Gutsherrschaft
Gutsherrschaft ist die Bezeichnung für eine feudale Herrschaftsform, die sich seit dem Mittelalter mit der Ostkolonisation in den östlichen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs entwickelte. Sie ging auf die Grundherrschaft zurück, die im Westen des Reiches die dominierende Form blieb.[1] Im Osten setzte sich hingegen die Gutsherrschaft als bestimmende, wenn auch nicht einzige Form der Agrarverfassung durch.[2] Seit dem 16. Jahrhundert entstand daraus der Typus des ostelbischen Junkers.[3] Ein bei der Ritterschaft inkorporiertes und damit landtagsfähiges Gut wird als Rittergut bezeichnet.
Herrschaftsform
Der adelige Gutsherr verfügte nicht nur über weiträumiges Grundeigentum von 100 oder mehr ha (Gutsbezirk), auf dem überwiegend Getreide angebaut und häufig auch handwerkliche Produktion mit örtlichem Monopol ausgeübt wurde (Braugerechtsame, Mühlenzwang, Ziegel- und Kalkbrennmonopole)[4], sondern hatte auch mittels Erbuntertänigkeit sowie übertragener Straf- und Polizeigewalt (Patrimonialgerichtsbarkeit) in der Agrargesellschaft eine beherrschende Stellung als Mittler der landesherrlichen Gewalt inne.[5]
Die Bauern mussten im höheren Maß als im westlichen Reich Abgaben zahlen und auf herrschaftlichen Gütern arbeiten, Freizügigkeit bestand für sie praktisch nicht. Das Bauernlegen wurde intensiver und bis in das 18. Jahrhundert ohne Widerstand der Landesherren ausgeübt. Die Mehrheit der Bauern sank auf den Status von Landarbeitern herab.[6]
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlosch diese Funktionsweise allmählich und wurde in Deutschland und Österreich in den 1920er-Jahren gesetzlich abgeschafft. Die deutschen Gutsbezirke wurden ab Ende der 1920er Jahre endgültig aufgelöst. In Hessen bestehen bis in die Gegenwart gemeindefreie moderne Gutsbezirke fort.
Redewendung
Die Redewendung „etwas nach Gutsherrenart [zu] tun“ bezieht sich auf diese herausragende Rechtsstellung und kritisiert kontemporäres Verhalten, das die Interessen anderer derartig ignoriert, wie es zuletzt zu Zeiten üblich war, in denen Gutsherren nicht erwarten mussten, für Verhalten nach Gutsherrenart kritisiert zu werden.
Siehe auch
Literatur
- Carsten Porskrog Rasmussen: Ostelbische Gutsherrschaft und nordwest-deutsche Freiheit in einem Land – die Güter des Herzogtums Schleswig 1524 bis 1770. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Jg. 52 (2004), S. 25–40.
- Eduard Maur: Gutsherrschaft und „zweite Leibeigenschaft“ in Böhmen. Rezensiert von Dirk Schleinert für sehepunkte. Rezensionsjournal für die Geschichtswissenschaften, Ausgabe 2 (2002), Nr. 3.
- Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt: Gutsherrschaft über reiche Bauern. Übersicht über bäuerliche Widerständigkeit in den Marschgütern an der Westküste Schleswig-Holsteins und Jütlands. In: Historische Zeitschrift, Beihefte Bd. 18: Gutsherrschaft als soziales Modell. Vergleichende Betrachtungen zur Funktionsweise frühneuzeitlicher Agrargesellschaften. (1995), S. 261–278.
- Hartmut Harnisch: Die Gutsherrschaft in Brandenburg. Ergebnisse und Probleme. In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Jg. 10 (1969), S. 117–147.
Weblinks
- Literatur von und über Gutsherrschaft im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Markus Cerman: Agrardualismus in Europa? Die Gutsherrschaft im östlichen Mittel- und Osteuropa Quellen zur landesfürstlichen Norm und herrschaftlichen Praxis, Themenportal Europäische Geschichte 2010. Abgerufen am 24. Februar 2016.
- Jens Peter Kutz: Die Entwicklung der Gutsherrschaft in Brandenburg-Preußen bis zum Ausgang des Großen Kurfürsten, Seminararbeit, Universität Hannover, 2002
Einzelnachweise
- Art. Gutsherrschaft. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte.
- Philipp Halm: Rechtsökonomie und Bodenmarkt. Nomos, 2022. S. 51.
- Gutsherrschaft Rundfunk Berlin-Brandenburg, abgerufen am 24. Februar 2016.
- Hanna Schissler: Der Bauer – Die Verhältnisse in Ostelbien Preußische Agrargesellschaft im Wandel. Göttingen 1978, S. 94–100.
- Peter C. A. Schels: Gutsherrschaft (Memento vom 4. Juli 2017 im Internet Archive) Kleine Enzyklopädie des deutschen Mittelalters.
- Philipp Halm: Rechtsökonomie und Bodenmarkt. Nomos, 2022. S. 51.