Rot-rot-grüne Koalition

Unter einer rot-rot-grünen, rot-grün-roten oder grün-rot-roten Koalition (kurz Rot-Rot-Grün, Rot-Grün-Rot oder Grün-Rot-Rot, auch R2G)[1] versteht man eine Koalition zwischen zwei sozialdemokratischen, sozialistischen, demokratisch-sozialistischen oder kommunistischen Parteien und einer grünen Partei.

In vielen Fällen werden bei der Attributkette rot-rot-grün nicht die Mehrheitsverhältnisse in der betreffenden Gebietskörperschaft berücksichtigt. Streng genommen müsste sonst z. B. die 2019 in Bremen gebildete Koalition stets „rot-grün-rot“ genannt werden, da die Grünen dort bei der Bürgerschaftswahl 2019 mehr Stimmen erhalten haben als die Linke. Auch steht (wie im Fall Thüringens ab 2014) das erste „rot“ nicht automatisch für die sozialdemokratische Partei in der Koalition.

Deutschland

In Deutschland versteht man unter Rot-Rot-Grün eine Regierungskoalition zwischen SPD, der Partei Die Linke (und vorher der PDS) und Bündnis 90/Die Grünen. Ein solches Bündnis wurde auf Landesebene erstmals nach der Landtagswahl in Thüringen 2014 unter Bodo Ramelow (Linkspartei) gebildet, nachdem ein solches Modell zuvor bereits in mehreren Bundesländern mehrfach erwogen worden war. 2019 gab es neben der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen auch eine solche Regierung in Berlin sowie nach der Bürgerschaftswahl am 26. Mai 2019 in Bremen.

Thematisch angedacht wurde ein rot-rot-grünes Bündnis bereits in der Erfurter Erklärung aus dem Jahr 1997.

Zusammenarbeit in Kommunen

Auf kommunaler Ebene arbeiteten SPD, Linke und Grüne seit der Wahl 2009 in Erfurt eng zusammen und regieren die Stadt gemeinsam, ohne jedoch eine förmliche Koalition eingegangen zu sein.[2] Auch in Saarbrücken arbeiteten SPD, Linke und Grüne seit 2009 zusammen, jedoch im Rahmen einer festen Koalition, welche auch bei der Wahl 2014 bestätigt wurde.[3] Trotz weiter vorhandener Mehrheit für ein rot-rot-grünes Bündnis in Saarbrücken wurde dieses 2019 durch eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP abgelöst.[4] Seit 2014 arbeiten SPD, Linke und Grüne sowie zwei Stadträte der Piratenpartei im Stadtrat Dresden als Bündnis „Neue Perspektiven für Dresden“ zusammen.[5]

Sachsen-Anhalt

Von 1994 bis 1998 gab es in Sachsen-Anhalt (Kabinett Höppner I) eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der PDS toleriert wurde. Diese von der PDS bzw. Linkspartei tolerierten Minderheitsregierungen werden auch als Magdeburger Modell bezeichnet, da Höppner diese Kooperation 1994 in Magdeburg zum ersten Mal initiierte.

Thüringen

Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (m.) mit seinen Ministern und Ministerinnen im Kabinett Ramelow II am 4. März 2020.

Nach der Landtagswahl in Thüringen 2014 kam es zu einer rot-rot-grünen Koalition (Kabinett Ramelow I). Eine solche Koalition war schon Jahre früher erwogen worden, u. a. nach der Thüringischen Landtagswahl 2009 (s. Sondierungsgespräche zwischen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen), der Landtagswahl im Saarland 2009 und der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2010. Nach der Landtagswahl in Thüringen 2019, in deren Zuge es zu einer Regierungskrise kam, wurde Bodo Ramelow im März 2020 wiedergewählt (Kabinett Ramelow II).

Bodo Ramelow war nicht nur der erste linke Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, er war auch der erste Ministerpräsident, der eine rot-rot-grüne Koalitionsregierung anführte.

Berlin

Eine Minderheitsregierung nach dem Magdeburger Modell gab es von 2001 bis 2002 auch in Berlin (Senat Wowereit I).

Im Bundesland Berlin bildeten SPD und Linkspartei nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Jahre 2006 erneut eine gemeinsame Regierung, die sich auf eine absolute Mehrheit der Stimmen der Parlamentarier beider Parteien im Abgeordnetenhaus stützte. Spitzenpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen äußerten, eine rot-rot-grüne Koalition – mit der Folge einer vergrößerten Regierungsmehrheit – für nicht ausgeschlossen zu halten.[6]

Regierender Bürgermeister Michael Müller (r.) mit seinen Senatoren und Senatorinnen im Senat Müller II am 8. Dezember 2016.

Nach der Berlinwahl 2016 kam es am 8. Dezember 2016 zur ersten rot-rot-grünen Koalition unter SPD-Führung, siehe auch Senat Müller II. Diese wurde nach der Berlinwahl 2021 bis 2023 als rot-grün-rote Koalition fortgesetzt, siehe auch Senat Giffey.

Bremen

Nach der Bürgerschaftswahl in Bremen 2019 fanden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke statt. Diese waren erfolgreich und fanden die Zustimmung aller drei Parteien. Die erfolgreiche Abstimmung über den Senat Bovenschulte I in der Bremer Bürgerschaft erfolgte am 15. August 2019.[7] Die Koalition wird seit Juli 2023 fortgesetzt (Senat Bovenschulte II).

Bundesebene

Bereits 2004 bildeten vorwiegend junge und eher linke SPD-Abgeordnete einen Thinktank namens „Denkfabrik“, der sich ab 2008 mit den Möglichkeiten einer Öffnung der SPD in Richtung Linkspartei beschäftigte und Kontakte zu Politikern der Linken pflegte.[8]

2005

Nach dem Verlust der rot-grünen Mehrheit im Deutschen Bundestag durch die Bundestagswahl 2005 hätte ein rot-rot-grünes Bündnis über eine absolute Mehrheit von 327 Sitzen verfügt.[9] Damit wäre sie die Koalition der knappsten Mehrheit (minimum winning coalition), die nach der älteren politikwissenschaftlichen Koalitionstheorie als wahrscheinlichste Koalitionsform galt, da so ein Maximum an Macht mit einem Minimum an Amtsträgern hätte erreicht werden können. Da es sich dabei auch noch um auf der Links-rechts-Skala benachbarte Parteien handelt, wäre es zudem die minimale verbundene Gewinnkoalition (minimum connected winning coalition), die Koalition der knappsten Mehrheit ideologisch benachbarter Parteien. Da es jedoch vor der Wahl aufgrund inhaltlich unvereinbarer Positionen (Hartz-Konzept) eindeutige Koalitionsaussagen von SPD, Linkspartei und Grünen gab, die eine derartige Koalition ausschlossen, fiel diese Koalitionsvariante auch bei koalitionstheoretischen Erwägungen aus dem Raster.[10]

Sowohl in der SPD als auch in der Linken bestanden teilweise erhebliche parteiinterne Bedenken gegen ein entsprechendes Regierungsbündnis. Hinzu kommen persönliche Abneigungen insbesondere sozialdemokratischer Politiker gegenüber Führungskräften der Linkspartei wie beispielsweise dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine.[11] Auch auf Seiten der Partei Bündnis 90/Die Grünen bestanden laut Parteichefin Claudia Roth 2005 inhaltliche Differenzen zur Linken in einem Maße, das allein bereits ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis auf Bundesebene schwierig mache.[12]

In einer Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der ARD vom 1. August 2005 erklärten 28 Prozent der Befragten, dass SPD, Grüne und Linkspartei eine rot-rot-grüne Koalition nach der Bundestagswahl bilden sollten, wenn dies rechnerisch möglich wäre. In den neuen Bundesländern befürworteten dieses Vorgehen 44 Prozent der Befragten, in den alten Bundesländern dagegen nur 24 Prozent.[13] Allerdings landete die rot-rot-grüne Koalition bei der Frage, welche Koalition „am besten für Deutschland“ sei, mit nur 10 Prozent auf dem vierten Platz hinter den Varianten Rot-Grün (14 %), Schwarz-Gelb (29 %) und der großen Koalition (39 %).[14]

2009

Laut des ZDF Politbarometers vom 15. August 2008 wurde eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene von 67 % der Deutschen als schlecht und von 17 % als gut empfunden.[15] Bei der Bundestagswahl 2009 erzielte sie keine Mehrheit.

2013

Nach der Bundestagswahl 2013 erklärte die neu gewählte Fraktionsvorsitzende der Grünen Göring-Eckardt ihre Bereitschaft zu rot-rot-grünen Sondierungsgesprächen.[16] Der SPD-Vorstand erklärte im November 2013, während der Koalitionsverhandlungen mit der CDU, seine Bereitschaft zur Bildung von zukünftigen rot-rot-grünen Koalitionen.[17]

2021

Für die Bundestagswahl 2021 hielt die SPD-Vorsitzende Saskia Esken ein rot-rot-grünes Bündnis für „möglich und denkbar“. Auch von führenden Politikern von Grünen und Linken wurde Interesse an einer Koalition signalisiert.[18] Im August 2021 (einen Monat vor der Wahl) erhielt ein rot-rot-grünes Bündnis im ZDF Politbarometer eine Zustimmung von 37 % und eine Ablehnung von 47 %, wobei diese Koalitionsmöglichkeit zusammen mit einem Ampelbündnis aus SPD, Grünen und FDP die höchste Zustimmung erhielt.[19] Von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wurde im Wahlkampf ein rot-grün-rotes Bündnis nie kategorisch ausgeschlossen, was für große Aufregung in der Union sorgte, da die Umfragen zuletzt eine knappe Mehrheit für diese Koalition vorausgesagt hatten. Bei der Bundestagswahl am 26. September wurde eine rot-grün-rote Mehrheit knapp verfehlt, dies lag vor allem an der Schwäche der Linken (4,9 %). Die SPD wurde stärkste Kraft mit 25,7 %, die Grünen erreichten 14,8 %.

Österreich

In Österreich versteht man unter rot-rot-grün eine Koalition aus SPÖ, KPÖ und Grünen.

Eine solche Konstellation findet auf Bundesebene keine Beachtung, da die KPÖ nicht im Nationalrat vertreten ist.

Auf kommunaler Ebene wurde 2003 die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Kooperation in Graz diskutiert, die KPÖ erreichte hier einen noch nie dagewesenen Erfolg von knapp 21 % und wurde dicht hinter den Sozialdemokraten drittstärkste Kraft. Letztendlich scheiterte Rot-Rot-Grün an den Kommunisten.[20][21] Nach der Gemeinderatswahl in Graz 2021 wurde eine rot-rot-grüne Koalition unter Führung von Elke Kahr (KPÖ) als Bürgermeisterin gebildet.

In Österreich werden aus Tradition große Koalitionen oder andere stabile Zweierbündnisse politisch instabileren Dreierkoalitionen vorgezogen.

Frankreich

Die von 1997 bis 2002 amtierende Regierung der Gauche plurielle von Premierminister Lionel Jospin kann als rot-rot-grüne Koalition bezeichnet werden. Ihr gehörten Mitglieder der Sozialistischen Partei, der Kommunistischen Partei Frankreichs, der Grünen (Vorgänger von Europe Écologie-Les Verts) sowie zweier weiterer linker Parteien an. Sie war seit den 1960er Jahren die erste französische Regierung, die ohne Wechsel des Premierministers während einer vollen Legislaturperiode im Amt blieb.

Norwegen

Die von 2005 bis 2013 bestehende Regierungskoalition unter Ministerpräsident Jens Stoltenberg wurde als „rot-grüne Regierung“ bezeichnet, von deutschen Medien auch als Rot-Rot-Grün.[22] „Grün“ meint in diesem Zusammenhang nicht die norwegische Kleinpartei Miljøpartiet De Grønne (Mitglied der Europäischen Grünen Partei), die nicht im Parlament vertreten war, sondern die ebenfalls mit ökologischen Schwerpunkten auftretende Zentrumspartei.

Rundfunkberichte

Einzelnachweise

  1. Jan Sternberg: Die Hauptstadtpolitik sortiert sich neu. In: Märkische Allgemeine. 71. JG., Nr. 222, 21. November 2016.
  2. Klaus Wuggazer: Rot-Rot-Grün rückt im Erfurter Stadtrat enger zusammen. In: Thüringer Allgemeine. 10. Oktober 2012, abgerufen am 18. Juni 2015.
  3. SPD will Rot-Rot-Grün im Saarbrücker Stadtrat fortsetzen. In: Focus Online. 26. Mai 2014, abgerufen am 13. Februar 2016.
  4. SR.de: Jamaika in Saarbrücken. 30. September 2019, abgerufen am 12. Oktober 2018.
  5. Kooperationsvereinbarung LINKE/GRÜNE/SPD: Neue Perspektiven für Dresden. 17. September 2014, abgerufen am 12. September 2019.
  6. Ulrich Schulte: Renate Künast: „Die Gurke im Tomatensalat“. In: die tageszeitung. 24. Juli 2006, abgerufen am 18. Juni 2015.
  7. Rot-grün-rote Regierung in Bremen steht. Bovenschulte: Bundesweite Signalwirkung von Bremer Koalition fraglich. In: Weser-Kurier. 23. Juli 2019, abgerufen am 23. Juli 2019.
  8. Paul Starzmann: #R2G: Warum Rot-Rot-Grün mehr als ein Phantom ist. vorwaerts.de. 30. Dezember 2016, abgerufen am 25. Juni 2019
  9. Spiel mal mit den Schmuddelkindern? (tagesschau.de-Archiv)
  10. Heinrich Pehle, Roland Sturm: Die zweite Große Koalition: Regierung der „neuen Möglichkeiten“? In: dies. (Hrsg.): Wege aus der Krise? Die Agenda der zweiten Großen Koalition, Gesellschaft. Wirtschaft. Politik. GWP. Sozialwissenschaften für politische Bildung, Sonderheft 2006, Verlag Barbara Budrich, ISBN 3-86649-002-X
  11. Björn Hengst, Lars Langenau: Koalitionen: Kanzler von Oskars Gnaden? In: Spiegel Online. 14. September 2005, abgerufen am 18. Juni 2015.
  12. Roth: Rot-rot-grüne Koalition ist tabu. In: Berliner Zeitung, 15. Juli 2005
  13. ARD DeutschlandTREND Juli IV 2005 IV extra, Erhebungszeitraum: 26. bis 27. Juli 2005. Infratest dimap, August 2005, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. Juni 2015; abgerufen am 18. Juni 2015.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.infratest-dimap.de
  14. ARD-DeutschlandTREND August 2005. Umfrage zur politischen Stimmung im Auftrag der ARD-Tagesthemen und zehn Tageszeitungen. (PDF) Infratest dimap, August 2005, archiviert vom Original am 27. September 2007; abgerufen am 18. Juni 2015.
  15. Politbarometer – Meinung zu rot-rot-grüner Koalition
  16. Göring-Eckardt zu Gespräch über Rot-Rot-Grün bereit – Ohne Chance. bild.de, 12. Oktober 2013
  17. SPD-Spitze sieht künftig Rot-Rot-Grün als Option. In: Zeit online. 12. November 2013, abgerufen am 18. Juni 2015.
  18. Constanze von Bullion, Boris Herrmann, Mike Szymanski: Bundestagswahl: Die Koalitionsoption rot-rot-grün. Abgerufen am 4. September 2021.
  19. Projektion: Union und SPD gleichauf. In: ZDF. 27. August 2021, abgerufen am 4. September 2021.
  20. Graz: Letzte Chance für Rot-Rot-Grün. In: derstandard.at. 28. Februar 2003, abgerufen am 9. August 2016.
  21. Klaus Höfler: KPÖ: „Njet“ für Rot-Rot-Grün in Graz. In: Die Presse. 4. März 2003, abgerufen am 9. August 2016.
  22. Reinhard Wolf: In Norwegen regiert Rot-Rot-Grün. In: die tageszeitung. 15. Oktober 2005, abgerufen am 18. Juni 2015.
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