Rasgueado

Rasgueado (spanisch, von rasgar, dieses von lateinisch resecare,[1] andalusisch Rasgueo:[2] „reißen“, als spieltechnischer Begriff „Anreißen von Saiten“), englisch auch strumming genannt, ist die Bezeichnung für eine Anschlagstechnik der Gitarre, bei der alle oder mehrere Saiten mehrheitlich mit der Nagelseite der beteiligten Anschlagsfinger in Schwingung versetzt werden.[3] Charakteristische Merkmale dieser Technik, die insbesondere auf der Flamenco-Gitarre zur Anwendung kommt, sind der obertonreiche Klang mit deutlich wahrnehmbaren Anschlagsgeräuschen und die durch die koordinierte und zeitlich versetzte Abschlagsbewegung meist mehrerer Finger erzeugten perkussiv-rollenden Rhythmen.

Verwendete Abkürzungen

Zur vereinfachten Darstellung werden nachfolgend die international üblichen Abkürzungen für die Anschlagshand verwendet:

Daumen: p (von spanisch pulgar)
Zeigefinger: i (von índice)
Mittelfinger: m (von medio)
Ringfinger: a (von anulario)
Kleiner Finger: c (von chico)[4]

Ausführung und Anschlagsmuster am Beispiel der Flamencogitarre

Die Anschläge der Finger kommen aus dem Grundgelenk („Wurzelgelenk“) und werden als Abschlag[5] ausgeführt. Bei Anschlagsmustern, die mit dem Kleinfinger beginnen, ist die Ausführung wie folgt: Erst schlägt der kleine Finger die Saiten an, danach beginnt der Ringfinger mit dem nächsten Abwärtsschlag. Die restlichen Finger (abgesehen vom Daumen) folgen diesem Muster. Wenn der Zeigefinger seinen Anschlag ausführt, geht der kleine Finger bereits wieder in seine Ausgangsposition zurück, um im Fall einer Wiederholung des Rasgueados die rhythmische Gleichmäßigkeit zu gewährleisten. Die Abfolge des vorab beschriebenen Rasgueados kann daher abgekürzt als c-a-m-i notiert werden.

Oftmals schließt sich an den Abwärtsschlag des Zeigefingers ein Aufwärtsschlag desselben Fingers an, worauf mit der Abwärtsbewegung des kleinen Fingers der Zyklus erneut beginnt, was einen sogenannten quintillo erzeugt, ein Rasgueado mit fünf Anschlägen: c-a-m-i- (abw.) -i (aufw.)
Ein perkussiver Effekt wird erreicht, indem die Finger am (auf der tiefsten oder bei Bedarf nächsthöheren Saite sich stützenden) Daumen „eingeklemmt“ und dann mit Druck abwärts „geschnippt“ werden[6] (martellato ‚gehämmert‘). Es kann auch ein „Ein-Finger-Rasgueo“[7] ausgeführt werden. Meist findet das mit drei (a-m-i) oder vier Fingern ausgeführte Rasgueado Verwendung, seltener das „Fünf-Finger-Rasgueo“ (p-c-a-m-i oder c-a-m-i-p).[8]

Außer dem c-a-m-i-Rasgueado und dem quintillo, die insbesondere im traditionellen Flamenco Verwendung finden, gibt es weitere Varianten. So bevorzugen Spieler der jüngeren Generation Rasgueados ohne Verwendung des kleinen Fingers, z. B. die Formel a-m-i-i (der jeweils letzte Anschlag ist ein Aufschlag), wodurch ein kontinuierliches Rasgueado[9] erzeugt wird. Als tresillo (spanisch für Triole) wird ein Dreier-Rasgueado, z. B. in der Form m-i-i oder a-i-i (Ausführung: Abschlag-Abschlag-Aufschlag), bezeichnet, das auch in rhythmisierter Form (a caballo/acaballado: lang-kurz-kurz) z. B. zur Begleitung schneller Flamencotänze, etwa der Tangos, Sevillanas oder Fandangos, verwendet wird.[10]

Die Verwendung des Daumens in einer Rasgueadobewegung erfordert die verstärkte Einbeziehung des Unterarms in Form einer fächerartigen Rotationsbewegung. Diese Rasgueados werden daher als abanico (spanisch für „Fächer“) bezeichnet und meist als tresillo ausgeführt, z. B. in der Abfolge p-ma-p:[11] Aufschlag mit dem Daumennagel – Abschlag der geschlossenen Finger – Abschlag des Daumens. Durch ihren kraftvollen Klang und die durch eine kontinuierliche Wiederholung des Anschlagsmusters entstehende rhythmische Dichte wird diese Rasgueadoform häufig zur Markierung eines formalen Abschnitts (spanisch cierre ‚Abschluss‘) verwendet.

Das Rasgueado kann gleichzeitig mit dem Golpe (Klopfen) erfolgen.

Das Rasgueado auf der Barockgitarre (17. und 18. Jahrhundert)

Das Rasgueado als volkstümliche Technik zum Durchstreichen der Saiten mit der Nagelseite der Finger beim einfachen Akkordspiel, im Gegensatz zur als Punteado bezeichneten Spielweise, d. h. dem selektiven Anzupfen einer oder mehrerer Saiten mit der Kuppenseite der Finger, und der dadurch ermöglichten differenzierteren Kompositionsweise, wurde in Lehrbüchern und Sammlungen für die Barockgitarre erstmals am Ende des 16. Jahrhunderts erwähnt, so im Libro de cartas y romances espanoles del Illustrissima Senora Duchessa di Traetta aus dem Jahre 1599.[12] Zu den Quellen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zählen unter anderem die Veröffentlichungen von Gaspar Sanz[13] und seiner Zeitgenossen, wie Santiago de Murcia und Lucas Ruíz de Ribayas, dessen Kompilation aus dem Jahre 1677 in weiten Teilen Kompositionen von Gaspar Sanz verwendet.[14][15] Zur vereinfachten Darstellung der im Rasgueadospiel verwendeten Akkorde wurde um 1600 das Alfabeto (eine Akkordgriff-Notation) erfunden, wobei jedem Akkord ein Buchstabe zugewiesen wurde.[16] Die Anschlagsrichtung der Finger wurde unterhalb der Alfabeto-Notation durch ober- oder unterhalb einer eigenen Linie notierte Striche angegeben, bei Tabulaturnotation auch durch die Halsungsrichtung von Notenwerten.

Beispiele für die Verwendung der barocken Rasgueadotechnik als in Kompositionen des Punteado-Stils integrierte Spielmanier finden sich z. B. bei Johann Anton Losy von Losinthal[17] oder bei Ludovico Roncalli.[18][19]

Das Rasgueado in der zeitgenössischen Gitarrenmusik des 20. Jahrhunderts

Neben Rasgueado-Passagen in den Gitarrenwerken spanischer Komponisten, wie Joaquín Rodrigo oder Joaquín Turina, die teilweise als absichtsvolle Reminiszenz an die Tradition der Flamencogitarre gedacht waren, haben in der Folge zahlreiche Komponisten die Rasgueadotechnik als eigenständiges Klangmittel eingesetzt. Selten erfolgte dies aber so konsequent und strukturbestimmend wie durch den französischen Komponisten Tristan Murail in seiner zehnminütigen Komposition Tellur aus dem Jahre 1977,[20] die durch den Widmungsträger Rafael Andia uraufgeführt wurde.[21]

Lehrwerke

  • José de Azpiazu: Tecnica del Rasgueado (Rasgueado Technique). Simple and continuous rasgueado. G. Ricord & Co., München.
  • Ivor Mairants: The Flamenco Guitar. A complete method for playing flamenco. Latin-American Music Publishing, London 1958, S. 58–61 (Rasgueados).
  • Gerhard Graf-Martinez: Flamenco. Gitarrenschule. Band 1. Schott, Mainz 1994, ISBN 3-7957-5083-0, S. 12–21, 57–70 (Ergänzung: S. 12–21 (Rasgueo), S. 57–70 (Tresillos) und öfter).
  • Nitin Arora: Rasgueados Are for Everyone(1996), Visual Dictionary (step-by-step photos of all the basic patterns), 52 Seiten. (Online als PDF-Datei verfügbar)
  • Ehrenhard Skiera: Flamenco-Gitarrenschule. Ricordi, München 1973, S. 16–23.
Wikibooks: Gitarre – Lern- und Lehrmaterialien

Einzelnachweise

  1. DRAE Diccionario de la Academía Real de España, abgerufen am 24. Juli 2020.
  2. Das PONS-Wörterbuch (online) übersetzt rasgueado unpräzise mit „Anschlagen (der Saiten)“. Für die andalusische Variante rasgueo wird zusätzlich die Übersetzung „Arpeggieren“ angeboten, was allerdings weder dem spanischen Sprachgebrauch noch dem technischen und musikalischen Sachverhalt des Arpeggios entspricht.
  3. Wolfgang Gerhard: Spieltechnische Aspekte des Flamenco. In: Gitarre & Laute. Band 1, Heft 3, 1979, S. 34–39, hier: S. 36 f.
  4. Für die Abkürzung des Kleinfingers gibt es kein einheitliches Kürzel, weitere Schreibweisen sind q oder ñ (von span. meñique ‚kleiner Finger‘)
  5. Die Anschlagsrichtung der Finger wird bei Anschlag von den tiefen zu den hohen Saiten als Abschlag bezeichnet, in der entgegengesetzten Richtung als Aufschlag.
  6. Gerhard Graf-Martinez: Flamenco Gitarrenschule. Band 1. Schott, Mainz 1994, ISBN 3-7957-5083-0, S. 15–17.
  7. Gerhard Graf-Martinez: Flamenco Gitarrenschule. Band 1. Schott, Mainz 1994, ISBN 3-7957-5083-0, S. 13–14.
  8. Gerhard Graf-Martinez: Flamenco Gitarrenschule. Band 1. Schott, Mainz 1994, ISBN 3-7957-5083-0, S. 15–21.
  9. Gerhard Graf-Martinez: Flamenco Gitarrenschule. Band 1. Schott, Mainz 1994, ISBN 3-7957-5083-0, S. 21 (Kontinuierliches Rasgueo).
  10. Auch Dreier-Rasgueados, die rhythmisch keine Triolen darstellen, werden gelegentlich als tresillos bezeichnet, siehe dazu Gerhard Graf-Martinez: Flamenco. Gitarrenschule. Band 1. 1994, S. 57.
  11. Das Kürzel ma steht im Zusammenhang mit einem Rasgueado für mano ‚Hand‘, gemeint ist damit ein gleichzeitiger Abschlag der geschlossen gehaltenen Finger.
  12. PDF von Monica Hall, ein kurzer Artikel zu ersten Quellen des Alfabeto
  13. Jerry Willard (Hrsg.): The complete works of Gaspar Sanz. 2 Bände, Amsco Publications, New York 2006 (Übersetzung der Originalhandschrift durch Marko Miletich), ISBN 978-082561-695-2, Band 2, S. 12.
  14. Gerhard Klingenstein (Gesprächsführung und Übersetzung): Es gibt keine ernste Musik oder nicht ernste Musik …: Interview mit Jorge Cardoso. In: Gitarre & Laute. Band 7, Heft 5, 1985, S. 14–18, hier: S. 16.
  15. Vgl. auch Frank Koonce: The Baroque Guitar in Spain and the New World: Gaspar Sanz, Antonio de Santa Cruz, Francisco Guerau, Santiago de Murcia. Mel Bay Publications, Pacific, Mo. 2006, ISBN 978-078-667-525-8, S. 10 f. und 22 f.
  16. Adalbert Quadt: Gitarrenmusik des 16.–18. Jahrhunderts. Nach Tabulaturen hrsg. von Adalbert Quadt. Band 1–4. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1970 ff.; 2. Auflage ebenda 1975–1984, Vorwort (1970).
  17. Hubert Zanoskar (Hrsg.): Gitarrenspiel alter Meister. Original-Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Band 1. B. Schott’s Söhne, Mainz 1955 (= Edition Schott. Band 4620), S. 11 und 24.
  18. Adalbert Quadt (Hrsg.): Gitarrenmusik des 16.–18. Jahrhunderts. 4 Bände. Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1970–1984, Band 4, S. 1, 4, 7, 10 und 14.
  19. Vgl. auch Sylvia Murphy: Seventeenth-Century Guitar Music: Notes on „Rasgueado“-Performance. In: Galpin Society Journal. Band 21, 1968, S. 24–32.
  20. Webseite von Tristam Murail Anmerkungen des Komponisten zu Tellur mit Diskografie, abgerufen am 25. Juli 2020.
  21. YT-Video Rafael Andia interpretiert Tellur von Tristan Murail (1977), abgerufen am 25. Juli 2020.
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