Robert Schindel

Robert Schindel (* 4. April 1944 in Bad Hall in Oberösterreich) ist ein österreichischer Lyriker, Regisseur und Autor.

Robert Schindel (2023)

Leben

Robert Schindel auf dem Erlanger Poetenfest 2015

Robert Schindel wurde 1944 in Bad Hall als Kind jüdischer Kommunisten geboren. Er überlebte nach der Verhaftung seiner Eltern, die sich als elsässische Fremdarbeiter getarnt hatten, um im Auftrag der Exil-KPÖ in Linz eine Widerstandsgruppe aufzubauen, unter dem Namen Robert Soel. Er war im jüdischen Kinderspital in der Wiener Tempelgasse (damals Mohaplgasse) untergebracht. Die jüdische Fürsorgerin Franzi Löw und die jüdische Kinderschwester Mignon Langnas verhinderten seine Deportation in die Konzentrationslager Auschwitz und Theresienstadt. Sein Vater, René Hajek, wurde am 28. März 1945 im KZ Dachau ermordet, die Mutter, Gerty Schindel, überlebte die KZs Auschwitz und Ravensbrück und kehrte 1945 nach Wien zurück, wo sie ihren Sohn wiederfand.

1950 bis 1954 besuchte er die Volksschule und danach das Bundesrealgymnasium in Wien. 1959 verließ Robert Schindel das Gymnasium, er wurde „entlassen wegen schlechter Führung“[1] und begann eine Buchhändlerlehre im Wiener Globus-Verlag, die er abbrach. Es folgten Reisen nach Paris und Schweden, wo er sich unter anderem als Tellerwäscher durchschlug.

Nach eigenen Angaben war Schindel zwischen 1961 und 1967 aktives Mitglied der KPÖ.[2]

1967 holte Schindel an einer Maturaschule die Matura nach,[3] studierte Philosophie und zwei Semester Rechtswissenschaft und engagierte sich in maoistischen Kreisen. Als seine wirkliche Universität bezeichnete er aber das Café Hawelka, in dem er unter anderen H. C. Artmann und Oskar Werner kennenlernte.[4] Er wurde Mitbegründer der nach Berliner Vorbild aufgebauten Studentenbewegung „Kommune Wien“ und der Literaturzeitschrift „Hundsblume“, in der er auch seine lyrischen Texte publizierte. Seinem Kreis gehörten auch andere später bekannt gewordene Künstler wie Elfriede Jelinek und das Zwillingspaar Konstantin Kaiser und Leander Kaiser an. 1970 veröffentlichte Schindel den Roman Kassandra.

1986 wurde Robert Schindel freiberuflicher Schriftsteller. Davor hatte er seinen Lebensunterhalt mit zahlreichen Jobs unter anderem bei Post und Bahn, als Bibliothekar in der Wiener Hauptbücherei (1975–1980), Nachtredakteur bei Agence France-Presse (1981–1983) und als Gruppentrainer für Arbeitslose (1983–1986) bestritten. Nebenbei entstanden auch Arbeiten für Film, Fernsehen und Rundfunk.

Eine zentrale Rolle in seinen Werken spielen die Shoa und sein ambivalentes Verhältnis zu Wien, jener Stadt, die er auch als „Vergessenshauptstadt“ bezeichnet, und dem dort noch immer bestehenden Antisemitismus. Diese Thematik nahm in den 1980er Jahren in seiner Arbeit mehr Platz ein. In diesem Jahrzehnt drang auch die unbewältigte NS-Vergangenheit Österreichs durch die Waldheim-Affäre ins öffentliche Bewusstsein.

1992 veröffentlichte Robert Schindel den Roman Gebürtig, der aufgrund seines Erfolges von ihm zusammen mit Lukas Stepanik 2001 verfilmt wurde. Von 1998 bis 2002 war er Mitglied der Jury des Ingeborg-Bachmann-Preises, ab 1999 als deren Vorsitzender. Robert Schindel ist ein Förderer von Nachwuchsschriftstellern und hält seit 2003 verschiedene Schreibwerkstätten für junge Autoren ab.

2004 wurde Schindel Mitherausgeber des Literaturprojekts „Landvermessung. Österreichische Bibliothek nach 1945. Vergessene, Bleibende, Künftige. Vormals Austrokoffer“, das aufgrund des österreichischen Jubiläumsjahres 2005 (50 Jahre Staatsvertrag, 60 Jahre Republik, 10 Jahre EU-Beitritt) aufgelegt wurde.

2006 gründete er gemeinsam mit Rudolf Scholten in Heidenreichstein das Literaturfestival Literatur im Nebel. Jährlich wird dort ein weltbekannter Schriftsteller zum Festival eingeladen. Bisher waren dies Salman Rushdie (2006), Amos Oz (2007), Jorge Semprún (2008), Margaret Atwood (2009), Hans Magnus Enzensberger (2010), Nuruddin Farah (2011), Ljudmila Ulizkaja (2012), Louis Begley (2013) und Ian McEwan (2014).

Robert Schindel ist Mitglied der Freien Akademie der Künste Hamburg und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er begründete die erste staatliche Literaturinstitution in Österreich, die kreatives Schreiben fördert, und lehrt dort seit 2009 als Universitätslektor am Institut für Sprachkunst der Universität für Angewandte Kunst Wien.[5]

Werke

Robert Schindel mit Clarissa Stadler im Gespräch über den Roman „Der Kalte“ (o-töne 2013)
Robert Schindel, Wien 2013.
  • Ohneland. Gedichte vom Holz der Paradeiserbäume. 1979–1984. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-518-11372-0.
  • Geier sind pünktliche Tiere. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-518-11429-8.
  • Im Herzen die Krätze. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-518-11511-1.
  • Ein Feuerchen im Hintennach. Gedichte 1986–1991. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-11775-0.
  • Gebürtig. Roman. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-40438-5.
  • Die Nacht der Harlekine. Erzählungen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-518-40579-9.
  • Gott schütz uns vor den guten Menschen. Jüdisches Gedächtnis – Auskunftsbüro der Angst. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-518-11958-3.
  • Immernie. Gedichte vom Moos der Neunzigerhöhlen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-518-12155-3.
  • Nervös der Meridian. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-12317-3.
  • Zwischen dir und mir wächst tief das Paradies. Liebesgedichte. Vorwort von André Heller; Illustrationen von Christof Subik. Insel Verlag, Frankfurt am Main/ Leipzig 2003 (Insel-Bücherei 1227), ISBN 3-458-19247-6.
  • Fremd bei mir selbst. Gedichte. Nachwort Marcel Reich-Ranicki. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2004 ISBN 3-518-41594-8
  • Kassandra. Roman. Vorwort von Robert Menasse. Haymon, Innsbruck 1979/2004, ISBN 3-85218-446-0
  • Wundwurzel. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005 ISBN 3-518-41705-3
  • Der Krieg der Wörter gegen die Kehlkopfschreie, Capriccios. Haymon, 2008, ISBN 978-3-85218-573-6
  • Mein mausklickendes Saeculum. Gedichte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-42024-9
  • Dunkelstein. Eine Realfarce. Haymon, Innsbruck 2010, ISBN 978-3-85218-645-0
  • Man ist viel zu früh jung. Essays und Reden. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2011, ISBN 978-3-633-54254-3
  • Der Kalte. Roman. Suhrkamp, Berlin 2013, ISBN 978-3-518-42355-4[6]
  • Don Juan wird sechzig. Heiteres Drama. Hollitzer, Wien 2015, ISBN 978-3-99012-166-5
  • Scharlachnatter. Gedichte. Suhrkamp, Berlin 2015, ISBN 978-3-518-42486-5[7]
  • Flussgang. Gedichte. Suhrkamp, Berlin 2023, ISBN 978-3-518-43140-5
In Anthologien
  • Aurélie Maurin, Thomas Wohlfahrt Hgg.: VERSschmuggel. InVERSible. Canadian poetry – Poésie du Quebec. (dreisprachig Deutsch, Französisch, Englisch) Wunderhorn, Heidelberg 2008 ISBN 3-88423-299-1. Mit 2 CDs[8]

Theater

Preise, Auszeichnungen

Literatur

  • Martin A. Hainz: „Todesfuge – Todesorgel“. Zu Paul Celan und Robert Schindel. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Band 124 (2005), S. 227–242.
  • Béatrice Gonzalés-Vangell: Kaddisch et Renaissance. La Shoah dans les romans viennois (1991–2001) de Robert Schindel, Robert Menasse et Doron Rabinovici. Septentrion, Valenciennes 2005, ISBN 2-85939-900-3.
  • Matthias Beilein: 86 und die Folgen. Robert Schindel, Robert Menasse und Doron Rabinovici im literarischen Feld Österreichs. Erich Schmidt, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-09855-2.
  • Iris Hermann: Bei Robert Schindel in Wien zu Tisch. Rindfleisch und Knödel, Rotwein und Mokka. In: Claudia Lillge, Anne-Rose Meyer (Hrsg.): Interkulturelle Mahlzeiten. Kulinarische Begegnungen und Kommunikation in der Literatur. Transcript, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-89942-881-0, S. 105–123.
  • Iris Hermann: Möchte ich ein schwimmender Schreiber sein. Von der „Wortsucht“ in Robert Schindels Gedichtband „Wundwurzel“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Band 127 (2008), S. 269–284.
  • Iris Hermann, Meinolf Schumacher: Da bin ich und das wars. „Strichpunktexistenz“ und „Flüsterdennoch“: Robert Schindels Gedicht „Amfortas“ (2007). In: Sprachkunst. Band 39/1 (2008), S. 59–75 (PDF).
  • Andrea Kunne: „Verschwinden. Zwischen den Wörtern“. Sprache als Heimat im Werk Robert Schindels. Studien-Verlag, Innsbruck/ Wien/ Bozen 2009, ISBN 978-3-7065-4695-9.
  • Iris Hermann (Hrsg.): Fährmann sein. Robert Schindels Poetik des Übersetzen. Wallstein, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-1062-9.
Commons: Robert Schindel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Robert Schindel: Biogramm
  2. Robert Schindel: Biogramm
  3. Robert Schindel: Biogramm@1@2Vorlage:Toter Link/www.schindel.at (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Mai 2019. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  4. Wörtlich – Robert Schindel beim Cultural Broadcasting Archive, 19. Oktober 2015.
  5. Institut für Sprachkunst, Universität für Angewandte Kunst Wien
  6. Unter Wölfen in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. März 2013, S. 43
  7. Rezension von Michaela Schmitz zu Scharlachnatter im Deutschlandfunk, 8. Dezember 2015. Komplettes Interview
  8. Ken Babstock, Claude Beausoleil, Nico Bleutge, Marc A. Brouillette, Suzanne Buffam, Denise Desautels, Stéphane Despatie, Hélène Dorion, Louise Dupré, Tim Lilburn, Orsolya Kalasz, Erín Moure, Robert Schindel, Sabine Scho, Lutz Seiler, Karen Solie, Paul Vermeersch, Jan Wagner
  9. Eintrag zu Schindel, Robert (Memento des Originals vom 7. November 2013 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.berliner-kuenstlerprogramm.de beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD.
  10. Robert Schindel erhielt Auszeichnung der Stadt Wien Rathauskorrespondenz vom 12. Oktober 2005 (Abgerufen am 11. Juni 2010)
  11. Hauptverband des Österreichischen Buchhandels, Pressemeldung vom 26. Nov. 2013 (Memento vom 2. Dezember 2013 im Internet Archive)
  12. Heinrich-Mann-Preis an österreichischen Autor Robert Schindel. 27. März 2014, archiviert vom Original am 27. März 2014;.
  13. Kulturpreisgala im Festspielhaus St. Pölten. In: ots.at. 5. November 2022, abgerufen am 5. November 2022.
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