Rhopalodiaceae

Die Rhopalodiaceae sind eine Familie (Biologie) von Kieselalgen (Bacillariophyta)[1][2][3] mit Typus-Gattung Rhopalodia O.F. Müller, 1895. Zu den Vertretern der Familie gehören vor allem marine, aber auch Brack- und (seltener) Süßwasser-Arten.[4]

Rhopalodiaceae
Systematik
ohne Rang: Kieselalgen (Bacillariophyta)
Unterstamm: Bacillariophytina
Klasse: Kieselalgen (Bacillariophyceae)
Unterklasse: Bacillariophycidae
Ordnung: Rhopalodiales
Familie: Rhopalodiaceae
Wissenschaftlicher Name
Rhopalodiaceae
(Karsten) Topachevs'kyj & Oksiyuk, 1960

Die Mitglieder der Familie Rhopalodiaceae sind durch spezielle stickstofffixierende Organellen gekennzeichnet, die Sphäroidkörper (en. spheroid bodies) genannt werden und die wahrscheinlich cyanobakteriellen Ursprungs sind. Diese Organellen befinden sich im Zytoplasma und sind untrennbar mit der Wirtszelle verbunden.[5][6]

Etymologie

Der Name der Typusgattung leitet sich ab von griechisch ῥοπαλώδης keulenartig,[7] der Familienname trägt die für Pflanzenfamilien typische Endung ‚-ceae‘. Das Artepitheton ‚gibba‘ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet ‚Höcker‘ oder ‚höckerig‘.[8]

Systematik

Die Systematik der Familie ist mit Stand August 2021 wie folgt:[1][2][4][9]

Familie Rhopalodiaceae (Karsten) Topachevs'kyj & Oksiyuk, 1960

  • Gattung Epithemia F.T. Kützing, 1844[10] (AlgaeBase, WoRMS, EOL), Epithemia Brébisson (Nordic Microalgae) oder Epithemia Brébisson ex Kützing[11]
  • Gattung Protokeelia C.W.Reimer & J.J.Lee, 1984 (AlgaeBase, WoRMS, EOL)
  • Gattung Rhopalodia O.Müller, 1895[7][12] (AlgaeBase, WORMS, EOL, Nordic Microalgae) – Typusgattung
  • Gattung Yoshidaia S.Komura, 1976 (AlgaeBase, WoRMS, EOL) – nur fossil überliefert

Synonyme und Verschiebungen

  • Gattung Cystopleura Brébisson ex Kuntze, 1891, nom. illeg. – gemäß AlgaeBase sind alle Arten (Spezies) einer folgenden anderen Gattungen zugeordnet:[13]
  • Epithemia bzw. Rhopalodia (innerhalb der Familie)
  • Hantzschia bzw. Denticula (Ordnung Bacillariales, Familie Bacillariaceae)
  • Eunotia (Unterklasse Eunotiophycidae, Ordnung Eunotiales, Familie Eunotiaceae)
  • Eunotiopsis (incertae sedis innerhalb der Kieselalgen)
In der Gattung verblieben ist lediglich die Spezies Cystopleura kurzeana (Rabenhorst) Kuntze 1891 mit Status ‚unsicher‘.
  • Gattung Pyxidicula Ehrenberg, 1834, nom. rejic. ⇒ Synonym für Rhopalodia (AlgaeBase)
  • Gattung Thermocharis Ehrenberg, 1858 ⇒ Synonym für Epithemia (AlgaeBase)

Gattung Rhopalodia

Rhopalodia sp.: 1–6 – Kopulation der Kieselalgenzellen; 7, 8 – Fusion der Zellkerne.

Die Zellenhülle (Frustel) ist in der Seitenansicht (en. zone view) – von den Enden abgesehen – linear bis elliptisch, bei afrikanischen Spezies auch keulen- oder kuppelförmig (en. clavate). Die Schalen (Valven) sind nieren- bis linsenförmig/lanzettlich (en. reniform to lunate). Entlang der konvexen Kante bzw. des Kiels befindet sich eine Raphe, die aber bei einigen Arten in der normalen Position der Schalen nicht sichtbar ist. Der Hauptunterschied zwischen den Gattungen Epithemia und Rhopalodia liegt in der bei Rhopalodia eher verborgenen Lage der Raphe. Bei Epithemia sind zudem die Schalen anders als bei Rhopalodia deutlich gebogen und haben eine innere Trennwand.[14]

Es gibt einen einzigen Plastiden (Chloroplast, bei Kieselalgen auch traditionell Chromatophor genannt) in der Gestalt eines langen unregelmäßig strukturierten Bandes. Vermutlich sind auch Pyrenoide vorhanden.[14]

Um sich leichter im Wasser halten zu können, lagert Rhopalodia kleine Öltröpfchen ein, die, an der richtigen Stelle platziert, eine perfekt ausgewogene Verteilung ergeben und zusammen mit den grünen Chloroplasten die Färbung ihres Inneren bestimmen.[15]

Vertreter der Gattung kommen sowohl in marinen Umgebungen als auch im Süßwasser vor.[16]

Für diese Gattung gilt als Typusspezies (Holotyp) Rhopalodia gibba (Ehrenberg) Otto Müller, 1895,[17][8] von Ehrenberg zunächst beschrieben als Navicula gibba Ehrenberg, 1830/1832 (Basionym).[17] Eine abweichende Autorenschaft – Rhopalodia gibba (Kuetz.) Mueller – findet sich bei Charles S. Boyer (1916)[18]

Rhopalodia gibba ist eine relativ häufige Art, die am Grund von Quellen in Schiefer- und Granitgebieten vorkommen kann.[15] Die Typlokalität ist bei Orenburg am Ural.[19] Diese Spezies besitzt hat neben den Kieselalgen-typischen sekundären Plastiden zusätzlich Cyanobakterien der Gattung Cyanothece als weitere Endosymbionten (Sphaeroide).[20] In der Lagune von Camorchos (spanisch Laguna de Camorchos, Charcas de los Camorchos, 40,5967° N, 3,9207° W)[21] bei Hoyo de Manzanares nördlich von Madrid, Spanien, etwa ist Rhopalodia gibba eine der häufigsten Spezies unter den Kieselalgen. Von diesen Teichen wurden von Antonio Ordez im Jahr 2015 Proben entnommen und untersucht, welche eine große Artenvielfalt an Mikroorganismen dieses Ortes bezeugten.[15]

Auswahl von Spezies der Gattung Rhopalodia:[22][16]

  • Spezies Rhopalodia gibba (Ehrenberg) Otto Müller, 1895 – Typus
  • Spezies Rhopalodia gibberula (Ehrenberg) O.Müller, 1895
  • Spezies Rhopalodia musculus (Kützing) O.Müller, 1900
  • Spezies Rhopalodia tholulata Vijverman & Compère, 1991

Laut WoRMS ist Rhopalodia gibba ein gültiger Name,[17][23][24][25] laut AlgaeBase aber ein Synonym für Epithemia gibba (Ehrenberg) Kützing 1844. D. h. die AlgaeBase ordnet diese Spezies der Schwestergattung Epithemia (innerhalb derselben Familie) zu, wodurch der Gattung Rhopalodia ihre Typusspezies verloren geht, ohne dass AlgaeBase einen Ersatz anbietet.[8] Stattdessen wurde neuerdings vorgeschlagen, die ganze Gattung Rhopalodia als Untergattung Epithemia subg. Rhopalodia aufzufassen.[26]

Endosymbiose und Sphäroidkörper

Diatomeen besitzen einen Harnstoffzyklus. Dies ist ein Merkmal, das sie mit den Tieren teilen, aber ungewöhnlich für autotrophe „pflanzliche“ Mikroorganismen ist; allerdings wird dieser Zyklus bei den Diatomeen für andere Stoffwechselzwecke genutzt.[28]

Stickstofffixierung wird, soweit bisher bekannt (2004), nur von Bakterien durchgeführt und wurde nicht (auch) von Eukaryoten erfunden. Stickstoff fixierende Bakterien interagieren in der Regel mit eukaryotischen Partnern als extrazelluläre und temporäre Stickstoff fixierende Symbionten, z.& B. als Knöllchenbakterien im Wurzelgeflecht von Landpflanzen.[5]

Die Kieselalgen der Familie Rhopalodiaceae sind gekennzeichnet durch cyanobakterielle Endosymbionten, die sog. Sphäroidkörper (en. spheroid bodies). Dies ist ein Endosymbiont, der seine photosynthetischen Eigenschaften verloren hat. Dafür hat er seine Fähigkeit zur Stickstofffixierung beibehalten, so dass die Kieselalge mit ihm atmosphärischen Stickstoff (N2) fixieren kann.[28] Diese Endosymbiose ähnelt daher der von anderen Kieselalgen, die ebenfalls in Symbiose mit stickstofffixierenden Cyanobakterien leben, und zu den Gattungen Hemiaulus und Rhizosolenia (beide mit Richelia-Cyanobakterien[29]) und Chaetoceros (mit Calothrix rhizosoleniae als epi­phytischen cyanobakteriellen Symbionten) gehören.[30]

Diese Funktion und Abstammung der Sphäroidkörper war schon geraume Zeit vermutet worden (Drum und Pankratz, 1965, Rhopalodia gibba und R. gibberula: „Ellipsoid- bis eiförmige Einschlüsse“),[31] und konnte inzwischen durch genaue Untersuchung von Rhopalodia gibba bestätigt werden. Die intrazellulären und permanent vorhandenen Sphäroidkörper in R. gibba haben gramnegative Merkmale und Thylakoide und können die Wirtszelle mit organischem Stickstoff versorgen.[15][5] Es konnte nachgewiesen werden, dass R. gibba Stickstoff fixiert, wenn Licht vorhanden ist. Sie haben eine eigene DNA und phylogenetische Analysen ihrer 16rRNA-Gene und der Gene für die Stickstofffixierung (nif D) ergaben, dass ihr Genom eng mit dem eine freilebenden diazotrophen Cyanobakteriums (zunächst als Cyanothece sp. ATCC 51.142 bezeichnet, inzwischen offiziell als Crocosphaera subtropica Mareš & J.R. Johansen Stamm ATCC 51142 identifiziert[32]).[5] Man nimmt daher an, dass die intrazellulären Sphäroidkörper von Rhopalodia gibba ein vertikal (bei der Zellteilung der Kieselalgen auf ihre Tochterzellen) übertragenes, permanentes endosymbiotisches Stadium darstellen: im Übergang von einem freilebenden diazotrophen Cyanobakterium zu einer stickstofffixierenden eukaryotischen Organell[5] (ähnlich den Chloroplasten und Mitochondrien). Im Vergleich zu den cyanobakteriellen Verwandten der Sphäroidkörper zeigt deren Genom eine signifikante Reduktion (u. a. Verlust der Fähigkeit zur Photosynthese), so dass diese energetisch vom Beitrag des Kieselalgenwirts abhängig sind.[5][6]

Mit Stand (2017) ist damit außer in der Paulinella-Klade (Silicofilosea: mit Schalen versehene Amöben mit Filopodien) – ein weiteres primäres Endosymbiose-Ereignis, hier mit einem nicht-photosynthetischen cyanobakteriellen Symbionten, bekannt.[33]

Einzelnachweise

  1. AlgaeBase: Rhopalodiaceae (Karsten) Topachevs'kyj & Oksiyuk, 1960, Family: Rhopalodiaceae
  2. WoRMS: Rhopalodiaceae (Karsten) Topachevs'kyj & Oksiyuk, 1960. Für nicht-marine und fossile Vertreter sind die entsprechenden Einschränkungen zu deaktivieren!
  3. NCBI: Rhopalodiaceae (family); graphisch: Rhopalodiaceae, auf: Lifemap,NCBI Version.
  4. EOL: Rhopalodiaceae
  5. Julia Prechtl, Christoph Kneip, Peter Lockhart, Klaus Wenderoth, Uwe-G. Maier: Intracellular Spheroid Bodies of Rhopalodia gibba Have Nitrogen-Fixing Apparatus of Cyanobacterial Origin, in: Molecular Biology and Evolution, Band 21, Nr. 8, 1. August 2004, S. 1477–1481, doi:10.1093/molbev/msh086
  6. Takuro Nakayama, Yuji Inagaki: Unique genome evolution in an intracellular N2-fixing symbiont of a rhopalodiacean diatom, in: Acta Societatis Botanicorum Poloniae, Band 83, Nr. 4, 2014, S. 409–413.
  7. Otto Müller: Rhopalodia, ein neues Genus der Bacillariaceen, Botanische Jahrbucher fur Systematik, Pflanzengeschichte und Pflanzengeographie, Band 22, Nr. 1. Beiträge zur Flora von Afrika XI, S. 54–71. Erstbeschreibung auf S. 65
  8. AlgaeBase: Rhopalodia gibba (Ehrenberg) O.Müller 1895 (synonym)
  9. Nordic Microalgae: Rhopalodiaceae (Karsten) Topachevs'kyj & Oksiyuk, auf: Nordic Microalgae and aquatic protozoa, Swedish Meteorological and Hydrological Institute (SMHI)
  10. Friedrich Traugott Kützing: Die Kieselschaligen Bacillarien oder Diatomeen. S. i-vii, 1-152. W. Köhne, Nordhausen, 1844
  11. Thaís Leme Flôres, Hermes Moreira Filho, Thelma A. Veiga Ludwig: Contribution to a Floristic Survey of the Diatoms (Bacillariophyta) From "Banhado" Taim, Rio Grande do Sul State, Brazil: I. Epithemia Brébisson ex Kützing, Rhopalodia O. Müller And Suriella Turpin, in: Insula Florianópolis Nr. 28, S. 149–166, 1999
  12. Nordic Microalgae: Rhopalodia O.Müll.
  13. AlgaeBase: Cystopleura Brébisson ex Kuntze, 1891, nom. illeg.
  14. Charles Summer Boyer: Synopsis of North American Diatomaceae, Supplement, Part 2. Naviculatae, Surirellatae, in: Proceedings of the Academy of Natural Sciences of Philadelphia, Band 79, 1927, S. 229-583. Siehe insbes. S. 487f
  15. EOL: Rhopalodia gibba, la vida entre dos llaves. Laguna de camorchos. Hoyo de Manzanares (deutsch: Rhopalodia gibba, Leben zwischen zwei Schalen. Lagune von Camorchos. Hoyo de Manzanares), spanisch
  16. WoRMS: Rhopalodia O. Müller, 1895
  17. WoRMS: Rhopalodia gibba (Ehrenberg) Otto Müller, 1895 (gültig)
  18. Charles Summer Boyer: Illustration from Diatomaceae of Philadelphia and Vicinity, Press of J. B. Lippincott Company, Philadelphia, 1916. Tafel 31, Legende zu Fig. 23
  19. Regine Jahn, Wolf-Henning Kusber: Algae of the Ehrenberg collection – 1. Typification of 32 names ofdiatom taxa described by C. G. Ehrenberg, in: Willdenowia, Band 34, Nr. 2, S. 577–595.
  20. Wilfried Probst: Frühe Evolution und Symbiose, 16. Dezember 2017
  21. Hoyo de Manzanares Área Recreativa El Berzalejo a las Lagunas de los Camorchos, Wikiloc, spanisch
  22. AlgaeBase: Rhopalodia O.Müller, 1895, nom. cons.
  23. Nordic Microalgae: Rhopalodia gibba (Ehrenb.) O.Müll.
  24. EOL: Rhopalodia gibba
  25. FCE: Rhopalodia gibba, auf: Florida Coastal Everglades LTER, Institute of Environment;College of Arts, Sciences & Education; Florida International University; Periphyton Group
  26. Christine Cocquyt, Wolf-Henning Kusber, Regine Jahn: Epithemia hirudiniformis and related taxa within the subgenus Rhopalodiella subg. nov. in comparison to Epithemia subg. Rhopalodia stat nov. (Bacillariophyceae) from East Africa, in: Cryptogamie, Algologie, Band 39, Nr. 1, S. 35-62, 23. Februar 2018, doi:10.7872/crya/v39.iss1.2018.35
  27. AlgaeBase: Rhopalodia musculus var. gibberula (Ehrenberg) Peragallo & Peragallo 1900
  28. Takuro Nakayama, R. Kamikawa, G. Tanifuji, Y. Kashiyama, N. Ohkouchi, J. M. Archibald, Y. Inagaki: Complete genome of a nonphotosynthetic cyanobacterium in a diatom reveals recent adaptations to an intracellular lifestyle. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. 111. Jahrgang, Nr. 31, 2014, S. 11407–11412, doi:10.1073/pnas.1405222111, PMID 25049384, PMC 4128115 (freier Volltext), bibcode:2014PNAS..11111407N.
  29. Tracy A. Villareal, Colbi G. Brown, Mark A. Brzezinski, Jeffrey W. Krause, Cara Wilson: Summer Diatom Blooms in the North Pacific Subtropical Gyre: 2008–2009, in: PLOS ONE, Band 7, Nr. 4, 6. April 2012, e33109, doi:10.1371/journal.pone.0033109
  30. Juan José Pierella Karlusich, Eric Pelletier, Fabien Lombard, Madeline Carsique, Etienne Dvorak, Sébastien Colin, Marc Picheral, Francisco M. Cornejo-Castillo, Silvia G. Acinas, Rainer Pepperkok, Eric Karsenti: Global distribution patterns of marine nitrogen-fixers by imaging and molecular methods. In: Nature Communications. 12. Jahrgang, Nr. 1, 6. Juli 2021, ISSN 2041-1723, S. 4160, doi:10.1038/s41467-021-24299-y, PMID 34230473, PMC 8260585 (freier Volltext) (englisch, nature.com).
  31. Ryan W. Drum, Stuart Pankratz: Fine structure of an unusual cytoplasmic inclusion in the diatom genus, Rhopalodia, in: Protoplasma, Band 60, S. 141–149, März 1965, doi:10.1007/BF01248136.
  32. NCBI: Crocosphaera subtropica ATCC 51142 (strain)
  33. Takuro Nakayama, Yuji Inagaki: Genomic divergence within non-photosynthetic cyanobacterial endosymbionts in rhopalodiacean diatoms, in: Nature Scientific Reports, Band 7, Nr. 13075, 12. Oktober 2017, doi:10.1038/s41598-017-13578-8
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