Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur
Das Russische Haus in Berlin (ehemals: Russisches Haus der Wissenschaft und Kultur, russisch Русский дом в Берлине) ist ein Veranstaltungs- und Kulturzentrum in der Friedrichstraße 176–179 im Berliner Ortsteil Mitte. Es wurde am 5. Juli 1984 als Haus der Sowjetischen Wissenschaft und Kultur eröffnet und von der im russischen Außenministerium angesiedelten Regierungsagentur Rossotrudnitschestwo betrieben.[1][2] Das Gebäude enthält Räumlichkeiten für Ausstellungen, Konferenzen, Konzerte und ein Kino. Das Wirken und die Rolle des Russischen Hauses ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 Gegenstand von öffentlicher Kritik.
Geschichte
Das Gebäude wurde nach Entwürfen des Architekten Karl-Ernst Swora von 1981 bis 1984 auf dem Grundstück eines im Zweiten Weltkrieg zerstörten früheren Geschäftshauses neu gebaut. Die Realisierung erfolgte durch die neu gebildete Aufbauleitung Sondervorhaben der Hauptstadt Berlin eines Kollektivs der Bauakademie der DDR um Erhardt Gißke. Für den Bau wurden hochwertige Materialien wie Granit aus der Lausitz für die Fassade und Kalkstein aus Wraza für die Obergeschosse verwendet. Das Gebäude hat sieben Stockwerke und eine Fläche von rund 29.000 m². Über dem Eingangsbereich befindet sich ein bunter Fries.
Bauherr war der Verband der sowjetischen Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Beziehungen mit dem Ausland. Ein klassizierender Entwurf von Günter Stahn wurde im Vorfeld abgelehnt. Der umgesetzte Entwurf von Swora entsprach damit nicht dem von der DDR-Führung für die Friedrichstraße vorgesehenen klassizistischen Stil, sondern ähnelte eher den Repräsentationsbauten der Breschnew-Ära wie der ITAR-TASS-Zentrale, dem Weißen Haus in Moskau und der sowjetischen Akademie der Wissenschaften.[3]
Die Einrichtungen in dem Gebäude dienten (ebenso wie die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft) der Festigung der zweiseitigen Verbindungen und als Zentrum für die Vermittlung der russischen Sprache. Es handelte sich um das „größte aller sowjetischen Auslandskulturzentren“ weltweit. Das 1700 m² große Foyer galt als „eines der größten und prachtvollsten“[4] Berlins. Im Foyer befand sich eine Statue von Lenin. Die Statue wurde nach der deutschen Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre aus dem Gebäude entfernt. Der Verbleib der Statue ist unbekannt.
Nach dem Ende der Sowjetunion wurde der Komplex Eigentum des russischen Staates. Er wurde renoviert und Teile neu verpachtet. Weiter wurden im neuen Gebäude das Filmtheater Friedrichstraße [5] und das Kabarett Die Kneifzange [6] etabliert.
Der Kaufmann Franz Sedelmayer versuchte ab 2008, das Gebäude bzw. die eingenommenen Mieten zu pfänden, weil er in Russland enteignet wurde.[7][8]
Die jährliche Besucherzahl gibt das Haus mit 200.000 an. Einen Teil seiner Fläche vermietete es an Edelgeschäfte, unter anderem gab es ein Reisebüro, einen Buchladen, Theater-, Film- und Konzertabende sowie politische Veranstaltungen, etwa mit der Linkspartei.[9]
Kritik nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 kam es wiederholt zu Protestkundgebungen vor dem Russischen Haus. Unter anderem zeigte das dortige Filmtheater Propagandaproduktionen des abgeschalteten Senders RT, in dem Ukrainer als Nazis verunglimpft werden. Die Agentur Russotrudnitschestwo, welche das Haus betreibt, steht seit dem 21. Juli 2022 auf der EU-Sanktionsliste. Das juristische Onlinemagazin Legal Tribune Online kommt zu dem Schluss, dass der Weiterbetrieb des Russischen Hauses gegen die EU-Sanktionen verstößt.[10][11] Nach Angaben von Reuters erhielten ein ehemaliger russischer Luftwaffenoffizier und seine Freundin, die prorussische Proteste zum russischen Überfall auf die Ukraine in Deutschland mitorganisierten, vom Russischen Haus Flugtickets zur Teilnahme an einem von der Regierung mitveranstalteten Event in Moskau.[12]
Ende November 2022 protestierten um die hundert Menschen gegen das Entzünden des Weihnachtsbaums gemeinsam mit Väterchen Frost vor dem Russischen Haus. Es handle sich um russische Propaganda.[13] Im Januar 2023 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen die Betreiber des Russischen Hauses aufgrund des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz.[14] Die Ermittlungen wurden eingestellt. Laut Markus Wehner stehen einer Schließung des Hauses diplomatische Erwägungen des Auswärtigen Amtes entgegen, da sonst möglicherweise alle Goethe-Institute in der Russischen Föderation ebenfalls geschlossen würden.[9]
Weblinks
Literatur
- Wolfgang Kil: Gründerparadiese – Vom Bauen in Zeiten des Übergangs; S. 87–89. Verlag für Bauwesen Berlin, Berlin 2000; ISBN 3-345-00747-9.
- Valerij Sankov: Das Haus in der Friedrichstraße. Berlin 2000.
Einzelnachweise
- Ein Sinnbild der Freundschaft im Herzen der Hauptstadt. In: Neues Deutschland, 6. Juli 1984, S. 2
- Befangene Bilder. In: Tagesspiegel Online. 4. Mai 2022, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 3. September 2022]).
- Wolfgang Kil: Gründerparadiese – Vom Bauen in Zeiten des Übergangs; S. 87
- Friedrichstraße 176–179 (Memento des vom 30. April 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. auf berlin-friedrichstrasse.de
- Hinweis mit Adresse zum filmtheater (Memento vom 18. August 2010 im Internet Archive)
- Website der Kneifzange
- Russisches Haus wird nicht versteigert. In: Berliner Morgenpost. 23. Oktober 2009, abgerufen am 21. März 2020.
- Franz Sedelmayer gegen Russland In: Zeitmagazin 47/2014.
- Markus Wehner, Berlin: Das Russische Haus in Berlin: Warum ist Putins Machtsymbol noch geöffnet? In: FAZ.NET. 15. Juni 2023, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 15. Juni 2023]).
- Kreml-Propaganda im Herzen der Hauptstadt. In: Legal Tribune Online. 14. Dezember 2022, abgerufen am 15. Dezember 2022.
- Rechtslage verlangt Sanktionsdurchsetzung gegen Russisches Haus. In: Legal Tribune Online. 19. Januar 2023, abgerufen am 22. Januar 2023.
- Ermittlungen gegen Kreml-nahe Agentur: Das Hin und Her ums Russische Haus in Berlin. In: Tagesspiegel. 21. Januar 2023, abgerufen am 4. Februar 2023.
- „Vehikel der Propaganda“: Protest vor dem Russischen Haus. In: Berliner Morgenpost, 29. November 2022
- Russland-Sanktionen: Staatsanwalt ermittelt gegen Russisches Haus in Berlin. In: Berliner Kurier. 20. Januar 2023, abgerufen am 4. Februar 2023.