Royal Aircraft Factory R.E.8
Die Royal Aircraft Factory R.E.8 war ein zweisitziges britisches Doppeldecker-Kampfflugzeug im Ersten Weltkrieg. Die Besatzungen dieser Flugzeuge nannten sie ironisch „Harry Tate“, nach dem Künstlernamen eines damals sehr populären Londoner Komikers.
Royal Aircraft Factory R.E.8 | |
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R.E.8 gebaut von Siddeley-Deasy | |
Typ | Bomber |
Entwurfsland | |
Hersteller | Royal Aircraft Factory |
Erstflug | 1916 |
Indienststellung | 1916–1918 |
Produktionszeit | 1916–1918 |
Stückzahl | 4320[1] |
Entwicklung
Die staatliche Royal Aircraft Factory in Farnborough erhielt aufgrund einer Anforderung des Royal Flying Corps (RFC) vom Oktober 1915 den Auftrag, ein Nachfolgebaumuster als Ersatz für die die verwundbaren und zu schwach motorisierten B.E.2-Typen entwickeln. Die „Reconnaissance Experimental No. 8“, abgekürzt R.E.8, unterschied sich von früheren Baumustern vor allem durch den stärkeren 150 PS (110 kW) 12-Zylinder Royal Aircraft Factory 4A V-Motor, dessen Abgase durch zwei auffällige, lange Auspuffrohre über die obere Tragfläche geleitet wurden, sowie durch die stark gestaffelten Tragflächen und die zusätzlichen dünnen Streben, die die Querruder der Flügel miteinander verbanden. Das Flugzeug war mit einem beweglichen Lewis-MG für den Beobachter im hinteren Cockpit bewaffnet; der Pilot verfügte vorläufig nur über ein links im Pilotencockpit montiertes Lewis-MG, das durch den Propellerkreis nach vorn schoss. Da dafür noch kein serienreifes Synchronisationsgetriebe verfügbar war wurden an den Propellerblättern provisorische Ablenkbleche gegen die Beschädigung durch abgefeuerte Patronenkugeln angebracht.
Am 17. Juni 1916, etwa ein halbes Jahr nach Beginn der Entwicklungsarbeiten, startete Testpilot Major Goodden mit dem Prototyp Nummer 7996 zum Erstflug. Nach erfolgreicher Erprobung überführte Goodden mit dem Direktor der Air Organisation Brigadier General William Sefton Brancker als Passagier an Bord,[2] das Flugzeug zur Einsatzerprobung nach Frankreich. Am 28. Juni 1916 war der zweite Prototyp mit der Nummer 7997 fertiggestellt, der ab Anfang Juli erprobt, laufend nachgebessert und im Oktober mit einem Vickers-MG mit Challenger-Synchronisationsgetriebe für den Piloten bewaffnet wurde.
Produktion
Die Erprobungen hatten bewiesen, dass das Flugzeug gut zu fliegen war und seine stärkere Motorisierung auch mehr Zuladung von Waffen, Munition, Kameras und Bomben erlaubte. Daher legte man nach kleineren in Farnborough vorgenommenen Nachbesserungen bereits im August 1916 die Produktion eine Vorserie von 50 Flugzeugen auf, gefolgt am 25. August von weiteren 100 Bestellungen bei Austin und am 30. August von weiteren 100 bei Siddeley-Deasy. Der hohe Bedarf nach Kampfflugzeugen führte fortan zu ständig steigenden Bestellungen, neben der Royal Aircraft Factory, die nur 44 Flugzeuge lieferte, waren sechs weitere Firmen an der Produktion beteiligt:
- Austin,
- Standard Motors,
- Siddeley-Deasy
- Daimler
- Napier
- Coventry Ordnance Works.
Mit insgesamt 4320 gefertigten Flugzeugen war die R.E.8 eines der meistgebauten Flugzeuge des Krieges.
Varianten
- R.E.8a mit 150 PS (110 kW) Hispano-Suiza V8-Motor und auf dem Rumpfbug montiertem Vickers-MG, im Herbst 1916 ein Prototyp gebaut.[2]
- R.E.9: umgebaute R.E.8, als Nachfolgemodell mit zweiteiligen Tragflächen gleicher Spannweite
- R.T.1, von Siddeley-Deasy gebaut, mit 200 PS (147 kW) Hispano-Suiza V8 Motor und auf dem Rumpfbug montiertem Vickers-MG sowie Tragflächen ungleicher Tiefe und verschiedenen Motorvarianten sowie geschlossener Kabine und verstellbaren Luftschrauben
Einsatz
Die ersten Serienmaschinen kamen im November 1916 mit der No. 56 Squadron, RFC nach Frankreich. In den Folgemonaten wurden immer mehr Einsatzverbände damit ausgerüstet; bis Mitte 1917 waren bereits 800 Maschinen an die Front gegangen und hatten die B.E.2 weitgehend abgelöst, und bis September 1917 flogen 16 Squadrons die R.E.8.[2]
Nach Auslieferung der ersten Maschinen kam es überraschend zu schweren Unfällen durch Abstürze und Bruchlandungen. Besonders verunsichert waren die noch unerfahrenen Piloten der No. 52 Squadron, die ihren erfahreneren Kameraden von der No. 34 Squadron anboten, ihre neuen R.E.8 gegen deren alten B.E.2e einzutauschen, was jene wegen der besseren Bewaffnung der R.E.8 gern annahmen.[3] Beide Squadrons gehörten zum Geschwader des III. Korps, deren Stabsoffizier Major J.A. Chamier einleitend zu einer Anweisung mit detaillierten Bedienungshinweisen schrieb:
„Die R.E.8 ist zwar eine prächtige Maschine, aber kein Kinderwagen (sic!), und braucht zuerst mal ein wenig Sorgfalt… Bei der R.E.8 geht es hauptsächlich darum nicht zu vergessen, dass die Maschine es kaum spüren lässt wenn sie langsamer wird, bis sie plötzlich in einen unkontrollierbaren Sturzflug übergeht, der sich nicht mehr auffangen lässt, wenn man schon zu nah am Boden ist“[4]
H. A. Jones schrieb 1931 in seiner Geschichte der RAF:
„Die ersten R.E.8 hatten besonders in Händen von Anfängern die Neigung abzuschmieren, und es gab zu Hause und in Übersee fatale Unfälle, die erst durch Korrekturen an der Konstruktion abgestellt wurden. Wenn sich das Flugzeug bei einer Bruchlandung auf die Nase stellte, brach fast mit Sicherheit Feuer aus. Der Motor wurde dann in den Not- und Hauptbenzintank zurückgeschoben, so dass sich das gesamte Benzin über den Motor ergoss, und bei den Bränden, die dann die Folge waren, kamen viele Piloten und Beobachter ums Leben. Der üble Ruf der R.E.8 verbreitete sich im gesamten Royal Flying Corps. Nichts untergräbt so sehr die Moral eines Piloten, wie Misstrauen in die fliegerischen Fähigkeiten seines Flugzeugs. Lord Cowdray, der Präsident des Air Board, nahm sich energisch der Sache an. Unter der Leitung des stellvertretenden Controllers in der technischen Abteilung des Direktoriums wurden eine Reihe von Untersuchungen und Versuchen mit dem Flugzeug durchgeführt, und die Modifikationen in der Konstruktion waren so zahlreich, dass die R.E.8 fast als neuer Typ entstand. Sie überwand ihren schlechten Ruf und überlebte bis zum Ende des Krieges als Standardflugzeug für die Korpsgeschwader in Frankreich.“[5]
Die deutlichsten der angesprochenen Veränderungen betrafen die weiter nach vorn versetzte und vergrößerte Seitenflosse und die Erweiterung der unteren Tragfläche, welche im Mai 1917 erprobt wurden. Im selben Monat begann auch die Erprobung eines hochkomprimierten 200 PS (147 kW) RAF 4D-Motors, der aber ebenso wenig in die Serienproduktion aufgenommen wurde wie die bereits für den Einbau in die Felixstowe-Flugboote und in die De Havilland D.H.4 benötigten Rolls-Royce Eagle-Motoren. Ohnehin mussten aufgrund der unter Hochdruck laufenden Massenproduktion Änderungen in der Fertigung streng priorisiert werden und brauchten manchmal Monate bis zur Realisierung: so wurde der im Sommer 1917 beschlossene Ersatz der aus Stahl gefertigten Fahrwerksstreben durch solche aus Holz erst ab November 1917 in der Fertigung umgesetzt.[3]
Die R.E.8 war größer und stabiler gebaut als die B.E.2-Typen und diesen hinsichtlich Motorstärke, Nutzlast, Geschwindigkeit und Bewaffnung überlegen. Wie ihre Vorgänger eignete sich die R.E.8 dank ihrer ruhigen und stabilen Fluglage ausgezeichnet als Artillerie- und Fotoaufklärer, war aber aufgrund genau dieser Eigenschaften trotz ihres synchronisierten vorwärtsfeuernden 7,7-mm-Vickers-MG sowie den ein zwei Lewis-MGs auf Drehkranz am Beobachterplatz aufgrund ihrer Schwerfälligkeit im Luftkampf leicht auszumanövrieren. Dieses zeigte sich auf dem dramatischen Höhepunkt des „Bloody April“ am 13. April 1917, als innerhalb weniger Minuten sechs R.E.8 der No. 59 Squadron beim Aufklärungsflug zwischen Drocourt und Quéant durch eine Formation von sechs Albatros-Jägern der deutschen Jasta 11 unter Führung von Manfred von Richthofen abgeschossen wurden.
Die R.E.8 wurde im Jahr 1917 in 18 und 1918 in 19 Staffeln des Royal Flying Corps bzw. der Royal Air Force als Aufklärer, Nachtbomber und Schlachtflugzeug eingesetzt und flogen an der Westfront und an den Fronten in Italien, Palästina und Mesopotamien sowie zur Heimatverteidigung in England. Da der für April 1918 geplante Austausch der R.E.8 gegen die Bristol Fighter aufgrund von Schwierigkeiten bei der dafür erforderlichen Belieferung mit Sunbeam-Arab- und Hispano-Suiza-Motoren nicht zustande kam, hatten sie bei Waffenstillstand immer noch 15 Staffeln die in ihrem Bestand.
Als einzige Alliierter setzte Belgien ab dem 22. Juli 1917 22 Maschinen in ihrer 6ème Escadrille ein. Diese Flugzeuge wurden später auf 150 PS (110 kW) oder 180 PS (132 kW) Hispano-Suiza 8-Motoren umgerüstet.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die R.E.8 sehr schnell ausgemustert. Heute gibt es nur noch zwei Maschinen. Die Restauration der R.E.8 F3556 im Imperial War Museum Duxford wurde 2004 abgeschlossen. Eine andere R.E.8 existiert heute in Brüssel, Belgien.
Bilder
Bilder aus dem Einsatzgeschehen
- R.E.8 einer britischen Squadron an der Westfront bei Le Crotoy, am 9. Juli 1918
- "Letzte Instruktionen" – die Besatzung einer R.E.8 vor dem Einsatz
- R.E.8 der australischen No 69 Squadron, RFC bei der Vorbereitung auf einen Nachtbombereinsatz am 22. Oktober 1917 in Savy bei Arras
- R.E.8 aus einer späteren Produktionsserie der Siddeley-Deasy Motor Company
- Frontansicht
- Australische Soldaten montieren Brandbomben an ihre R.E.8
- R.E.8 einer britischen Squadron an der Westfront bei Albert, am 25. März 1918 vor Beginn der deutschen Frühjahrsoffensive
- Einsatzflug über den Wolken
- Challenger-Synchronisationsgetriebe für das Vickers-MG des Piloten
- Die R.E.8 mit großem 4-Blatt-Propeller
Bilder erhaltener oder nachgebauter Flugzeuge
- Belgische R.E.8 im königlichen Luftfahrtmuseum von Brüssel
- R.E.8 im Old Warden Aerodrome
- R.E.8 aus dem R.A.F. Museum in London
- R.E.8 aus dem Imperial War Museum Duxford
- R.E.8-Nachbau der Vintage Aviator Ltd.
- Nachbau einer R.E.8 auf einer Flugshow
Technische Daten
Kenngröße | Daten |
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Besatzung | 2 (Pilot und Beobachter) |
Länge | 8,48 m |
Flügelspannweite | 12,98 m |
Höhe | 3,45 m |
Tragflügelfläche | 35,07 m² |
Leermasse | 818 kg |
Startmasse | 1302 kg |
Antrieb | 1 × luftgekühlter 150 PS (110 kW) Royal Aircraft Factory 4A 12-Zylinder-V-Motor |
Höchstgeschwindigkeit | 164 km/h in 1981 m |
Steigzeit auf 3000 m | 39 min |
praktische Gipfelhöhe | 4115 m |
Flugdauer | 4:15 h |
Bewaffnung | max. 3 MG 7,7 mm, max. 102 kg Bomben (2 × 51 kg) |
Leistungsvergleich zweisitziger Kampfflugzeuge an der Westfront, Anfang 1918
Name | Land | Motorstärke | max. Geschwindigkeit | Startmasse | MG | Gipfelhöhe | Anzahl gebaut |
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R.A.F. R.E.8 | Vereinigtes Königreich | 200 PS (147 kW) | 160 km/h | 1302 kg | 3–4 | 3000 m | 4320 |
Bristol Fighter F.2B | Vereinigtes Königreich | 275 PS (202 kW) | 198 km/h | 1464 kg | 2–3 | 5485 m | 5329 |
De Havilland D.H.4 | Vereinigtes Königreich | 350 PS (257 kW) | 195 km/h | 1685 kg | 2–3 | 5000 m | >6000 |
Armstrong Whitworth F.K.8 | Vereinigtes Königreich | 160 PS (118 kW) | 150 km/h | 1275 kg | 2 | 4000 m | 1650 |
Salmson 2A.2 | Frankreich | 200 PS (147 kW) | 188 km/h | 1935 kg | 3–4 | 6200 m | 3200 |
Breguet 14 | Frankreich | 300 PS (221 kW) | 184 km/h | 1565 kg | 3 | 6000 m | ~7800 |
LVG C.VI | Deutsches Reich | 200 PS (147 kW) | 170 km/h | 1390 kg | 2 | 6500 m | ~1000 |
DFW C.V | Deutsches Reich | 220 PS (162 kW) | 155 km/h | 1430 kg | 2 | 5000 m | ~3000 |
Rumpler C.IV | Deutsches Reich | 260 PS (191 kW) | 175 km/h | 1630 kg | 2 | 6800 m |
Siehe auch
Literatur
- Enzo Angelucci, Paolo Matricardi: Die Flugzeuge. Von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg. Falken-Verlag, Wiesbaden 1976, ISBN 3-8068-0391-9, S. 182. (Falken-Handbuch in Farbe), S. 196–197.
- J. M. Bruce: British Aeroplanes 1914–18. Putnam London 1957.
- J. M. Bruce: The R.E.8. In: Profile. Nr. 85, Profile Publications, Leatherhead 1966.
- J. M. Bruce: RAF RE8. In: Windsock Datafile. 24, Albatros Publications, Berkhamsted 1990, ISBN 0-948414-28-6.
- J. M. Bruce: The Aeroplanes of the Royal Flying Corps. (Second ed.). Putnam, London 1992, ISBN 0-85177-854-2.
- Karlheinz Kens, Hanns Müller: Die Flugzeuge des Ersten Weltkriegs 1914–1918. München 1966, ISBN 3-453-00404-3.
- Peter Lewis: The British Bomber since 1914. (Second ed.). Putnam, London 1974, ISBN 0-370-10040-9.
- Kenneth Munson: Bomber 1914–19. Orell-Füssli, Zürich 1968.
- Heinz Nowarra: Die Entwicklung der Flugzeuge 1914–1918. München 1959.
- Michael Sharpe: Doppeldecker, Dreifachdecker & Wasserflugzeuge. Bindlach 2001, ISBN 3-8112-1872-7.
- Michael J. H. Taylor: Jane’s Encyclopedia of Aviation. Studio Editions, London 1989.
- The Illustrated Encyclopedia of Aircraft (Part Work 1982–1985). Orbis Publishing, S. 2820.
Weblinks
Filmaufnahmen:
- Inside The Cockpit – R.E.8 'Harry Tate' – aufgerufen am 30. März 2024
- 'Harry Tate – R.E.8 – WW1 aircraft – aufgerufen am 30. März 2024
- Royal Aircraft Factory R.E.8 preparation for a bombing mission – aufgerufen am 30. März 2024
- WW1 Royal Aircraft Factory RE8 'Harry Tate' – aufgerufen am 30. März 2024
- Three WW1 Royal Aircraft Factory aircraft – aufgerufen am 30. März 2024
- The Vintage Aviator Ltd R.E.8 Takeoff 21 Jan 2012 – aufgerufen am 30. März 2024
Dokumente:
Einzelnachweise
- auf Basis der im Krieg vereinbarten Verträge wurden 4430 R.E.8 bestellt, dazu kamen die beiden Prototypen. Fertiggestellt wurden 112 weniger, verbleiben also 4320. Von diesen wurden 4099 in den Dienst übernommen, 4077 von RFC/RAF und 22 von der Aviation Militaire Belge (Zahlenangaben vgl. J.M. Bruce: The R.E.8. Profile Nr. 85, Profile Publications, Leatherhead 1966, S.10)
- J. M. Bruce: The R.E.8. In: Profile. Nr. 85, Profile Publications, Leatherhead 1966.
- J. M. Bruce: RAF RE8. In: Windsock Datafile. 24, Albatros Publications, Berkhamsted 1990, ISBN 0-948414-28-6.
- J.M. Bruce: The R.E.8. In: Profile. Nr. 85, Profile Publications, Leatherhead 1966, S. 6.
- H. A. Jones: The War in The Air – Being the Story of the part played in the Great War by the Royal Air Force. Band 3, Clarendon Press, Oxford 1931, S. 351–352 (Textarchiv – Internet Archive).