Radio-Aktivität
Radio-Aktivität ist das fünfte Studioalbum der Düsseldorfer Band Kraftwerk. Es erschien im November des Jahres 1975 in einer deutschen und einer englischen Version, die sich lediglich durch die Beschriftung in der jeweiligen Sprache unterschieden. Die englische Version war mit Radio-Activity betitelt.
Entstehung und Veröffentlichung
Das Album wurde im bandeigenen Kling-Klang-Studio in Düsseldorf aufgenommen und war das erste Album unter Mitwirkung von Karl Bartos. Erstmals wurden ausschließlich elektronische Instrumente verwendet, was die für die Band prägende Stilwende vom Krautrock hin zum Elektropop bedeutete.
Auf dem Plattencover ist das Volksempfänger-Modell Deutscher Kleinempfänger abgebildet. Innen lag jeder LP ein Aufkleber bei, der das Internationale Symbol für Radioaktivität darstellt.
Das Album wurde von Peter Bollig und Walter Quintus abgemischt; es kann – hinsichtlich des Wortspiels Radio-Aktivität – als Konzeptalbum aufgefasst werden, da sich alle Lieder textlich entweder mit Radioaktivität beziehungsweise Kernenergie oder Rundfunk beschäftigen.
Das Album erreichte in Frankreich Platz eins in den Charts und verkaufte sich mehr als 250.000 Mal. Von der Single Radioactivity wurden in Frankreich sogar mehr als 400.000 Stück verkauft. Für das 1991 veröffentlichte Remixalbum The Mix wurde der Titelsong neu aufgenommen und mit neuen Textzeilen versehen, da der ursprüngliche Text von verschiedenen Seiten als zu unkritisch gegenüber den Risiken der Kernenergie eingestuft wurde.
2009 erschien eine Neuauflage des Albums als Kling Klang Digital Master 2009. Im Gegensatz zu den früheren Ausgaben zeigt das Albencover ein Rot auf Gelb gehaltenes Trefoil als Warnzeichen vor Radioaktivität.
Titelliste
Es werden die deutschen und englischen Bezeichnungen der Lieder genannt.
- Geigerzähler/Geiger Counter (1:07)
- Radioaktivität/Radioactivity (6:40)
- Radioland (5:50)
- Ätherwellen/Airwaves (4:39)
- Sendepause/Intermission (0:39)
- Nachrichten/News (1:17)
- Die Stimme der Energie/The Voice Of Energy (0:54)
- Antenne/Antenna (3:42)
- Radio Sterne/Radio Stars (3:30)
- Uran/Uranium (1:27)
- Transistor (2:14)
- Ohm Sweet Ohm (5:37)
Besetzung
- Ralf Hütter – Gesang, Tasteninstrumente und Synthesizer
- Florian Schneider-Esleben – Gesang, Tasteninstrumente und Synthesizer
- Karl Bartos – Elektronisches Schlagzeug
- Wolfgang Flür – Elektronisches Schlagzeug
- Walter Quintus – Tonmeister
Die Musikstücke
- Geigerzähler
Dieses Stück besteht vorrangig aus einem rhythmischen, langsam beschleunigenden Knacken. Später kommen ein unregelmäßiges Rauschen und ein weiteres elektronisches Geräusch hinzu. Kurz darauf leitet Geigerzähler nahtlos in das Titelstück über.
- Radioaktivität
Das Titelstück in a-Moll baut auf einem ständig wiederholten Thema auf, dessen Melodie weitestgehend durch Quartensprünge charakterisiert ist. Die Harmoniefolge beschränkt sich auf Tonika a-Moll und Subdominantparallele F im Wechsel, Tonikaparallele C und deren Dominante G.
Inhaltlich beschäftigt sich dieses Lied mit dem Wortspiel aus dem Titel. Es werden – abwechselnd auf Deutsch und Englisch – „Radio-Aktivität“ (Rundfunktechnik) und „Radioaktivität“ besungen. Dabei wird sowohl auf Marie Curie als auch auf populäre Slogans zu Befürwortung von Kernenergie („Wenn's um uns're Zukunft geht.“) Bezug genommen. Zwischen den Textpassagen wird das Wort „Radioaktivität“ in Morsecodes eingespielt.
Die 2. gemixte Version des Songs für das Album The Mix ist auch die Version, die für die Konzerte der Band verwendet wird. Sie unterscheidet sich von der alten Version durch den neuen Text (Strahlentod und Mutation durch die schnelle Kernfusion), durch das „STOP“ vor „Radioaktivität“ und den Anfang, bei dem Atomunfälle von einer Robovox-Stimme aufgezählt werden.
- Radioland
In diesem Lied wechseln sich gesungene Passagen, instrumentale Themenverarbeitung und elektronische Effekte ab. Alles wird von einem klopfenden Rhythmus im 4/4-Takt unterlegt, bei dem auf den Zählzeiten 1, 2 und 3 Schläge erfolgen.
Der sloganartige Text handelt vom Einstellen eines Transistorradios. Dabei wird jede Textpassage zuerst deutsch gesungen und dann auf Englisch wiederholt.
Die Liedzeilen werden wechselweise von Hütter und Schneider-Esleben gesungen, was insofern außergewöhnlich ist, als dass man die Stimme von Schneider-Esleben ansonsten im gesamten Werk der Band nur elektronisch verfremdet (= Vocoderstimme) hören kann.
- Ätherwellen
Dieses Lied basiert auf einer recht einfachen, mit Sekunden abwärts geführten Melodie, die von Instrumenten und Sänger verwendet und auf zwei terzverwandten Tonstufen gespielt wird. Das Lied zeichnet sich durch ein recht hohes Tempo aus.
Textlich ist das Lied recht einfach gehalten. Es beschreibt Senden und Empfangen beim Rundfunk auf poetische Weise („ferne Stimmen singen“) und wird ebenfalls abwechselnd auf Deutsch und Englisch gesungen.
- Sendepause
Dieses Stück ist eine kurze Überleitung, die mit einem prägnanten Pausenzeichen einer Sendepause im Radio nachempfunden ist.
- Nachrichten
In diesem Stück werden versetzt und z. T. gleichzeitig verschiedene gesprochene Nachrichtensendungen aus dem Radio abgespielt und mit elektronischen Effekten bzw. Störgeräuschen wiedergegeben.
Die Nachrichten stammen angeblich vom WDR, vom NDR, vom Bayerischen Rundfunk und von Radio Bremen. Die Nachrichtentexte berichten von geplanten und gebauten Kernkraftwerken, fortschreitender Entwicklung in der Energietechnik sowie begrenzten Uranvorkommen.
- Die Stimme der Energie
Eine mithilfe eines Vocoders roboterartig klingende Stimme (die Stimme der Energie) spricht aus der Sicht des Kraftwerksgenerators über die Abhängigkeit der modernen Gesellschaft von elektrischem Strom („Ich bin Ihr Diener und Herr zugleich“).
- Antenne
Im bekannten Stil beschreibt das Lied eine Antenne, die die von einem Sender ausgesandten Radiowellen als Vibrationen empfängt. Dabei wird die Strophe auf Deutsch, der Refrain auf Englisch gesungen. Charakteristisch ist der mit vielen Halleffekten versehene Gesang.
- Radiosterne
Lediglich ein rhythmisch wiederholter, exponentiell seine Frequenz steigernder Oszillatorton bildet die Grundlage dieses Musikstückes. Der Gesang ist erneut mit Halleffekten versehen und berichtet von Quasaren und Pulsaren, welche im Weltall Radiowellen freisetzen und auf der Erde ebenfalls empfangen werden können. Dabei werden Worte des Textes im Rhythmus gesamplet, worüber sich erneut eine verfremdete Stimme legt, die die Kernworte des Textes (Pulsare und Quasare) betont.
- Uran
Dieses Stück knüpft nahtlos an Radiosterne an und beschreibt mit einer verfremdeten Stimme den radioaktiven Zerfall von Uran. Der Text wird erneut auf Englisch wiedergegeben und mit einem atmosphärischen gehaltenen Akkord unterlegt.
- Transistor
Eingeleitet von Radiosamples, ist dies ein kurzes, von vielen Echoeffekten geprägtes Instrumentalstück, dessen Titel auf Transistorradios anspielt.
- Ohm Sweet Ohm
Das letzte Stück wird von einer Vocoder-Stimme eingeleitet, die den Songtitel mehrfach wiederholt. Dieser spielt auf die englische Redewendung „Home, Sweet Home“ und die Maßeinheit Ohm für den elektrischen Widerstand an.
Es folgt ein längeres, mit einigen Solopassagen versehenes Instrumentalstück, dessen Tempo sich ständig erhöht und das im Gegensatz zu dem vorigen Stück durchkomponiert und nur wenig repetitiv ist. Es endet unisono und wird ausgeblendet.
Musikvideos
Zusätzlich wurden 1975 auch zwei Musikvideos für die Lieder Radioaktivität und Antenne aufgenommen. Das Booklet der 2009-Remastered-Version des Albums ist mit Artwork ausgeschmückt, welches sich stark an den Musikvideos orientiert. Außerdem verwendete Kraftwerk Ausschnitte bzw. bestimmte Szenen für die Hintergrundfilme bei heutigen Konzerten.
- Das Musikvideo zu Radioaktivität ist in einem Rotton gehalten und beginnt mit einer etwa fünfsekündigen Einblendung eines roten Trifoil auf gelbem Grund, angelehnt an das internationale Zeichen für Radioaktivität und die der LP beiliegenden Sticker. Darauf folgt für weitere fünf Sekunden ein KRAFTWERK-Schriftzug, der von pulsierenden Punkten umringt ist. Als Nächstes erscheinen zwei Hände in Handschuhen von der Seite in einem schwarzen Raum, die sich im Sekundentakt auf- und abbewegen. Ein Lichtpunkt erscheint wieder und wieder auf den Händen. Eine Einblendung der Bandmitglieder in Anzügen folgt. Nun sind abwechselnd Nahaufnahmen von einer Hand (im Video wahrscheinlich Hütters), die Klavier spielt, zwei Händen, die das elektronische Schlagzeug spielen (wahrscheinlich Wolfgang Flür) und das Profil von Ralf Hütters Kopf zu sehen, während er in ein Mikrofon singt. Zweimal ist ein Gesamtbild der Band in dem abgedunkelten Raum zu sehen. Hütter links am Synthesizer und Mikrofon, in der Mitte Bartos und Flür nebeneinander an elektronischen Schlagzeugen, und schließlich rechts Florian Schneider-Esleben an einem weiteren, in Bauchhöhe stehenden Synthesizer. Ungefähr in der Mitte des Videos, passend zum Instrumental im Lied, erscheinen in der linken, oberen Hälfte wieder die beiden Hände in Handschuhen, die sich nun dem Takt folgend auf- und abbewegen. Der Lichtpunkt ist deutlicher. Rechts unten ist nun eine weitere Hand zu sehen, die einen kleinen Morseschalter bewegt. Im Lied ist währenddessen in Morsezeichen das Wort Radioaktivität zu hören. Das Video endet mit einem Volksempfänger, auf den die Kamera einzoomt.[1]
- Das Musikvideo zu Antenne ist ähnlich aufgebaut. Nun in einem Blauton gehalten beginnt das Video mit der Frontansicht Hütters, der passend zur Musik in das Mikrofon singt. Danach folgt eine kurze Animation, die mit Kreisen andeutet, wie eine Antenne Wellen empfängt. Danach folgt ein Bild eines Parabolspiegels. Nun ist wieder, wie im Musikvideo zu Radioaktivität, die Band als ganzes zu sehen. Es ist nun wie bereits vorher bei Hütter eine Vorderansicht von Florian Schneider zu sehen, der ebenfalls in ein (anderes) Mikrofon singt. Die Animation der Antenne, die Band als ganzes und das Bild des Parabolspiegels sind nun nacheinander zu sehen. Passend zur Musik erscheint nun ein Oszilloskop, das die in der Musik zu hörenden „Schwingungen“ synchron visualisiert. Ein Bild der Band erscheint nun, um einen kleinen Tisch herum sitzend, auf dem ein Volksempfänger steht. Dieses Bild ist in ähnlicher Form auch im Booklet der 2009-Remastered-Version des Albums zu finden. Kurz wird die Animation der Antenne wieder gezeigt, danach wieder das Bild des Parabolspiegels, um schließlich wieder bei der Ausgangsposition, dem Gruppenporträt der Band auszukommen. Das Video endet mit den Frontaufnahmen Schneiders und Hütters beim Singen sowie der Gruppenansicht der Band an den Instrumenten. Es wird mit der Musik ausgeblendet.[2]
Rezeption
Kommerziell war Radio-Aktivität etwas weniger erfolgreich als sein Vorgängeralbum Autobahn, erreichte aber in den deutschen Albencharts Platz 22.[3]
Die auf dem Album gebotene Musik wird zunächst einmal in Abgrenzung zum Vorgängeralbum als Stilbruch gewertet:
„Viel weniger poppig als Autobahn und mit experimentellen Elementen war eine Ähnlichkeit mit den früheren Kraftwerk Stücken zu erkennen. Sie setzten weiterhin konsequent moderne Technologie ein, die industriellen Klänge aus den Anfangstagen sind auf Radioaktivität jedoch zu einer Art elektronischer Kammermusik gezähmt worden.“
„Mit ‚Radio-Aktivität‘ wechselten Kraftwerk vollständig zu elektronischer Instrumentierung, nachdem ihre vorhergehenden Alben noch zu einem Großteil mit elektronisch verfremdeten konventionellen Instrumenten entstanden.“
In der Bewertung kam das Album bei Kritikern gut weg:
„‚Radio-Aktivität‘ fasziniert mit makellosen Technopopsongs, emotionalen und kraftvollen Elektroballaden ebenso wie mit Experimenten und einem gerüttelt Maß an Ecken und Kanten. Das macht es auch heute, 28 Jahre nach seinem Erscheinen, zu einem ungemein spannenden wie inspirierenden Hörerlebnis.“