Reitkunst

Reitkunst ist die reiterliche Präsentation eines Pferdes in dessen individueller Vollkommenheit geistiger und körperlicher Anmut.[1]

Eine Reitschule auf einem Guckkastenblatt um 1760

Reitkunst heute

Wiederbelebungen der Reitkunst des 16. bis 18. Jahrhunderts werden barocke Reitkunst genannt. Ihre Lektionen sind Veredlungen der im Krieg zu Pferd benötigten Reitmanöver.

Die Reitkunst der mitteleuropäischen Reitkultur des 19. bis 21. Jahrhunderts bezeichnet man als klassische Reitkunst. Ihre Lektionen setzen sich aus Lektionen der barocken Reitkunst und später entwickelten Kunstgangarten zusammen.

Die Reitkunst der iberischen Halbinsel nennt man Doma Clásica. Sie vereint Elemente der barocken Reitkunst und folkloristische Elemente.

Jede Reitkunst baut sich auf aus der Arbeit in der Grundschule bis zur Förderung in der Hohen Schule. Die Hohe Schule wird in Schulen auf (oder bei) der Erde und Schulen über der Erde unterteilt.

Grundsätze

Das Prinzip der Freiwilligkeit zieht sich durch die Interpretationen der Reitkunst aller Epochen.[2][3][4] Die angestrebte Langlebigkeit des Reitpferdes wird durch individuelles, biomechanisch angemessenes Training des Bewegungsapparates und pädagogischen Umgang erreicht.[4]

Das Pferd wird in der Reitkunst als künstlerisches Medium verstanden, das es optimal in Szene zu setzen gilt. Dabei soll der Reiter eine untergeordnete, unauffällige und gute Figur machen und das Pferd mit unsichtbaren Hilfen steuern.[1][5] Den Reitkünstler zeichnet eine besonnene, beherrschte und konzentrierte Geisteshaltung aus.[6]

Barocke Reitkunst

Übung „Aufsitzen“ aus Johann Elias Ridingers Vorstellung und Beschreibung derer Schul und Campagne Pferden nach ihren Lectionen von 1760

Die barocke Reitkunst grenzt sich gegenüber den anderen Reitkünsten dadurch ab, dass sie den Anspruch erhebt, eine möglichst genaue Rekonstruktion der barockzeitlichen Lehren zu sein. Zu den Lehrmitteln gehören die Bücher und bildlichen Darstellungen verschiedener europäischer Reitmeister (wie z. B. der Italiener Federigo Griso, die Franzosen Antoine de Pluvinel und De la Guériniere, der Portugiese Manoel Carlos de Andrade oder der Deutsche Georg Engelhard von Löhneysen).

Die barocke Reitkunst umfasst die Grundgangarten, kennt aber keine Gangverstärkungen. Die Schulen auf (oder bei) der Erde sind:

Die Schulen über der Erde sind:

Viele Lektionen werden in der Arbeit an der Hand entwickelt, auch die im 17. Jahrhundert in Gebrauch gekommenen Pilaren dienen als Ausbildungshilfe.

Derzeit demonstrieren die barocke Reitkunst öffentlich:

Klassische Reitkunst

Die Bezeichnung „klassische Reitkunst“ bezieht sich nicht auf die kulturgeschichtliche Epoche der Klassik, sondern auf deren Status als Klassiker (=allgemeingültig / modeunabhängig).[7]

Die bekanntesten öffentlichen Stätten der klassischen Reitkunst sind die Spanische Hofreitschule (Wien), die Ecole Nationale d’Equitation (Saumur) und das Reitinstitut Egon von Neindorff in Karlsruhe.

Doma Clásica

Die spanische Reitkunst ist der klassischen Reitkunst sehr ähnlich, zeigt aber zusätzlich folkloristische Elemente (z. B. Spanischen Schritt). Speziell die portugiesische Reitkunst umfasst auch typische Elemente der barocken Reitkunst (z. B. Terre à Terre).

Die Doma Clásica wird an folgenden Einrichtungen öffentlich praktiziert:

Geschichte und Entwicklung

Die ältesten Zeugnisse von Reitkunst lassen sich bis ins antike Griechenland zu Reitmeister Xenophon (um 400 v. Chr.) zurückverfolgen. Die Reitkunst diente zur Ertüchtigung von Kriegspferden und zu Paradezwecken.[2]

Allgemein steht die Reitkunst im Spannungsfeld zwischen dem künstlerischen Anspruch (das Pferd als Kunstobjekt l'art pour l'art) einerseits und dem praktischen Einsatz des Pferdes für bestimmte Dienstzwecke. Solinski geht soweit, die Reiterei in eine zweckfreie Freizeitreiterei (zu der auch der Reitsport gehört) und eine praxisbezogene Nutzreiterei (in der Bückeburger Hofreitschule angewandte Reitkunst genannt[1]) zu unterteilen.[8]

Als Scheidepunkte der Reitkunst sind folgende (chronologisch geordneten) Entwicklungen anzusehen:

  • das Aufeinandertreffen der leichten Reiterei (Hannibal) und der schweren Reiterei (iberische Stämme) in der Schlacht am Tajo 220 v. Chr.
  • die fortschreitende Veränderung des Militärwesens durch die Verbreitung der Feuerwaffen 15. bis 16. Jahrhundert
  • das Mäzenatentum der absolutistischen Herrscher für Künste aller Art im 17. und 18. Jahrhundert
  • dessen abrupter Untergang mit der Französischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts
  • die „Anglomanie“[9] genannte Zuchtauswahl und Bevorzugung englischer Vollblüter im 19. Jahrhundert
  • die Einführung großer Kavallerieeinheiten und die Notwendigkeit einer Schnellausbildung für Reiter und Pferd im 19. und Anfang 20. Jahrhundert
  • die Entscheidung, den Reitsport auf den Prinzipien der Militärreiterei aufzubauen im 20. Jahrhundert
  • die Wandelung der Reiterei als Breitensport im 20. Jahrhundert

Siehe auch

Weiterführende Literatur

  • Johann Baptista Galiberti: Neugebahnter Tummelplatz und eröffnete Reitschul. Sambt beygefügter Gestüttordnung und gründlicher Einzäumung, wie auch der Pferde Cur und Artzney […] Ins Deutsche übersetzt von Matthaeus Drummer von Pabenbach. Leipzig 1984 (Erstausgabe: Michael Rieger, Wien 1660).
  • François Robichon de la Guérinière: Reitkunst. 1817, ISBN 3-487-08288-8 (französisch: Ecole de cavalerie. Übersetzt von J. D. Knoell, Erstausgabe: 1733).
  • Nuno Oliveira: Gedanken über die Reitkunst. 1999, ISBN 3-487-08383-3.
  • Philippe Karl: ReitKunst. Klassische Dressur bis zur Hohen Schule. 1999, ISBN 3-405-15826-5.
  • Anja Beran: Aus Respekt. 2008, ISBN 3-930953-14-5.
  • Horst Stern: So verdient man sich die Sporen. Kosmos, Stuttgart 2015, ISBN 978-3-440-14476-3 (Originaltitel: So verdient man sich die Sporen. Reiten lernen, wie es selten im Buche steht. Erstausgabe: Franckh, Stuttgart 1961).

Einzelnachweise

  1. Fürstliche Hofreitschule Bückeburg (Hrsg.): Schulen und Touren der barocken Reitkunst. 2011, DVD (akademie.hofreitschule.de).
  2. Xenophon, Übersetzung von du Paty de Clam: Reitkunst. In: Die Wagen und Fahrwerke der Griechen und Römer. Johann Chr. Grinzrot, 1817.
  3. Antoine de Pluvinel: Le maneige royal. 1605 (französisch).
  4. Gustav Steinbrecht: Das Gymnasium des Pferdes. 1886.
  5. Johann B. von Sind: Vollständiger Unterricht in den Wissenschaften eines Stallmeisters. 1770.
  6. Francois Baucher: Méthode d'équitation basée sur de nouveaux principes. 1842 (französisch).
  7. Berthold Schirg: Reitkunst im Spiegel ihrer Meister. Band 1, 1987.
  8. Sadko Solinski: Reiter, Reiten, Reiterei. Grundlagen pferdegemäßen Reitens. 1983.
  9. Otto Baron Digeon von Monteton: Über die Reitkunst. Georg Olms, Hildesheim 1995, ISBN 3-487-08346-9 (unveränderter Nachdruck von Anglomanie und Reitkunst 1877 und Reiter-Predigten. Ursache und Wirkung 1879).
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