Rettungsaktion in der Riesending-Schachthöhle
Die Rettungsaktion in der Riesending-Schachthöhle war die Höhlenrettung des Höhlenforschers Johann Westhauser im Juni 2014 aus der Riesending-Schachthöhle im Untersberg, Berchtesgadener Alpen im Gemeindegebiet von Bischofswiesen im bayerischen Landkreis Berchtesgadener Land. Der internationale Rettungseinsatz gehört zu den aufwändigsten und medial meist beachteten.
Der erfahrene und mit der Höhle bestens vertraute Höhlenforscher war durch Steinschlag in ca. 1000 m Tiefe und sechs Kilometer Höhlenstrecke vom Zugang entfernt am Kopf verletzt worden. Für die Rettung waren über 700 Personen aus fünf Nationen im Einsatz, davon über 200 in der Höhle. Die Kosten wurden auf rund eine Million Euro geschätzt. Sie erforderte vom Unfallzeitpunkt bis zum Erreichen des Tageslichtes zwölf Tage.
Unfallereignis
Johann Westhauser und zwei weitere Höhlenforscher stiegen am Mittag des Samstag, 7. Juni 2014 in die Höhle ein,[1] die als „ab dem ersten Meter […] technisch anspruchsvolle Schacht- und Wasserhöhle“ gilt.[2] Am Sonntag, 8. Juni 2014 gegen 01:30 Uhr (MESZ) wurde Westhauser in rund 1000 Metern Tiefe bei einem Steinschlag schwer am Kopf verletzt.[3][4][5][6] Dabei erlitt er ein Schädel-Hirn-Trauma[7] sowie einen Jochbeinbruch. Sein Helm wurde dabei nur geringfügig beschädigt.[8]
Einer seiner Begleiter blieb nach der Erstversorgung und Lagerung des Verletzten in der Höhle bei Westhauser, während der andere Begleiter aufbrach, um Hilfe zu holen. Im Berg bestand damals weder Funk- noch Mobilfunkverbindung in der Höhle zur Außenwelt.[9] Nach zwölf Stunden Aufstieg (etwa sechs Kilometer Wegstrecke) erreichte der alarmierende Begleiter den Höhleneingang und konnte von dort die Rettungsaktion in Gang setzen.[1][10]
Rettungsaktion
Nachdem bereits mehrere Höhlenretter den Verletzten erreicht und versorgt hatten, traf am Abend des 11. Juni ein Arzt an der Unglücksstelle ein.[11] Am Freitag, den 13. Juni 2014 begann der langwierige Abtransport des Verletzten,[12] der wegen der Verletzung und der komplizierten Höhlenstruktur äußerst schwierig war.[13][14][15] Der Zustand Westhausers stabilisierte sich in den Einsatztagen so weit, dass er kurzzeitig aufstehen und an der Rettung mitwirken konnte.[10] Eine besondere Herausforderung war, einen Rettungskollaps während der komplizierten Rettung zu vermeiden. Westhauser war bei der Rettung liegend auf einer Trage festgeschnallt, musste daher auch am 200 Meter hohen, engen und verwinkelten Schacht am Höhleneingang auf dieser mit Muskelkraft hochgezogen werden. Am Donnerstag, den 19. Juni 2014 um 11:44 Uhr konnte die Rettungsaktion mit der Ankunft Westhausers an der Oberfläche erfolgreich abgeschlossen werden.[16] Die senkrechten Schlote innerhalb der Höhle wurden bewältigt, indem Retter sich als Gegengewichte herunterließen, sowie für den letzten Teil mit einer manuell betätigten Seilwinde, die oberhalb des Höhleneingangs installiert wurde. Für die anschließende Versorgung war extra im Gebirge eine Notfallstation aufgebaut worden, Westhauser wurde dann in die Unfallklinik Murnau geflogen.
Für die Rettung mussten die Wege in der Höhle zusätzlich mit Fixseilen, Bohrhaken und Trittstiften gesichert werden.[10][17] Zur Kommunikation wurde ein Cave-Link-System (mit einem redundanten Zweitsystem) genutzt und außerdem ein Kabel für ein Telefon verlegt.[18][19] Zeitweilig befanden sich bis zu 60 Personen in der Höhle und es waren bis zu 90 Prozent der Höhlenretter-Ausrüstung der Bergwacht Bayern in der Höhle verbaut.[20] Eine Herausforderung stellte die Versorgung des Verletzten und der Höhlenretter dar.[17] Jeder Höhlenretter konnte aus Sicherheitsgründen nur einen wasserdichten Schleifsack mitnehmen, um die Gefahr, lose Steine zu bewegen, zu minimieren. Darin befanden sich jeweils etwa zehn Kilogramm Material zur Selbstversorgung und zehn Kilogramm weiteres Material (Versorgung und Verpflegung anderer Helfer, Sicherungs- und Rettungsmaterial). Größere, absturzgefährdete Gesteinsbrocken mussten mit Bauschaum gesichert werden.[8]
Am Höhleneingang wurden ein Materiallager, eine notfallmedizinische Versorgungsstation und eine Notunterkunft für die Einsatzkräfte aufgebaut; im Umfeld des Höhleneinganges wurde ein provisorischer Landeplatz für Hubschrauber errichtet.[10] Das Lage- und Pressezentrum wurde durch die Bergwacht Bayern bei der Feuerwehr Berchtesgaden eingerichtet,[10] das Lager für die Einsatzkräfte und der Hubschrauberlandeplatz befanden sich in der Jägerkaserne der Bundeswehr in Bischofswiesen-Strub bei Berchtesgaden.[21] Insgesamt waren 728 Helfer im Einsatz, davon waren 202 Retter aus fünf Nationen in der Höhle: 89 Italiener, 42 Österreicher, 27 Deutsche, 24 Schweizer und 20 Kroaten. Die kroatischen Höhlenretter wurden von der Einsatzleitung angefordert, um die Sicherung der Helfer in der Höhle zu übernehmen. Zwei Schweizer, Andy Scheurer und Rolf Siegenthaler, beide von Speleo-Secours, leiteten von Berchtesgaden aus den Untertage-Einsatz.[8]
Über die Rettungsaktion, die als „Kapitel alpiner Rettungsgeschichte“[22] bezeichnet wurde, wurde international berichtet.[23][24][25][26] Bergwacht-Chef Heiland verglich die Rettungsaktion mit der ebenfalls in internationaler Zusammenarbeit organisierten Rettung Claudio Cortis 1957 aus der Eiger-Nordwand.[27] Die Rettung aus der Riesending-Höhle übertraf den Aufwand der internationalen Zusammenarbeit aber weit.[22]
2015 wurden die Kosten des Rettungseinsatzes durch das Bayerische Innenministerium auf etwa 960.000 Euro beziffert, von denen Westhauser selbst „einen nicht unerheblichen Beitrag“ übernehme.[28]
Die Salzburger Höhlenretterin Sabine Zimmerebner, die Westhauser bei der Rettung nach oben begleitete,[29][30] verunglückte 2015 in einer Höhle in Grödig tödlich.[31][32][33]
Nachwirkungen
Der Höhleneingang wurde per Gemeindeverordnung vom 24. Juni 2014 nach § 26 Abs. 1 LStVG[34] am 27. Juni 2014 verschlossen, um Gefahren durch und für Katastrophentouristen zu vermeiden.[35][22] Für den Zugang werden Einzelgenehmigungen bei berechtigtem Interesse und körperlicher wie fachlicher Eignung erteilt.[36]
Die Hubschraubereinsätze der bayerischen Polizei wurden nicht in Rechnung gestellt, weil kein Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit vorgelegen habe.[37]
Der Ausbau des zunächst in der Höhle zurückgebliebenen Materials erfolgte in den niederschlagsarmen Herbstmonaten zwischen August und Oktober. Ein Teil der Ausrüstung wurde für zukünftige Höhlengänge in den bestehenden Biwaks deponiert.[38]
Die beiden Bergretter Klemens Reindl und Heiner Brunner von der Bergwacht Bayern wurden 2015 für die Leitung der Rettungsaktion mit dem Roland Gutsch Project Management Award 2014 der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement ausgezeichnet.[39]
Film
- 2022: Riesending – Jede Stunde zählt, zweiteiliges Fernsehfilm-Drama von Jochen Alexander Freydank mit Verena Altenberger, Maximilian Brückner und Anna Brüggemann.
Literatur
- Stephan Kempe: Warum Höhlenforschung? Ein Rückblick auf den Unfall im Riesending. Mitteilungen des Verbands der Deutschen Höhlen- und Karstforscher, Jg. 60 (2014), Heft 3, S. 68–69.
- Ulrich Meyer: Das Riesending im Untersberg. Arbeitsgemeinschaft für Höhlenforschung Bad Cannstatt e.V. (Hrsg.), Bad Cannstatt 2015, Kapitel 8: Der Unfall und die Rettung S. 52–60.
- Lars Abromeit (Text), Mattia Balsamini (Fotos), Jonas Lauströer und Matthew Rangel (Illustrationen): Die Rettung. GEO, Juli 2019, S. 48–80 (Online).
Weblinks
Einzelnachweise
- Höhlenrettungseinsatz „Riesending“ – Chronologie (Memento vom 7. Juli 2014 im Internet Archive), Deutsches Rotes Kreuz.
- Dem »Riesending« auf den Grund gegangen, Interview mit Florian Schwarz. Berchtesgadener Anzeiger, 14. Mai 2014.
- Medizinische Behandlung oberste Priorität. In: orf.at, 11. Juni 2014.
- Karin Truscheit: Verunglückter Höhlenforscher Johann Westhauser. Körperlich fit und mental belastbar. In: FAZ.NET, 10. Juni 2014.
- Verunglückter Forscher Johann Westhauser: Rettungsaktion nach Höhlendrama zieht sich hin. In: FAZ.NET, 11. Juni 2014.
- Höhlenrettungseinsatz „Riesending“ – Tag 1. Bergwacht Bayern, 8. Juni 2014, archiviert vom am 12. Juni 2014; abgerufen am 4. August 2014.
- Riesending-Höhle: Höhlen-Drama: Chirurg will notfalls in 1000 Metern Tiefe operieren. In: Augsburger Allgemeine, 11. Juni 2014.
- Lars Abromeit (Text): Die Rettung. In GEO, Heft Juli 2019. Online
- , Videodokumentation vom ZDF, abgerufen bei Arte, 2021.
- Internationaler Höhlenrettungseinsatz (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven), Bergwacht Bayern, 25. Juni 2014.
- Stephanie Lahrtz: Ein Arzt erreicht den Verletzten: Höhlenforscher erlitt Schädel-Hirn-Trauma. In: Neue Zürcher Zeitung, 11. Juni 2014.
- Roland Ampenberger: Erste Wegstrecke beim Patiententransport in der Riesending-Schachthöhle absolviert (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven). Bayerisches Rotes Kreuz, Kreisverband Berchtesgaden, 14. Juni 2014.
- Die Rettung wird zur Geduldsprobe (Memento vom 10. Juni 2014 im Internet Archive), BR-online, 8. Juni 2014.
- Gefangen in 1000 Metern Tiefe: Schwerverletzter sitzt in Riesending-Höhle fest. In: FAZ.NET, 8. Juni 2014.
- Alpen: Schwerverletzter sitzt in 1000 Metern Tiefe fest. Süddeutsche.de, 9. Juni 2014.
- Bergwacht Bayern: Verletzter Forscher aus Riesending-Höhle gerettet. Die Welt, 19. Juni 2014.
- Drama um verletzten Höhlenforscher: So soll die Rettung ablaufen. In: Augsburger Allgemeine, 14. Juni 2014.
- Markus Leitner: Komplexes Versorgungsnetz für Rettungskräfte in der Riesending-Schachthöhle (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven). Bayerisches Rotes Kreuz, Kreisverband Berchtesgaden, 14. Juni 2014.
- Bergung des verletzten Höhlenforschers. Die erste Etappe ist geschafft. In: swr.de, 13. Juni 2014.
- Nach fünftägigem Rücktransport: Forscher Westhauser ist aus der Riesending-Schachthöhle gerettet, ingenieur.de, 20. Juni 2014.
- Untersberg – Gebirgsjäger unterstützen bei Höhlenrettung (Memento vom 13. Juli 2014 im Internet Archive), deutschesheer.de, 17. Juni 2014.
- Stephanie Geiger: Nach Forscher-Unglück: Bayerns Innenminister will Riesending-Höhle schließen. In: FAZ.NET, 18. Juni 2014.
- Germania, speleologo intrappolato a mille metri sotto terra. Corriere della Sera, 12. Juni 2014.
- Une opération d'envergure pour secourir un spéléologue allemand. Le Figaro, 10. Juni 2014.
- German cave rescue of Johann Westhauser under way. BBC, 16. Juni 2014.
- German cave rescue of Johann Westhauser can begin, doctors say. CBC news, 12. Juni 2014.
- „Mentale Stärke“ rettete Forscher das Leben. Die Welt, 19. Juni 2014
- Rettung von Höhlenforscher kostete fast eine Million Euro. Der Spiegel, 22. August 2015, abgerufen am 27. Dezember 2022
- RP ONLINE: Rettungsaktion in 1000 Metern Tiefe: Das ist die Frau, die dem Höhlenforscher die Hand hielt. 20. Juni 2014, abgerufen am 28. Dezember 2022.
- Sie war Westhausers mentale Stütze. Abgerufen am 28. Dezember 2022.
- Georg Nopper: Höhlenforscherin Sabine Zimmerebner verunglückt: Todesdrama um Höhlen-Heldin. 9. Juli 2015, abgerufen am 28. Dezember 2022 (Schweizer Hochdeutsch).
- Salzburger Nachrichten: Riesending-Höhle: Salzburgerin hielt Forscher die Hand. 20. Juni 2014, abgerufen am 28. Dezember 2022.
- amannp: KOKO trauert um Sabine Zimmerebner. In: Koko Kinderbetreuung. 8. Juli 2015, abgerufen am 28. Dezember 2022 (deutsch).
- Tagesordnung zur Sitzung des Gemeinderates der Gemeinde Bischofswiesen am Dienstag, den 24.06.2014 um 18.30 Uhr, Gemeinde Bischofswiesen. abgerufen am 19. Juni 2014 (PDF) (Memento vom 14. Juli 2014 im Internet Archive)
- Eingang mit Stahlgitter verschlossen (Memento vom 5. Dezember 2014 im Internet Archive), Bayerischer Rundfunk, 28. Juni 2014, abgerufen am 29. Juni 2014.
- "Riesending" wird geschlossen. Berchtesgadener Anzeiger, 20. Juni 2014.
- Forscher muss Hubschrauberrettung nicht zahlen. Süddeutsche Zeitung, 7. Juli 2014.
- Material nach Rettung aus Riesending-Höhle geborgen. heimatzeitung.de, 2. Dezember 2014.
- Ausgezeichnet: Projektmanager der Superlative. Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (PDF-Datei); archiviert bei archive.org am 28. Oktober 2021