISBN 978-3-7319-0816-6, S. 1621.
  13. Manfred Strecker: Afrika Seele gegeben. Die Bielefelder Malerin Ruth Baumgarte wird heute 80 Jahre alt. Hrsg.: Neue Westfälische. Lokale Kultur. Freitag 27. Juni 2003.
  14. Website der Kunststiftung Ruth Baumgarte
  15. Kunstpreis (Memento des Originals vom 18. November 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ruth-baumgarte.com auf der Website der Stiftung; abgerufen am 24. November 2016.
  16. Erste Wahl. In: Neue Westfälische, 17./18. Januar 2015, S. 11.
  17. Wahlberliner Kader Attia erhält Baumgarte-Kunstpreis. In: Berliner Zeitung, 4. Juni 2016, S. 11.
  18. Amelie von Wulffen erhält Baumgarte-Preis. In: Neue Westfälische, 4./5. Februar 2017, Lokale Kultur.
  19. „Wir leben in gefährlichen Zeiten“. In: taz.de. 9. Juli 2019, abgerufen am 29. August 2019.
  20. Michael Armitage mit Kunstpreis ausgezeichnet. In: FAZ.de. 31. August 2020, ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 1. September 2020.@1@2Vorlage:Toter Link/www.faz.net (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)
  21. Athi-Patra Ruga – Ruth Baumgarte. Abgerufen am 9. Dezember 2022.
  22. Einweihung: Stele für die Künstlerin Ruth Baumgarte. Pressemitteilung des Bezirksamts Berlin-Lichtenberg, 30. Oktober 2020.
  23. Kauperts. Straßenführer in Berlin: Ruth-Baumgarte-Straße in Berlin. Abgerufen am 5. September 2022.
  24. Peter Bollig: Unterwegs mit Bielefelder Größen. Mobiel benennt 21 neue Vamos-Züge nach Persönlichkeiten aus der heimischen Geschichte. Westfalen-Blatt, 15. Juni 2021, abgerufen am 5. September 2022.
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