Remonstranten

Die Remonstranten (von lat. remonstrare „zurückweisen“), auch Arminianer genannt, sind eine protestantische Religionsgemeinschaft in den Niederlanden und in Schleswig-Holstein. Der offizielle niederländische Name der Remonstranten lautet Remonstrantse Broederschap (Remonstrantische Bruderschaft).

Remonstrantenkirche in Groningen

Geschichte

Die Wurzeln der Remonstranten liegen in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts. In den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts trennten sich hier die Remonstranten von der calvinistisch geprägten Evangelisch-reformierten Kirche. Grund war deren strenge Prädestinationslehre, die von den Remonstranten zurückgewiesen wurde. Die Streitfrage lautete, ob Menschen sich für Gott entscheiden können oder ob Gott sich seine Getreuen auswählt. Anders als die calvinistischen Contraremonstranten betonten die Remonstranten die Willens- und Glaubensfreiheit des Menschen. Aufgrund dieser Lehranschauungen mussten sie als Verfolgte ihre niederländische Heimat verlassen. Einige von ihnen emigrierten ins Herzogtum Schleswig und gründeten dort die Siedlung Friedrichstadt, wo sie noch heute eine Kirche besitzen.

Lehre

Ihre Lehre, die auch Arminianismus genannt wird, basiert auf den Schriften des reformierten Theologen Jacobus Arminius (1560–1609). Sie lehnt die Prädestinationslehre Johannes Calvins entschieden ab und propagiert stattdessen den von Gott befreiten Willen des Menschen. Die Erbsünde ist zwar absolut. Allerdings kann der Mensch zwischen Gut und Böse unterscheiden und sich mit Hilfe der vorauseilenden Gnade Gottes für die Umkehr zu Gott und die Nachfolge Jesu entscheiden.[1]

Der oftmals von calvinistischer Seite geäußerte Vorwurf der Nähe der Remonstranten zum Pelagianismus wird von den Remonstranten energisch zurückgewiesen. Die Fähigkeit zur Selbsterlösung im Pelagianismus wird von den Remonstranten abgelehnt: Der Mensch ist durch die Erbsünde grundsätzlich nicht dazu fähig. Das Handeln Gottes an den Menschen macht diese aber fähig, zu Gott umzukehren und in der Nachfolge Jesu zu leben. Im Gegensatz zur calvinistischen Lehre bestimmt Gott – nach der Überzeugung der Remonstranten – aber nicht vorher, wer als Sünder verdammt oder als geheiligt errettet wird (doppelte Prädestination). Der Mensch wird durch Gottes vorauseilende Gnade dazu befähigt, sich selbst zu entscheiden.[2][3]

Glaubensgrundsätze der Remonstranten

Die Remonstranten vertreten heute eine undogmatische, liberale und in Freiheit und Toleranz verwurzelte Glaubenslehre. Alle Remonstranten finden sich in folgender Grundsatzerklärung (wörtlich) wieder: Die Remonstrantische Bruderschaft ist eine Glaubensgemeinschaft, die im Evangelium von Jesus Christus verwurzelt ist. Und die getreu ihrem Grundsatz von Freiheit und Toleranz Gott ehren und [ihm] dienen will.[4][5]

Glaubensgrundsätze im 17. Jahrhundert

Ihre aus der Tradition zu verstehenden fünf Glaubensgrundsätze lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Bedingte Erwählung: Gott hat beschlossen, durch Jesus Christus diejenigen aus der sündigen Menschheit zu erretten, die durch die Gnade des heiligen Geistes an Christus glauben, aber Gott belässt diejenigen in der Sünde, die die Errettung ablehnen.
  • Universale Genugtuung: Christus erlitt seinen Tod für alle Menschen, aber Gott wählt nur diejenigen für die Erlösung aus, die an Christus glauben.
  • Befreiung des Willens aus der Erbsünde: Freier Wille ist aufgrund der Erbsünde nicht der natürliche Zustand des Menschen. Die Gnade Christi arbeitet aber in allen Menschen, um sie fähig zu einer freien Entscheidung für die Umkehr zu Gott zu machen.
  • Ablehnbare Gnade: Die Gnade Gottes wirkt für das Gute in allen Menschen und schafft Erneuerung des Lebens durch den Glauben. Aber die Gnade kann abgelehnt werden, sogar von denen, die zu einem neuen Leben im Glauben gelangt sind.
  • Möglichkeit des Abfalls vom Glauben: Diejenigen, die durch den wahren Glauben mit Christus vereinigt sind, haben durch die Gnade des Heiligen Geistes, der sie unterstützt, die Kraft, im Glauben beständig zu bleiben. Aber es ist für einen Gläubigen auch möglich, von der Gnade abzufallen.

Bekannte Vertreter

Zu den Remonstranten gehörte der niederländische Staatsmann und Diplomat Johan van Oldenbarnevelt; neben Konflikten mit dem Statthalter Moritz von Oranien waren es unter anderem seine religiösen Ansichten, die 1619 zu seiner Hinrichtung führten. Zusammen mit Oldenbarnevelt wurden auch der Philosoph und Rechtsgelehrte Hugo Grotius sowie der Leidener Pensionär Rombout Hogerbeets und Gilles van Leedenberch – der Ratspensionär der niederländischen Provinz Utrecht – gefangen genommen; Grotius konnte sich aber der Haft durch Flucht entziehen. In Amsterdam wurde wie in diversen anderen Städten die Stadtregierung von den Anhängern Oldenbarnevelts gesäubert; dieser Aktion fielen unter anderen Jakob de Graeff Dircksz und Cornelis Hooft zum Opfer.

Der wohl bekannteste lebende Theologe der Remonstranten ist der Baptist Roger E. Olson (* 1952), ein Schüler Wolfhart Pannenbergs und 2017 emeritierter Professor an der Baylor University in Texas.[6] Er ist ein profilierter Kritiker der calvinistischen Lehre.[7]

Verbreitung

Rund 10.000 Mitglieder, Freunde und Angehörige zählt die Gemeinschaft der Remonstranten. Die meisten von ihnen leben in den Niederlanden. Die einzige deutsche Gemeinde befindet sich in Friedrichstadt. Die dortige Gemeinde zählt 174 Mitglieder, wovon die Hälfte in Friedrichstadt und die Hälfte in der Diaspora lebt.[8]

Organisation und Gemeindeleben

Mitgliedschaft

Zur Bruderschaft gehören sowohl Vollmitglieder, die das Glaubensbekenntnis der Gemeinschaft unterschrieben haben, als auch Gastmitglieder, die sich aufgrund einer persönlichen Erklärung den Gemeinden als Freund angeschlossen haben. Im praktischen Gemeindealltag wird jedoch zwischen Vollmitgliedern und Freunden kein Unterschied gemacht. Beide haben das aktive und passive Wahlrecht.

Taufe und Abendmahl

Kinder- und Erwachsenentaufe stehen gleichberechtigt nebeneinander, bewirken aber nicht die Mitgliedschaft in den Gemeinden. Voraussetzung hierfür sind die schon erwähnten Erklärungen.

Die remonstrantischen Gemeinden verstehen sich darüber hinaus als Angebot für alle, die in ihren angestammten Kirchen keine geistliche Heimat (mehr) finden. Die Teilnahme an den Gottesdiensten und am Abendmahl steht allen, die sich dazu gerufen wissen, offen.

Organisation

Zur Remonstrantse Broederschap gehören 46 niederländische Gemeinden. Eine weitere befindet sich in Friedrichstadt an der Eider. 1997 wurde außerdem die landesweite Junge Gemeinde Arminius gegründet, die für Kinder und Jugendliche eine Reihe von Angeboten bereithält.

Die Gemeinden sind kongregationalistisch geprägt und besitzen ein hohes Maß an Autonomie. Abgeordnete aus den Ortsgemeinden bilden zusammen mit den verantwortlichen Leitern des Predigerkonvents die Algemene Vergadering van Bestuur (deutsch: Allgemeine Ratsversammlung), die sich einmal jährlich trifft und über alle wichtigen gemeinsamen Anliegen der gesamten Bruderschaft entscheidet. Exekutivorgan des Gemeindebundes ist die Commissie tot de Zaken (Verwaltungskommission), abgekürzt: CoZa. Sie hat ihren Sitz in Utrecht.

Im Jahr 2013 gaben die Remonstranten zusammen mit anderen protestantischen Kirchen in den Niederlanden (Protestantische Kirche, Mennoniten/Taufgesinnte, Freisinnige und andere) ein gemeinsames ökumenisches Gesangbuch (Liedboek – zingen en bidden in huis en kerk) heraus.[9] Die Gemeinde in Friedrichstadt benutzt die reformierte Ausgabe des Evangelischen Gesangbuches.

Remonstranten in Schleswig und Holstein

Geschichte

Friedrich III., Herzog in den gottorfschen Anteilen der Herzogtümer Schleswig und Holstein, gestattete verfolgten Remonstranten aus den Niederlanden, sich im südlichen Schleswig nahe der Eidermündung anzusiedeln. Nachdem die Glaubensflüchtlinge 1621 die Stadt Friedrichstadt errichtet hatten, erbauten sie 1625 dort ihr erstes Gotteshaus und legten einen heute noch existierenden Friedhof an. 1850 wurde diese Kirche im Schleswig-Holsteinischen Krieg durch ein Bombardement holsteinischer Truppen völlig zerstört, konnte aber bereits vier Jahre später neu errichtet werden.

Zur Friedrichstädter Gemeinde gehören heute rund 200 Mitglieder und Freunde. Die Tendenz ist wachsend. Etwa die Hälfte der Gemeindemitglieder wohnt in Friedrichstadt, die andere Hälfte in der Diaspora. Gottesdienste finden einmal im Monat sowie an den Festtagen statt. Seelsorgerlich werden die Friedrichstädter Remonstranten von einem niederländischen Pastor und einer Pastorin betreut.

Ehemals niederländische Kirche und Schule in Glückstadt

Neben Friedrichstadt siedelten sich niederländische Remonstranten im 17. Jh. auf Einladung des dänischen Königs Christian IV. auch in Glückstadt im benachbarten Holstein an, wo sie gemeinsam mit den Reformierten (Contraremonstranten) und Mennoniten (Täufer) die niederländische Kirche in der Schlachterstraße nutzten. Zudem gab es dort einen von allen drei Konfessionen genutzten niederländischen Friedhof. Die dortige remonstrantische Gemeinde erreichte jedoch nie die Bedeutung der Gemeinde in Friedrichstadt und löste sich noch im 17. Jh. wieder auf.[10]

ACK-Mitgliedschaft

Nach langjährigem Gaststatus und Beteiligung am interkonfessionellen Dialog wurden die Remonstranten 2018 offiziell als Vollmitglied in die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Schleswig-Holsteins (ACK-SH) aufgenommen. Dieser Schritt wurde von den ACK-SH-Mitgliedern als Bereicherung angesehen und von dem ACK-SH-Vorsitzenden Martin Haasler als „ökumenischer Glücksfall“ beschrieben.[11]

Siehe auch

Literatur

  • Lucie J. N. K. van Aken: De Remonstrantse Broederschap in Verleden en Heden. Historische Schets. Van Loghum Slaterus, Arnhem 1947.
  • Jantien F. Brouwers et al. (Hrsg.): Wat We Nog Weten. Amsterdamse Remonstranten in de 20ste eeuw. 375-jarig Bestaan Remonstrantse Gemeente Amsterdam. Remonstrantse Gemeente Amsterdam, Amsterdam 2005, ISBN 90-9019328-6.
  • T. Barnard: Van verstoten kind tot belijdende kerk: de Remonstrantse Broederschap tussen 1850 en 1940. De Bataafsche Leeuw, Amsterdam 2006.
  • T. Barnard, E. Cossee: Arminianen in de Maasstad: 375 jaar Remonstrantse Gemeente Rotterdam. De Bataafsche Leeuw, Amsterdam 2007.
  • E. Cossee: Abraham des Amorie van der Hoeven, 1798–1855: een Remonstrants theoloog in de Biedermeiertijd. Kok, Kampen 1988.
  • E. Cossee, Th. M. van Leeuwen, M. A. Bosman-Huizinga: De remonstranten. Kok, Kampen 2000.
  • Simon Episcopius: Vrye godes-dienst, of t’Samen-spreeckinghe tusschen Remonstrant en Contra-Remonstrant, over de vrye godts-dienstighe vergaderinghen der Remonstranten. Met wederlegginge van Douchers oproerighe predicatie: C. Dungani redeloose salvatien, &c. 1627.
  • J. Goud, K. Holtzapffel (red): Wij Geloven – Wat Geloven Wij? Remonstrants Belijden in 1940 en Nu. Meinema, Zoetermeer 2004.
  • W. T. Keune, C. Ginjaar, J. Schaafstra: Doopsgezind en Remonstrant in Dokkum. Van der Helm, 1978.
  • G. J. Sirks: Verantwoording en verantwoordelijkheid van ons Remonstrant-zijn. De Tijdstroom, Lochum 1955.
  • P. L. Slis: De Remonstrantse Broederschap: Biografische Naamlijst, 1905–2005 – Gemeenten, Landelijke Organen, Predikanten en Proponenten, Publicaties. Eburon, 2006.
  • Simon Vuyk: De Dronken Arminiaanse Dominee. Over de Schaduwzijde der Verlichte Remonstranten. De Bataafsche Leeuw, Amsterdam 2002.
  • W. van der Burg: Over religie, moraal en politiek. Een vrijzinnig alternatief. Ten Have 2005, ISBN 9025955622.

Einzelnachweise

  1. Roger E. Olson: Arminian Theology: Myths and Realities. IVP Academic, 2006.
  2. Roger E. Olson: R. C. Sproul, Arminianism, and Semi-Pelagianism (online)
  3. Roger E. Olson: Arminian Theology: Myths and Realities. IVP Academic, 2006.
  4. www.remonstranten.org: Glaubensbekenntnisse früher und heute (niederländisch)
  5. www.remonstranten-berlin.de: Remonstranten-Booklet, S. 4.
  6. Roger E. Olson (2017). Porträt auf der Internetpräsenz der Baylor University in Waco, Texas, abgerufen im November 2022.
  7. Roger E. Olson: Against Calvinism. Zondervan, 2011.
  8. Remonstrantengemeinde Friedrichstadt
  9. Liedboek.nl
  10. Hans-Reimer Möller: Glückstadt – Ein Führer durch das Stadtdenkmal und seine Geschichte. Verlag J. J. Augustin, Glückstadt 1994, S. 50 f.
  11. News auf www.oekumene-ack.de abgerufen am 28. März 2018.
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