Rolf Schilling

Rolf Schilling (* 11. April 1950 in Nordhausen am Harz) ist ein deutscher Dichter.

Rolf Schilling, 2015

Leben

Rolf Schilling ist ein Schriftsteller, Lyriker, Essayist und Übersetzer von englischen, französischen und russischen Gedichten. Er lebt heute in Udestedt bei Erfurt. Nach Wehrdienst[1] bei der NVA und Philosophiestudium an der Humboldt-Universität zu Berlin war er bis 1977 am Institut für Marxismus-Leninismus der Technischen Hochschule in Ilmenau tätig. Seitdem konzentriert er sich auf seine schriftstellerische Tätigkeit. 1981 gründete er den Dichterbund „Holdes Reich“.[2] In der DDR wurde keines seiner Bücher verlegt. Publikationen des zu DDR-Zeiten in seinem Heimatdorf Bielen wohnenden Schilling erfolgten durch den befreundeten Schriftsteller und Verleger Uwe Lammla zunächst in einfachen Privatdrucken und ab 1990 in dem eigens dafür gegründeten Arnshaugk Verlag in München, der später in Lammlas Heimatstadt Neustadt an der Orla umsiedelte. Zwischen 1980 und 1987 setzte das Ministerium für Staatssicherheit mehrere IMs auf Schilling an und kam zu dem Ergebnis, er zeige dichterisch ein „überdurchschnittlich hohes Können“ und sei politisch für die DDR ungefährlich.[3] Bei Schillings ersten Besuchen in Westdeutschland begleitete ihn seine Lebensgefährtin[4] Sylvia als „Muse“, die bei Lesungen und Rezitationen zu seinen Füßen saß.[5] Nach seinen ersten Reisen 1989/90 äußerte er sich allerdings enttäuscht vom westdeutschen Lebensstil, beklagte „die Uniformität des Lebens“ und sah „lauter Klischees und große Stupidität“ im Denken.[6]

Netzwerk

Stephan Hermlin vermittelte Rolf Schilling Anfang der 1980er Jahre den Briefkontakt zu Ernst Jünger, den er nach dem Mauerfall auch persönlich kennen lernte.[7] Außerdem schrieb er sich mit Fritz Usinger und Oda Schaefer und begegnete nach 1989 auch anderen Künstlern der vorangegangenen Generation wie Arno Breker oder Leni Riefenstahl.[8] Heimo Schwilk besuchte ihn noch zu DDR-Zeiten in Bielen und entdeckte ihn für den Westen; über ihn lernte er Uwe Wolff kennen, der ihn bis heute verehrt.[5]

In der Kunst- und Kulturszene nimmt Schilling einen solitären Platz ein: Vom offiziellen Kulturbetrieb weitgehend unbeachtet, ist er seit Jahrzehnten Mittelpunkt eines Kreises von Freunden und Schülern, die ihn aufgrund seiner poetischen Formkunst, der mythisch-archaischen Bezüge seines äußerst artifiziellen Werkes und seiner unabhängigen Lebenshaltung verehren. Zu seinen Freunden und Briefpartnern zählen u. a. Joachim Werneburg, Uwe Lammla, der Publizist Werner Bräuninger, der Schriftsteller und langjährige Inhaber des Telesma-Verlags Baal Müller und der Lyriker, Musiker und Grafiker Uwe Nolte. Aus der Freundschaft mit Letzterem resultieren zahlreiche gemeinsam veranstaltete Lesungen, ein Orplid-Konzert in der Krypta des Leipziger Völkerschlachtdenkmals zu Pfingsten 2006[9] sowie das von Nolte produzierte Hörbuch Gesang überm Quell mit Texten von Rolf Schilling.

Ernst Jünger lobt in den Aufzeichnungen Siebzig verweht die „mythisch-heraldische Haltung“ Schillings. Mit Arno Breker, den er kurz vor dessen Tod persönlich traf, entstand das Gemeinschaftswerk Tage der Götter, das zahlreiche Zeichnungen des Bildhauers schmückt. Breker widmete Schilling auf Anregung seines Editeurs Joe F. Bodenstein (Paris) für die Luxusausgabe der Publikation zusätzlich die signierte Original-Lithographie Orpheus mit der Harfe, in Erinnerung an Jean Cocteau.[10] Die Buchpremiere mit einer öffentlichen Lesung des Dichters fand 1991 in dem von Brekers Freundeskreis eröffneten Museum Europäische Kunst auf Schloss Nörvenich bei Düren im Rheinland statt.[11] Außer Brekers Museum besuchte Schilling auch dessen Figuren-Atelier.[12]

Richtung

Die Gedichte von Rolf Schilling sind vorwiegend von mythologischen Themen inspiriert und im Aufbau metrisch exakt. Er legt größten Wert auf die Strenge der Form und sieht gerade darin den künstlerischen Gehalt seiner Dichtung.[1] Eine Ausstellung zu vergessenen DDR-Literaten im Literaturhaus Berlin 2006 charakterisierte die Arbeit der Gruppe „Holdes Reich“ als elitären Versuch, eine „Traum- und Gegenwelt zum herrschenden Verfall“ der DDR-Realität herzustellen.[2] Meist fehlen aktuelle politische Bezüge in Schillings Texten. Dennoch wird er politisch seit langem der ostdeutschen rechten Szene zugeordnet und einer faschistischen Ausdrucksform geziehen. So habe er sich bei seinem Auftritt auf einem Konzert von Orplid in Leipzig zum Jahrhundert-Dichter stilisieren lassen und zeichne in seinen Lesebeiträgen die Kontur eines zukünftig edlen, reinen Deutschlands.[9] Der Dichter ist in Schillings Verständnis eine nationale Figur, „denn er lebt von der Sprache und Mythologie seines Volkes“.[1] Beobachter der rechten Szene bezeichnen ihn deswegen auch als „völkischen Dichter“.[13] Rüdiger Sünner bezieht Schilling hingegen schon wegen seines künstlerischen Niveaus nicht in das von ihm vorgestellte unseriöse Spektrum rechtsgerichteter Esoteriker und neuheidnischer Splittergruppen ein. Zwar suche auch Schilling in deutschen Mythen eine geistige Bindung an das Nationale und befürworte in bestimmten Fällen auch eine hierarchische Ordnung. Dennoch gebe es bei ihm keine heimliche Verklärung und kein Kokettieren mit nationalsozialistischem Gedankengut. Schilling sehe im von ihm thematisierten „Urmythos der Deutschen“ auch kein Versprechen politischer Herrschaft oder rassischer Dominanz, sondern ein geistiges Reich, das niemals Realität werden soll, sondern in der Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Traum und Realität verbleibt.[14] Als existenzielle „Grundmächte“, die das mythische Dasein bestimmen und durch das Opfer die Überwindung von Zeit und Tod ermöglichen, betrachtet Schilling neben dem Kultus die Liebe, die Kunst und den Krieg.[15] Uwe Wolff, der das Werk Schillings vorbehaltlos bejaht, sieht in ihm in erster Linie den Anarchen, der sich von Reaktionen der Außenwelt radikal abschottet und unbeirrt seinen Weg geht. Stefan George, dessen Dichtung Wolff mit der von Schilling verglichen hatte, habe dagegen immer ein „Meister in der Mitte eines Kreises sein“ wollen und sei deshalb persönlich schwer mit Schilling in Bezug zu setzen.[5] Schilling selbst sieht sein Ideal vom „Dichter als Sänger“ als „archaischen Traum“ weder bei George noch bei Rilke oder Baudelaire verwirklicht, sondern bei dem englischen Skandaldichter A. C. Swinburne, dessen Poems and Ballads (1866) seine dichterische Entwicklung zu DDR-Zeiten begleitet haben.[16]

Textbeispiele

Versform: vierhebiger Trochäus mit Kreuzreim

Irminsul (Auszug)

Nimm der Zeiten Garn und spul
den, die die Norn nicht löst.
Ruf die Schläfer aus dem Pfuhl:
Wo sie dämmern, Traum-entblößt,
Schattet golden Irminsul,
Krone, die du spät erhöhst.


Archaismus: von Schilling so genannter „schlanker Gesang“, d. h. schmale Verse in gleichmäßigem Rhythmus und unkompliziertem Reimschema, die in atmosphärischer Dichte und sprachlicher Finesse an Edda-Dichtungen erinnern sollen[1]

Speer-erweckt

Speer-erweckt aus Morgenträumen,
Sei, der nie die Waffen streckt,
Wo sich Drachenhäupter bäumen,
Speer-erweckt.


Neopaganismus: in vielen Gedichten spielt das Thema der untergegangenen germanischen Religion eine Rolle,[14] so auch in der Lieblingsstrophe von Uwe Wolff aus Schillings Questen-Gesang:[5]

Questen-Gesang (1984)

Geschieden du vom Questen-Kranz,
Geschieden du vom Licht:
Wo sind die Götter dieses Lands?
Fahr hin und frage nicht.
Nur wenn dein Mund, gewahr des Banns,
Die Siegel Schweigens bricht,
Hellt noch ein Hauch vom alten Glanz
Dein sinkendes Gesicht.

Werkverzeichnis

  • Scharlach und Schwan. Gedichte und Dramen. Verlag Arnshaugk, 1990, ISBN 3-926370-01-7.
  • Stunde des Widders. Gedichte. Verlag Arnshaugk, 1990, ISBN 3-926370-02-5.
  • Questen-Gesang. Gedichte. Verlag Arnshaugk, 1990, ISBN 3-926370-03-3.
  • Kreis der Gestalten. Zwölf Huldigungen. Verlag Arnshaugk, 1990, ISBN 3-926370-04-1.
  • Das Holde Reich. Essays zur Symbolik. Verlag Arnshaugk, 1990, ISBN 3-926370-05-X.
  • Schwarzer Apollon. Essays zur Symbolik. Verlag Arnshaugk, 1990, ISBN 3-926370-06-8.
  • Ein verlassener Garten. Gedichte nach Algernon Charles Swinburne. Verlag Arnshaugk, 1990, ISBN 3-926370-07-6.
  • Der Phoenix und die Taube. Aus dem Englischen. Verlag Arnshaugk, 1991, ISBN 3-926370-08-4.
  • Tage der Götter. Gedichte und Bilder. Verlag Arnshaugk, 1991, ISBN 3-926370-15-7.
  • Die Häupter der Hydra. Gedichte. Verlag Arnshaugk, 1993, ISBN 3-926370-09-2.
  • Was der Schatten sprach. Aus dem Französischen und Russischen. Verlag Arnshaugk, 1993, ISBN 3-926370-10-6.
  • Eros und Ares. Essays. Verlag Arnshaugk, 1994, ISBN 3-926370-21-1.
  • Feuerlilie. Gedichte. Verlag Arnshaugk, 1995, ISBN 3-926370-31-9.
  • Halkyon. Gedichte. Verlag Arnshaugk, 1997, ISBN 3-926370-32-7.
  • Tagebücher in 4 Bänden: Aus Ariel-Tagen. Refugium (2 Bände). Lebens Mittag. Verlag Arnshaugk, 1997, ISBN 3-926370-26-2.
  • Lingaraja. Gedichte aus den Jahren 1997 bis 2011. Telesma-Verlag, 2012, ISBN 3-941094-06-8.
  • Im Spiegel der Blitze. Gedichte. Arnshaugk Verlag, 2017, ISBN 978-3-944064-40-6.
  • Auf weitestem Feld. Notate zur Dichtung, Kunst, Musik und einigen anderen Dingen. 1992-2018. Arnshaugk Verlag, 2019, ISBN 978-3-95930-203-6.

Vertonungen

  • Hörbuch „Gesang überm Quell“
  • Gedicht „Luzifer“, Orplid-CD „Greifenherz“
  • Gedicht „Gesang an den Horusfalken“, Orplid-CD „Greifenherz“
  • Gedicht „Nimm was dir die Götter geben“, Fire + Ice-CD „Fractured Man“
  • Gedicht „Schwertträger“, Halgadom-CD „Äon des Hammers“

Literatur

  • Uwe Wolff: Ein Schriftsteller der Inneren Emigration. Zum Werk Rolf Schillings. In: Neue Zürcher Zeitung, 31. Dezember 1990.
  • Rüdiger Sünner: „Fährten im Traum-Harz“: Der Dichter Rolf Schilling. In: ders.: Schwarze Sonne. Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik (= Herder-Spektrum, Bd. 5205). Herder, Freiburg im Breisgau 1999, ISBN 3-451-27186-9, S. 276–287.
  • Rainer Hackel: Rolf Schilling. Apologie eines verkannten Dichters. Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2017, ISBN 978-3-95948-246-2.
  • Rainer Hackel: Der Bruch – Rolf Schilling in Bad Hersfeld in Ärger im Paradies, Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2015, ISBN 978-3-95948-091-8, S. 40–56

Dokumentation

Commons: Rolf Schilling – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Andreas Koenig: Rolf Schilling. Die Stunde des Mythos. In: Anbruch – Magazin für Kultur und Künftiges, 12. November 2019, abgerufen am 24. November 2022.
  2. Heim ins holde Reich. In: Der Tagesspiegel, 20. Februar 2006, abgerufen am 19. Juni 2021.
  3. Patrick Grabe: Die zauberhafte Geschichte der „Angelika“ aus Nordhausen. In: Neue Nordhäuser Zeitung, 16. Dezember 2000, abgerufen am 6. Mai 2021.
  4. Rainer Hackel: Rolf Schilling. Apologie eines verkannten Dichters. Bautz, Nordhausen 2017, S. 14.
  5. Jonas Maron: Rolf Schilling im TUMULT-Forum: ein Vorgespräch mit Uwe Wolff. In: Anbruch – Magazin für Kultur und Künftiges, 3. März 2020, abgerufen am 19. Juni 2021 (Interview mit Uwe Wolff).
  6. Rainer Hackel: Rolf Schilling. Apologie eines verkannten Dichters. Bautz, Nordhausen 2017, S. 6.
  7. Baal Müller: Träumer im Tigerfell – der Dichter Rolf Schilling. In: Sezession 45 (Dezember 2011), S. 6–9.
  8. Klaus Gauger (Hrsg.): Arnshaugk. Ein Lesebuch. Arnshaugk, Grimma 2009, ISBN 978-3-926370-36-5, S. 130.
  9. Stefan Amzoll: Luzifer im Hinterhof. In: Der Freitag, 16. Juni 2006, abgerufen am 6. Mai 2021.
  10. Künstler-Archiv Museum Europäische Kunst.
  11. Kunstplakat zum Festakt der Buchpräsentation von 1991.
  12. Gästebuch Schloss Nörvenich 1990.
  13. Völkische Szene, germanische Gläubige und Corona-Proteste. In: Sachsen-Anhalt Rechtsaussen. Informationen zur rechten Szene in Sachsen-Anhalt. 5. April 2021, abgerufen am 25. November 2022.
  14. Rüdiger Sünner: Schwarze Sonne. Entfesselung und Missbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik. Herder, Freiburg im Breisgau 1999, S. 277–280.
  15. Rolf Schilling: Eros und Ares. Essays. Edition Arnshaugk, München 1994, ISBN 3-926370-21-1, S. 11 f.
  16. Rolf Schilling: Ein verlassener Garten. Deutsche Gedichte nach Algernon Charles Swinburne (= Gesammelte Werke in Einzelbänden. Band III/1). Edition Arnshaugk, München 1990, ISBN 3-926370-07-6 (Klappentext).
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